Religion spielt in westlichen Kulturen eine immer geringere Rolle. Was wir über die Evolution und den Kosmos wissen, hat die Grenzen des Glaubens gesprengt. Trotzdem gibt es immer mehr Stimmen, die behaupten, Wissenschaft und Religion seien durchaus kompatibel.
Klar, denn was sollst du auch tun, wenn du gläubig bist und nicht als Anti-Wissenschaftler dastehen willst? Du sagst einfach, dass dein Glaube – wie jeder andere Glaube auch – wunderbar mit Wissenschaft vereinbar ist.
Gläubige, Religionswissenschaftler, angesehene Wissenschaftsorganisationen und sogar Atheisten behaupten nicht nur, dass Wissenschaft und Religion miteinander vereinbar sind. Sie meinen sogar, dass sie sich gegenseitig unterstützen können.
Meiner Meinung nach gibt es nicht nur einen Konflikt – man könnte fast sagen: einen Krieg – zwischen Wissenschaft und Religion. Es sind zwei Weltsichten, die sich in keiner Weise miteinander vertragen.
Beide treffen „Wahrheitsaussagen“ über das Universum
Mein Ansatz ist der folgende: Ich verstehe „Wissenschaft“ als einen Koffer voller Werkzeuge, mit denen wir die Wahrheit über das Universum herausfinden – immer in dem Bewusstsein, dass diese Wahrheiten eher vorläufig als absolut sind. Zu diesen Werkzeugen gehören die Beobachtung der Natur, das Einordnen und Überprüfen von Hypothesen, aber auch der Versuch zu beweisen, dass die Hypothese falsch ist, um sich selbst von der Richtigkeit zu überzeugen. Darüber hinaus machen wir nicht nur Experimente, sondern versuchen, die eigenen Ergebnisse und die anderer zu wiederholen, damit wir uns unserer Schussfolgerungen sicher sein können.
„Religion“ definiere ich wie der Philosoph Daniel Dennett: „Soziale Systeme, deren Teilnehmer sich zum Glauben an eine übernatürliche Macht oder an ein übernatürliches Wesen bekennen, dessen Zustimmung einzuholen ist.“ Natürlich passen viele Religionen nicht zu dieser Definition. Aber sie trifft auf genau jene zu, von denen es besonders oft heißt, sie seien mit Wissenschaft kompatibel: Judentum, Christentums und Islam.
Es ist wichtig zu verstehen, dass sowohl Religion als auch Wissenschaft auf „Wahrheitsaussagen“ über das Universum beruhen – Behauptungen über die Realität also. Der Aufbau einer Religion unterscheidet sich von der Wissenschaft dadurch, dass sie sich zusätzlich mit Fragen von Moral, Sinn und Bedeutung auseinandersetzt, und zwar mit empirischem Anspruch.
Wer nicht an die Auferstehung Jesu glaubt, ist kein Christ
Man kann sich kaum als Christ bezeichnen, wenn man nicht an die Auferstehung Christi glaubt, oder als Muslim, wenn man nicht glaubt, dass der Engel Gabriel Mohammed den Koran diktiert hat. Warum sollte man auch die autoritativen Lehren eines Glaubens akzeptieren, wenn man seine Wahrheitsansprüche ablehnt?
Die Bibel beschreibt das so: „Aber wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist auch unsere Verkündung leer, leer auch euer Glaube.“
Viele Theologen stimmen mit dem Physiker und anglikanischen Priester John Polkinghorne überein:
„Die Frage nach der Wahrheit ist für das Anliegen einer Religion genauso zentral wie für die Wissenschaft. Religiöser Glaube kann Menschen im Leben leiten oder angesichts des Todes stärken. Aber wenn er nicht tatsächlich wahr ist, taugt er zu keinem diese Dinge. Dann wäre Glauben nicht mehr als eine tröstende Fantasie.“
Glaube ohne Beweise – ein Fehler oder eine Tugend?
Der Konflikt zwischen Wissenschaft und Glaube beruht auf den Methoden, nach denen beide entscheiden, was wahr ist – und welche weiteren Wahrheiten sich daraus ergeben. Es handelt sich also um einen Konflikt zwischen Methodik und Ergebnis.
Im Gegensatz zu den Methoden der Wissenschaft beurteilt Religion Wahrheit nicht empirisch, sondern über Dogma, Schrift und Autorität – mit anderen Worten, durch den Glauben. Dieser ist in der Bibel definiert als „eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht“.
In der Wissenschaft ist der Glaube ohne Beweise ein Fehler, während er in der Religion eine Tugend ist. Man denke nur daran, was Jesus zum „zweifelnden Thomas“ sagte, der darauf bestand, seine Finger in die Wunden des auferstandenen Erlösers zu legen: „Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“
Schauen wir in die USA: Ohne, dass man ihnen irgendwelche Beweise dafür geliefert hätte, glauben die Amerikaner an eine ganze Reihe religiöser Behauptungen: 74 Prozent glauben an Gott (bei den Deutschen sind es 55 Prozent laut einer Spiegel-Umfrage), 68 Prozent an die Göttlichkeit Jesu, 68 Prozent an den Himmel, 57 Prozent an die jungfräuliche Geburt und 58 Prozent an den Teufel und die Hölle. Warum halten sie all das für wahr? Das ist das Geheimnis des Glaubens.
Aber verschiedene Religionen machen unterschiedliche – und oft widersprüchliche – Aussagen, und es gibt keine Möglichkeit zu beurteilen, welche Aussagen richtig sind. Es gibt über 4.000 Religionen auf diesem Planeten, und ihre „Wahrheiten“ sind sehr unterschiedlich.
