Ein „Ok.“ macht mich wahnsinnig. Schreib mir ein „Ok.“, und ich stelle mir unweigerlich die Fragen: Habe ich dich verärgert? Oder auf dem falschen Fuß erwischt? Habe ich etwas übersehen? Warum zum Teufel ist da dieser Punkt? Ein Punkt macht mich stutzig, und ich denke mir, da muss es doch eine Botschaft hinter der Botschaft geben. Das klingt doch total genervt oder passiv-aggressiv oder resigniert. Die Person kann es einfach nicht so meinen, wie es da steht! Oder?
Wie konnte das nur passieren? Etwas völlig Normales, jahrzehntelang Eingeübtes, beruhigend Vertrautes, hat sich völlig verändert, seit die Hälfte der Menschheit per Whatsapp und Telegram kommuniziert: Interpunktion. Ich bin mir mit meinen Freunden und meiner Familie überhaupt nicht mehr einig darüber, wann beim Chatten welches Satzzeichen gesetzt werden soll. Ist dieses Ausrufezeichen aggressiv? Versteht eigentlich irgendjemand meine Papageien-Emojis? Ob ein falsch gesetzter Punkt schon Beziehungen beendet hat? Es ist anzunehmen.
Dabei ist der Punkt tot, eigentlich. Bei Nachrichten ist vor allem die Kürze wichtig, und ein Punkt macht unnötig Arbeit. Das klingt dann so:
Wer hat eigentlich den Punkt umgebracht? Und warum liest sich eine Nachricht so wütend, wenn er unerwartet auftaucht? Wer hat dieses bescheidenste aller Satzzeichen zu etwas gemacht, das die Leute wütend klingen lässt? Wo kommen … die ganzen Auslassungspunkte … her? Warum kann man Ironie so schwierig kennzeichnen? Haben wir durch Kurznachrichten etwa verlernt, miteinander zu kommunizieren?
Ich habe mich auf die Suche begeben, mich durch Emojis, schlecht gesetzte Punkte und vorwurfsvolle Fragezeichen gekämpft. Und ja, ich kann sagen, ich habe verstanden.
Schnell sein, das ist alles
Wenn wir miteinander sprechen, ordnen Stimmlage, Gestik und Mimik ein, was unser Gegenüber mit seinen Worten eigentlich meint. In einem Text machen das die Satzzeichen. Der Philosoph Theodor W. Adorno schreibt in seinen „Noten zur Literatur“: „In keinem ihrer Elemente ist die Sprache so musikähnlich wie in den Satzzeichen.“ Ein Satz ist demnach eine Komposition, die Satzzeichen bestimmen das Tempo, die Höhen, Tiefen und Pausen.
Aber nicht alle können eine Whatsapp-Nachricht so schreiben, wie Theodor Wiesengrund Adorno es vielleicht getan hätte. „Es muss immer auch die Schreibsituation beachtet werden“, sagt Konstanze Marx, Professorin für Sprachwissenschaft an der Universität Greifswald. Und die Schreibsituation auf einem Smartphone charakterisiert vor allem eines: Schnelligkeit. Wer will schon in einem Gespräch zu lange auf eine Antwort warten? Was bedeutet das überhaupt? Langsam zu antworten, wird oft als Abneigung oder Nicht-Zustimmung gewertet.
Das Sprechen imitieren – aber wie?
Es gibt zwei Arten zu schreiben, sagt Konstanze Marx: Das textorientierte, also wie in einem Buch oder in den meisten E-Mails, und das interaktionsorientierte Schreiben, wie im Chat. Hier ist die Nachricht, die überbracht werden soll, wichtiger als Grammatikregeln oder auch Satzzeichen. Das Chatten, das interaktionsorientierte Schreiben, sei so etwas wie eine Zwischenwelt von Sprechen und Schreiben, in der wir uns noch nicht so ganz auf die Spielregeln geeinigt hätten.
