Billie Eilish, verständlich erklärt

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Leben und Lieben

Billie Eilish, verständlich erklärt

Millionen junge Frauen lieben eine 18-Jährige, die der vermutlich aufregendste Superstar ist, den die Welt gerade zu bieten hat. Warum, beschreibe ich in diesem Text. Spoiler: Justin Bieber kommt auch vor. Und eine Vogelspinne.

Profilbild von Esther Göbel
Reporterin für Feminismus

Billie – wer?

Eilish. Du denkst, du kennst sie nicht?

Ja. Tue ich nicht. Würde ich drauf wetten!

Ich wette dagegen! Fuffi?

Deal!

Okay. Wenn dir im Netz schonmal ein Teenie-Girl begegnet ist, das ihren Haaransatz genau wie ihre Fingernägel neongrün färbt, das in weiten Baggy-Hosen und Kapuzenpullis mehr in die Kamera flüstert als singt, das jeden dritten Satz mit „Dude“ beendet, dann weißt du, wer Billie Eilish ist. Wenn du den neuen James-Bond-Song „No time to die“ gehört hast, sowieso.

https://www.youtube.com/watch?v=GB_S2qFh5lU

Billie Eilish ist die Sängerin hinter dem Stück, die Frau in der Baggy-Jeans, der Star hinter unzähligen Teenie-Look-Alike-Contests. Eine 18-jährige Popsängerin aus L.A., die international durch die Decke geht.

Aha. Die Frau kann also singen, schön für sie. Wieso sollte mich das interessieren?

Sagen wir es so: Wenn 62 Millionen Follower verfolgen, was sie auf Instagram postet, wenn Eilish vier Preise in den Hauptkategorien bei den diesjährigen Grammys abräumt, wenn andere Stars wie die britische Radiomoderatorin und Schauspielerin Jameela Jamil sich an Halloween als Billie Eilish verkleiden und wenn das englischsprachige Musikmagazin Pitchfork über Billie Eilish sagt: „Ihre Brillanz ist eine offensichtliche Wahrheit“, dann kann man sich durchaus die Frage stellen, was hier los ist.

Billie Eilish ist das vielleicht größte Pop-Phänomen der vergangenen Jahre, das größte weibliche auf jeden Fall. Dave Grohl (für die Jüngeren unter euch: ehemals Nirvana-Schlagzeuger, heute Foo-Fighters-Frontmann) ist Fan von ihr, genauso wie die amerikanische Moderatorin Ellen DeGeneres, die Eilish in einer ihrer Sendungen den „meistdiskutierten Teenager der Musikwelt“ nannte. Eilishs Debütalbum „When we all fall asleep, where do we go?“, erschienen im März 2019, schaffte es in den USA 2019 auf Platz 1 der Billboard-Charts und wurde bei Apple Music mehr als eine Milliarde Mal (!) gestreamt. Noch Fragen?

Ja. Du bist doch einfach ein Riesenfan von ihr und schreibst deswegen diesen Text, oder?

Okay, zugegeben: Ich bin ein Riesenfan. Aber ich habe meine Gründe. Ich finde, und diese Formulierung habe ich von der Autorin Sophie Passmann geklaut: Billie Eilish ist der aufregendste Superstar, den es gerade gibt auf der Welt.

Was bitte ist denn so aufregend an ihr?

Da ist zunächst einmal ihr Look. Von vielen wird Billie Eilish als neue Stilikone gefeiert, dabei ist ihr Look schwer zu beschreiben; er liegt irgendwo zwischen Goth-Königin, Hip-Hop-Queen, Neunziger-Girl und Punkerin; am ehesten könnte Eilish vielleicht noch als gloomy Enkelin der Avantgarde-Modeschöpferin Vivienne Westwood durchgehen.

https://www.instagram.com/p/B8G1Ak5FgsG/

Das ist das Cover der amerikanischen Vogue. Im März wurde Eilish auf die Titelseite gesetzt, gleich in drei verschiedenen Varianten. (Und wenn die Vogue dich aufs Cover setzt, Baby, dann darfst du dich offiziell eine Stilikone nennen.)

Billies Stil lässt sich nicht einordnen, weder nach einer Stilrichtung, noch nach Geschlecht. Das einzige Charakteristikum, das sich durch all ihre Outfits zieht: Die Klamotten, die sie trägt, sind schräg. Und groß. Sehr groß.

