Surfen in Peniche, Elefantenreiten auf Koh Phangan oder Yogawellness in Tulum? So klang das letztes Jahr noch, wenn sich befreundete Paare und selbsternannte Weltenbummler:innen über den anstehenden Jahresurlaub Gedanken gemacht haben.
Lange her. Es ist fast Juni, und der Sommerurlaub ist immer noch nicht gebucht. Corona hat den deutschen Touristen bescheiden gemacht: Vielleicht mal in die Uckermark? Österreich? Gar Südtirol?
Gegenfrage: Sollten wir die Reisen wirklich vermissen, die Menschen im mittlerweile historisch anmutenden Jahr 2019 unternommen haben?
Ich finde: Nein. Mich interessiert Reisen nicht, ich habe keinen Drang dazu. Ich mag vieles an der Art, wie wir heute Urlaub machen, nicht: Das Leistungsgetriebene der Urlaubsplanung. Die Verlogenheit der Instagram-Entdecker. Das Statusgehabe.
Natürlich finde auch ich die Vorstellung toll, auf einem Berg zu stehen und in ein schönes Tal zu schauen. Aber das ist ja nie die ganze Wahrheit. Da steht ja immer noch jemand drängelnd dicht hinter oder neben dir, der ebenso gerne ins Tal schauen möchte.
Wenn man es überhaupt auf den Berg oder an den Strand schafft!
Und nicht davor schon an den tausend Buchungsmöglichkeiten und Online-Angeboten verzweifelt ist. Sitzt man dann irgendwann im Flugzeug, hat das auch alles wenig mit der Idylle aus der Werbung zu tun. Wenig Platz, schlechte Sicht, und eigentlich soll ich die ganze Zeit nur Parfüm kaufen. Mein persönliches Highlight war dabei einmal auf dem Rückflug aus Kanada dieses Continental Breakfast: ein Keks. Toll.
Urlaub macht man halt, so wie die Steuererklärung
Ich komme regelmäßig aus dem Urlaub zurück und denke: Schon nett, aber auch gut, dass es wieder vorbei ist. Bei mir stellt sich da einfach keine Erholung ein, im Prinzip ist es für mich nur zusätzlicher Aufwand im Jahr. Urlaub macht man halt, wie die Steuererklärung.
Das hat nicht mal was mit Ignoranz oder Stubenhockerei zu tun. Ich habe einfach irgendwann eingesehen, dass ich gar kein Bedürfnis habe, meinen Körper an jeden Abgrund oder Tempel oder Strand dieser Welt zu schieben. Das machen ja schon alle anderen und ich sehe das dann im Internet. Ich kann im Sommer auch wirklich sehr gut im Freibad oder am See liegen, Pommes essen und mich dort über laute Mitmenschen ärgern.
Immer, wirklich immer, wenn ich diese Meinung äußere, schlägt mir allergrößtes Unverständnis entgegen: „Willst du denn nicht die Welt sehen?“ Muss ich das?
Es geht ja schon im Januar los. Im Januar! Die Leute haben noch Skischuhe an den Füßen und werden aus ihren Fernsehern von aggressiven Reiseanbietern aufgefordert, doch bitte endlich den Sommerurlaub zu buchen. Frühbucherrabatt, All-inclusive, schnell schnell schnell, bevor alles weg ist!
Ich möchte weinen. Es war doch gerade erst Weihnachten.
Manche Leute sind das ganze Jahr mit Urlaub beschäftigt. Als gäbe es nichts Wichtigeres. Als wäre das Leben zwischen Pfingsturlaub und langem 1.-Mai-Wochenende nur Füllmaterial, das mit Urlaubsplanung zugeschüttet werden müsste.
Die Corona-Pandemie hat unser Verständnis davon, was normal und was wichtig ist, ganz schön durcheinandergeworfen. Einzig der Jahresurlaub soll weiterhin genauso möglich sein wie bisher auch. Trotz oder gerade wegen allem.
