Bevor ich einen Auftrag annehme, treffe ich das Paar zu einem Vorgespräch. Sätze, die ich dabei oft höre: „Der Tag soll was ganz Besonderes werden. Wir wollen alles genau nach unseren eigenen Ideen machen“, sagt die Frau – und der Mann nickt.
Ein paar Wochen später steige ich also in mein Auto und fahre zur Location. Als erstes geht es zur Kirche. Schon von weitem kann ich eine braune, rechteckige Form sehen und weiß genau, was das ist. Eine Holzpalette, wie man sie aus dem Baumarkt kennt, lehnt neben der Kirchentür an der Wand. Bemalt ist sie mit einem dünnen Schriftzug: „Verliebt, verrückt, verheiratet: Annette und Michael” oder „Welcome to our love story – Susi & Steffen”.
Ich muss grinsen, rolle aber auch ein bisschen mit den Augen. Seit einiger Zeit gibt es auf fast jeder Hochzeit eine solche Holzpalette, vom Brautpaar selbst bemalt. Und immer macht sie kaputt, was sie eigentlich versprechen will: Dieses Brautpaar will individuell, besonders sein, es anders als alle anderen machen.
„Würde es auffallen, wenn ich die Deko-Fotos zweier Hochzeiten verwechsle?“
Nach der Trauung in der Kirche geht es weiter in das Gasthaus. Auf jedem Tisch sehe ich: ein paar dünne Baumscheiben. „Wow“, fährt es mir durch den Kopf, „da habt ihr euch ja richtig was einfallen lassen.“ Kurz frage ich mich: Würde es auffallen, wenn ich die Fotos, die ich vor zwei Wochen geschossen habe, mit den heutigen verwechsle? Dieses Mal liegen ein paar Eukalyptusblätter direkt auf den Holzscheiben. Bei der letzten Hochzeit lagen sie, glaube ich, auf den Tellern.
Seit sechs Jahren fotografiere ich regelmäßig Hochzeiten, etwa 10 bis 15 pro Saison, die von Mai bis Oktober dauert. Das heißt, ich war in meinem Leben bisher auf etwa 90 Hochzeiten. Und langsam frage ich mich wirklich, wieso die Menschen sich so verdammt anpassen.
Klar, gewisse Ähnlichkeiten gab es wohl schon immer. Aber erst in den letzten Jahren hat sich ein ganz bestimmter Stil durchgesetzt. Ich nenne das mal den „Instagram-Pinterest“-Stil, den ich am ehesten als „vintage“ und „bohemian“ beschreiben würde. Also viele Pastellfarben, viel Holz und Selbstgebasteltes.
Dazu fällt mir auf, dass es unglaublich viele Hochzeiten in Scheunen gibt. Auch ein eher „rustikaler“ Stil ist zurzeit beliebt. Heute gilt es einfach als cool, wenn ich eine Holzpalette selbst bemale und dann hinstelle, anstatt jemanden für meine gesamte Deko zu engagieren. Und individueller ist es natürlich auch. Das denken die Leute zumindest.
„Immer die gleichen acht Leute und Kinder essen die Süßigkeiten auf“
Ich habe noch eine ganze Reihe weiterer Must-haves für die Hochzeit von heute entdeckt. Einer meiner Lieblinge davon: die Candy-Bar. Das ist ein Tisch, auf dem große Gläser stehen, gefüllt mit bunten Brausestäbchen, Bonbons, Gummibärchen. Daneben liegen kleine Zangen und Papiertüten, in die Gäste sich die Süßigkeiten abfüllen können. Wenn es mal wirklich was ganz Besonderes sein soll, wird die Standard-Candy-Bar auch noch erweitert, mit Muffins oder Cake-Pops zum Beispiel.
Auf jeder Hochzeit läuft es dann gleich ab. Etwa acht Gäste und ihre Kinder kommen da hin und füllen ihr Tütchen. Genau die gleichen Leute kehren nach einer Weile zurück und füllen wieder ihre Tütchen. Und essen so nach und nach die Candy-Bar leer.
Je später es wird und je mehr der Alkoholpegel steigt, desto eher trauen sich auch mal andere Leute hin. Das Traurige dabei: Oft sagt mir das Brautpaar, dass es selbst gar nicht so auf Süßes steht. Die machen das dann nur, weil sie es halt auf Instagram oder Pinterest gesehen haben und denken, das braucht man heute.
