„Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich ergriff ganz plötzlich Partei für Adolf Hitler“

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Leben und Lieben

„Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich ergriff ganz plötzlich Partei für Adolf Hitler“

Wie werden aus normalen Bürgern Nazis? Das hat sich 1934 ein amerikanischer Professor gefragt. Um diese Frage zu beantworten, schrieb er ein Preisausschreiben aus. Den ersten Preis von 125 Reichsmark wollte auch Erna Stoyke aus der damals ostpreußischen Stadt Marienburg gewinnen und reichte ihren Lebenslauf ein.

Profilbild von Lebenslauf, herausgegeben von Wieland Giebel

Theodore Abel, ursprünglich aus Polen, war Professor an der Columbia Universität in New York. Er sprach fließend Deutsch und stellte bei seinem Besuch in Berlin fest, wie gern Nazis erzählten. Er wollte an seiner Universität Karriere machen und entwickelte – in Abstimmung mit NS-Propagandaminister Joseph Goebbels – die Idee, über das Preisausschreiben an persönliche Berichte zu gelangen.

Auf diese Weise sammelte Abel im Sommer 1934 insgesamt 683 Berichte ein. Davon sind 581 sind erhalten und erst jetzt in Deutschland als Buch „Warum ich Nazi wurde“ veröffentlicht worden. Das Besondere daran ist für Herausgeber Wieland Giebel: „In diesen unmittelbaren Schilderungen findet sich ungefiltertes Gedankengut, nicht durch Scham späterer Erkenntnisse getrübt, durch Holocaust, Krieg und Untergang.“


Lebenslauf

Von Erna Stoyke, geb. am 18. September 1913 zu Plowenz, Kreis Strasburg (in dem jetzt polnischen Gebiet).

Nur wenige Jahre war es mir vergönnt, mich an dem Besitz meiner Väter zu erfreuen. Eines Tages, es war kurz vor Weihnachten des Jahres 1921, wurde ich aus der Pension eines kleinen Städtchens nach Hause geholt, um nie mehr dort wiederzukehren. Es war der Befehl von der polnischen Regierung ergangen, binnen 24 Stunden das einstmals kerndeutsche Gebiet zu verlassen. Ich wusste im Augenblick nicht so recht, was es bedeutete, bis meine Eltern mir sagten, nimm Abschied von deiner sowie deiner Vorfahren Heimat. Noch einmal ging ich als Kind durch die Stätten, die mir so lieb geworden waren, und dann sollte alles aus sein. – Es kam ein neues Leben. Durch Fürsprache gelang es meinen Eltern noch kurze Zeit zu erhalten, um das Nötigste zu regeln. Nur wenig Hab und Gut konnten wir mitnehmen, alles andere ging in fremde Hände über.

Hell und warm leuchtete die Sonne an unserem Auswanderungstage nach Deutschland, einer neuen Heimat entgegen. Und in der neuen Heimat? Wie sah es dort aus? Nichts als ein großes Durcheinander trafen wir an. An die Gründung einer neuen Scholle war nicht zu denken. Es fehlten die Mittel. Wir waren entwurzelt. Nirgendwo ein Halt. Überall, wo man hinsah, Kampf um die Existenz.

Die Inflation war da! Was war das? Die meisten von uns Kindern verstanden das Wort und seine Bedeutung noch gar nicht. Bis es zu Hause immer knapper wurde. Es hieß immer einschränken, einschränken. Aber in den meisten Fällen nützte auch das nichts, denn es war ja nichts mehr da. Ich, das einzige, früher so verwöhnte Töchterchen war froh, wenn ich mich zum Frühstück an trockenem Brot und schwarzem Kaffee sattessen konnte. Essen für die Schule gab es nicht, sonst hätte es zu Hause nicht gereicht, und wenn ich etwas mithatte, konnte ich es nicht allein aufessen, denn es waren ja noch ärmere Kinder da, mit denen ich teilen musste, was für mich selbstverständlich war. Und doch waren wir allen noch frisch und froh. Bis eines Tages am ersten eines Monats die halbe Klasse leer war. Meine Klassengefährten konnten nicht mehr mit uns zusammen sein, weil sie nicht mehr zahlen konnten.

