Ein wenig genervt war Daniel Klotz manchmal schon, wenn er in diesen Wochen von seinem Podest über der zwei Stockwerke hohen Johannisberger Schnellpresse aus dem Jahr 1924 mal wieder herunterklettern musste, dorthin, wo die pneumatischen Anleger sanft seufzend Bogen für Bogen der Krautreporter Druckausgabe No.2 griffen. Immer dann nämlich klopfte irgendjemand an der Tür. Die tonnenschwere eiserne Maschine mit ihren Bändern, Greifern und Walzen, Ventilen und dem Druckzylindern, mit ihren Geräuschen und Bewegungen, den Gerüchen nach Öl, Papier und Farbe, übt eine sonderbare und eigentlich unerklärliche Anziehungskraft aus. Neugierige Passanten wollten zugucken, nachfragen, anfassen und am liebsten gleich eine Ausgabe mitnehmen.
Daniel Klotz ist mit einem friedlichen Gemüt gesegnet. Er stoppte in diesen Momenten die Maschine, die er „Prinzessin” nennt, erläuterte und antwortete. Nur ein druckfrisches Zeitungsexemplar haben, das durfte niemand.
Denn unsere zweite Druckausgabe – alles zur Nummer 1 ist hier nachzulesen – ist streng limitiert auf 1.000 Exemplare und noch dazu unverkäuflich. Ausschließlich Fördermitglieder können sie bestellen und bekommen sie kostenlos zugeschickt. (Wer spontan jetzt noch Fördermitglied wird oder seine Mitgliedschaft aufstockt, bekommt natürlich auch ein Exemplar – solange der Vorrat reicht.)
Die Idee des bekannten Gestalters und KR-Mitglieds Erik Spiekermann, unsere für eine Internetseite produzierten Artikel auf einer über 90 Jahre alten Maschine zu drucken, gleicht einem Rennen gegen die Zeit. Denn mit den Druckern stirbt nach und nach das Handwerk aus, eine solche Maschine zu bedienen. Während die Mehrheit der Menschen längst auf dem Telefon liest, suchen viele auch völlig durchdigitalisierte Leute nach dem speziellen Erlebnis des analogen Lesens.
Im ersten Jahr mussten die beiden Drucker Daniel Klotz und Sebastian Bädecker sehr viel lernen, bevor an den ersten Druck überhaupt zu denken war. Drei Monate brauchte es, bis zum ersten Mal eine Krautreporter-Zeitung aus der Johannisberger lief. „Als der erste Rotbogen mit samt der Perforation rauskam, war das ein Moment, der war sensationell”, sagt Daniel Klotz.
„Erhalt durch Produktion” lautete das Prinzip. Wie genau sind die Zylinder zu justieren? Wozu dienen die vielen Stellschrauben und Hebel? Wie reagiert die Maschine unter Belastung? Dieses Wissen mussten die Drucker experimentell wieder hervorholen, eine Art archäologische Aufgabe. „Wissen lässt sich nicht konservieren”, sagt Daniel Klotz.
In diesem Jahr arbeiteten sie wieder auf Basis einer digitalen Druckvorlage. Unser Redakteur Christoph Koch hatte die Artikel mit Unterstützung der Redaktion aus einem Jahr Krautreporter zusammengestellt, auf die richtige Länge gekürzt („auf Zeile bringen”) und mit neuen Überschriften und Unterzeilen versehen. Die Informations-Designer der Infographics Group hatten uns zum zweiten Mal speziell für diese Ausgabe eine aufwändige Visualisierung produziert, diesmal über die heutigen Auswirkungen der Teilung Berlins.
Die Illustratorin Friederike Hantel fertigte eigens eine ihrer digital gestalteten Zeichnungen an. Und unser Art Director Thomas Weyres – obwohl er inzwischen einer der erfolgreichsten Zeitungsgestalter des Landes und nicht unterbeschäftigt ist – hatte noch ein zweites Mal Lust, unsere Druckausgabe zu layouten. So entstand den Sommer über nach und nach eine digitale Vorlage für unseren Druck in Form einer PDF-Datei. Diese Datei belichtete Daniel Klotz auf Nyloprint-Druckplatten im großen Nordischen Format (Zeit, F.A.Z.) für die Johannisberger Schnellpresse.
Die ersten Versuche vor einem Jahr waren mit Schwierigkeiten behaftet. Jedes Problem, das die Drucker lösten, quittierte die Johannisberger Schnellpresse sogleich mit einem neuen Problem. Erst tellerten die Alu-Fundamente, dann war die Haftfolie zu elastisch, schließlich erwies sich die Höhe der Buchstaben auf der Druckplatte als zu gering.
Anders in diesem Jahr: Die Druckplatten waren diesmal von Anfang an doppelt so hoch wie sonst, nämlich 0,6 Millimeter. Die Aluminium-Fundamente tellerten nicht mehr, weil sie noch einmal plangefräst, mit einem 0,5-Millimeter-Stahlblech in der Höhe ausgeglichen und mit stabilisierenden Sockeln versehen worden waren. Und die Drucker setzten auch keine Gekko-Folie mehr ein, um die Platten auf die Fundamente zu fixieren, sondern ein schnödes Klischeeklebeband, wie es in Buchdruckereien häufig verwendet wird.
Aber all diese Probleme hatten Daniel Klotz und Sebastian Bädecker schon nach Abschluss der Arbeit an der ersten KR-Ausgabe gelöst. Sie hatten sich Notizen gemacht über das, was sie gelernt hatten. Darum war das Wissen über die Maschine auf einmal wieder da. Auch die große Ehrfurcht der Drucker vor der Komplexität der Riesenmaschine war in diesem Jahr weg, Bauchschmerzen kamen gar nicht erst auf. Sie setzen sich vor Druckbeginn zusammen, um das Gelernte noch einmal zu rekapitulieren, aber dann ging der Druck gleich gut von der Hand.
Was beim letzten Mal Monate dauerte, war in diesem Jahr in drei Wochen erledigt, und zwar ziemlich mühelos. Drei Wochen Drucken für 1.000 Zeitungsexemplare – das ist natürlich trotzdem lang, verglichen mit den Standards unserer Zeit. In einer herkömmlichen Offset-Maschine hätte dasselbe wahrscheinlich keine drei Minuten gedauert.
Natürlich gab es auch neue Problemchen. Zum Beispiel erwies sich das neue Rot als „kurze Farbe”, das bedeutet: Sie klebte etwas. Wenn die Zeitung den Bogen berührte, bildete sich nach und nach ein sehr feiner Teppich aus Papierfasern auf der Farbwalze. Sie wurde unmerklich mit jedem Druckvorgang etwas dicker. Wenn die Zeitung auf die Druckform kam, sah man bei genauem Hinsehen die Papierfasern aus dem Papier ragen.
Weil die Drucker ihre Johannisberger inzwischen aber gut kannten, wussten sie schnell, dass das nur an der neuen Farbe liegen konnte. Das bewährte Rot funktionierte dann wie zuvor sehr gut.
„Wir haben bewiesen, dass es geht”, sagt Daniel Klotz. Sein Vater war ebenfalls Drucker und begleitete die Arbeit an der Zeitung bis kurz vor seinem Tod im vergangenen Jahr. Seine Hinweise waren es, die halfen, die Johannesberger zu neuem Leben zu erwecken. Sein neu erworbenes Wissen transportiert das traditionelle Druckhandwerk eine Generation weiter in die Zukunft.
Daran erkennst du eine handgedruckte Zeitung
Wer nun eine der 1.000 Exemplare der Krautreporter-Druckausgabe No. 2 in Händen hält, aber (wie ich) nicht viel vom Druckhandwerk versteht, kann sich einige Dinge genauer anschauen, um den Unterschied zu einer industriell im Offset-Verfahren produzieren Zeitung zu erkennen. Drei Hinweise von Daniel Klotz auf das, was die Fachleute „Ästhetischen Schmutz“ nennen:
- „Die großen Lettern rupfen”
Wenn du dir die Buchstaben der großen rotgedruckten Überschriften genauer anschaust, siehst du feine Fasern, die – wahrscheinlich eher im Innern der Buchstaben als an ihren Rändern – wie ein feiner Teppich aussehen. Das weist auf die Farbe hin, die an diesen größeren Flächen kleben bleibt und die Papierfasern des dünnen Zeitungspapiers ablösen, also am Papier „rupfen”.
- Der „Fingerabdruck” unserer Prinzessin
Wir glauben, dass in den 20er-Jahren die Weltbühne auf unserer Maschine gedruckt wurde, die Zeitschrift Siegfried Jacobsohns und Kurt Tucholskys. Trotz vieler Hinweise kann das bisher niemand beweisen, aber Daniel hat eine charakteristische Besonderheit festgestellt, die sich auch in den erhaltenen Ausgaben der Weltbühne findet. Die Zeilen stehen nicht waagerecht zur Greiferkante oder zur Walze, sondern senkrecht, die Buchstaben an einer Seite der Zeile sind manchmal einen Tick dicker. Daniel nennt das die DNA der Maschine.
- „Die Punze ist zu”
Wenn du Glück hast, findest du in deiner Ausgabe zum Beispiel ein „a”, dessen Freiraum mit Farbe gefüllt ist. Das passiert, wenn sich etwas zu viel Farbe auf der Walze befindet. Nach zwei oder drei weiter gedruckten Bögen nimmt die Zeitung die Farbe von selbst wieder heraus und produziert ein vorschriftsmäßiges „a”.
Wir suchen die anderen Prinzessinnen
Dieses Video aus dem Jahr 2009 ist der einzige Hinweis auf eine baugleiche Druckmaschine. Sie befindet sich in São Paulo, Brasilien. Allem Anschein nach funktionierte sie vor zehn Jahren noch sehr gut und wurde von professionell arbeitenden Handwerkern einer Druckerei namens Grafica Fidalga betrieben, die mit Hilfe von handgeschnitzten Holzlettern Plakate produzierten. Ein Austausch mit diesen Fachleuten wäre ein weiterer Fortschritt des Projekts „Erhalt durch Nutzung”. Gibt es vielleicht Krautreporter-Mitglieder in oder um São Paulo, die einen Kontakt herstellen können?
Redaktion: Bent Freiwald; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.