„Das Traurige ist, dass das Brautpaar keine Ahnung hat“
Vielleicht wollen die Leute aber auch gar keine individuellen Hochzeiten, sondern es ist ihnen wichtig, das zu haben, was die anderen auch bieten. Ich glaube, Social Media sorgt dafür, dass die Leute sich miteinander vergleichen: Wenn ein Paar bei Pinterest oder Instagram nach Hochzeitsideen schaut und dann tausend Fotos von Candy-Bars sieht, denkt es: „Das hat ja jeder! Also brauchen wir es auch.“
Dieser Nachahmungseffekt ist, glaube ich, oft unbewusst. Das Paar denkt immer noch, sie würden ihren großen Tag individuell gestalten. Und das ist irgendwie traurig.
Das gilt auch für die Musikauswahl. Sehr oft tanzt das Paar seinen ersten Tanz zu „Perfect“ von Ed Sheeran. Da denke ich immer: „Puh, gibt es nicht Lieder, die viel besser zu euch passen würden?“ Ein Song zum Beispiel, der sie an den Anfang ihrer Liebe erinnert. Aber auch bei der Trauung gibt es einen Strauß an Evergreens, die wirklich oft laufen: „The Rose“ zum Beispiel, „Ein Kompliment“ von Sportfreunde Stiller oder der Klassiker „Hallelujah“.
Es kann ja nicht sein, dass alle den gleichen Musikgeschmack haben. Wenn das Paar normalerweise Rock hört, warum wünschen die sich dann bei der Trauung auf einmal Deutschschnulzen? Man muss ja nicht direkt Metal in der Kirche spielen. Aber sie sollten auch mal ehrlich zu sich selbst sein: Kann einen „Hallelujah“ überhaupt noch berühren? Oder würde ein anderes Lied an diesem Tag nicht viel außergewöhnlicher und emotionaler wirken?
Bei uns herrscht striktes Kartoffelgratin-Verbot
Meine Familie macht sich auch schon immer lustig darüber, wenn ich von den Hochzeiten erzähle. Zum Beispiel, wenn es mal wieder die Klassiker zum Essen gab. Meistens besteht das Angebot aus zwei, drei Fleischvarianten, Marktgemüse, Soßen und als Beilage – ganz wichtig – Kartoffelgratin. Wahrscheinlich lässt sich das leicht vorbereiten und warmhalten. Bei mir zu Hause herrscht daher absolutes Kartoffelgratin-Verbot – ich will das einfach nicht mehr essen.
Einmal war ich auch bei einer Hochzeit, bei der die Braut Veganerin war. Sie hat für sich alleine beim Caterer dann etwas anderes zu essen bestellt. Für die anderen gab es trotzdem den typischen Hochzeitsbraten.
Am schönsten finde ich es, wenn Paare sich trauen, aus diesem engen Regelsystem für Hochzeiten auszubrechen. Gewöhnlich ist es bei der Trauung ja eher ruhig. Aber letztes Jahr bei einer Trauung in einer evangelischen Kirchengemeinde ging es zum Beispiel total ab. Die Gäste haben alle laut mitgesungen, sind aufgestanden und haben geklatscht. Das war super emotional, eine ganz besondere Stimmung, ein ganz anderer Vibe als üblich. Wenn man mit Kirche nicht viel am Hut hat, sitzt man ja sonst oft da und denkt sich: „Jo, wann gibts endlich Sekt?“
Ich habe aber auch schon das Gegenteil erlebt. Bei einer anderen Trauung hat ein Gast zu klatschen begonnen, da hat der Pfarrer gesagt: „Hören Sie bitte auf, wir sind nicht bei einem Konzert.“ Selbst wenn die Deko gleich ist, die Stimmung und die Menschen sind bei jeder Hochzeit anders.
Zu meinem Freund hab ich schon gesagt: Wenn wir mal heiraten, dann möchte ich was etwas ganz anderes, wir müssen raus aus dem System. Vielleicht gibt es dann eine Wurst-Bar. Die andere Möglichkeit: Ich fahre an meiner Hochzeit das ganze Programm an Must-haves: Candy-Bar, Ed Sheeran, Kartoffelgratin. Immerhin kann ich mich dann den ganzen Tag darüber amüsieren, dass ich jetzt all die Dinge auch mal selbst habe.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel; Audioversion: Iris Hochberger.