Jetzt erst begriff ich, was das Wort Inflation und Politik bedeutete. Wir waren aufgewacht. Wir fingen an, an diesem und jenem zu kritisieren. Zum Teil waren es die Meinungen unserer Eltern, die wir vertraten. Die Tochter eines sozialdemokratischen Lehrers schimpfte über unseren ehemaligen Kaiser, ich vertrat ihn ganz hartnäckig, denn unter seiner Regierung hatten wir es doch nicht schlecht gehabt. Es war uns doch gut gegangen. Noch in den späteren Jahren hat das Problem „Monarchie“ noch oft zur Debatte gestanden.

„Eines Tages hieß es wählen“

Jahre des Kampfes und der Not vergingen. Parteien wurden gegründet, so dass ich nicht mehr wusste, was dieses alles zu bedeuten hatte. Eines Tages hieß es wählen. Auch meine Eltern gingen wählen. Schon tagelang unterhielten sich meine Eltern darüber, wer wohl der Geeignete sein würde, um unser Deutsches Vaterland von dem Unglück und Parteienhass zu befreien. Sie einigten sich darauf hin, dass meine Mutter die Deutsche sozialistische Arbeiterpartei unter Führung Adolf Hitlers wählen sollte, und mein Vater Deutschnational. Erst viel später kam es mir zum Bewusstsein, was meine Mutter damals gewählt hatte.

Im Jahr 1929 verlegten wir unseren Wohnsitz wieder auf das Land, und ich wechselte somit die Schule. Wieder, wie schon früher, begannen wir uns in Parteien zu teilen. Hier in dieser Schule war es zum ersten Mal, dass ich den Namen Adolf Hitler und, wie die Partei Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei jetzt heißt, mit vollem Bewusstsein hörte. Zwei Mitschülerinnen stritten sich über Nationalsozialismus und Sozialdemokratie. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich ergriff ganz plötzlich Partei für Adolf Hitler. Es war mir, als ob mir jemand sagte, der Mann ist gut, der liebt unser Deutschland. Ich erkundigte mich über Adolf Hitler, über die Ursachen, die ihn dazu gebracht hatten, sich für seine Volksgenossen einzusetzen. Und ich war begeistert, als ich von einem alten Nationalsozialisten hörte, dass Adolf Hitler es sich zur Aufgabe gemacht habe, sein Deutschland und seine Kameraden zu retten und zu befreien von der Schmach, die auf uns allen lastete.

Fast täglich ging oder fuhr ich jetzt einen acht Kilometer langen, zum Teil schlechten Weg zur Stadt, um eine nationalsozialistische Rede zu hören, um dann spät in der Nacht allein nach Hause zu gehen, denn in meinem Ort war niemand dafür zu haben, da gab es nur Zentrum, Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Redner waren aus allen Schichten zusammengestellt. Sie redeten nicht, was in Büchern geschrieben steht, sondern sie redeten von Herz zu Herz. Sie redeten eine Sprache, die jeder verstand oder verstehen konnte, denn es waren anfangs ja nur sehr wenige, die da vorn in den ersten Reihen saßen und mit leuchtenden Augen und frohen Gesichtern dem Redner begeistert zuhörten, oftmals den Tod im Nacken.

Denn wir hörten ja nicht allein zu, da waren in den hinteren Reihen Deutsche, wie wir sie auch waren, aber verblendet, von dem Hass, der blinden Wut des kleinen erniedrigten, vom Juden bestochenen deutschen Menschen. Es wurde dazwischengebrüllt, damit unsere Redner schweigen sollten. Und wehe, wenn sie merkten, dass einer der ihren unsicher wurde und unsere Ansichten teilte, dann kannte dann kannte ihre Wut keine Grenzen, dann sprangen sie auf, ergriffen Stühle, zerbrachen Tische und schlugen blindlings in unseren kleinen Haufen hinein. Aber sie irrten sich, dass wir weichen würden. Wir kämpften ja für eine gute, eine reine Idee, die gab uns Mut und oftmals auch Riesenkräfte. Ja, und wie oft mussten die Unseren für ihre Idee bluten oder gar ihr Leben lassen.

An einer Wahlversammlung ging es ganz besonders unruhig zu. Wir fühlten es alle, heute gibt es etwas. Im Saal ein Murmeln, das nicht enden will, und als der Redner das Pult betritt, wird es stärker und stärker. Der Saalschutz, der immer zum Schutz des Redners da war, schaffte für Augenblicke Ruhe. Da wieder, wie auf Verabredung, Zwischenrufe; du Nazischwein, du Volksverräter, du Hund, runter von da, oder wir machen dir Beine. Nur mit Mühe gelang es, wieder Ruhe zu schaffen.