Warum ihr Look so relevant ist? Weil Billie Eilish massiv die Popkultur prägt, eben weil sie über die verschiedenen Kanäle so viele jungen Menschen erreicht. Sie prägt, wie sie sich kleiden, welchen Style sie gut finden, was sie kaufen. Das wäre alles nur halb so interessant, wenn Billie einfach eine weitere Pop-Schablone aus der Retorte wäre. Ist sie aber nicht. Billie ist anders. Vor allem anders als die großen weiblichen Teenie-Popstars vor ihr. Schau dir dieses Video an:

[Video nicht mehr verfügbar]

Das ist ein Werbespot für Calvin Klein. Der wichtigste Satz, den Billie darin sagt, lautet:

„Ich möchte niemals, dass die Welt alles über mich weiß. Deswegen trage ich so große Klamotten. Niemand kann sich eine Meinung über meinen Körper bilden – weil niemand weiß, was in den Klamotten steckt.“

Billie Eilish ist quasi körperlos. Das ist ihr Schutzschild. Und damit hat Billie eine Botschaft der Hoffnung, die Millionen 14-jähriger Mädchen auf der ganzen Welt erreicht. Die Stylistin Rachel Gilman hat es gegenüber der New York Times so formuliert: „Mädchen merken, dass sie erfolgreich sein können, ohne einen Push-up-BH anziehen zu müssen.“

Du meinst, sie steht für einen größeren Wandel in der Popkultur?

Sogar für noch mehr: einen Umbruch. Sie ist der Typus eines weiblichen Popstars, den es vor zehn, fünfzehn Jahren im Mainstream nicht hätte geben können. Das amerikanische Magazin New Yorker hat sie sogar als „Changing Face of Pop“ beschrieben. Andere junge weibliche Stars vor ihr, die in derselben Liga spielten, wurden immer über Sex-Appeal und ihren Körper verkauft; erinnern wir uns an Britney Spears, Christina Aguilera oder auch Miley Cyrus. Das ungeschriebene Gesetz dieser Zeit, an das sich jede hielt, die wirklich groß werden wollte im Pop-Zirkus, lautete: Ohne Sex-Appeal geht es nicht, zeige deinen Körper. Sonst bleibst du ein Randphänomen.

Weibliche Popstars waren durchchoreographierte Produkte, auf eine langweilige Art inhaltslose Barbiepuppen in sexy Klamotten, für die irgendwer einen catchy Refrain getextet hatte, Abziehbilder vermeintlicher Männer-Phantasien mit Songnamen wie „Genie in a Bottle“ (Christina Aguilera), „I’m a Slave 4 U“ oder „Oops! … I did it again“ (Britney Spears) und Texten, in denen blutjunge Mädchen sangen: „Oh baby, baby/The reason I breathe is you/Boy, you got me blinded/Oh, pretty baby/There’s nothing that I wouldn’t do“ (Britney Spears).

Billie ist wie die Antithese zu Britney, die in ebenso jungen Jahren berühmt wurde – und wird durch ihren Look und den Umgang mit ihrem Körper zum perfekten Popstar der #Metoo-Ära. Denn #Metoo klagt als Bewegung nicht nur sexuellen Machtmissbrauch von Männern an Frauen an, sondern auch, dass Frauen und der weibliche Körper zum Objekt gemacht werden.

In ihrem bis dato erfolgreichsten Song, „Bad Guy“, der es in mehr als 15 Ländern auf Platz 1 der Charts schaffte und im Februar zur weltweit erfolgreichsten Single 2019 gewählt wurde, mokiert sich Billie zum Beispiel über toxische Männlichkeit und singt: „So you’re a tough guy/Like it really rough guy/Just can’t get enough guy/Chest always so puffed guy.“ Sie spielt das devote Mädchen: „I like it when you take control/Even if you know that you don’t/Own me, I’ll let you play the role/I’ll be your animal“ – aber nur als ironischen Witz. Nur, um sich lustig zu machen und im nächsten Moment zu singen: „My mommy likes to sing along with me/But she won’t sing this song/If she reads all the lyrics/She’ll pity the men I know.“

Okay, langsam verstehe ich, warum du sie interessant findest. Aber wie ist sie denn überhaupt bekannt geworden?

Auch das macht sie so sympathisch: aus Versehen. Mit dem Song „Ocean Eyes“, den sie und ihr Bruder Finneas im heimischen Kinderzimmer aufgenommen und auf Soundcloud hochgeladen hatten, schaffte sie 2015 den Durchbruch und wurde über Nacht zum Star – mit gerade einmal 14 Jahren. Bis heute schreibt sie ihre Songs mit ihrem Bruder zusammen. Billie hat nie eine klassische Schule besucht, sondern wurde von ihrer Mutter unterrichtet, zuhause. Mit sieben Jahren schrieb sie ihren ersten Song, das erzählt sie James Cordon auf einem „Carpool Karaoke“-Trip durch L.A.:

https://www.youtube.com/watch?v=uh2qGWfmESk&feature=youtu.be&t=331

Der Ort, an dem ihre und Finneas’ Songs entstehen, sieht man in diesem Video übrigens auch; James Cordon und Billie beschließen im Rahmen ihres Trips durch L.A. kurzerhand, einen Abstecher zu Billies Elternhaus einzulegen, wo sie immer noch wohnt, mit ihren Eltern. Und ihrer Vogelspinne.

