Ich wache morgens auf und nehme mein Handy in die Hand. Mache es dann bewusst nicht an, um mir selbst zu beweisen, dass aufs Handy schauen NICHT das erste ist, was ich morgens mache. Obwohl ich weder Instagram noch Facebook habe, hat dieses Smartphone doch eine Art süchtig machende Wirkung. Und manchmal nervt es einfach.
Aber irgendwann leuchtet dann doch das Apple-Zeichen, und die Whatsapp-Nachrichten vom Vortag trudeln ein. Spiegel Online und New York Times informieren mich über das, was in der Nacht passiert ist. Und schon so früh am Morgen wird mir wieder mal klar, wie erbarmungslos und verquer diese Welt ist. Zwischen Komplimenten für mein Profilbild, Liebestexte von meinem Freund und Verabredungen zu Kaffeetreffs mit Freundinnen bekomme ich die Nachricht, dass ein Mädchen im Eisbach ertrunken ist und ein Laster in eine Menschenmenge gerast ist. Ob jetzt Nizza, Barcelona oder sonst wo, tut nichts zur Sache. Und es tut weh. Ich leg mein Handy weg und stehe auf.
Im Internet versuche ich immer, mir von verschiedenen Quellen Informationen zu einem Thema einzuholen. Über welt.de, sueddeutsche. de, Spiegel und Focus bis hin zum The Guardian und der New York Times. Klar, ich würde gerne noch viel mehr lesen, noch informierter sein, aber das geht manchmal im Strudel des Alltags etwas unter. Trotzdem versuche ich schon, bei dem ganzen Halbwissen, das oft alle zu gewissen Themen durcheinanderschmeißen, einen Überblick zu bewahren und mir eine eigene Meinung zu bilden. Und vor allem nicht immer das erst Beste zu glauben, was vorne auf der Bild-Zeitung draufsteht.
Wichtige, interessante oder inspirierende Artikel drucke ich mir ganz „old school” aus. Ansonsten kopiere ich mir oft Links und speichere sie auf meinem Smartphone, so als eine Art Archiv.
Zeitung aus Papier – das Winter-heiße-Schokoladen-Gefühl
Ich mag aber vor allem das Gefühl von Zeitschriften aus Papier. Das ist so ein Winter-heiße-Schokoladen-Gefühl. Es hat was Gemütliches, was Echtes. Meine Eltern haben die Süddeutsche abonniert, ich lese das SZ-Magazin, wenn ich Zeit habe. Die Themen dort sind breitgefächert und interessant in Artikel verfasst. Von der Gewissensfrage bis hin zur Titelgeschichte, beinhaltet das Magazin Texte, die einen manchmal zum Lachen bringen, aber auch zum Nachdenken anregen oder schocken.
Die Neon haben wir auch im Abo. Die liebe ich von allen Magazinen am meisten, weil die Themen einfach den Nerv unserer Zeit treffen, den Nerv meiner Generation. Bei den meisten Artikeln findet man Teile von sich selbst wieder, und es werden Antworten gegeben, worauf man nicht mal die Frage wusste. Ich hebe viele Ausgaben auf, schneide mir Bilder raus, reiße Artikel raus und lasse mich davon inspirieren. Die Neon befasst sich querbeet mit so ziemlich allen Themen, die uns als junge Erwachsenen irgendwie auf den Nägeln brennen. Sei es Politik, Liebe, Freundschaft, Sex oder Zukunft.
Blogs lese ich ehrlicherweise kein einziges regelmäßig. Wenn ich eine Frage zu einem Thema habe, vegane Kuchenrezepte suche oder wenn ich eine Route für den Roadtrip-Urlaub brauche, dann lande ich mal bei erdbeerlounge.de, mal bei einem veganen Bloggermodel und mal auf dem bulliforum.
Was ich aber liebe, sind Blogs mit kreativen Texten und Fotografien, in denen ich mich richtig verlieren kann, und die mir neue Ideen für eigene Texte oder Projekte geben. Und während ich mich so durchklicke, von Blog zu Blog gelange, stoße ich auf einen Spruch wie „Das Leben ist schön – von einfach hat keiner was gesagt” und merke, dass es so viele Menschen da draußen gibt, die alle anders sind und doch alle gleich. Und das hat was Beruhigendes, was Schönes, was Verbindendes. Nicht wahr?
Buchautoren müssen die Realität vergessen machen
Wenn ich Bücher lese, dann am liebsten Romane. Ich liebe es, wenn etwas so weit weg scheint und gleichzeitig so nah am Leben dran. Bücher, die das Leben in all seinen Facetten zeigen, Autoren, die so schreiben, dass man danach erst mal die Augen schließt und mit der ganzen Realität um einen herum für einen Moment nicht klarkommt.
Ein Buch, dass mich zum Beispiel ziemlich gefesselt hat, war „Briefe der Liebe” von Maria Nurowska. Ein echt sensationelles Buch. Oder auch „Alles Licht, das wir nicht sehen” von Anthony Doerr oder „Mein sanfter Zwilling” von Nino Haratischwili. Das sind Bücher, die einen einsaugen in den Bann ihrer Geschichte. Toll geschrieben, und so starke Figuren, die man teilweise bewundert, teilweise versteht, mit denen man sich manchmal identifizieren kann, die einen sehr berühren. „Ach diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff (siehe Video oben) habe ich auch gerade fertiggelesen und bin begeistert. Ein tolles und so lustiges Buch!
Was mich nervt, ist, dass alle ständig online sein müssen. Ich bin natürlich auch in einer Generation aufgewachsen, in der das ziemlich extrem ist: kein Essen, keine Party, kein Shoppingtrip ohne Snapchat, Facebook oder Instastory. Andauernd hat irgendwer sein Handy in der Hand, und es dominiert oft Gespräche, Treffen, schöne Momente. Wie oft war ich schon in guten Gesprächen und mittendrin wurde unterbrochen, weil ein Foto gemacht werden musste. Das hat dann so lang gedauert, dass man irgendwie den Faden des Gesprächs verloren hat. Oder Nachrichten kommen an und man schaut automatisch drauf. Dann reg ich mich über uns auf und denk mir, wieso wir manchmal so Klischee sein müssen. Und nehme mir vor, mir ab und zu die Omas und Opas dieser Stadt, die mir manchmal in der Tram gegenübersitzen und aus dem Fenster schauen, einfach einmal mehr zum Vorbild zu nehmen.
Das zweite, was nervt, ist der Selbstdarstellungsdrang, das Suchen nach Aufmerksamkeit und Bestätigung. Alles muss immer höher, schneller, dünner, weiter sein. Wessen Leben ist cooler, welcher Freund heißer, welche Beine dünner. Das macht einen fertig. Ich kenne viele, die wachen nachts auf und checken ihre Likes. Und egal, wer was sagt – es macht einen krank. Man ist ständig unter Druck, wenn man zu wenige Likes hat, löscht man das Bild. Und die Konsequenzen sind gravierend. Schon zehnjährige Kinder wollen abnehmen, wollen die Schönsten sein, wollen der Welt zeigen, dass sie Teil von etwas sind. Durch so etwas Banales wie Likes wird gezeigt, dass man beliebt ist, dass man dazugehört.
Alle haben Angst, aus dem Raster zu fallen
Alle Kinder, Jugendliche, die dabei noch mehr an Rand gedrängt werden, die so etwas vielleicht nicht posten können oder posten möchten, bleiben auf der Strecke. Fühlen sich allein, sind ausgegrenzt aus dieser verrückten, glitzernden Scheinwelt. Cybermobbing gehört zu den schlimmsten Arten von Mobbing, und es gibt Dinge (zum Beispiel die „Blue Whale Challenge”), die vielleicht sogar Menschen das Leben kosten.
Und alle haben Angst, aus dem Raster zu fallen. Nicht mehr gut oder schön oder interessant genug zu sein. Weil diese Welt knallhart ist. Und es gut sein kann, dass man früher oder später aus dem Raster fällt. Man wird auf das reduziert, was man vorgibt zu sein. Was man auf den ersten Blick, durch viele Filter hindurch zu sein scheint. Dabei sind wir doch so viel mehr. Oder nicht?
Und klar, ich selber bin auch Teil davon, aber ich habe bewusst keinen von diesen Social-Media-Kanälen. Obwohl es mir natürlich auch gefallen würde, mehr und mehr Likes zu bekommen. Bestätigung, egal in welcher Art und Weise, tut eben gut. Sie treibt Schreib-, Schauspiel- oder Modelkarierren an, aber dann denke ich mir: Es ist nicht real. Es setzt falsche Werte. Es ist verdammt „creepy” und es nimmt dein Leben ziemlich ein. Natürlich verurteile ich niemanden, der ein Instagram-Account hat. Es ist völlig okay (und ich sage nicht, dass ich mir aus Prinzip niemals eins zulegen würde). Ich denke nur, wir sollten etwas bewusster damit umgehen.
Beim Essen herrscht Handy-Verbot
Andererseits ist es natürlich auch großartig, wie schnell man sich durch das Internet informieren kann, und es fasziniert mich jedes Mal aufs Neue. Google zeigt mir in Sekunden alles, was ich wissen will, wofür unsere Eltern noch zwei Stunden in der Bibliothek verbracht haben. Wir nehmen automatisch am Leben anderer, am Geschehen der ganzen Welt teil. Und das ist gut. Manchmal aber auch erschreckend und viel.
Deshalb habe ich mir ganz klare Regeln auferlegt: Mein Freund und ich haben ein Handy-Verbot vereinbart, wenn wir essen gehen. Wenn ich mit Freundinnen unterwegs bin: Handy lautlos und maximal ein Snapchat-Bild (macht wirklich auch Spaß manchmal, ich geb’s ja zu). Und zu Hause läuft der Fernseher nur, wenn wir als Familie gemeinsam einen Film schauen. Bisschen altmodisch, aber schön.
Denn dieses sogenannte echte Leben hat so viel mehr zu bieten. Es gibt echtes Lachen, echte Berührungen. Es gibt echte Menschen, die für dich da sind, auch wenn alle Filter weg sind. Es gibt echte Nächte, die langsam in Morgengrauen übergehen, und echte Momente, die man erlebt an echten Orten mit echter Musik. Und auch, wenn es ohne Filter manchmal etwas grau zu sein scheint. Nicht so voller Glitzer oder mit Konfetti überall. Wir wissen ja: „Das Leben ist schön – von einfach hat keiner was gesagt.” Und wir können uns unser eigenes Konfetti machen. Unser echtes Konfetti.
Lara Strauß ist 18 Jahre alt und beginnt im Oktober ein Lehramtsstudium (Englisch und Schulpsychologie) an der Münchner LMU (Ludwig-Maximilians-Universität). Sie nimmt an Poetry Slams teil und ist Absolventin der Schüler-Schreibwerkstatt des Literaturhauses München. Nebenbei schreibt sie eigene Kurzgeschichten und sitzt gerade an einem größeren Projekt.
In der von Christoph Koch betreuten Kolumne Medienmenü stellen regelmäßig interessante Persönlichkeiten die Medien vor, die ihr Leben prägen. Ihr könnt per Mail an christoph@krautreporter.de vorschlagen, wen er porträtieren soll.
Illustration: Veronika Neubauer, Foto: privat.