„Wow, du hast meinen Traumjob!“ Hätte ich jedes Mal 5 Cent bekommen, wenn dieser Spruch gefallen ist, könnte ich diesen Text wahrscheinlich auf einem viel besseren Computer tippen.
Hast du einen Traumjob? Den du machen möchtest, weil er so aufregend ist? Der sich überhaupt nicht nach Arbeit anfühlt, weil du jede einzelne Minute davon genießt? Ja, diese Art von Job!
Für mich war das der Job als Flugbegleiterin – und in gewisser Weise erfüllte sich mein Traum. Doch in Wirklichkeit war dieser Job wie eine Lupe, mit der man hinter seiner Fassade die wahre Einsamkeit entdeckt, die so viele von uns im Leben ignorieren.
Vor zwei Jahren, als ich die Ausbildung zur Flugbegleiterin abschloss, lebte ich noch zu Hause. Ich fühlte mich, als wäre ich bisher „nirgendwo gewesen“ und hätte „nichts gesehen“. Ich hatte mir monatelang Vorwürfe gemacht, weil ich keinen Reisepass hatte – wer hat schon keinen Pass mit 23? Im Nachhinein weiß ich: viele Leute!
Ich sah mir ein Video nach dem anderen auf Youtube an, in denen Jungs und Mädels über ihre Erfahrungen berichteten. Wie aufgeregt sie waren, und wie toll es ist, Flugbegleiter zu sein; der beste Job, den sie jemals hatten, weil er sich nicht einmal „wie Arbeit anfühlt“. Nun, mit einer Sache hatten sie recht: Nicht der Job selbst ist das Problem, sondern alles andere, was währenddessen passiert.
Nicht das Servieren von Kaffee, Wasser, Tee und Brezel-Tütchen macht dich kaputt. Aber der rassistische Vater von drei Kindern, der dich während des Flugs wegen deiner Hautfarbe ignoriert. Und deine weiße Kollegin auffordert, sie möge ihn doch bitte bedienen – und nicht du.
Grapschende Piloten – respektlose Passagiere
Nicht die fünfstündigen Flüge nach Los Angeles machen dich fertig, sondern der grabschende Pilot, der aus irgendeinem Grund während des Briefings deine Schulter berührt und unangemessene Witze auf der Busfahrt zum Hotel macht, die keiner hören will. Die Vorteile, die Freiflüge mit sich bringen, kannst du kaum genießen. Weil du wahrscheinlich so viel arbeitest, dass du extrem erschöpft bist. Oder deprimiert, weil dich Leute aus der ganzen Welt beschimpfen, die keine Ahnung davon haben, dass du in den letzten vier Tagen jeweils nur drei Stunden geschlafen hast.
Wenn dir dann der nächste Passagier vorwirft, dass er keinen Fensterplatz bekommen hat, willst du dich vielleicht einfach in der Toilette verkriechen und niemals mehr rauskommen. Oh, und wenn dich das noch nicht fertig gemacht hat, lass dich doch mal von einem Erste-Klasse-Passagier beschimpfen, der seinen Müll ganz selbstverständlich auf den Boden wirft, statt ihn dir zu geben. Und der dir, während du weggehst, hinterherruft, dass es „dein Job“ ist, wegen seines „Status“ hinter ihm aufzuräumen.
Dann, wenn alles gesagt und getan ist und du zur Basis zurückkommst, begrüßt dich eine E-Mail deiner Vorgesetzten. Sie wollen wissen, warum du ihren „Diamond Medaillon Passagier“ auf dem Flug DL102 ungerecht behandelt hast. Du weißt, dass dieser Passagier mit keinem Service zufrieden gewesen wäre, ob gut oder schlecht. Aber wieder einmal liegt alles nur an dir!
Wenn etwas schiefläuft – schuld sind immer die Flugbegleiter
Ein Freund hat mir einmal erzählt, dass ihm ein Mann in der ersten Klasse große Probleme bereitet hat, weil er rassistisch und super aggressiv war. Mein Freund hat zurückhaltend und professionell reagiert. Seine Vorgesetzten machten ihn trotzdem dafür verantwortlich, dass er die Situation nicht „besser gehandhabt“ hat. Meine Antwort darauf lautet: Auf welche Weise hätte er mit einem Rassisten besser umgehen sollen? Wahrscheinlich, indem er einfach kein schwarzer Mann mehr ist.
Heute hat ein befreundeter Steward auf Instagram bekanntgegeben, dass zwei Flugbegleiter vor ein paar Tagen Selbstmord begangen haben. Dies ist der vierte Selbstmord, von dem ich höre, seit ich vor zwei Jahren selbst Stewardess wurde. Ich flog etwa seit vier Monaten, als ich von der neuen Kollegin erfuhr, die sich bei ihrer Halbjahresfeier erhängt hatte. Sie war sechs Monate lang geflogen und hatte dann beschlossen, sich umzubringen.
Heute habe ich in den sozialen Medien gelesen, dass zwei andere Flugbegleiterinnen Selbstmord begangen haben. Eine davon hatte sich tatsächlich über die sozialen Medien um Hilfe bemüht, wie viele in ihrer Lage – aber niemand hat ihr zugehört.
Ein Traumjob – aber du bist todtraurig und einsam
Es bricht mir das Herz, weil auch ich in einer ähnlichen Situation war. Kurz vor Ende meines zweiten Jahres als Flugbegleiterin habe ich meinen Job gekündigt. Und wenn ich nicht gekündigt hätte, hätte vielleicht jemand anders diesen Artikel schreiben müssen. Ich war so kurz davor, alles zu beenden. Denn was machst du, wenn dein „Traum“ zu einem Albtraum wird? Was tust du, wenn jeder um dich herum sagt, wie glücklich du bist, in dieser Position zu sein – die dir aber absolute Traurigkeit und Einsamkeit bringt?
Es gibt Tausende von Menschen wie dich in diesem Beruf, die kurz davor stehen, alles aufzugeben. Die glauben, dass Selbstmord die einzige Lösung ist. Ich schreibe dies, um dir zu sagen, dass ich dich sehe, dich verstehe, und dass du nicht allein bist. Es ist schwer, neu anzufangen, aber dein Leben ist so viel mehr wert. So viel mehr als leere Nächte, die du in Alkohol ertränkst, nur damit du schlafen und etwas Ruhe haben kannst oder einfach nur vergisst, wie groß dein Schmerz wirklich ist.
Tage werden zu Monaten und Monate zu Jahren, viele fühlen sich gefangen, sind festgefahren, nicht bereit wegzugehen, weil sie sich so sehr an die Misshandlung gewöhnt haben. Andere entscheiden sich dafür, den Schmerz einfach nicht mehr zu spüren. Zu viele wertvolle Menschen sind in diesem Beruf verloren gegangen. Viele, die wir kennen, aber auch viele andere, die nie erwähnt werden.
Die Airlines schaden ihren Angestellten – und ihren Passagieren
Die Fluggesellschaften müssen zur Verantwortung gezogen werden, die Mitarbeiter sind keine Roboter und dürfen nicht als solche behandelt werden. Die Anzahl der Stunden und die Verfügbarkeit, die von Stewards und Stewardessen zu Beginn ihrer Karriere erwartet wird, sind unmoralisch. Und es ist, offen gesagt, unverantwortlich von der Fluggesellschaft, dies von irgendeinem Menschen zu erwarten.
Ich erinnere mich an unzählige Flüge mit erschöpften Kollegen, die sich bei einem echten Notfall im Flugzeug kaum hätten retten können, geschweige denn einen der Passagiere. Das wird zu einem Problem, und das Schweigen muss gebrochen werden, Leben sind in Gefahr.
Wenn du jemanden in diesem Bereich kennst, schaue nach ihm, sprich mit ihm und erkenne wirklich, wie er sich fühlt. Es ist leicht, Depressionen zu überspielen, lass dich nicht von solchen Antworten täuschen: „Das gehört zu meinem Job“, „Dafür habe ich mich doch entschieden, oder?“
Bitte pass auf, denn viele Menschen flehen wirklich um Hilfe. Ich weiß es nur zu gut.
Mit freundlichen Grüßen
Eine ehemalige Flugbegleiterin
In unserer Serie „Was ich wirklich denke“ lassen wir Menschen sprechen, die interessante Berufe haben, die in herausfordernden oder besonderen Lebenssituationen stecken oder die etwas Ungewöhnliches erlebt haben. Trifft das auf dich zu und willst du davon erzählen? Dann melde dich unter: theresa@krautreporter.de
Renee Bull hat diesen Artikel im September 2018 bei Medium.com auf Englisch veröffentlicht. „Als ich diesen Text schrieb, wollte ich, dass so viele Leute wie möglich ihn lesen“, schrieb Renee auf Anfrage von Krautreporter. „Also wäre es fantastisch, ihn auf Deutsch übersetzen zu lassen.“
Übersetzung und Produktion: Vera Fröhlich; Redaktion: Bent Freiwald; Bildredaktion: Martin Gommel.
Dieser Text soll keinesfalls für Suizid als Weg zur Bewältigung von Problemen werben, sondern das Schicksal von Menschen aufzeigen. Bitte sprecht mit anderen Menschen darüber, wenn ihr an Selbstmord denkt. Hier gibt es Hilfsangebote, ihr könnt anonym bleiben. Ruft dort an, schreibt eine E-Mail oder nutzt die Möglichkeit zum Chat oder zum persönlichen Gespräch.