In Berlin Alt-Hohenschönhausen, zwischen Wald, Kleingärten und dreigeschossigen Flachbauten, schwitzen die Schüler mindestens zwei Mal am Tag. Sie sprinten, prellen und boxen. Kriechen, werfen und schießen. Sie fallen und stehen wieder auf.
Das Schul- und Leistungssportzentrum liegt im Berliner Sportforum, wo schon die DDR ihre Spitzensportler auf die Olympischen Spiele vorbereitete. Hier stehen auf 45 Hektar alleine drei Eishallen, eine Judohalle, eine Fechthalle, eine Halle nur für Ballspiele. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns den Überblick behalten hat, wie viele Sportanlagen es hier gibt“, sagt Tom Goericke. Er unterrichtet seit zwölf Jahren Deutsch und Sport an der Schule.
Von der Eingangshalle geht ein Flur ab, der mit einem klassischen Schulflur nicht viel gemein hat. Man geht über große, rote Sterne, eingelassen in den Boden, über den eigenen Walk of Fame der Absolventen, wie in Hollywood. Dort stehen: Robert Harting, Olympiasieger im Diskuswurf. Oder Fabian Wiede, Handballer, der die Zuschauer 2018 bei der Europameisterschaft noch mit seinem linken Hammer beeindruckt hat.
Auch Claudia Pechstein, fünf Mal Gold bei den Olympischen Spielen im Eisschnelllauf, schlitterte hier durch die Hallen, und Franziska von Almsick zog nebenan ihre Bahnen.
In Deutschland gibt es 43 solcher „Eliteschulen des Sports“, an denen Training nicht einfach nur Freizeitgestaltung ist, sondern im Mittelpunkt steht, jeden Tag. Und an denen nur diejenigen angenommen werden, die bereits zu den Besten gehören. Das Sportzentrum Berlin ist die größte von ihnen – und die erfolgreichste. Wer in Alt-Hohenschönhausen zur Schule geht, trainiert mindestens zwei Mal pro Tag für je zwei Stunden in seiner Sportart.
Selbst um acht Uhr morgens, wenn im Rest der Republik der Unterricht beginnt, sind in der Eliteschule niemals alle Kinder gleichzeitig in der Schule. Zum Sport kommt der ganz normale Unterricht, den die Schüler an jeder anderen Schule auch haben würden. „Mich haben mal Eltern gefragt, ob bei all dem Training nachmittags noch Zeit für den Klavierunterricht bleibt“, erzählt Goericke. „Die bleibt natürlich nicht.“
Regelmäßig setzen sich Lehrer und Trainer zusammen und analysieren die Entwicklung der Schüler. „Stimmt die Leistung im Sport oder in der Schule nicht mehr, kann es passieren, dass ein Schüler die Schule wieder verlassen muss.“ Zum ersten Mal wird das nach der achten Klasse kontrolliert. Nach der zehnten Klassen bleiben dann nur noch die absoluten Leistungsträger übrig. „Die schaffen es ganz nach oben“, sagt Goericke.
„Spitzensportler zu werden ist hart – und es ist anstrengend“
Was motiviert die Kinder dazu, immer besser werden zu wollen? Sport nicht nur aus Spaß zu treiben? „Am Anfang sind es meistens die Eltern oder Freunde, die sie dazu motivieren“, sagt Goericke. „Aber wer es ganz nach oben schaffen will, muss von sich aus motiviert sein, sonst schafft man es nicht. Dafür ist der Weg zu steinig. Spitzensportler zu werden ist hart. Und anstrengend.“
Auch die Fotografin Kaja Smith wollte herausfinden, was Kinder antreibt, sich so in eine Sportart fallen zu lassen, in so jungem Alter. Zwei Jahre lang besuchte sie die Sportschule deshalb immer wieder. Zuerst beobachtete sie die Schüler. Wenn sie das Gefühl hatte, die Schüler zu kennen, machte sie Porträtaufnahmen von ihnen. In diesen Aufnahmen, sagt sie, steckt die Antwort.
Es ganz nach oben zu schaffen, mit diesem Traum bewirbt man sich für das Sportzentrum. So legt es schon das Leitbild der Schule fest:
- „Wir sind eine Eliteschule des Sports.“
- „Die Schüler der Eliteschule des Sports sind die Spitzensportler von morgen.“
„Wenn die Schulleistung nicht stimmt, lehnen wir Schüler auch mal ab. Das geht hier Hand in Hand“, sagt Goericke.
Starten kann man am Leistungssportzentrum ab der ersten Klasse, allerdings nur als Eiskunstläufer. Ab der dritten Klasse nimmt die Schule auch Turner auf, ab der fünften Schwimmer und Wasserspringer. Die restlichen Sportarten kommen ab der siebten Klasse hinzu.
Nur selten wechseln Schüler die Sportart. Denn nur wenige Sportarten eignen sich dafür: Wenn jemand jahrelang turnt oder schwimmt, trainiert er seine Koordination und Körperstabilität. So jemand kann schon mal zum Fechten oder zum Bogenschießen wechseln. Kinder, die ihre Schnellkraft trainiert haben, können später zum Gewichtheben wechseln. „Das ist aber die Ausnahme“, sagt Goericke.
„Ein Kind hat geweint, weil ich es für das Foto vom Training kurz weggeholt habe. Das habe ich dann doch nicht fotografiert“, erzählt Kaja Smith. Goericke sagt: „Die Kinder wollen immer 100 Prozent geben, bei jeder Einheit.“
Das Gymnasium bringt 119 seiner Schüler in zwei Internatsgebäuden unter, das ist ungefähr jeder zehnte. Denn nicht alle Kinder kommen aus Berlin und können zu Hause wohnen. Um an der Eliteschule zu trainieren, kommen Schüler aus ganz Deutschland nach Alt-Hohenschönhausen. Wer hier lebt, ist in Zweibett-Zimmern untergebracht. Nur, wer für die Nationalmannschaft antritt, bekommt ein Einzelbett-Zimmer.
„Irgendwann habe ich den Kindern angesehen, welche Sportart sie treiben“, sagt Kaja Smith. Aber nicht, weil sie vor ihrem Trainingsgerät stehen. Es gehe um Körperhaltung und Charakter. Auch Tom Goericke erkennt, welche Sportart ein Schüler macht, wenn er ihn auf dem Schulflur trifft.
Seit diesem Schuljahr bietet die Schule auch einen Berufsschulzweig an. Seither gehört das Abitur nicht mehr zum Pflichtprogramm. 17 Schüler haben sich nach der zehnten Klasse für diesen Weg entschieden. Ihr Ziel: eine Ausbildung als Sport- und Fitnesskaufmann oder -frau.
„Ich habe bei den Kindern eine gewisse Ernsthaftigkeit in den Gesichtern gesehen“, sagt Kaja Smith. Goericke meint: „Ab einem bestimmten Level braucht man das, um wirklich Spitzensportler zu werden.“
Dieser Artikel ist in Kooperation mit emerge entstanden. emerge ist ein unabhängiges, mehrfach ausgezeichnetes Onlinemagazin für jungen Fotojournalismus. Mit dem Visual Journalism Grant vergibt emerge eine jährliche Projektförderung für junge Fotograf*innen und bietet in der angeschlossenen Akademie Weiterbildungen im Bereich Bildredaktion an.
Redaktion: Philipp Daum; Fotoredaktion: Martin Gommel; Schlussredaktion: Vera Fröhlich.