Muslime und Juden zum Beispiel lehnen den christlichen Glauben, dass Jesus der Sohn Gottes war, absolut ab. Tatsächlich entstehen oft neue Sekten, wenn einige Gläubige das ablehnen, was andere als wahr ansehen. Die Lutheraner spalteten sich über die Wahrhaftigkeit der Evolution, während die Unitarier den Glauben anderer Protestanten ablehnten, dass Jesus Teil Gottes ist.
Und während die Wissenschaft immer besser darin wird, das Universum zu verstehen, führt die „Methode“ des Glaubens zu keinem Beweis für das Göttliche. Wie viele Götter gibt es? Was sind ihre Eigenschaften und moralischen Überzeugungen? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Warum gibt es moralisches und körperliches Übel? Auf keine dieser Fragen gibt es eine Antwort. Alles ist ein Geheimnis, denn alles beruht auf dem Glauben.
Der „Krieg“ zwischen Wissenschaft und Religion ist also ein Konflikt darüber, ob man gute Gründe hat, an das zu glauben, was man tut: ob man also den Glauben als ein Laster oder eine Tugend sieht.
Das Göttliche im Labor ablehnen und in der Kirche dran glauben
Wie versöhnen die Gläubigen also Wissenschaft und Religion? Oft verweisen sie auf Wissenschaftler wie den US-amerikanischen christlichen Genetiker Francis Collins oder auf die vielen religiösen Menschen, die Wissenschaft akzeptieren. Aber meiner Ansicht nach geht es dabei um eine künstliche Aufteilung und nicht um Kompatibilität. Denn wie kann man einerseits das Göttliche in seinem Labor ablehnen, aber andererseits akzeptieren, dass der Wein, den man am Sonntag trinkt, das Blut Jesu ist?
Andere sagen, dass gerade Religionen früher die Wissenschaft gefördert und Fragen nach dem Universum gestellt haben. Aber früher war jeder im Westen religiös, und man kann durchaus anzweifeln, dass die Religion den Fortschritt der Wissenschaft auf lange Sicht gefördert hat. Sicher ist, dass die Evolutionsbiologie, mein eigener Arbeitsbereich, stark durch die Schöpfungslehre behindert wurde – die ausschließlich aus der Religion stammt.
Andererseits kann man nicht bestreiten, dass die Wissenschaft heute als atheistische Fachrichtung praktiziert wird – und zwar weitgehend von Atheisten. Der Blick in die USA zeigt: Es gibt durchaus Unterschiede zwischen amerikanischen Wissenschaftlern und US-Bürgern, was Religion betrifft. 64 Prozent der US-Elite-Wissenschaftler sind Atheisten oder Agnostiker, verglichen mit nur 6 Prozent der Allgemeinbevölkerung – das ist also mehr als das Zehnfache.
Das könnte widerspiegeln, dass Nichtgläubige eher in die Wissenschaft gehen oder dass der Glaube an sich abnimmt. Ich vermute, beide Faktoren wirken. Wie dem auch sei: Diese Zahlen zeigen, dass es einen Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion gibt.
Letztendlich muss sich jeder entscheiden: Glaube oder Vernunft
Ein Argument, das ich häufig höre, ist die These des Evolutionsbiologen Stephen Jay Gould. Religion und Wissenschaft, argumentierte er, widersprechen einander nicht, denn: „Die Wissenschaft versucht, den faktischen Charakter der natürlichen Welt zu dokumentieren und Theorien zu entwickeln, die diese Fakten koordinieren und erklären. Die Religion hingegen agiert im ebenso wichtigen, aber völlig anderen Bereich der Bestimmung, Bedeutung und Werte des Menschen. Das sind Themen, die der sachliche Bereich der Wissenschaft erhellen mag, aber nie lösen kann.“
Das ist in zweifacher Hinsicht falsch. Erstens hat Religion den Anspruch, das Universum faktisch zu beschreiben. Viele Gläubige und Theologen lehnen die Vorstellung ab, dass Religionen „frei von jeglichen Ansprüchen auf historische oder wissenschaftliche Fakten“ seien.
Religion ist auch nicht allein zuständig für „Bestimmung, Bedeutung und Werte des Menschen“, die sich natürlich außerdem von Religion zu Religion unterscheiden. Es gibt eine lange und bedeutende Geschichte der Philosophie und Ethik – von Platon, Hume und Kant bis hin zu Peter Singer, Derek Parfit und John Rawls in unserer Zeit – die sich auf die Vernunft als Quelle der Moral stützt und nicht auf den Glauben. Jede ernsthafte ethische Philosophie ist eine weltliche ethische Philosophie.
Ich kann mich nicht im täglichen Leben auf empirische Beweise verlassen und dann aber auf Wunschdenken und alten Aberglauben vertrauen, um die „Wahrheiten“ zu beurteilen, die meinen Glauben stützen. Dies führt dazu, dass das Denken eines Menschen (egal, wie groß sein wissenschaftliches Renommee ist) mit sich selbst im Krieg steht.
Wenn du meinst, dass es für deine Überzeugungen gute Gründe gibt, musst du dich zwischen Glauben und Vernunft entscheiden. Und da echte Fakten für unser aller Wohlergehen und für den Planeten immer wichtiger werden, sollten die Menschen den Glauben als das sehen, was er ist: Keine Tugend, sondern ein Fehler.
Jerry Coyne ist emeritierter Professor für Ökologie und Evolution an der Universität von Chicago. Diesen Artikel hat auf Englisch The Conversation veröffentlicht. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen. Übersetzung und Produktion: Vera Fröhlich; Redaktion: Theresa Bäuerlein; Bildredaktion: Martin Gommel.