Stell dir vor, du bist 16 und wirst Vater

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Leben und Lieben

Stell dir vor, du bist 16 und wirst Vater

Zu jeder schwangeren Teenie-Mutter gehört ein Junge, der das Baby gezeugt hat. Wie geht es eigentlich sehr jungen Vätern?

Profilbild von von Diana Köhler

Stell dir vor, du bist 16 Jahre alt. Vor einem Monat bist du mit deiner Freundin zusammengekommen, ihr seid jetzt ein richtiges Paar. Du mochtest sie eigentlich schon total lange, hast dir am Abend immer ihre Snapchatstory angesehen, aber nie mit ihr gesprochen. Sie schien immer so beliebt bei allen zu sein, und mit dem Filter auf Snapchat, der rote Bäckchen und Ohren aufs Selfie legt, sah sie total süß aus. Das hast du zwar deinen Kumpels nicht so gesagt, aber die haben schon gemerkt, dass da was im Busch ist.

Und dann, auf dieser einen Party war sie plötzlich auch da, kam auf dich zu und fragte, ob du tanzen willst. Da hat es angefangen, ihr habt euch wieder und wieder getroffen. Irgendwann habt ihr miteinander geschlafen, es war komisch, aber auch irgendwie schön und viel zu schnell vorbei. Mit dem Kondom kanntet ihr euch aus, oben zuhalten, genau. Aber dann ist es trotzdem irgendwie verrutscht, ein bisschen was ist ausgelaufen, aber wie schlimm kann das schon sein? Zwei Monate später: scheiße. Sie hat ihre Periode nicht bekommen. Der Test sagt, sie ist schwanger. Und jetzt?

Zugegeben, diese Geschichte klingt wie eine Teenie-Komödie oder ein christliches Abschreckungswerk gegen vorehelichen Sex. Sie läuft in verschiedenen Variationen, in unterschiedlichen Konstellationen jedoch immer wieder ab. Teenager werden Eltern, das wissen wir nicht erst seit RTL2 das zum Thema gemacht hat. In Deutschland hatten 2017 insgesamt 6.184 Neugeborene eine Mutter unter 18 Jahren.

Ist ein Mädchen schwanger, sucht sie wahrscheinlich erst mal im Internet nach Rat – und wird sofort fündig mit unzähligen Beratungsangeboten. Ein Junge, der gerade von der Schwangerschaft erfahren hat, googelt auch – und findet fast nichts. Die meisten Angebote richten sich an junge Mütter, wenn es um Teenagerschwangerschaften geht, werden sie wahlweise kritisiert, bevormundet oder gelobt. Aber dass auch Jungs Väter werden, scheint in der Öffentlichkeit noch nicht ganz angekommen zu sein.

Ist mit einem Baby die Jugend vorbei?

Wo sind sie denn nun, die jungen Väter? Einer zumindest sitzt in Itzehoe, einer Stadt im Norden Deutschlands. Niklas ist 18 und wohnt mit Mutter Ramona, Stiefvater Kevin, Schwester Nele und einem kleinen, schwarzen Hund namens Balu in einer Wohnung am Stadtrand. Auf dem Tisch stehen bereits Bratkartoffeln mit Speck, Kevin brät noch das Fleisch an und wird von Ramona gerügt, weil er schon wieder sein weißes T-Shirt zum Kochen angelassen hat.

Niklas ist erst vor kurzem von der Berufsschule nach Hause gekommen, er lässt sich seit zwei Jahren bei Opel als Kfz-Mechatroniker ausbilden. „Willst du auch Wasser?“, fragt seine Mutter. „Nee, da pinkeln Fische rein!“, sagt Niklas und lacht. Die Schwester grinst.

Nach dem Essen sitzt die Familie auf der Couch. An diesem Abend darf drinnen geraucht werden, denn „der Lütte“ ist heute nicht bei seinem Papa. „Der Lütte“ ist Niklas‘ Sohn und wird bald ein Jahr alt. Gefreut habe er sich schon damals, sagt Niklas, als rauskam, dass seine Freundin schwanger war. Aber er hatte auch ein bisschen Angst. Die habe man ihm auch angesehen, meint Nele: „Der war total durch den Wind.“

Als erstes rief Niklas seine Oma an, die weiß am besten, wie man der Mama Neuigkeiten beibringen kann: „Die Oma war cool. Hat gemeint, die überraschst du jetzt einfach mal, ohne viel drum rum zu schnacken.“ Also holte Niklas Ramona von der Arbeit ab und zeigte ihr das Ultraschallbild, beide fingen an zu weinen. Jugend futsch, woher das Geld nehmen, und ist hier überhaupt Platz für ein Baby?

Kinder haben doch nur die anderen

Bei Paul* ist alles schon etwas länger her, seine Tochter ist jetzt 11. Zu seinem 16. Geburtstag bekam er einen Satz von seinem Vater, quasi als Geschenk: „Du bist mein einziger männlicher Nachkomme, du bist der Namensträger. Den musst du weitergeben.“ Zu diesem Zeitpunkt konnte Paul aber noch gar nichts mit Kindern anfangen, wollte unter keinen Umständen welche. „Das sind doch nur diese nervigen Bälger, die im Bus mit ihrem Kasten am Rücken im Weg stehen. Aber so etwas kann man einem alten Mann doch nicht sagen.“ Trotzdem wurde 25 Tage darauf seine Tochter gezeugt.

Herausgefunden hat er es, als seine Freundin wegen starker Unterleibsschmerzen ins Krankenhaus musste. Verdacht auf Schwangerschaft, hieß es da, Paul musste erst mal raus, drei Zigaretten hintereinander rauchen, Ohgottohgott, Panik. „Deine Jugend ist weg, deine Freiheit, scheiße“, dachte er und zündete die nächste an.

Die folgenden zwei Wochen versuchte er, nicht daran zu denken, erzählte es niemandem. „Man ist in dem Alter, in dem man endlich ein bisschen mehr darf und beginnt das auszukosten. In dem Augenblick, an dem man es am meisten ausgekostet hat, soll es quasi schon wieder vorbei sein“, sagt Paul.

Pauls Mutter ist zuerst geschockt, arrangiert sich aber schnell mit der Situation und hilft seitdem, wo sie kann. Sie zieht ihre Enkelin mit auf, zuerst als Paul noch zu Hause wohnt, aber auch danach, bis heute. „Meiner Tochter zu erklären, dass wir am Wochenende nicht die Oma besuchen können, das geht einfach nicht. Das grenzt an Landesverrat“, sagt Paul.

Die Oma war es auch, die sich mit den werdenden Eltern zusammensetzte und wichtige Themen ansprach: „Stellt euch vor, ihr seid nicht mehr zusammen. Wie soll es dann weitergehen?“ Einen Tag später beendete Pauls Freundin die Beziehung, sagte, sie würde ihn einfach nicht mehr lieben. Für Paul hieß das: Kontakt zur Kindesmutter aus, Gefühle aus. „Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ihr ging, wie mein Leben aussehen würde. Empathie ist schwer für einen 16-Jährigen, der vollgepumpt ist mit Testosteron.“ Durch den Abstand verliert Paul auch das Interesse, ist wie benebelt. Vorerst.

Es ist schwer, um Hilfe zu bitten

Was machen junge Väter, die keine Mütter haben, denen sie sich anvertrauen und die ihnen helfen können? Zu Almut Weise, Beraterin in der Organisation ProFamilia, kommen nur selten sehr junge Väter.

Intern wird festgehalten, wer Beratungen in Anspruch nimmt, bei den unter 18-Jährigen liegt der Jungenanteil laut Almut Weise bei maximal 5 Prozent. Meistens kommen sie mit ihrer eigenen Mutter, um abzuklären, wie viel Unterhalt sie zahlen müssen oder wie der Kontakt geregelt wird: „Schnell kippt es hier, und es geht mehr um die Interessen der Großeltern, die ihre Rechte durchsetzen wollen oder Angst haben, dass das Leben ihres Sohnes durch ein schwangeres Mädchen zerstört wird.“

Bei Beratungsgesprächen zusammen mit ihren Freundinnen sind die Jungs eher still und vor allem da, um den Mädchen einen Gefallen zu tun. Bei Entscheidungen, die beide betreffen, geht dann der Blick schnell zur Seite mit dem Ausdruck: „Das entscheidest du.“ In den Beratungen merkt Almut Weise oft, dass die Jungs zu der Schwangerschaft und dem werdenden Kind wenig Bezug haben und am liebsten wie bisher weitermachen würden. Viele tun das auch, vor allem, weil es für sie einfacher geht als für Mädchen. Diese müssen sich mit ihrer Lebenssituation auseinandersetzen, ob sie es wollen oder nicht.