Was? Sie hat eine Vogelspinne!? Warum, in Gottes Namen?

Das fragt James Cordon sie auch entgeistert und ekelt sich sichtlich vor dem Tier, das Billie ihm auf die Hand setzt. Ihre verzückte Antwort: „Weil er (damit meint sie die Spinne, d.A.) so süß ist!“

Also das ist aber schon … ein bisschen freaky, oder nicht?

Könnte man sagen. Ich finde Spinnen auch nicht sehr attraktiv, süß schon gar nicht. Aber dass Billie Eilish eine Vogelspinne als Haustier hat, passt wiederum sehr gut zu ihr. Sie, das Nerdgirl mit der Vogelspinne, das auf einmal zum großen Popstar mutiert. Ich finde es eine hervorragende, implizite Message an alle jungen Mädchen und Frauen da draußen: Du musst nicht sexy sein, um als Frau Erfolg zu haben. Du kannst auch in Baggy-Jeans, mit grell-grünen Haaren und einer Vogelspinne auf dem Schoß cool und erfolgreich sein.

Okay, also deine Theorie, warum Billie Eilish so erfolgreich ist, lautet …

Naja, ihr Debütalbum hat Billie mit ihrem Bruder in dessen Kinderzimmer aufgenommen – nahbarer kann man als Popstar nicht mehr sein. Und das spiegelt sich auch in solchen Worten wider, die Finneas auf der Grammy-Verleihung sagte:

„Wir haben keine Dankesrede vorbereitet, weil wir das Album nicht gemacht haben, um einen Grammy zu gewinnen. Wir dachten nicht, dass es irgendwann irgendwas gewinnen würde. Wir haben ein Album über Depression und Selbstmordgedanken geschrieben, über den Klimawandel und darüber, der Bösewicht zu sein, was immer das heißt.“

Man muss sich diese Aussage einmal verdeutlichen: Ein weibliches Popsternchen, das über den Klimawandel und Selbstmordgedanken singt, genauso wie über Depressionen oder toxische Männlichkeit, und damit Massen von Teenagern erreicht – das ist ein bezeichnendes Phänomen für die Zeit, in der wir leben. Wann durften weibliche Popstars in derselben Größenordnung schon über die genannten Themen singen?

Äh …

Eben, durften sie nicht. Man könnte daher auch sagen: Billie Eilish ist, wenn schon, ihr eigenes Produkt. Als sie nach der Veröffentlichung ihres Debütalbums von einer New-York-Times-Reporterin gefragt wurde, welche Musik sie denn zukünftig machen wolle, sagte sie einfach: „Billie Eilish-Musik. Die andere Art von Musik.“

Und wie genau klingt diese Musik?

Das schöne englische Wort „bumpy“ trifft es gut, das sich vielleicht am treffendsten mit „uneben“ oder „holprig“ übersetzen ließe. Billie Eillish macht Popmusik, keine Frage, ihre Songs sind eingängig. Aber innerhalb dessen, was eingängige Popmusik leisten kann, lebt Billie sich voll aus; der allererste Track auf ihrem Debütalbum, der gar kein Song ist, heißt „!!!!!!!“. In der 14-Sekunden-Aufnahme hört man sie und ihren Bruder kichern, dann sagen beide: „Ich habe meine Zahnschiene rausbekommen!“, und Billie sagt noch schnell: „Und das ist das Album!“ Wieder Gekicher. In „Bad Guy“ wechselt plötzlich nach Zweidrittel des Songs der Beat, im selben Lied so wie in vielen anderen flüstert und haucht Billie mehr, als dass sie singt. Das amerikanische Online-Magazin Vox schreibt zu ihrem Musikstil: „Sie vermischt verschiedene Stile: Pop, EDM, Industrial, Trap und sogar Jazz. Ihre eklektische Palette ist überraschend und doch kohärent, zusammengehalten von ihrem ausgesprochen ruhigen Gesang und ihrer respektlosen Darbietung.“

Das ist aber nicht der einzige Grund, warum so viele Teeanger Fans von ihr sind, oder?

Richtig. Ein weiterer: Billie wurde im Dezember 2001 geboren, knapp zwei Monate nach 9/11, den Terroranschlägen auf das World Trade Center, und damit in eine Welt hinein, die eine einzige Dauerkrise ist: Die Kriege im Irak und in Afghanistan, die Finanzkrise von 2008, Donald Trump, Klimawandel, das Artensterben, das Coronavirus. Die Welt, die Billie und ihre Generation kennen, ist geprägt von Unsicherheit. Ein Gefühl, das als stetiges Hintergrundrauschen die Kulisse für alles Private bildet, verbunden mit einer tiefgreifenden Sorge um die Zukunft (ähnlich wie Greta Thunberg, die nur zwei Jahre jünger ist als Billie Eilish).

