Wenn ihr mich fragt, wie es überhaupt zu diesem verrückten Projekt gekommen ist, muss ich wohl im Jahr 1938 anfangen, mit einer stilisierten Pinselschrift des Gestalters Carlos Winkow. Ihr Name: Reporter.
Diese Schrift, vor Jahrzehnten aus Holz gefräst, mag Erik Spiekermann sehr. Er bewahrt mehrere Schnitte davon in Schubladen auf, druckt sie auf Plakate und hat sie digitalisiert. Erik, muss man wissen, ist KR-Mitglied, auch Mitglied der Krautreporter-Genossenschaft und somit Mitbesitzer dieses Magazins, und außerdem ist er einer der bekanntesten Schriftgestalter der Welt. Zum Beispiel hat er die Buchstaben gemacht, mit deren Hilfe ihr diesen Text lest; es handelt sich um Spiekermanns Meta serif.
Meine Theorie ist, dass in Spiekermanns viel beschäftigtem Hirn der kreative Zufall irgendwann die Synapsen den Namen Reporter mit dem Namen Krautreporter verknüpfen ließ. Von da an reifte sein Plan, auf seiner tonnenschweren Druckmaschine von 1924 eine Papierausgabe dieses doch durch und durch digitalen Magazins von 2014 zu drucken. Und weil die Idee zwar verrückt, aber auch überzeugend war und genau das ausdrückt, wofür unser Journalismus stehen soll, nahm das Schicksal seinen Lauf.
Ende April 2018 stand ich mit Erik Spiekermann vor eben dieser Maschine und unterhielt mich mit ihm über das Druckhandwerk, über das Journalisten-Handwerk, und über ein Projekt, von dem wir zu diesem Zeitpunkt nicht ahnten, als wie schwierig es sich herausstellen würde: eine handgedruckte, riesengroße Krautreporter-Ausgabe auf Zeitungspapier.
Wir drucken und stehen unter Druck
Man kann sich kaum vorstellen, wie viel Mühe und Sorgfalt es vor allem unseren Drucker Daniel gekostet hat, die alte Maschine so mit der modernen Digitaltechnik zu kombinieren, dass ein dermaßen schönes Druckwerk entstehen konnte. Dieses Video (bitte auf Vollbild stellen) gibt einen guten Eindruck von der besonderen Atmosphäre in der Druckwerkstatt in Berlin-Adlershof, man hört die Geräusche, man kann die Gerüche ahnen, aber all den Frust und die vielen Fehlversuche sieht man nicht.
Ein Projekt wie dieses ist nur mit viel Enthusiasmus und gutem Willen möglich von Leuten, denen es am Herzen liegt. Wir hatten das Glück, viele von ihnen zu finden:
Zuerst Erik Spiekermann selbst. Er hatte die Idee hatte, er versteht Krautreporter, und sein entwaffender Pragmatismus ist uns eine Inspiration („Das tritt nach meiner Kenntnis – ist das sofort, unverzüglich“, zitierte er bei Bedarf Günter Schabowski, um etwas Tempo zu erzeugen). Auch bei Eriks Kollegen aus der Galerie p98a bedankt sich die Redaktion für die ungeplant wochenlange Gastfreundschaft beim Falzen und Wickeln und schnelle Hilfe an mancher Stelle.
Daniel Klotz, der die Maschine gemeinsam mit seinem Vater restauriert hatte und wohl der einzige ist, der sie wirklich bedienen kann. In monatelanger Kleinarbeit gelang es ihm, die moderne Technik der digital hergestellten Druckplatten auf die alte „Johanna“ so anzupassen, dass die KR-Ausgabe so gut aussieht. Gemeinsam mit Sebastian Bädicker und vielen anderen Helfern verbrachte er mit Abstand am meisten Zeit an der Maschine.
Thomas Weyres, unser Art Director und Gestalter der Krautreporter-Webseite, der inzwischen einer der gefragtesten Zeitungsgestalter des Landes ist, momentan Design-Direktor des Tagesspiegels. Er gestaltete in wenigen Wochen ein komplett neues Layout für die Krautreporter-Ausgabe, inklusive innovativer Elemente wie der Marginalspalte für Mitglieder-Kommentare und des Zeitungskopfes mit der Reporter-Schrift. Thomas’ Layout ist selbstbewusst eine Bleiwüste – was anderorts kritisch gemeint ist, ist bei der KR-Ausgabe ein Statement für klassisches Zeitungsdesign und die Tradition dieses Mediums.
Christoph Koch, Krautreporter der ersten Stunde und Bestseller-Autor, hat als Redakteur die Krautreporter-Texte ausgesucht, die es in die Zeitung geschafft haben, sie auf Länge gebracht und aus unseren Digital-Überschriften druckbare Zeilen gemacht. Man glaubt nicht, wie oft ein Text angepasst wird, bis er druckreif ist.
Nicolas Bourquin, Kreativdirektor der Infographics Group, einer der besten und größten Agenturen des Landes, die mit visuellen Mitteln Geschichten erzählt und komplexe Zusammenhänge begreifbar macht. Für Krautreporter haben die Redakteurin Sabine Devins und die Gestalterin Katja Günther in mühevoller Arbeit eine ganze Seite zum Thema Repräsentation von Frauen in Parlamenten gebaut – manche Information über den Frauenanteil der DDR-Volkskammer mussten moderne Algorithmen anhand der Vornamen berechnen (sowas geht anscheinend!). Ach ja, und das alles komplett pro bono.
Der bekannte Grafiker Martin Baaske, der die geniale Illustration der Druckmaschine angefertigt hat.
Und schließlich Maren Schröder, die als Druckausgaben-Beauftragte bei Krautreporter für alles zuständig, an allem schuld und immer beteiligt war – von den Verhandlungen mit der Deutschen Post bis zum Transport von der Druckerei in Erik Spiekermanns Atelier p98a, das uns einen warmen Ort zum Falten, Falzen und Lieder singen zur Verfügung stellte. Maren dirigierte wiederum die gesamte KR-Redaktion während der Weihnachtszeit an vielen Tagen faltend, knickend, wickelnd und stapelnd zwischen tausenden Zeitungsausgaben. Es war ein einigermaßen großer Wahnsinn.
Danke, danke, danke.
Was man alles mit einer Zeitung anfangen kann
Ich komme nicht so oft ins Schwitzen, aber dieses Projekt war heikel. Krautreporter ist nicht reich. Im Gegenteil: Als werbefreier, junger und rein digitaler Verlag sind wir arm. Die KR-Druckausgabe würde nicht gerade helfen, das zu ändern, so viel war von Anfang an klar. Aber würden wir die Kosten decken können? Und was würden die KR-Mitglieder von der Idee halten?
Liebe KR-Mitglieder! Ihr habt verstanden, ihr habt mitgemacht und ihr seid die Besten, das kann man inzwischen ganz objektiv festhalten.
Das Interesse vieler Mitglieder an den technischen Details des neuen alten Druckvorgangs, die Zuneigung für „unsere“ Johanna und der spürbare Enthusiasmus für dieses Projekt war wirklich überraschend für mich. Wer will schon so genau wissen, was passiert, wenn ein Alufundament ein paar Mikrometer ungenau gefräst wurde und darum etwas kippelt, was in Kombination mit einer Mikro-Haftfolie und zu geringer Schrifthöhe zu einem unsauberen Druckbild führt? Ihr wolltet es genau wissen.
Und wer lässt sich wieder und wieder vertrösten, wenn es mal eben ein halbes Jahr länger braucht, bis eine Zeitung im Briefkasten liegt? Na, ihr. Wer wechselt zu Hunderten von einer KR-Mitgliedschaft in die teurere Förder-Mitgliedschaft, ohne es zu müssen? Ihr wart das.
So kam die Zeitung bei den KR-Mitgliedern an
Wir hatten euch gebeten, uns doch ein Bild mit eurer Ausgabe zuzuschicken, damit wir uns besser vorstellen können, wie sie bei euch ankommt und was ihr damit so anstellt (früher soll ein wichtiger Zweck jeder Zeitung ja gewesen sein, Fische einzuwickeln). Hier eine Auswahl der Bilder, die uns zugesandt oder bei Twitter und Instagram gepostet habt.
https://www.instagram.com/p/BrfXtbsn5wA/
https://www.instagram.com/p/BsqaSNnFtRQ/
https://www.instagram.com/p/Bsnzo88F4jW/
https://www.instagram.com/p/BtAp6nngg0p/
https://www.instagram.com/p/BtMB0obBK9r/
https://www.instagram.com/p/Bspe6XNgxQs/
https://www.instagram.com/p/BsvLnQShq_i/
Du hast noch keine Zeitung? In unserer Redaktion haben wir noch hundert Exemplare, die wir an die ersten Neu-Mitglieder vergeben. Werde jetzt Fördermitglied und erhalte deine Krautreporter-Druckausgabe!
Bildredaktion: Martin Gommel; Schlussredaktion: Vera Fröhlich.