Cyrille wächst in Paris auf. „Nicht im Ghetto”, wie er betont. „Ich habe viel Glück gehabt.” Seine alleinerziehende Mutter habe sich besonders bemüht, eine Sozialwohnung in einem besseren Viertel zu bekommen – was ihr auch gelang. „Dafür bin ich sehr dankbar”, sagt Cyrille. „Die Schule war gut. Das hat mir geholfen.” Er studiert später Jura – mit Auslandssemester in Marburg. Dort stellt er fest, dass er um einiges jünger ist als seine deutschen Kommilitonen.
„Es war mein fünftes Semester, und ich war 20. Vielleicht waren die Deutschen ein bisschen reifer als wir Franzosen. Viele hatten schon was Soziales wie Zivildienst gemacht. Ich habe Menschen getroffen, die schon ein Jahr in Ghana waren. Sowas haben wir gar nicht gemacht.” Er habe direkt nach dem Abitur, mit 18, angefangen zu studieren. „Weil in Frankreich die Kultur des Studiums so wichtig ist.”
„Ich wollte unbedingt mein Diplom bekommen, damit meine Familie stolz auf mich ist. Was soll ich sagen: Da bin ich Franzose.”
Doch die gute Ausbildung bringt nicht nur Positives mit sich. „Ich wurde manchmal Bounty genannt.” Eine abwertende Bezeichnung, die Schwarze für Schwarze verwenden. „Jeder schwarze Mensch in Frankreich kennt den Begriff Bounty – das bedeutet, du bist außen schwarz, aber innen weiß.”
„Ich kann definitiv sagen, dass ich nicht weiß bin, aber was richtig ist: Ich habe eine hohe Anpassungsfähigkeit.”
Er könne mit studierten Menschen über Politik diskutieren, beherrsche aber auch die Sprache der Straße.
Trotz seiner Identifikation mit Frankreich ist Cyrille seine afrikanische Herkunft sehr wichtig. „Ich interessiere mich sehr für meine Wurzeln und kenne mich gut aus. Ich lese, ich bin stolz darauf – und bringe alles meinen Kindern bei.” Denn ihn selbst hat die erste Reise in das Heimatland seiner Eltern stark geprägt.
„Ich war sieben Jahre alt und habe all diese dunklen, schwarzen Menschen gesehen – das traditionelle Schwarzafrika ohne Christentum. Was ich da erlebt habe, das war der Wahnsinn.”
Seitdem reist er regelmäßig nach Kamerun, wobei er sich weniger mit dem Nationstaat identifiziert – der von der Kolonialmacht Frankreich künstlich geschaffen wurde –, sondern mit dem Stamm seiner Vorfahren.
„Ich sage immer: Eigentlich stamme ich nicht aus Kamerun, sondern aus dem Volk Bamiléké.”
Rassistische Anfeindungen habe er in Frankreich selbst nie erlebt – mit einer einzigen Ausnahme. Als er 14 Jahre alt war, wollte ihm ein älterer Mann in der Pariser U-Bahn einen Sitzplatz verweigern.
„Du fühlst dich normal, bis so eine Situation passiert. Dann denkst du: Ich habe schon bemerkt, dass ich anders bin, aber ich wusste nicht, dass es ein Problem ist.”
Trotz dieser prägenden Erfahrung hat er sich einen positiven Blick auf die Menschen und das Leben bewahrt. „Wenn ich eine Wohnung nicht bekomme, denke ich nicht sofort, dass meine Hautfarbe schuld ist. Auch wenn das ein Grund sein kann.” Er sei ein Typ, der sich nicht lange mit solchen Fragen aufhalte. „Ich gehe weiter.”
Mittlerweile lebt Cyrille mit seiner brasilianischen Frau und zwei kleinen Söhnen in Berlin – auch weil hier die Start-Up-Szene boomt. Sein Ziel ist es, Unternehmer zu werden.
Der Halbe-Katoffl-Podcast ist eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nicht-deutsche Wurzeln haben. Moderator ist der Berliner Journalist Frank Joung, dessen Eltern aus Korea kommen. Es geht um Themen wie Integration (gähn), Identität (ach ja) und Stereotypisierungen (oha) – aber eben lustig, unterhaltsam und kurzweilig. Anekdoten aus dem Leben statt Theorien aus dem Lehrbuch.
Aufmacherfoto: Frank Joung. Den Text gegengelesen hat Vera Fröhlich.