Alle wollten so sein wie Zyzz. Dieser junge Australier mit einem Bizeps zum Neidischwerden, einem Sixpack zum Augenrolllen, Oberschenkelmuskeln zum Niederknien. Überhaupt mit einem Körper, wie Bodybuilder sich ihn erträumen – und sehr viele junge Männer.
Wie gut, dass Zyzz selbst mal einer von diesen schmalbrüstigen jungen Männern war, die nicht richtig wissen, wohin mit sich und ihrem Körper. Und der nach eigenen Angaben in der Highschool nie ein Mädchen geküsst hatte. So wurde aus dem schlaksigen Jungen Aziz die Figur Zyzz, ein junger Mann, der fortan nicht nur ein einziger durchtrainierter Traum-Muskel-Body mit gerade einmal acht Prozent Körperfettanteil war. Sondern der auch sehr vielen anderen jungen Männern ein Vorbild und eine Motivationshilfe wurde. Längst ist Zyzz kein nischiges Internetphänomen für Bodybuilding-Fans mehr. Auf Youtube gucken seine Videos bis zu 3,5 Millionen Zuschauer, auf Facebook gibt es zahlreiche Fanpages von ihm. Bis heute handeln ungefähr 300.000 Videos auf Youtube von Zyzz. Offenbar machen sich sehr viele Männer Gedanken um ihren Körper.
Wenn Männer gut aussahen, war das irgendwie egal
Frauen sind es gewohnt, über ihren Körper nachzudenken, über ihn bewertet zu werden – und sich auch selbst entlang ihres Äußeren zu bewerten. Schönheit als Status- und Machtfaktor. Männer hingegen mussten lange Zeit nicht gut aussehen; sie definierten ihren Statuts über ihr Geschlecht, ihren Job, ihren Besitz (so wie in diesem legendären Werbespot der Sparkasse) und oftmals auch über das Aussehen ihrer Partnerinnen. Wenn ein Mann gut aussah, war das zwar schön, aber irgendwie auch egal. Zumindest in der äußerlichen Bewertung. Heterosexuelle Männer waren fast, als hätten sie keinen Körper. Weil er – anders als bei Frauen – kein Status- oder Machtinstrument war.
Mittlerweile ist diese Rollenaufteilung im Wandel, so, wie Rollenbilder von Männern und Frauen insgesamt im Wandel sind. Bei homosexuellen Männern stand der Körper, auch die Betonung des Äußeren, schon immer mehr im Fokus. Doch jetzt wird auch für den heterosexuellen „Durchschnitts-Mann“ das eigene Äußere wichtiger.
Fußballtrainer Jürgen Klopp ließ sich einst Haare transplantieren, dann die Zähne neu machen. Jogi Löw machte Werbung für Shampoo und eine Dusch-Body-Milk von Nivea. Und „Maleblogger“ wie der Amerikaner Adam Gallagher, der mit Mode- und Lifestyle-Tipps 1,9 Millionen Follower versorgt , macht auf Instagram vor, wie man(n) auszusehen hat. Das deutsche Pendant zu Gallagher heißt zum Beispiel Daniel Fox, der ebenfalls über Instagram nicht nur Mode präsentiert, sondern auch Inspiration zum eigenen Fitnessverhalten und zum Reisen verspricht und 1,7 Follower um sich schart. Mit seinen zwei Kumpels Kosta und Sandro betreibt Daniel zusätzlich einen Blog, the modern man, in dem die drei ihr Lebensmotto in einem Satz so zusammenfassen: „…Gents, it’s your time! We would like to take you on a journey … the way of life in the 21st century and it’s based on fashion, fitness and the lifestyle of a modern man“.
„Make-up ist sowas Universelles!“
Sogar Make-up, was nach alten Rollenbildern etwa so sehr auf die Frauenseite gehört wie Kinder und Haushalt, wird heute für Männer salonfähig – und marktrelevant. Der Designer Tom Ford hat im vergangenen Jahr einen Concealer und eine Brauenbürste extra für Männer auf den Markt gebracht. Bei Chanel gibt es mit der Linie „Boy de Chanel“ eine matte Foundation, einen Lippenbalsam und einen Brauenstift im Angebot. Jean-Paul Gautier lancierte bereits 2003 die „Le Male“-Make-up-Linie.
Und auf Youtube erteilen Männer wie Sami Slimani anderen Männern in Schmink-Tutorials Tipps , wie sich zum Beispiel Augenringe wegpinseln lassen. In einem dieser Videos sagt Slimani: „Ich hoffe, dieses Video wird auch ein Zeichen setzen für die Männer da draußen, dass Make-up nichts ist, wovor ihr euch scheuen müsst. Weil Make-up ist sowas Universelles; Männer, Frauen, jeder kann das nutzen. Ihr wisst nicht, wie wichtig so ein Ersteindruck ist!“
Klarer könnte die Botschaft für den Mann, sich um sein Äußeres zu kümmern, wohl nicht sein. Und diese Aufforderung macht auch vor größeren Eingriffen nicht halt: Jede sechste Schönheitsoperation wird mittlerweile an einem Mann durchgeführt. Laut einer Statistik der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie ist der Anteil an männlichen Kunden im Segment Schönheitsoperationen über die vergangenen Jahre zwar kontinuierlich gesunken, stieg aber im vergangenen Jahr von 12,1 auf 17,5 Prozent sprunghaft an. Besonders beliebt bei Männern: die Augenlidkorrektur.
Die Frauen schicken ihren Mann zur Penisvergrößerung
Ebenfalls auf der Wunsch-Liste für Schönheitsoperationen bei den männlichen Kunden: intime Eingriffe. In den vergangenen zehn Jahren hat das Deutsche Zentrum für Urologie und Phalloplastische Chirurgie mehr als 5.000 Penisvergrößerungen durchgeführt. Tendenz steigend. „Das Thema gewinnt für Männer betreffend ästhetischen Operationen immer mehr Wichtigkeit“, sagt der Arzt Christoph Jethon vom Deutschen Zentrum für Urologie und Phalloplastische Chirurgie. „Die Penisvergrößerungs-Operation hat für Männer nichts mit ästhetischer Chirurgie zu tun, sie folgt keinen Trendbewegungen. Es geht um das Selbstwertgefühl als Mann. Abgesehen von den ‚üblichen‘ Patienten, die es schon immer gab – also solchen, die insbesondere bei sozialer Interaktion mit anderen Männern (Sport, Schwimmbad, Sauna) gleichwertig bestückt sein wollten – hat die Gruppe der Männer, die von ihren Partnerinnen geschickt werden, deutlich zugenommen. Im Zuge der Emanzipation trauen sich immer mehr Frauen, ihre Wünsche vorzubringen.“
Man muss den letzten Satz in Jethons Zitat schon zweimal lesen: Frauen, die ihre Männer sanft dazu auffordern, doch ihren Penis vergrößern zu lassen, weil sie sich mittlerweile trauen, ihre Wünsche und Ansprüche zu formulieren.
Ist das jetzt die Kehrseite der Emanzipation? Gleichberechtigung, wie sie im schlechtesten Fall aussehen kann?
Die Soziologin Paula-Irene Villa, die an der Ludwig-Maximilians-Universität in München zu Geschlechterfragen forscht, würde das so nicht unterschreiben. Sie sieht viel mehr einen generellen Druck zur Optimierung: „Der große übergeordnete Zeitgeist, der für alle und alles gilt, für Kinder, Tiere, Junge, Alte, Frauen, Männer, Essen, Wohnen, ist der: Alles muss maximal optimiert sein. Alles und jede/r ist der kapitalistischen Logik der größtmöglichen Verwertung unterworfen. Das ist die Textur unserer Wahrnehmung.“ Und dieser Logik hat sich eben auch das männliche Äußere unterzuordnen. Warum sollte der Anspruch, immer optimal und perfekt sein zu müssen, auch ausgerechnet dort Halt machen, wo jeglicher Makel direkt ersichtlich ist?
Verschiedene Männlichkeiten
Villa weist aber gleichzeitig darauf hin, dass es noch nie gereicht hat, einfach ein Mann zu sein. „Auch im frühen 20. Jahrhundert musste zum Beispiel die bürgerliche Männlichkeit in der Angrenzung zu anderen Formen sichtbar performt werden“, sagt sie. „Wenn man ein Dandy war, ein femininer, ein proletarischer oder ein schwuler Mann, dann hat man es auch immer schon schwerer gehabt. Was jetzt aber neu ist und zum Thema wird: Mit der Verhandlung von Männlichkeit gibt es einen lustvollen Umgang. Und es gibt heute mehr Sichtbarkeit von verschiedenen Männlichkeiten.“
Der Mann wird mehr und mehr zum „sich selbst gestaltenden Wesen“, so sagt es Villa. Damit einher geht aber nicht nur eine größere Freiheit – sondern auch mehr Unsicherheit. Und eine gesteigerte Notwendigkeit von Orientierung. Wie soll ich mich schminken? Was finden Frauen an Männern gut? Wie sind die Beauty Trends? Worauf muss ich achten? Was ist gerade Mode? Was will mein Gegenüber? Was wird von mir erwartet? Wie kann ich mein Leben gut gestalten? All diese Fragen, die Frauenzeitschriften fast wie heilige Mantras wiederholen, werden jetzt auch für Männer relevant.
Es sind gute Zeiten für Male-Blogger, männliche Schminkexperten – und sogar für Zeitschriftenmacher. Seit 2017 liegt das Life-Style Männermagazin Cord (das zunächst Wolf hieß) am Kiosk, die Verlagsgruppe der Zeit gibt seit 2014 ein eigenes Magazin für den Mann heraus. Auf dem Cover der neuen Hefte sind aber keine muskelbepackten Sunnyboys mehr zu sehen, wie man es von GQ oder Men’s Health kennt. Sondern gesetzte, reife Männer; Christoph Waltz oder Robert de Niro. Also Botschafter einer Generationen älterer, vielleicht bürgerlicher Herren, die zeigen, dass man ruhig auch ohne Sixpack zu seinem Äußeren stehen darf. „Wir erzählen Geschichten von Männern, die den Mut haben, ihr Glück zu suchen“, so der vielsagende Claim des neuen Magazins. Und auch für den jungen Mann, der Orientierung braucht und eine Anleitung zum Coolsein, ist gesorgt: Er kann seit März diesen Jahres JWD lesen, das Magazin von Joko Winterscheidt. Auflage: 200.000 Stück.
Ein unmenschliches Ideal von dem Körper im perfekten Maß
Paula-Irene Villa sagt, dass die Pflege des männlichen Äußeren kein neues Phänomen ist: „Schon Anfang des 20. Jahrhunderts war es für den bürgerlichen Mann extrem wichtig, auf sein Äußeres zu achten und sich so von anderen Männlichkeiten abzugrenzen. Die Insignien der bürgerlichen Männlichkeit waren damals beispielsweise der Zylinder, ein aufrechter Gang, der Stock oder Pomade im Haar.“ Dass die männliche Schönheit aber zum ausdrücklichen Thema geworden ist, in der Mode, in der Industrie, im Alltag, das sei durchaus neu, sagt Villa.
KR-Leser Emil, 30 Jahre alt, ist das auch schon aufgefallen: „Da ich zum zweiten Mal an der Universität studiere, fällt mir dieses Phänomen besonders im Bezug auf die jüngere Generation auf. Mittlerweile sehe ich gefühlt jeden zweiten Studenten mit Sporttasche ins Fitnessstudio laufen, und das sind nicht nur die Sportstudenten! Auch bei YouTube, wo ich gerne mal nach Dokumentation etc. suche, werden mir jedes Mal irgendwelche Fitness-Gurus und Ernährungsexperten eingeblendet oder vorgeschlagen.“
Emils Beobachtungen deuten auf das hin, was gerade „en vogue“ ist: Der durchtrainierte Männerkörper, der nicht zu viele Muskeln haben darf, aber auch nicht zu dünn sein soll. Er soll zu keiner Seite ein Extrem darstellen, sondern genau in der Mitte liegen. Definiert – aber nicht zu sehr. Gesund – aber nicht krankhaft gesund. In den achtziger Jahren war das noch anders. Damals galten Muskelpakete wie Arnold Schwarzenegger als Ideal, in den neunziger Jahren eher der Durchschnittsmann.
Das aktuelle Körperideal (das auch für Frauen gilt) nennt Villa „skulptural“: Der Mensch in perfekten Proportionen, in sich geschlossen, mit glatter Oberfläche und unberührbar. Wie eine Skulptur nach Maß designt. Professorin Villa findet dieses Körperbild „unmenschlich und absurd. Unmenschlich, weil es unserem Körper jegliche Verwundbarkeit und Verletzlichkeit abspricht. Absurd, weil das Lebendige immer einen Eigensinn entwickelt.“
Redaktion: Josa Mania-Schlegel; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacherfoto: unsplash / Jack Finnigan).