Neben ProFamilia gibt es noch unzählige andere Organisationen und Verbände, die Beratungen für schwangere Mädchen anbieten. Manche sind in den vergangenen Jahren dazu übergegangen, auch Väter in ihrem Angebot zu erwähnen und direkt anzusprechen. In ganz Deutschland gab es bislang nur ein einziges öffentlich gefördertes Projekt, das sich von 2014 bis 2016 ausschließlich an junge Väter richtete – bis die Finanzierung auslief: JuPa.pa – Junge Papas packen es! Initiiert hat es der Jugendhilfeträger Väter in Köln e.V. Innerhalb von zwei Jahren hat Jungenpädagoge Theo Brocks und der Vorsitzende Jürgen Kura 30 Väter im Alter von 16 bis 23 Jahren betreut.

Junge Väter wollen beweisen, dass sie etwas auf die Reihe kriegen

Für Niklas und seine Freundin war von Anfang an klar, dass sie ihr Baby behalten würden. Er wollte immer Kinder, zwar nicht so früh, aber so war es dann eben, niemand konnte ihn umstimmen. Niklas verschränkt die Arme, wenn er davon erzählt. Mutter Ramona und Stiefvater Kevin waren gegen das Kind, die Eltern der Mutter dafür. Sie vereinbarten, dass Niklas zumindest so lange zu Hause wohnt, bis er seine Ausbildung beendet hat, aber Ramona ärgert es, dass Niklas seine Jugend nicht ausleben will. Der sieht das locker: „So gehen die Meinungen eben auseinander.“

Auch bei der Erziehung weiß Niklas, dass er sich von niemandem etwas sagen lassen möchte: „Wenn meine Eltern sagen, ne, das kannst du nicht so und so machen, dann ist mir das egal, ich erziehe meinen Sohn, wie ich will.“ Es sei seine Sache, sagt seine Mutter, aber solange er noch zu Hause wohne, müsse er auch mal den Müll runterbringen. Außerdem brauche Niklas sieben bis acht Stunden Schlaf, das sei jetzt wichtig, in so einer anstrengenden Zeit, damit er auch gut in der Ausbildung mitkommt. Und ein gemeinsames Sonntagsfrühstück wäre auch mal wieder schön, aber das gab es schon lange nicht mehr.

Am Tag, als seine Tochter geboren wurde, kam Paul um zwei Uhr nachmittags im Krankenhaus an. Als er das Baby im Arm hielt, schreiend, winzig und rot, wurde ihm klar, was vor ihm liegt. Er war glücklich, „ein wahnsinniger Moment“, wird er elf Jahre später sagen. Als seine Exfreundin ihr Abitur an der Abendschule nachholen wollte, war er jeden Abend bei seinem Kind: füttern, spielen, wickeln, ins Bett bringen, mit dem letzten Nachtbus nach Hause zu seinen Eltern, bei denen er damals immer noch wohnte. Jetzt sagt Paul: „Ich war alt genug, den Spaß vorher zu haben, dann kann man auch die Verantwortung nachher übernehmen.“

„Alle glauben, ich kann nichts, aber ich kann ein Kind zeugen“

Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2015 fühlen sich 85 Prozent der Mädchen und 83 Prozent der Jungen im Alter von 14 bis 17 Jahren ausreichend aufgeklärt. Aus der Studie geht auch hervor, dass sie eigentlich vorbildlich verhüten. Das bestätigt auch Almut Weise von ProFamilia. Sie führt die meisten ungewollten Schwangerschaften im Teenageralter auf Pannen zurück.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist wahrscheinlicher bei Mädchen, die studieren wollen und sozial gut angebunden sind. Jene, die in der Schule nicht so motiviert sind und nicht wissen, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen, bekommen das Kind eher. Mädchen, die sich zu Hause weniger aufgehoben fühlen, aus ungesicherten Verhältnissen kommen, wollen mit einem eigenen Kind, einer eigenen Familie die Liebe bekommen, die ihnen gefehlt hat, meint Almut Weise. Sie wollen es besser machen, als sie es selbst erlebt haben.

Laut Kura geht es den jungen Vätern ganz ähnlich. Im JuPa.pa-Projekt standen eine eigene Wohnung, eine Ausbildung, ein Job oder rechtliche Fragen an erster Stelle, doch auch das Vatersein an sich war Thema. Wer früh Vater wird, will selbstständig sein, doch das traut man in diesem Alter kaum jemandem zu. „Alle glauben, ich kann nichts, aber ich kann ein Kind zeugen“, interpretiert Jürgen Kura die Aussagen der jungen Väter, mit denen der Verein Kontakt hatte.

Natürlich sei immer auch das Risiko da, zu scheitern, daran würden die Jugendlichen in diesem Moment aber nicht denken. Was sie in dieser Zeit dazu motiviere, Verantwortung für das Kind, die Freundin und sich selbst zu übernehmen, sei Wertschätzung, jemand der an sie glaubt. Da ist sich Kura sicher. „Einer, der sagt ‚Du schaffst das schon‘ erreicht mehr als ein Moralprediger, der sie als Loser abtut.“

Die Jungs wollen es besser machen als ihre Väter

Als Ramona mit Niklas im dritten Monat schwanger war, verschwand sein Vater von einem Tag auf den anderen. Erst vor einem Jahr hat er sich bei Niklas plötzlich auf Facebook gemeldet, davor gab es keinerlei Kontakt. Sein biologischer Vater sei ein eher langweiliger Typ, findet Niklas, er habe nur ein Hobby und das sei ausgerechnet angeln. Zusammen hätten sie schon ein paar Mal geangelt, was nicht so spannend gewesen sei, aber zumindest esse er jetzt recht oft Fisch. „Ich hab jetzt schon vieles besser gemacht als mein richtiger Vater, denn ich bin da“, sagt Niklas. Zusammen bauen er und sein Sohn Türme aus Bauklötzen, die der Lütte dann wieder umwirft, oder fahren mit dem Bobbycar.

Während Paul mit seiner Mutter ein sehr gutes Verhältnis hatte, ist er mit seinem Vater oft aneinandergeraten. Dieser neigte früher zu Wutausbrüchen, was sich ein 16-Jähriger natürlich nicht gefallen lässt. Der Vater arbeitete viel, und war er mal zu Hause, saß er meistens vor dem Computer. An seiner Mutter schätzt Paul vor allem ihre Empathie, die er an seine Tochter weitergeben möchte: überlegen, wie sich der andere fühlt, warum er auf eine bestimmte Weise reagiert, eine andere Perspektive einnehmen.

Seit Pauls Vater in Rente ist und aus Pauls Kinderzimmer ein Tonstudio gemacht hat, machen Opa und Enkelin viel Musik. Sie singt gerne. Letztes Jahr waren alle zusammen auf Kreta, obwohl Paul da so seine Bedenken hatte. „Aber dann sind wir doch blendend miteinander ausgekommen“, sagt er im Nachhinein. Jetzt versteht er auch, dass sein Vater früher oft mal Zeit für sich brauchte. Auch Paul hat jetzt wieder mehr Zeit, seine Tochter ist schon 11, der 27 Jahre alte Papa wird jeden Tag ein bisschen uncooler. Findet zumindest sie.


Paul* möchte seinen echten Namen nicht im Internet lesen. Er sagt, dass er keine Probleme mit Personen bekommen will, über die er spricht, weil er Dinge wieder aufwärmt, die schon lange zurückliegen.

Bist du in der gleichen Situation wie Niklas oder Paul? Du kannst dich bei jeder Organisation, die sich an schwangere Mädchen richtet, ebenfalls beraten lassen. Dort wird dir gerne geholfen. Auf der Internetseite schwanger-unter-20.de findest du weitere Infos.

Redaktion: Theresa Bäuerlein; Fotoredaktion: Martin Gommel; Schlussredaktion: Vera Fröhlich und Bent Freiwald.

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