So wie wir vor gerade einmal zwei Monaten noch darüber sprachen, wie die Bundesregierung „gestrandete“ Deutsche aus dem Urlaub wieder einfliegen lassen kann, sprechen wir jetzt schon wieder darüber, wie wir besagte Deutsche so schnell wie möglich wieder ins Ausland zurückbekommen – möglichst individuell und weit weg, bitte. Gute Reise und bleiben Sie gesund!
Aber es gibt Hoffnung.
Die Statusreise kann ausfallen, wenn alle zuhause bleiben
Kürzlich sprach ich mit einer Freundin, die jedes Jahr im Sommer für vier Wochen nach Thailand fliegt und von dort ihre Followerschaft eifrig mit Schnappschüssen von Kokosnuss-Getränken am Strand und inspirierenden Tempelbesuchen versorgt. Ich fragte sie, wie sie das denn in diesem Jahr machen würde. „Gar nicht“, antwortet sie, „aber ist auch nicht schlimm, es darf ja vermutlich niemand fliegen.“ Und das ist im Gegensatz zu ihren Schnappschüssen mal die ungefilterte Wahrheit: Wenn niemand weit weg kann, muss ich auch nicht wollen. Der Status-Urlaub kann getrost ausfallen, wenn alle am Bodensee und in der Eifel sitzen.
Bis vor ein paar Jahren schien auch kaum jemand ein größeres Problem damit gehabt zu haben, dass so viele einfach so um die Welt fliegen, aber der Zeitgeist hat sich verändert. Mittlerweile ist jedem eigentlich klar, dass man mit Langstreckenflügen Klimasünden begeht. Da kann man noch so viele Tofuschnitzel statt Schweinenackensteaks auf den Grill werfen.
Dass Langstreckenflüge und Fernreisen unnötig sind, kommt mir persönlich hingegen ja sehr entgegen. Da freue ich mich mit der Umwelt um die Wette, weil ich zumindest eine Argumentationshilfe mehr an der Hand habe, wenn es um meine Reiseunlust geht.
Das Paradoxe ist ja: Eben auch wegen der ganzen Fliegerei wird es auch in Deutschland immer wärmer und trockener. Die letzten Jahre gab es wochenlang Temperaturen um die 30 Grad, dazu quasi keinen Regen. Und es ist schon wieder viel zu trocken! Es ist gar nicht so zynisch gemeint, wie es klingt, aber: Wir haben hier mittlerweile wirklich gute Voraussetzungen für den Jahresurlaub mit viel Sonne. Wir müssen also nicht das eh schon gebeutelte Klima weiter strapazieren, indem wir noch weiter weg fliegen. Klingt halt noch doof: „Heimaturlaub“. Das ist wie „Balkonien“, das geht den wenigsten ohne ironischen Unterton über die Lippen. Ich finde, es ist höchste Zeit, dass „Balkonien“ genauso cool wird, wie Tennissocken in Birkenstock-Sandalen es ja inzwischen sind.
Wer weiß, vielleicht sorgen die momentanen Zustände ja sogar dafür, dass wir das Ganze hier noch mehr zu schätzen lernen und der Heimaturlaub 2020 nur der erste von vielen weiteren ist. Es gibt ja schon Bewegungen in diese Richtung, vor allem unter Stadt-Hipstern ist der Schrebergarten wieder im Kommen. Nun sind ja auch Balkone und Gärten coronabedingt auf Vordermann gebracht, jetzt brauchen wir nur noch genug Ruhe, um auch dort zu bleiben. Ein bisschen wie früher, bevor Pauschalurlaub in der Dominikanischen Republik Standard wurde.
Also gut, liebe Fernreisende: Wir wissen nicht, was passieren wird. Vielleicht könnt ihr diesen Sommer trotz Corona nicht nur nach Österreich, vielleicht geht sogar Griechenland, oder Bali. Macht das, wenn ihr nicht anders könnt. Ich biete gerne meine Dienste zum Blumengießen in euren verwaisten Wohnungen an. Bei 30 Grad werde ich dann auf euren Balkonen und Terrassen sitzen, mit Bier aus eurem Kühlschrank. Ich werde durch eure Instagram-Accounts scrollen mit den Bildern vom anderen Ende der Welt und denken: Morgen an den See oder ins Freibad?
Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel, Audioversion: Christian Melchert