„Ein Posten von uns ist überfallen worden“

Plötzlich der Ruf: Ist ein Arzt da? Ein Posten von uns ist überfallen und zerstochen worden. Er hat erhebliche Wunden davongetragen und schnelle Hilfe tut Not. – Die Männer müssen Wache halten, und niemand darf von den Plätzen. Die Versammlung nimmt ihren Fortgang. Der Zweck der Sache war: Aufruhr und Verwirrung unter uns zu stiften, um leichtes Spiel in dem Kampf mit uns zu haben. Es ist nicht gelungen. Aber wir wissen, wir dürfen nach der Rede nicht einzeln gehen, denn wir werden von unseren Gegnern auf der Straße erwartet. Das ist immer dasselbe und doch verlieren wir den Mut nicht. Denn wir haben ja Erfolge zu verzeichnen, und wenn es nur einer oder zwei sind, die zu uns gekommen sind, mit uns zu streiten.

Frauen waren anfangs nur sehr wenige. Und als sich dann ein kleines Häuflein gesammelt hatte, es waren nur fünf oder sechs, da wurde eine Frauenschaft gebildet. Ich durfte nicht gleich öffentlich in die Partei eintreten, obgleich ich mich in den Dienst der Sache stellte, denn ich ging ja noch zur Schule. Aber eines Tages muss doch etwas unserer Schulvorsteher gekommen sein, es erging der Befehl, dass sofort jeder seine Parteizugehörigkeit oder das Mitwirken in einer Partei bekanntzugeben habe, andernfalls werde die betreffende Schülerin, wenn sie bei derartiger Angelegenheit ertappt würde, von der Schule gewiesen.

Jetzt hieß es, ganz besonders vorsichtig zu sein. Bei einer Versammlung, als Prinz August Wilhelm sprach, mussten wir ganz besonders vorsichtig zu Werke gehen, denn überall passten die Lehrer auf. Eine Mitschülerin und ich verkleideten uns, sie zog einen Anzug von ihrem Bruder an, versteckte das Haar und setzte sich eine große Brille, die ich uns beiden besorgt hatte, auf; ich zog mir einen Trainingsanzug an und setzte mir gleichfalls eine Brille auf und versteckte das Haar unter der Mütze. So gingen wir eben als Sportjungens ungefährdet hin.

„1931 trat ich in die nationalsozialistische Partei ein“

Am 24. Juli 1931 trat ich dann öffentlich in die nationalsozialistische Partei ein. Endlich konnte ich mich frei bewegen, meine ganze Zeit und zum Teil auch mein geringes Taschengeld opfern. Jetzt war ich jeden Tag unterwegs. Von unserem Parteibüro holte ich mir Anweisungen und Material zum Kleben oder Sammeln, oft wurde auch beides vereinigt. Ich fuhr dann in die Dörfer, um Opferringmarken zu verkaufen. Nicht selten geschah es, dass, wenn ich auf einen Hof kam, freundlich empfangen wurde, aber kannten sie erst meine Wünsche, dann wurde ich von den großen oder größeren Besitzern zum Teil höflich, zum Teil recht schroff vom Hof gewiesen oder von den kleinen Anwesen vom Hof gejagt. Gut, dann versuchte ich es eben ein Haus weiter. Ich freute mich über jede Gabe, die nicht immer leichten Herzens, oft aber auch gern gegeben wurde, in der Hoffnung Deutschland helfen frei zu machen von dem drückenden Joch unserer verschwenderischen und fremden Regierung.

Aber bevor ich eine Spende erhielt, musste ich meinen Volksgenossen erst erzählen, was Hitler will und was in der letzten Versammlung gesprochen wurde. So verging die Zeit oft sehr schnell, und ich musste mich doppelt beeilen, um genügend Geld für unsere Propagandazwecke zusammen zu bekommen. Inzwischen musste ich auch versuchen, unsere Werbeplakate an geeigneten und sichtbaren Stellen anzubringen. Denn auf dem Lande tat ich das zumeist öffentlich. In der Stadt machten wir es dann gemeinsam heimlich, weil die Polizei scharf aufpasste und viele Spitzel uns verrieten.