Es gibt dieses großartige Video, in dem Billie von dem amerikanischen Magazin Vanity Fair dreimal interviewt wird, einmal im Alter von 16, dann mit 17 und schließlich mit 18 Jahren.

https://www.youtube.com/watch?v=YltHGKX80Y8&feature=youtu.be&t=232

Am Anfang des Videos wird Billie – sie ist damals 16 – gefragt, ob es irgendeine positive Meldung im derzeitigen Nachrichtenstrom gäbe. Darauf sagt sie, kopfschüttelnd: „Ganz ehrlich? Die Nachrichten sind so grauenhaft“, kurze Pause, hilfloser Blick Richtung Zimmerdecke, bevor sie fortfährt: „Oh ja, Beyonce hat gerade Zwillinge bekommen!“, wieder kurze Pause, genervtes Augenrollen, „und sie sieht dabei natürlich immer noch großartig aus.“

Hm ja, die Kids können einem schon ein bisschen leid tun, aus dieser Warte betrachtet.

Allerdings. Und es ist ja noch komplizierter: Billies Generation ist auch jene, die wie keine andere vorher mit Social Media aufwächst, mit Instagram, Tiktok, Snapchat, und dadurch mit einem nie dagewesenen Narzissmus, der gleichzeitig aber auch einen nie dagewesenen Druck nach Perfektion schafft. In dem erwähnten Vanity Fair-Video wird die 19-jährige Billie gefragt, was momentan ihr größtes Ziel sei. Ihre Antwort: „Einfach nur, glücklich zu bleiben … was ich gerade zum ersten Mal bin in einer langen, langen Zeit … einfach nur glücklich sein“, sie seufzt, „das ist ein großes Ziel für mich.“ Es hört sich an, als wüsste sie sehr genau, wovon sie spricht. Der New Yorker hat 2019 einen Text über sie veröffentlicht mit der vielsagenden Überschrift: „Die einsamste Generation umarmt Billie Eilish.“

Vielleicht ist es angesichts all dessen nur folgerichtig, dass Eilishs Werk durchzogen ist von einer Zerbrechlichkeit, einer zarten Leere, von einer Sehnsucht nach Verbindlichkeit und Sicherheit. Dass ihre Songs deswegen Namen tragen wie „The End of the World“ oder „When the Party´s over“, Eilish Sätze singt wie: „Quiet when I´m coming home/And I´m on my own/I could lie and say/I like it like that/like it like that oder I wish this moment would stay with the earth/some primal paradise/But there you go again/saying everything ends/Saying you can´t depend on Anything or Anyone.“ Die Welt von Billie Eilish kennt kein Happy End.

In ihren Songs liegt oft ein Zweifel, eine große Verletzlichkeit – was gleichzeitig immer auch eine große Nähe (zum Publikum) schafft; man fühlt sich gerade als Teenager vielleicht noch verlorener in dieser Welt, die man schon als Erwachsener nicht versteht. Aber man muss kein Teenie sein, um sich in den Worten von Billie Eilish ab und an wiederzufinden.

Jetzt müssen wir aber endlich mal zur wichtigsten Frage von allen kommen: Stimmt es, dass da was läuft zwischen Billie Eilish und Justin Bieber?

Sehr gute Frage! An dieser Stelle wird es erst richtig interessant (sorry for gossiping!), die beiden sind ja schließlich zwei der größten Popstars unserer Zeit. Die Antwort auf diese Frage ist trotzdem so simpel wie ernüchternd: Nüscht geht. Bieber ist eins von Billie Eilishs großen Idolen, oder vielleicht ist sie auch ein bisschen verknallt in ihn gewesen, aber ein Paar sind die beiden nicht; Bieber ist mit dem Model Haley Baldwin verheiratet, Billie offiziell Single.

Okay, letzte Frage: Hörtipp?

Schwer zu sagen. Ich mag tatsächlich jeden Song von ihr. Hier sind meine Top 3: Wenn du einen schlechten Tag hast, an dem die Typen nerven und du ein bisschen Empowerment gut gebrauchen kannst, ist „Bad Guy“ dein Song der Stunde. Wenn du an Corona-Blues leidest, passt „The End of the World“ hervorragend (kann man auch super hören, wenn man gerade – vielleicht wegen Corona – über die eigene Beziehung nachdenkt.) Und wer ein bisschen Piano-Dramatik im Alltagsbrei braucht und zudem ein gebrochenes Herz mit sich rumschleppt, ist mit „No Time to die“ gut versorgt. Viel Spaß damit!


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel