„Es tat weh, es tat verdammt weh”
Leben und Lieben

„Es tat weh, es tat verdammt weh”

Als Jungs hat uns keiner erklärt, was Sex ist oder Selbstbefriedigung. Was uns dazu einfiel, haben wir einfach ausprobiert – meistens gemeinsam. Meine Geschichte ist Teil des Projekts „Stumbling on Sexuality“ der in Berlin lebenden US-Amerikanerin Shauna Blackmon.

Profilbild von Erinnerungen von Luciano aus Argentinien

Als Kinder hatten wir keine Ahnung davon, was Sex war. In Argentinien spricht niemand mit Kindern darüber, also mussten wir alles selbst herausfinden. Ich hatte immerhin einen Freund, der von seinem älteren Bruder Zugang zu gewissen Informationen bekam. Der hat ihm ein paar Pornos gezeigt.

Als er uns davon berichtete, verstanden wir nicht, was man in diesem Filmen sah. Mein Freund erzählte uns, dass in den Pornos etwas aus dem Penis kam, und wir dachten, dass die Paare sich vielleicht gegenseitig anpinkelten. Er erzählte uns auch, dass Sex unglaublich schmerzhaft sein musste, das könne man an den Gesichtern der Leute sehen. Keiner von uns begriff, warum man so etwas machen wollen sollte, wo es doch so schrecklich schien.

Gleichzeitig fing ich in dieser Zeit an, mich zu weiblichen Körpern hingezogen zu fühlen. Aber ich wusste nicht, warum. Mir fiel nichts ein, was ich mit ihnen hätte anstellen können. Ich sah mir Bilder von Mädchen an, manchmal bekam ich dabei eine Erektion und dachte: „Wow! Was ist da los?”

Wir wollten nicht, dass es schmerzte

Meine Freunde und ich wussten nicht, warum wir uns von Mädchen angezogen fühlten. Aber wir waren uns sicher, dass wir niemanden anpinkeln wollten. Und wir wollten nicht, dass es weh tat.

Alles, was wir über Sex lernten, haben wir Freunde voneinander erfahren. Es gab ein paar ältere Jungs in meiner Nachbarschaft, mit denen wir nach der Schule im Sportverein abhingen. Dort tauschten wir unsere Erfahrungen und Erkenntnisse aus. Wir Jungs machten jeder für sich alle möglichen Experimente. Danach bekam ich Anrufe wie diesen:

Wir nutzten Haushaltszutaten als Gleitmittel.

Oft masturbierten wir auch in der Gruppe, um zu sehen, ob wir dabei alle gleich reagierten. Ich hatte einen Nachbarn, der ein paar Jahre älter als ich war, mit dem ich viel Zeit verbrachte. Gemeinsam entwickelten wir Theorien über Sex und probierten eine ganze Menge Methoden zur Selbstbefriedigung aneinander aus, um zu sehen, ob die für uns beide funktionierten. Was passiert, wenn ich das bei dir mache oder du es bei mir machst?

Wir waren einfach neugierig, wie alles funktioniert

Ich glaube nicht, dass wir dabei wirklich an Sex gedacht haben, sondern dass wir eher neugierig waren, wie unsere Körper funktionierten. Ich fühlte mich nie zu meinem Freund hingezogen, ich dachte: „Yeah, wir sind Kumpels. Ich fasse deinen Schwanz an, mit so was bin ich ganz cool.”

Wir haben auch überlegt, wie das mit einem Mädchen funktionieren würde. Wir sprachen drüber, was Sex sein könnte, aber wir dachten nie an Penetration. Immerhin wusste er, dass es Geschlechtskrankheiten gab, und sagte, mit einem Mädchen würde er nichts anfangen, weil er davon krank werden würde. Was Kondome sind, wussten wir, aber nicht, dass sie vor etwas schützen sollten. Ich dachte, dass sich Sex mit Kondomen wahrscheinlich besser anfühlen würde.

Als Kind machst du viele homoerotische Entdeckungen, wenn du keine Mädchen kennst. Es sei denn, du hast eine Schwester oder eine Nachbarin, die ständig in dein Haus kommt. Aber ich war fast immer nur von Jungen umgeben.

Das Tollste war die Dusche ohne Duschkopf

Nach der Schule gingen meine Freunde und ich fast immer in diesen Sportverein, wo wir zusammen abhängen und darüber reden konnten, was wir über Sex herausgefunden haben. Das Tollste in diesem Sportclub war die Dusche. Es gab keine Duschköpfe, aus der Leitung kam ein einziger starker Wasserstrahl. Wir dachten uns ein Spiel damit aus: Es ging darum, unter dem Strahl zu stehen und das Wasser auf den erigierten Schwanz prasseln zu lassen.

Es tat weh.

Es tat verdammt weh.

Das Spiel ging so, dass der gewann, der das Wasser am längsten aushielt. Ich fand heraus, dass es eine Weile weh tut, aber wenn du es lange genug aushältst, fühlt es sich kurz gut an, und dann schmerzt es wieder wie verrückt. Da baute sich eine Weile etwas auf, und dann ging auf die Erektion weg. Ich denke heute, dass das meine ersten Orgasmen waren.

Ich habe lange gebraucht, um das begreifen. Für uns ging es bei dem Spiel nicht darum, Freude am Schmerz zu haben. Unsere kleinen Orgasmen sahen wir einfach nur als an den Moment, in dem wir es nicht mehr aushalten konnten. Wir dachten, der Schmerz sei schuld daran, dass die Erektion an einem bestimmten Punkt nachließ.

Irgendwann fing ich an, dieses Spiel auch alleine zu spielen, aber ich sah es nicht als Selbstbefriedigung. Es war einfach etwas, das ich mit meinem Schwanz machen konnte und das sich gut anfühlte. Ich war nicht wirklich erregt, deshalb sah ich es nicht als Masturbation. Das lief unbewusst ab.

Obwohl wir Jungs uns immer alles erzählten, was wir ausprobierten, habe ich den anderen nie gesagt, dass es mir wirklich Spaß gemacht hat. Es hat lange gedauert, bis ich herausfand, dass diese Spiele eine Art Masturbation waren.


Für ihr Projekt „Stumbling on Sexuality“ fragte die in Berlin lebende US-Amerikanerin Shauna Blackmon Leute, wie sie mit Sexualität in Berührung gekommen sind und wie sie das geprägt hat. Man kann auch seine eigene Geschichte vorschlagen. Mehr zum Thema hier.

Übersetzung aus dem Englischen und Produktion: Vera Fröhlich; gegengelesen hat Theresa Bäuerlein; Illustrationen: Stumbling on Sexuality; Martin Gommel hat das Aufmacherbild ausgesucht (iStock / baona).