Eines Nachts, als wir gerade beim Kleben waren, einer stand unten mit den Plakaten, ich hielt den Kleistertopf auf eine der unteren Stufen der Leiter, die wir mitgenommen hatten, und ein anderer klebte die Plakate an, da kommen plötzlich Schupo. Wir beide da unten waren wie der Blitz verschwunden, aber der andere Kamerad? Den würden sie sicher mitnehmen. Nein, sie hatten ihn laufen lassen, weil er sich betrunken gestellt hatte. Wie oft aber wurden unsere Kameraden mit auf die Wache genommen und mussten dort stundenlang verbringen.

Aber alles das konnte uns nicht von unserem Weg abbringen. Ob ich wollte oder nicht, es zog mich immer wieder wie eine unsichtbare Macht zu meinen Kameraden, ihnen zu helfen in ihrem schweren Kampf.

„Wir hatten ein Heim, ein SA-Heim“

Wir Frauen hatten nebenbei noch andere Aufgaben, die denen unserer männlichen Kameraden ja nicht im geringsten gleichkam, aber wir waren beglückt, ihnen mit unseren schwachen Kräften ihr Los zu erleichtern. Es gab da viele junge Leute, die nicht nach Hause gehen durften, weil ihnen der Vater das Haus verboten hatte. Wir hatten ein Heim, ein SA-Heim. Hier hielten sich die Kameraden auf. Sie hatten kein Zuhause, sie waren verfemt ihres Nationalsozialismusses wegen, aber das störte sie nicht. Sie hatten keine Arbeit, das war ihr Los, und doch kämpften sie, kämpften um der Idee willen, kämpften, weil unser Führer ihnen Vorbild war.

Abwechselnd hatten wir das Heim zu versehen. Wir suchten zusammen, was wir entbehren konnten, um unsere Kameraden zu verpflegen. Wir gingen sammeln, um unseren Kameraden ihren Lebensunterhalt herbeizuschaffen. Zwei Abende in der Woche gehörten uns und unserer Arbeit, denn es gab viel Arme bei uns, denen wir helfen mussten, und die Weihnachtsarbeiten und die kleinen Geschenke für die Kameraden mussten auch fertig sein.

Wenn wir dann am Weihnachtsabend unserer Partei alle beisammen waren, außer der Wache, die stets an den Ausgängen auf Wachposten stand, dann kam mir oft die bange Frage in den Sinn: Werde ich es auch erleben, den Sieg, den großen Sieg? Und die anderen da draußen? Und immer klang es dann siegesfroh wider, Ja und nochmals Ja, es wird und muss uns gelingen, mit Gott und unserem Führer ein neues deutsches sauberes Reich zu gründen. Und dann die schlichte Feier. Das Horst-Wessel-Lied wird gesungen, es wird der alten deutschen Weihenacht gedacht, und dann sitzen wir und vergessen für Augenblicke, dass es Brüder gibt, die dieses alles in ihrem blinden Wahn nicht haben wollen.

Es werden Propagandafahrten gemacht, ob Sommer oder Winter, das Volk soll und muss doch endlich aufwachen. Es kommt zur Besinnung, aber langsam, viel zu langsam. Unsere Gegnerschaft ist groß, und das Geld hat die Macht. Das Volk lässt sich von den Brocken, die ihnen hingeworfen werden, betören. Das ärgerte mich oft maßlos, und ich ging dazwischen und habe ihnen gesagt, wie ich es dachte. Ich habe ihnen vor Augen geführt, dass wir doch Brüder seien. Verrat sei für jeden Deutschen eine Schande, und sie sollten sich doch losreißen von ihren Gewerkschaften, die sie doch nur ausnutzen, und sollten uns helfen, wieder frei und einig zu werden. Menschenskinder, seht ihr denn nicht, dass wir so zugrunde gehen?

„Oft wurde ich verhöhnt und verlacht“

Wenn wir uns nicht auf uns selbst besinnen, dann zerfleischen wir uns doch selbst und die anderen freuen sich doch nur darüber, denn dann könnten sie uns regieren wie in Russland und knechten und demütigen. Besinnt euch, jetzt seid ihr noch frei, aber es kann bald zu spät sein. Oft gaben sie mir recht, oft wurde ich verhöhnt und verlacht. Dumme Margell lässt sich auch von den Nazis dammlich machen. Aber das konnte mich nicht stören. Immer wieder versuchte ich, wenn ich irgendwohin ging, ob in ein Bauernhaus oder in die kleinste Hütte, wo die Leute Zentrum oder Kommunisten oder sonst wer weiß was waren, ihnen klarzumachen, was unser Führer will und dass er es doch nur gutmeine.

Unser Führer, wer kannte ihn in Ostpreußen? Nur wenige, ich noch nicht, als ich für seine Idee eintrat und für sie kämpfte. Ich fühlte nur, nur Adolf Hitler kann uns wieder freimachen, nur er kann Deutschland und sein ganzes Volk wieder vereinigen und starkmachen. Und dann war der große Tag da, dass ich den Führer sehen durfte, unseren Adolf Hitler. Überall wurde verkündet: Adolf Hitler kommt nach Ostpreußen. Er wird zu uns sprechen. Für diese große, mächtige Propagandarede waren die Komnick-Werke in Elbing ausersehen. Ein unübersehbares Menschenmeer wogte hin und her. Stundenlang warteten wir auf die Ankunft des Führers und doch haben ihn viele wegen der großen Fülle nicht sehen können.

Ich habe ihn gesehen. Er ist an mir vorbeigegangen. Still und ernst war sein Gesichtsausdruck, aber ein leuchtendes Feuer brannte in seinen Augen. Voll und mächtig erscholl seine Stimme vom Podium durch das große Gebäude. Klar und deutlich legte er uns seine Gedanken und seine noch zu vollbringenden Taten auseinander. Es musste und es hat wohl auch jeder verstanden, was er sagte. Niemand wagte, seine Rede zu unterbrechen. Und ich glaube, er hat an dem Tage viele hunderte Kameraden besiegt, die ihm später treu zur Seite gestanden haben.

Oft habe ich, wenn ich einmal glaubte, müde zu sein, seine Augen vor mir gesehen, die mir unbeirrbar meinen Weg wiesen, den Weg, den mir mein Führer vorschrieb und mit dem ich verwachsen war.

„Sogar ein kleines Schweinchen haben wir einmal erhalten“

Heute ist Donnerstagnachmittag, ich erhalte von dem Kreisleiter der NSDAP des Kreises Stuhm den Auftrag, Spenden zu sammeln für den am Sonntag stattfindenden Deutschen Tag in irgendeinem kleinen Ort der Umgebung. Eigene Mittel haben wir nicht genügend, da müssen uns eben unsere Volksgenossen helfen. Unsere Kameraden wollen nach dem oft schweren und langen Propagandamarsch verpflegt werden. Ich setze mich aufs Rad und schon geht es los, von Ort zu Ort, von Gehöft zu Gehöft. Fast überall erhalte ich etwas, die Leute sind zum Teil etwas freundlicher geworden, denn sie kennen mich jetzt schon von den Opferringsammlungen. Lebensmittel und auch Geld wird gern entgegengenommen. Das Geld nehme ich gleich mit, und die Lebensmittel schreibe ich auf, denn ich kann sie nicht alle tragen, die vielen kleinen und großen Gaben. Diese werden dann von den Leuten selbst zu einer Sammelstelle gebracht, wo sie dann nur abzuholen sind. Sogar ein kleines Schweinchen haben wir einmal erhalten. Das nahmen wir aber gleich mit. Eine Kiste war bald gezimmert und wurde hinten aufs Rad gebunden. Das war eine Freude!

Immer mehr und mehr sahen die Leute ein, dass wir nur Gutes wollten, und sie begegneten uns freundlicher und kamen auch zu uns in unsere Partei und halfen mit ihren ganzen Kräften schaffen an dem großen Werk, das seiner Vollendung entgegenging.

Unsere Propagandafahrten verliefen oft sehr unruhig. Ohne Kampf ging es selten ab. Auf einer Fahrt nach P. wurden wir unterwegs mit Steinen beworfen, die ersten Wagen fuhren durch, während der letzte hielt, um uns den Rücken zu decken. Alles war vom Wagen herunter und im Nu hatten unsere paar Mann die Straße leer. Keinem war etwas Erhebliches passiert, ein paar Hautabschürfungen, ein paar Glassplitter im Gesicht, das wurde nicht gerechnet. In P. selbst ging es tagsüber recht ruhig her. Nur einzelne Gruppen, die in den Ort gegangen waren, wurden beschimpft und angespeit. Das waren wir ja schon gewöhnt. Erst am Abend kam es zu größeren Reibereien.

Ich sehe mich in den Räumen um, ein Teil unserer Leute ist nicht da. An der Tür werde ich zurückgehalten. Draußen ist Kampf, 5 Nationalsozialisten gegen 20 Kommunisten und Reichsbanner. Einer von den unseren war rausgegangen, da pfeift ihm ein halber Ziegelstein dicht am Kopf vorbei und schon ist er umringt. Er sieht schon den Tod vor Augen, da kommen ihm seine Kameraden zur Hilfe und außer einem anständigen Kinnhaken ist ihm nichts passiert. Unsere Kameraden haben die Bande in die Flucht gejagt, und wir haben nun an diesem Abend Ruhe.

Es gilt aber noch Gäste, die wir haben, aufzuklären und ihnen unsere Ideen auseinanderzulegen. Wir Frauen sorgen in der Zwischenzeit für das leibliche Wohl unserer Gäste und Kameraden, denn wir können nicht wissen, ob sie nicht heute noch ihre ganzen Kräfte einsetzen müssen. Auf der Rückfahrt wird noch verschiedentlich Station gemacht, um Werbeplakate anzubringen und andere Hetzschriften zu entfernen.

Auf meinen Fahrten nach Hause musste ich immer sehr vorsichtig sein, denn der Weg ging durch Schluchten, und nicht selten waren Draht über den Weg gespannt oder Steine hingelegt, damit ich mit meinem Rad zum Sturz kam, aber mir ist selten etwas Erhebliches dabei passiert, obgleich ich mir das Genick hätte brechen können. An unserer Scheune prangten dann immer die Hetzschriften und Propagandablätter unserer Gegner, die über Nacht verschwanden. Ich nahm sie ab und heftete meine mitgebrachten Propagandablätter an. Als das bemerkt wurde, standen sie an einer großen Weide, die sie verdeckte, Wache. Wenn ich merkte, dass ich abgefangen werden sollte, fuhr ich querfeldein nach Hause, wo ich dann schon sehr erwartet wurde, denn meine Eltern wussten doch nie, wo ich war und wann und ob ich überhaupt noch einmal wiederkam.

Wenn ich irgend Zeit hatte, lud ich mir die Nachbarn ein oder ging zu ihnen hin. Wir unterhielten uns dann über Politik. Gewöhnlich musste ich ihnen dann von den letzten Nachrichten erzählen: Es war manchmal sehr schwer, den Leuten unsere Arbeit, unser Schaffen klarzumachen. Und doch freute ich mich, wenn ich sah, wie sie zuhörten und dann nach und nach anfingen, über diesen oder jenen zu fragen. Wenn auch zaghaft und langsam, aber sie trugen doch Früchte, diese Auseinandersetzungen. Groß war dann die Freude, wenn unser kleines Örtchen durch Wahl nachweislich an Nationalsozialisten gewonnen hatte. Wenn auch nicht in der Partei, so doch an der Wahlurne.

„1932 verloren wir zum zweiten Mal unsere Existenz“

In dieser Zeit vergaß ich ganz, dass ich ein Zuhause hatte, dass mein Vater wieder versucht hatte, sich eine Scholle zu gründen. Der Preissturz war da, eine Hypothek fällig, die Banken geschlossen und Geld hatten wir nicht. Staatsgelder wurden uns drei Mal aus nichtigen Gründen verweigert. Wir waren doch Nationalsozialisten, die Hunde müssten allesamt verrecken, wie sich einer so bezeichnend für die Zeit ausdrückte.

1932 verloren wir zum zweiten Mal unsere Existenz. Bar jeder Mittel, zogen wir in die Stadt. Jetzt galt es für mich verdienen, meine Eltern krank, mein Bruder noch klein, aber nichts fand sich. Ich war in meinem erlernten Stenotypistinnen- und Büroberuf nicht eingearbeitet und außerdem Nazi. Ich ging arbeiten. Eine Fabrik nahm mich, wie so viele andere auch, auf in ihre Tretmühle, wo unsere deutschen Mädchen zu ihrem eigentlichen Beruf, den der Hausfrau und Mutter, untauglich gemacht werden. Trotzdem ist es mir gelungen, mit fröhlichem Mut und Kameradschaft und Verstehen ihrer Nöte mich mit ihnen anzufreunden und weiter zu arbeiten an dem Werk, das ich mir vorgenommen hatte, mit allen Kräften zu fördern.

Hier hatte ich ein reiches, aber auch schwieriges Feld, denn die meisten begegneten mir mit Misstrauen. Ich war nicht eine der ihren, nein, wenn ich auch vielleicht ärmer war als sie. Nach und nach gelang es mir, erst mein Werk mit Erfolg gekrönt zu sehen. Sie erzählen weiter, was ich ihnen erzählte und einige versprachen mir auch, mir zu helfen. Leider durfte ich dort nicht lange bleiben. Die Direktion hatte davon Kenntnis erhalten, und ich war eine der ersten auf der Liste, die bei der Entlassung in Frage kamen. Zum Glück gelang es mir noch rechtzeitig, ein anderes Unterkommen zu finden, denn sonst hätten wir, mein Vater war inzwischen zu Verwandten gefahren, um sich zu erholen, verkommen müssen.

Auf dieser Stelle hatte ich einen besonders schweren Stand. Die Verkäufer lachten mich aus, wenn ich von den Ideen unseres Führers erzählte und ihnen klarmachen wollte, dass sie einsehen müssten, dass dieses Regime nicht so bleiben könnte. Es wäre ja direkter Wahnsinn zu glauben, die Regierung würde sich halten und wenn mit Gewalt. Es fruchtete nichts. Sie meinten, ich wäre zu jung, um darüber überhaupt reden zu können. Aber eine Freude hatte ich: Wenn ich so ganz allein war, und keiner merkte es, dann kamen zweie zu mir, die sich gerne mit mir über den Nationalsozialismus unterhielten, und die dann auch mit Ja für unseren Führer Adolf Hitler stimmten.

Schon die vorigen Wahlen, mit Zunahme an Nationalsozialisten, rief in unseren Reihen einen Jubel ohnegleichen hervor. Wie oft stand ich im Regen auf der Straße, um den Lautsprecher bis in die späte Nacht das Wachsen unserer Partei verkünden zu hören, und ein Strom heller Begeisterung war dann in mir, und ich schwor unserem Führer immer wieder aufs Neue, treu zu sein, mit ganzen Kräften mich einzusetzen für das Werk, das so klein begonnen wurde und nun so groß, so unendlich angewachsen war, dass man darüber nur staunen konnte.

„Unsere Arbeit war aber noch nicht zu Ende“

Und endlich war der Tag angebrochen, an dem wir den Sieg errungen hatten, nicht enden wollender Jubel erfüllte Deutschland, und ich stimmte ein in diesen Jubel und dankte unserem Herrgott, dass er mich da hat erleben lassen und unseren Führer bis hierher so treulich beschützt hat, und ich bat ihn, auch weiter ein Wächter unseres Führers und Volkes zu sein.

Unsere Arbeit war aber noch nicht zu Ende. Jetzt erst begann sie. Deutschland war einig, aber noch nicht stark genug in sich. Es muss gereinigt und geläutert werden, denn immer wieder tauchen Elemente auf, die dieses große, gewaltige Werk, das so mühsam und doch so fest mit dem Blut vieler unserer Volksgenossen aufgebaut wurde, zu zerstören. Die Aufgabe eines jeden Nationalsozialisten ist es, dieses nach Kräften zu verhindern. Ich habe es mit gelobt, mit meinen Kräften zu wachen, um unserem Vaterland zu dienen, so gut es geht. Sollte ich auch, wie so oft, falsch verstanden werden, ich werde den Mut nicht sinken lassen, um meines Deutschtums willen. Unser Führer Adolf Hitler wird mir stets als leuchtendes Beispiel vor Augen stehen, und er wird mir helfen, ein kleines Glied an einer großen Kette sein zu dürfen.


Diese Sammlung von Berichten des amerikanischen Professors Theodore Fred Abel gilt als die wertvollste Primärquelle zur Frage, warum Menschen zu Nazis wurden, was zu ihrer Radikalisierung beitrug. Wiederkehrende Motive der Biogramme sind angeschlagener Nationalstolz, die Angst vor sozialem Abstieg und der Hass auf Kommunisten.
(Herausgeber: Wieland Giebel, ISBN: 978-3-95723-129-1, 930 Seiten, Hardcover, Preis: 49,95 Euro).

Berlin Story Verlag

Redaktion: Vera Fröhlich; Schlussredaktion: Theresa Bäuerlein; Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherfoto: Wikimedia).

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