Unser Zusammenleben wird gerade auf den Kopf gestellt. Halbe-halbe klappt jetzt nicht - es ist eher: beide voll im Einsatz. Statt weniger, arbeiten wir beide nun mehr. Das Leben ist anstrengender. Psychisch ist das alles nur schwer zu verkraften.
Die fragilen Care-Ketten, an denen fast alle Familien hängen, sind zerbrochen: Keine Kita. Keine Großeltern. Keine Reinigungskraft. Ohne diese Helferleins ist der Alltag für Familien mit zwei berufstätigen Eltern nicht mehr zu schaffen. Nun wird für alle unübersehbar, wie essentiell und systemrelevant Care-Arbeit ist. Und wie viel mehr davon Frauen schultern.
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„Wir kochen mehr, da die Großen nicht mehr in Kita und Schule Mittag essen. Wir müssen wesentlich mehr aufräumen und putzen, da die gesamte Wohnung jetzt von fünf Personen dauerbenutzt wird“, schreibt uns eine Krautreporter-Leserin. Fast alle Familien, die bei unserer Umfrage mitgemacht haben, berichten das Gleiche: Sie haben in der Corona-Krise viel mehr Arbeit. Stellvertretend dafür ein Bericht: „Mehr Kochen (somit mehr Einkauf), mehr Abwasch, mehr Müll, mehr Abstimmung. Und dazu weniger Zeit, weil die Kleine nicht in der Kita ist und wir jetzt in Schichten arbeiten.“
„Wir putzen jetzt selbst, der Putzhilfe haben wir frei gegeben, zahlen ihr aber ihr Geld weiter. Ich koche alle Mahlzeiten, backe zusätzlich auch Brot, da wir möglichst wenig von draußen holen wollen,“ schreibt eine andere Mutter und Krautreporter-Leserin. „Ich arbeite vom Homeoffice aus, mein Mann muss ins Büro (systemrelevante Branche). Ich muss dazu den Teenagern (Gymnasium) bei der Organisation des Schulstoffs helfen. Das zieht sich manchmal bis in den Abend. Außerdem betreue ich noch meine 100 Kilometer entfernt lebenden, zuhause isolierten Eltern telefonisch. Es ist insgesamt viel und recht belastend, vor allem psychisch.“ Arbeit und Care-Arbeit verschwimmen, es gebe keinen richtigen Feierabend mehr und man müsse oft noch Abends und am Wochenende arbeiten, berichten andere Eltern.
Aber es gibt auch positive Aspekte: Das Leben sei weniger durchgetaktet, sagt eine andere Mutter. „Was man an Zeit normalerweise ins Pendeln steckt, stecken wir bei Homeoffice in den Haushalt oder in einen längeren Feierabend“, sagt eine andere Krautreporter-Leserin.
Auf einmal sind unsere Familien riesig weit weg
Dominik: Wir sind vulnerabel - ich bin Asthmatiker und meine Birkenpollenallergie verspricht jetzt gerade eine Verschlechterung. Außerdem ist unser Sohn ein Frühchen und bekam nach der Geburt Sauerstoff, weil die Lungen noch nicht ausgereift waren. Niemand kann sagen, ob deshalb Corona für ihn eine größere Gefahr ist. Matthäa hat eine chronische Erkrankung und oft auch ein angeschlagenes Immunsystem. Auf einmal sind unsere Familien riesig weit weg.
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Nur Hans ist wie immer, robbt durch die Wohnung, und mit seinem Mund prüft er alles, was er in die Finger bekommt. Er versteht nicht, warum wir weinen, uns in Nachrichten verlieren. Warum wir so oft aufs Handy schauen. Warum Matthäa nun immer zuhause ist, aber trotzdem arbeiten muss. Manchmal fällt es schwer, mit ihm zu spielen.
Objektiv gesehen, hat sich in meinem Alltag nicht so viel verändert: Matthäa arbeitet nun halt in unserem Arbeitszimmer. Mein Homeoffice war und ist der Wickeltisch. Aber Hans und ich spielen nicht mehr im Familienzentrum, treffen keine Cappuccino-Daddys mehr, und Hans muss weiter auf seine erste echte Spielplatz-Experience warten. Auch seine Großeltern können ihn jetzt nicht mehr besuchen. Der Vorsatz, das Smartphone möglichst nicht vor dem Kind zu benutzen, wird hinfällig - wie könnten wir jetzt nicht mit ihnen Videotelefonieren?
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Während der Pest-Quarantäne schrieb der Dichter Shakespeare „King Lear“ und der Physiker Isaac Newton entdeckte die Schwerkraft, heißt es auf Twitter. No Pressure. In der Realität müssen wir aber wohl eher froh sein, wenn wir gerade halb so viel schaffen wie normalerweise. Homeoffice kann sehr anstrengend sein, vor allem mit Kindern. Newton und Shakespeare hatten beide keine Betreuungspflichten. Vor allem „während der größten Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges“, wie Angela Merkel sagt. Die Krautreporter-Kolleg:innen haben hier aufgeschrieben, wie man dennoch am besten die Arbeit schafft.
Hans versteht nicht, dass gerade ich mich um ihn kümmere und Mama arbeitet. So lang die Tür zu ist, funktioniert das auch prima. Wenn sie aus dem Arbeitszimmer kommt, um aufs Klo zu gehen, beginnt der Terz. Gerade hat Hans noch zufrieden sein Buch abgeschleckt, weint er jetzt lauthals los. Warum ignoriert mich Mama, scheint er zu fragen?
„Weder für meine Familie da, noch etwas für meinen Job getan“
Matthäa: Ich habe mein Kind noch nie so anhänglich erlebt. Kaum sieht Hans mich, fängt er an zu weinen, kommt auf mich zu gerobbt. Er will in die Arme genommen werden und gräbt sich dann in meinen Hals. Umso länger ich weg war, umso länger und lauter weint er beim Wiedersehen. Wenn ich mich dann um ihn kümmere, ist es so schwierig, bei ihm präsent zu sein. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, als würden wir uns aneinander festhalten. Dann freue ich mich über die Ablenkung, die das Füttern oder Wickeln bietet.
Alle Abmachungen, die wir als Familie einmal getroffen haben, sind von einem Tag auf den anderen irrelevant. Alle Regeln und Pläne über den Haufen geworfen. Wir sprechen uns zunächst immer nur kurzfristig ab. Ich telefoniere mit meinen Kolleginnen, während ich Hans im Arm halte und Dominik draußen Besorgungen macht. Ich trage alle Informationen aus der Arbeit zusammen und kommuniziere sie weiter. Einen Tag später ist alles wieder anders. Unsere Tage sind voll ausgefüllt. Dominik hat nun noch mehr Hausarbeit: Er kocht mehr, macht mehr sauber. Abwechselnd kümmern wir uns um Hans und halten ihn und uns gegenseitig bei Laune.
Nicht nur die Arbeit und Hans, auch Dominik braucht mich. Parallel gibt es so viel, was wir zu Hause regeln müssen. Natürlich kommt auch alles zusammen: Das Warmwasser zu Hause fällt aus (zum Glück funktioniert es bald danach wieder). Das Klo rinnt. Eigentlich wollten wir uns aber auch um den Schimmel an der Wand kümmern. Für den mittlerweile robbenden und neugierigen Hans müssen wir die Wohnung sicherer machen. Am Ende des Tages habe ich das Gefühl, als wäre ich weder für meine Familie da, noch als hätte ich etwas für meinen Job getan.
Wenn wir fünfzig Prozent schaffen, sind wir gut!
Wie sehr die Corona-Krise Diskriminierung fördert und ein feministisches Thema ist, sehe ich direkt in meinem Büro: Wir sind erst seit Kurzem zu viert im Team. Alle stoßen an ihre Grenzen. Mit zuhause zu betreuenden oder zu beschulenden Kindern ist es nicht möglich, reguläre Termine und Aufgaben zu bewältigen. Ich bin froh, wenn alle auf dem Laufenden bleiben und an den Besprechungen teilnehmen. Wenn wir fünfzig Prozent von dem bewältigen können, was wir üblicherweise schaffen, sind wir gut! Bei meinem Arbeitgeber, der TU Berlin, ist die Anpassung an die jetzige Arbeitssituation aber erst im Gang. Viele machen Business as usual, das heißt, sie setzen Termine wie üblich an, es gibt noch keine Priorisierung von Verfahren. Es ist unklar, welche Arbeiten überhaupt fortgeführt werden müssen – etwa Bewerbungsverfahren für neue Professuren – trotzdem laufen weiterhin Fristen.
Die Corona-Krise macht auch Beratungsgespräche für mich als Frauenbeauftragte sehr komplex: Die Care-Arbeit zu Hause erschwert für viele – hauptsächlich Frauen – die Arbeitsbedingungen. Zeitpläne sind unhaltbar, der Zugang zur Universität ist unmöglich, vieles funktioniert online schlecht. Gerade internationale Projekte stehen auf der Kippe und damit auch der Aufenthaltsstatus von Student:innen und Forscher:innen. Viele Mitarbeiter:innen an den Hochschulen sind prekär oder befristet beschäftigt – oder beides. Ihre Arbeitssituation ist also jetzt noch unsicherer. Krisen fördern Ungleichheiten.
Wir können nicht dorthin zurückkehren, wo wir aufgehört haben. Um die Situation an den Unis zu entlasten, fordert eine Initiative, das kommende Sommersemester als #nichtsemester zu werten. Gemeint ist, dass sich etwa befristete Arbeitsverträge von Wissenschaftler:innen oder auch die Regelstudienzeit für Stipendien um dieses Corona-Semester verlängert.
Ich frage mich jeden Tag, warum wir in dieser Krisenzeit noch immer meinen, gleich viel leisten zu können wie vor Covid-19. Und ich habe auch die Sorge, dass danach, nach Corona, noch mehr von uns allen erwartet wird. Denn dann, so könnten wir uns vormachen, müssen wir all das Liegengebliebene schnell abarbeiten. In meinen Augen können wir das nicht schaffen. Wir können jetzt nicht so weitermachen wie bisher und schon gar nicht später so tun, als wäre nichts geschehen. Denn diese Krankheit wird viele Traumata hinterlassen.
Wie schmeckt Sand?
Dominik: Es macht mich traurig, dass Hans wohl seinen ersten Frühling verpasst. Nicht spürt, wie sich die Wiese unter seinen Knien anfühlt, wie Sand schmeckt und nicht mehr von anderen Kindern lernen kann. Ich frage mich, was es mit Hans macht, wenn er nun womöglich acht Wochen keinen Kontakt mit anderen Kindern hat? Wenn wir gar nicht mehr rausgehen, riskiere ich dann auch, dass sich Hans den Kinderwagen abgewöhnt? Vorsichtig gehen wir spazieren. Am Wochenende wollen wir rausfahren in den Wald, wo niemand ist. Aber was ist, wenn alle dorthin fahren?
Wir probieren etwas Neues: Video-Babysitting. Per Skype telefoniert meine Mutter mit Hans, singt ihm vor und lässt die Handpuppe sprechen. Das klappt erstaunlich gut (aber Achtung: Aufpassen, dass das Kind nicht den Computer vom Tisch wirft.) Auf echte Nähe müssen beide gerade verzichten. Eigentlich hatten wir lange auf einen großen Entwicklungsschritt hingearbeitet, der nun erstmal ausfällt. Wir wollten zum „Little Dragon“-Konzert und zum Kabarett von Josef Hader im März gehen. Endlich wieder als Paar Sachen machen. Um Hans sollten sich seine Tante bzw. Oma kümmern. Beides ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
Wir versuchen, unserem Sohn gerade besonders viel Nähe und Sicherheit zu geben, auch wenn wir sie selbst nicht spüren. Ihm auch zu erzählen, was passiert oder warum wir uns Sorgen machen. Genauso wie wir ihm ja auch alles erklären, wenn wir ihn füttern, wickeln oder ins Bett bringen.
Wir brauchen neue Regeln
Dominik & Matthäa: 72 Quadratmeter. Drei Personen. 24 Stunden am Tag. Ende nicht absehbar. Bald merken wir: Das geht so nicht weiter.
Wir besprechen ein paar konkrete Regelungen:
- Nicht streiten. Es ist natürlich unmöglich, das als Regel aufzustellen. Aber es hilft, sich das Ziel zu setzen. Schon jetzt haben wir es geschafft, dadurch mehrere Konflikte zu entspannen.
- Wir wechseln uns ab und sprechen uns ab. Mehr als sonst teilen wir uns nun die Kinderbetreuung auf. Jeder von uns muss Sachen abarbeiten oder erledigen – Matthäa natürlich weit mehr. Aber wir müssen auch unsere Familien anrufen, die Nachrichten verfolgen oder schlicht kochen. Wir spielen uns gegenseitig frei, die andere Person kümmert sich um Hans.
- Nicht stören im Arbeitszimmer. Wenn die Tür zu ist, geht man nicht rein. Umgekehrt versucht auch die arbeitende Person, die kinderbetreuende Person nicht zu unterbrechen. Wir haben das Gefühl, für Hans ist es schwierig, wenn ein Elternteil immer wieder kurz auftaucht, um dann wieder weg zu sein.
- Bussi für Hans. Natürlich muss man trotzdem mal raus aus dem Arbeitszimmer – aufs Klo gehen, ein Glas Wasser holen oder etwas nachschauen. Wenn Hans uns bemerkt, bekommt er mindestens ein Bussi. Wir wollen ihm nicht das Gefühl geben, dass er ignoriert wird.
- Die Arbeit hat einen Anfang und ein Ende. Wir machen Zeiten miteinander aus.
- Wochenende bleibt Wochenende, der Job ruht. Und Arbeit bleibt Arbeit. Online-Einkauf, die Wohnung putzen oder den Antrag für den Kita-Gutschein machen wir in unserer Freizeit.
- Rhythmus finden bzw. beibehalten. (Müssen wir noch schaffen.)
- Wir versuchen, kleine regelmäßige Freizeitprojekte zu finden. Vor allem, um Distanz zur Arbeit zu bekommen, überlegen wir uns Hobbys für zuhause. Dominik macht jetzt zum Beispiel jeden Tag 20 Minuten Yoga. Matthäa möchte schon lange ein Fotoalbum von und für Hans machen. Vielleicht ist in den langen Nächten jetzt Zeit dafür?
- Spazierengehen. Wir bleiben unter uns, aber wir versuchen, regelmäßig an die frische Luft zu gehen.
- Wir sind nachsichtig miteinander und uns selbst. Wir müssen gerade in dieser Zeit nicht genauso viel leisten wie bisher.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel