„Ich kann nicht wie ihr nur kiffen und saufen“

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Leben und Lieben

„Ich kann nicht wie ihr nur kiffen und saufen“

Niklas ist 17, als er ungeplant Vater wird. Zuerst ist er geschockt, aber eigentlich wollte er immer schon Papa werden. Warum also nicht schon jetzt? In der Serie „Was ich wirklich denke“ erzählt er, was Elternsein für ihn ausmacht – und was er jetzt schon besser macht als sein leiblicher Vater.

Profilbild von Protokoll von Diana Köhler

Es war super kalt, aber die Sonne hat trotzdem geschienen, als mich meine Freundin angerufen hat. Sie meinte: „Ich muss dir was sagen“. Ich dachte, sie hat irgendwie Scheiße gebaut. Also bin ich zu ihr gefahren und als wir so dasaßen, hat sie mir den Schwangerschaftstest gezeigt. Ich dachte erstmal: „Scheiße!“ Gefreut habe ich mich schon irgendwie, aber ich hatte Angst. Ich war mitten in der Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker, meine Freundin war noch in der Schule. Im ersten Moment war ich mit der Situation total überfordert.

Wir wussten zwar nicht, wie wir das alles schaffen sollen, aber ich wollte immer schon Papa werden. Das war zu dem Zeitpunkt ein bisschen früh, aber ich habe es genommen, wie es war. Uns war beiden von Anfang an klar, dass wir nicht abtreiben wollen. Warum soll man einem Menschen die Chance auf ein Leben nehmen, nur weil die Situation gerade nicht passt? Meine Eltern denken da anders darüber, die waren eher dagegen, dass wir das Kind behalten. Aber ich stehe zu meiner Meinung.

Wir hatten auch Sexualkundeunterricht in Biologie, wie jeder. Über Verhütung haben wir aber nur ganz kurz gesprochen - und ein Kondom über eine Banane gezogen. Meine Freundin und ich haben aber gar nicht mit Kondom verhütet, sondern mit der Pille. Die hatte sie anscheinend ein paar Mal vergessen zu nehmen.

„Du Oma, wie hast du Mama damals schwierige Sachen beigebracht?“

Meine Freundin hat erst im dritten Monat gemerkt, dass sie schwanger ist. Zwei Woche, nachdem sie es mir gesagt hat, sind wir zur Ultraschalluntersuchung gefahren.

Zuerst habe ich meine Oma angerufen. Die ist ein bisschen lockerer, sieht vieles nicht so eng und meinte einfach zu mir: „Das packst du schon.“ Sie ist auch früh Mama geworden, mit 20 war das, glaube ich. Sie ist achtfache Oma - und jetzt sogar Uroma. Sie ist eine richtige Macherin, ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu ihr, sie hat mich quasi auch mit aufgezogen, weil meine Mama früher alleinerziehend war und immer viel arbeiten musste.

Am Telefon habe ich zu ihr gesagt: „Du Oma, wie hast du Mama damals schwierige Sachen beigebracht?“ Ihr Tipp war: „Die überraschst du jetzt einfach, ohne viel drumherum zu schnacken!“

Meine Mutter hatte schon gemerkt, dass ich irgendwie seltsam drauf war, aber sie dachte, das hätte mit Stress in der Ausbildung oder mit meinen Freunden zu tun. Eines Tages habe ich sie von ihrer Arbeit abgeholt und das Ultraschallbild herausgekramt. Sie hat mich in den Arm genommen, wir mussten beide weinen.

Danach haben wir viel geredet und geplant. Bald hat meine Mutter auch schon angefangen, Babyklamotten und ein Bettchen zu kaufen. Sie hat sich einfach damit abgefunden. Mein Stiefvater wollte am Anfang, dass ich einen Vaterschaftstest mache. Er meinte: „Für das Kind zahlst du bis an dein Lebensende, egal ob es deines ist oder nicht und bekommst das Geld auch nicht zurück.“ Aber das wollte ich nicht. Ich vertraue meiner Freundin blind. Sie geht nicht fremd.

Als ich meinem besten Freund von der Schwangerschaft erzählt habe, meinte er: „Super, dann werde ich ja Onkel!“. Der freut sich auch schon, dass wir später alle zusammen Fußball spielen können. Einige meiner Freunde und ich haben recht ähnliche Zukunftspläne, wir wollen eine Frau, ein Haus und Kinder. Bei mir passiert das alles eben ein bisschen früher.

Alle sehen jetzt, dass ich mein Leben im Griff habe

Aufs Papa-Sein vorbereitet habe ich mich eigentlich nicht sehr. Doch - eine Broschüre habe ich gelesen, aber ich weiß nicht mehr so richtig, was da drinstand. Das war irgendeine Zusammenfassung über das Vatersein, wie man sich dem Kind gegenüber verhält, wie man Windeln wechselt. Meine Mama hat mir fast alles gezeigt, der vertraue ich da am meisten.

Meine Freundin hat sich richtig gut vorbereitet, sie hat sich total viele Bücher gekauft. Zusammen waren wir auch in einem Kurs, wo wir gelernt haben zusammen zu atmen, für die Wehen und die Geburt. Wir saßen auf Yogamatten, die Hebamme vor uns, hecheln nannten die das. Das war schon witzig, als alle Paare in dem Raum zusammen gehechelt haben. In den anderen Kursen war meine Freundin dann allein.

Während der Schwangerschaft waren wir jeden zweiten Tag bei McDonald’s, ich habe ungefähr 10 kg zugenommen! Wir haben uns auch viel gestritten. Einmal wollte sie kuscheln und dann wieder nicht, dann hatte sie Hunger, dann wieder nicht, dann war sie müde, dann wieder nicht. Ich wusste zwar, dass das dazugehört, aber dass es so extrem ist, hätte ich nicht gedacht.

In der Schule haben sie meine Freundin schon komisch angeguckt und auch über sie geredet. Sie war da ja noch bis zum achten Monat dort. Aber in ihrer Klasse waren zwei Mädchen, die hatten auch schon Kinder. Mit denen konnte sie sich dann ein bisschen austauschen.

Ich war die ganze Zeit bei ihr und habe ihre Hand gehalten. Nur zwischendurch musste ich mal kurz raus, eine rauchen

Am letzten Abend vor der Geburt waren wir wieder im Wald spazieren. Ich habe mir die drei Wochen vor dem Termin extra freigenommen. Im Spaß meinte ich noch, dass die Bewegung ja die Wehen fördert. Und dann ist wirklich um fünf in der Früh ihre Fruchtblase geplatzt - als hätte ich es vorhergesagt!

Meine Freundin unter den Schmerzen leiden zu sehen, war schon sehr schlimm für mich. Ich war die ganze Zeit bei ihr und habe ihre Hand gehalten. Zwischendurch musste ich aber auch mal rausgehen und eine rauchen, um runterzukommen, damit ich dann entspannt bin, wenn das Baby im Anmarsch ist. Um 12:11 ist dann mein Sohn auf die Welt gekommen. Da kamen auch ein paar Freudentränen von meiner Freundin und mir.

Seit der Geburt bin ich nicht mehr so spontan wie früher, ich muss alles durchplanen, zumindest für ’ne Woche

Meine Freundin hat dann erstmal ein Jahr in der Schule ausgesetzt, vielleicht macht sie bald eine Ausbildung zur Krankenschwester. Als das Kind da war, wollten viele ihrer Freundinnen nichts mehr mit ihr unternehmen, weil sie genervt waren, dass immer der Kleine dabei war. Viele haben sich in der Zeit von ihr abgewendet.

Einige Mitschüler haben gesehen, dass ich mein Leben jetzt total im Griff habe. Ich denke mir: Ich kann nicht nur kiffen und saufen, so wie ihr! Mein Klassenlehrer meinte sogar, er versteht es, wenn ich vielleicht in Zukunft nicht immer ausgeschlafen bin, weil ich ja ein Kind zu versorgen habe.

Seit der Geburt bin ich nicht mehr so spontan wie früher, ich muss alles durchplanen, zumindest für ne‘ Woche. Wenn wir jetzt auf eine Party gehen wollen, müssen wir erstmal unsere Eltern fragen, ob sie auf den Kleinen aufpassen. Aber dafür bin ich öfter draußen, am Spielplatz oder im Wald. Früher war ich fast nie draußen. Meine Freundin und ich haben jetzt mehr Mitgefühl füreinander und reden auch mehr über unsere Probleme - wir reden generell mehr miteinander.

Es schon alles ein bisschen anstrengender als in meiner Vorstellung. Unter dem Babyalter konnte ich mir nicht so viel vorstellen, ich hatte eher das Alter ab vier, fünf Jahren im Kopf, wo sie schon laufen und Fußball spielen können. Wie sich das meine Freundin vorgestellt hat, weiß ich eigentlich gar nicht, darüber haben wir miteinander nicht geredet.

Eltern sind nicht blöd – die sind schlauer als man denkt

Bei der Erziehung werde ich nicht so streng sein wie meine Eltern, ich bin da eher der Ja-Sager. Ich musste sehr viele Regeln befolgen, zum Beispiel immer pünktlich zu Hause sein, sonst gab‘s eine Strafe, Hausarrest, Fernsehverbot oder Ähnliches. Beim Thema Rauchen, Alkohol und Sex werde ich aber streng sein. Mein Sohn kann ruhig mal ein Bier trinken – sobald er 16 ist – und wenn er raucht, soll er mir das sagen. Ich hab‘s verheimlicht, aber meine Eltern haben es schnell herausgefunden. Eltern sind ja nicht blöd. Die sind schlauer als man denkt.

Mir ist Höflichkeit und Respekt wichtig. Er soll erkennen, wer gut und wer böse ist, mit wem er lieber keinen Kontakt haben sollte. Ich habe selbst die falschen Leute getroffen. Zum Beispiel einen Schüler aus der Parallelklasse, den ich auf dem Schulhof kennengelernt habe. Er meinte, Rauchen sei cool und Kiffen auch, wir haben dann so Dinge gemacht wie auf Bahngleise gehen, bis ein Zug kommt. Irgendwann wurde ich erwischt, als ich bekifft war, und habe so richtig Ärger bekommen von meinen Eltern.

Vor ungefähr einem Jahr hat mich mein echter Vater auf Facebook kontaktiert

Mein Kind erziehe ich so, wie ich es möchte. Wenn meine Eltern sagen, ich kann irgendetwas nicht so oder so machen, ist mir das egal. Da lasse ich mir nicht reinreden! Ich möchte immer da sein für mein Kind und es unterstützen, seine Talente fördern. Da mache ich jetzt schon vieles besser als mein echter Vater, der hat meine Mutter verlassen, als sie im dritten Monat schwanger war.

Vor ungefähr einem Jahr hat mein echter Vater mich zum ersten Mal kontaktiert – auf Facebook. Was in der Nachricht genau stand, weiß ich nicht mehr, aber so etwas wie „Ich bin dein richtiger Vater“ oder „Ich bin dein Erzeuger“, und dass er mich treffen will. Zuerst dachte ich, das sei ein Fake, ich habe meiner Mutter erzählt, dass mir da so ein Typ geschrieben hat. Zu ihr hatte er davor aber schon Kontakt. Sie meinte dann, dass das wirklich mein Vater ist. Da musste ich erstmal mit meinem besten Freund ein Bier trinken gehen, ich habe das alles gar nicht realisiert.

Wir haben uns zu dritt getroffen: Meine Mutter, mein richtiger Vater und ich. In einem Restaurant in der Nähe, mit einem kleinen Wald daneben. Ich habe ein Rumpsteak gegessen und danach waren wir spazieren und haben Smalltalk gemacht. Er hat mich ausgefragt, was ich beruflich mache, was meine Hobbies sind, was meine Freundin macht. Er ist eigentlich ein recht langweiliger Typ, er hat nur ein Hobby, und das ist ausgerechnet Angeln. Ich war sogar schon mit ihm zusammen angeln – finde ich jetzt nicht so hammer.

Eigentlich bleibt alles beim Alten

Ich will auf jeden Fall noch ein zweites Kind. Dass ich zu Hause bleibe und aufpasse, während meine Freundin arbeiten geht, kann ich mir nicht vorstellen. Da wird mir doch total langweilig! Das kann ich nicht, ich brauche die Routine, einen fixen Tagesablauf. Es wird wohl kein Weg daran vorbeiführen, dass wir beide arbeiten, wir brauchen ja das Geld. Aber wenn meine Freundin zu Hause bei den Kindern bleiben will, müssen wir das eben organisieren.

Vätern in meinem Alter würde ich raten, nicht den Kopf hängen zu lassen. Das Leben geht weiter! Nur weil man ein Kind hat, heißt das nicht, dass man jetzt nur mehr Verantwortung haben muss und selbst kein Kind mehr sein kann. Eigentlich bleibt alles beim Alten, nur der Titel ändert sich, jetzt bin ich nicht mehr nur Niklas, jetzt bin ich auch Papa.


In unserer Serie „Was ich wirklich denke“ lassen wir Menschen sprechen, die interessante Berufe haben, die in herausfordernden oder besonderen Lebenssituationen stecken oder die etwas Ungewöhnliches erlebt haben. Trifft das auf dich zu und willst du davon erzählen? Dann melde dich unter: theresa@krautreporter.de


Redaktion: Bent Freiwald, Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Rico Grimm, Susan Mücke; Fotoredaktion: Martin Gommel.