Kein Mensch spricht so, dass es eins zu eins aufgeschrieben werden könnte – außer vielleicht sehr geübte Redner:innen. In normalen Gesprächen brechen wir Sätze ab, beginnen andere immer wieder gleich, wir machen „Ähms“ und Pausen.
In ihrem Buch „Because Internet“, das im Juli 2019 erschienen ist, beschreibt die US-amerikanische Linguistin Gretchen McCulloch, wie sich Sprache in Zeiten des Internets verändert hat. Ein Kapitel handelt genau von diesem Imitieren des Sprechens, von Tonhöhe und -tiefe, Tempo, die Pausen, „Ähms“ und Satzabbrüchen. Und das machen wir durch Interpunktion.
In der textorientierten Sprache ist der Punkt wichtig: Er zeigt an, wann ein Satz endet. In der interaktionsorientierten Sprache wird er weggelassen. Warum? Gretchen McCulloch erklärt es so: Wir kommunizieren in einzelnen Äußerungen, einer Aneinanderreihung von Wörtern. Manchmal sind sie ganze Sätze, meistens aber eher nicht. Für Menschen, die viel Zeit im Internet verbringen, sei es das naheliegendste, nach jeder Äußerung eine neue Zeile oder sogar eine neue Nachricht zu beginnen. Auf Senden zu tippen oder eine neue Zeile zu beginnen, nimmt genauso viel Zeit in Anspruch wie ein Punkt. Und es kostet ja auch nichts mehr, seitdem kaum jemand mehr SMS einzeln abrechnet.
Bist du sauer auf mich?
Dadurch, dass der Punkt oft weggelassen wird, hat er eine umso größere Bedeutung, wenn er dann mal da ist – und das wird nicht immer positiv aufgefasst.
Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass ein Punkt nach einer positiven Antwort, die aus einem Wort besteht (zum Beispiel „yeah.“) von den Studienteilnehmer:innen als weniger ehrlich gewertet wird als eine Antwort ohne Punkt. Negative Antworten („nope.“) oder mehrdeutige („maybe.“) wirken negativer und weniger begeistert mit einem Punkt als ohne. Auch die Studienautor:innen kommen zu dem Schluss: Interpunktion in Textnachrichten haben eine rhetorische Funktion, keine grammatikalische.
Gretchen McCulloch erklärt in ihrem Buch, dass mit dem Punkt ein fallender Tonfall übertragen werden soll.
Konstanze Marx sagt, dass ein Punkt auch ein Zeichen für das Ende einer Konversation sei. Besonders Menschen, die sich nicht in das Regelsystem des interaktionsorientierten Schreibens einordnen wollen, bestehen aber trotzdem auf den Punkt. Das habe aber wenig mit dem Alter zu tun, sondern mit der Frage: „Was ist mir wichtiger – dass ich verstanden werde? Oder eine richtige Schreibweise?“
Du hast nicht geantwortet …
Menschen, die linguistisch eher in der Offline-Welt angesiedelt sind, sind es gewohnt, Äußerungen eher durch drei Punkte zu trennen, schreibt Gretchen McCulloch. Das ist logisch: Während Punkte Hauptsätze anzeigen und Kommas Satzteile verbinden, können die drei Punkte … beides. Und noch viel mehr! Auch Pausen, Unsicherheit, Zögerlichkeit und Erwartung wird dadurch zum Ausdruck gebracht. Das Problem ist: Menschen aus der linguistischen Online-Welt denken das nicht. So auch einige unserer KR-Leser:innen.
Anika (30) ist besonders genervt von den Auslassungspunkten. Sie nennt als Beispiele: „Ich hab auf dich gewartet …, Du hast nicht geantwortet …“ Oder man verstecke eine Erwartungshaltung, man lege sich nicht fest, warte auf einen anderen Vorschlag: „Wir könnten Eis essen …“
Auch Johannes (36) hat dabei ein ungutes Gefühl: „Endet ein Satz mit …, bin ich schnell verunsichert.“
Ein Satzzeichen für Sarkasmus – was für eine tolle Idee
Mit Abstand am meisten verwirrt haben die KR-Leser:innen aber Sarkasmus und Ironie. Und das ist auch kein Wunder! Denn sie sind uns nicht angeboren, wir müssen erst in unserem kulturellen und familiären Kontext verstehen lernen, was sarkastisch gemeint ist und was nicht. Manche Menschen lernen es nie.
In seinem Buch „Shady Characters“ beschreibt der Autor Keith Houston, wie schon Menschen in der frühen Neuzeit daran verzweifelt sind, Ironie in Schrift auszudrücken. Der britische Druckereibetreiber Henry Denham verwendete 1575 umgekehrte Fragezeichen, und der Naturphilosoph John Wilkins schlug 1668 ein auf den Kopf gestelltes Rufzeichen vor.
Tolle Ideen, dachten sich französische Schriftsteller. Sie entwickelten ihre eigenen „points d’ironie“: 1966 versuchte es Hervé Bazin mit dem griechischen Buchstaben ψ, der sich aber ebenfalls nicht durchsetzen konnte. 2010 patentierte eine US-amerikanische Firma ein offizielles Sarkasmuszeichen, das „SarcMark“, das ein bisschen aussieht wie ein rechtes Ohr. Man kann sich das SarcMark für 1,99 Dollar auf Lebenszeit kaufen. Hier könnt ihr einen Werbespot dafür sehen:
https://www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=WlwCCWGYOGg
Und was ist mit Emojis? 🤷
Auch wenn sich nun ein Teil der Menschen des Internets auf ein Zeichen für Sarkasmus geeinigt hat, bleibt das Problem: Wir verstehen uns beim Chatten falsch, weil wir unser Gegenüber normalerweise nicht sehen. Tonhöhe lässt sich durch Satzzeichen simulieren, aber Gestik und Mimik fehlt. Wie wir das Problem lösen können? Gretchen McCulloch meint: durch Emojis. Für sie sind sie die Gesten des Internets. Je nachdem, welches Emoji wir ans Ende unseres Satzes stellen, kann dieser ein völlig neue Bedeutung bekommen. In einer kürzlich veröffentlichten Studie heißt es, dass wir Emoji-Emotionen und echte Emotionen im Gehirn gleich verarbeiten. Es macht zumindest für unser Gehirn also keinen Unterschied, ob die Person vor uns steht oder nicht.
Emojis sind trotzdem kompliziert. Ich zum Beispiel mag das „Lachender Smiley mit Tränen in den Augen“-Emoji 😂 nicht. Auch wenn es nett und lustig gemeint ist: nein danke. Oder: Ratet mal, was 👌 („OK Hand“ ) in Lateinamerika bedeutet? Genau: Arschloch.
Ich bin in diese Recherche losgezogen, hochbesorgt um unsere kommunikativen Fähigkeiten. Wird bald niemand mehr richtig schreiben können? Zerstören Facebook-Chats unsere Sprache? Die Linguistin Konstanze Marx meint: Nein. „Es gibt keine empirischen Daten, die das belegen.“ Gerade Schüler:innen unterscheiden ganz genau, ob sie einen Aufsatz für die Schule schreiben, einen formalen Brief oder eine Whatsapp.
Ich bin erleichtert. Wir haben das Schreiben nicht verlernt, sondern nur eine andere Art mehr. Und: Es wird zurzeit so viel geschrieben, wie niemals zuvor. Das ist doch mal eine gute Nachricht.
Schreiben hat viele unserer täglichen Konversationen ersetzt. Klar, viele schreiben aneinander vorbei. Während A noch im textorientierten Schreiben denkt und „Mir geht es gut.“ schreibt, ist B schon im interaktionsorientierten Schreiben angekommen und hat das Gefühl, es sei etwas nicht in Ordnung. (Mit dem Alter hat das aber wenig zu tun, sagt auch Konstanze Marx.) C mag keine Emojis, und D versteht keinen Sarkasmus.
Aber das müssen wir miteinander verhandeln. Wir haben sehr viele Whatsapp-Nachrichten Zeit dafür.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.