Ängste können sich durch Beklemmungen, Rastlosigkeit, Konzentrationsprobleme bei der Arbeit oder in der Schule, Ein- und Durchschlafprobleme oder auch erhöhte Reizbarkeit zeigen. Betroffenen fällt es schwer, sich im sozialen Umfeld anderen gegenüber zu äußern. Sie fühlen sich fortlaufend beurteilt oder zeigen Symptome wie Stottern, Schweißausbrüche, Erröten oder Magenbeschwerden.
Aus heiterem Himmel können Panikattacken auftreten: Plötzliche Angstschübe geben dir das Gefühl, du stündest kurz vor einem Herzinfarkt, würdest verrückt oder verlörst die Kontrolle. Oft ist das Gefühl aber auch ständig präsent, etwa bei generalisierten Angststörungen. Dann leidest du unter diffusen und allumfassenden Sorgen und befürchtest für die Zukunft nur das Schlimmste.
Die meisten Menschen haben ab und an solche Gefühle. Wenn aber die Ängste dein Leben, deinen Schlaf, deine Beziehungsfähigkeit oder deine Leistungskraft bei der Arbeit oder in der Schule erheblich beeinträchtigen, dann leidest du womöglich unter einer Angststörung. Forschungen haben gezeigt, dass unbehandelte Ängste zu Depressionen führen können und häufig Ursache für frühzeitige Todesfälle und Selbsttötungen sind.
Doch trotz dieser schwerwiegenden Konsequenzen für die Gesundheit zeigen die zur Behandlung von Ängsten verschriebenen Medikamente häufig keine langfristige Wirkung. Allzu oft kehren die Symptome zurück, und dann stehst du wieder am Anfang.
Die Art und Weise, wie du Probleme im Leben angehst und meisterst, hat direkten Einfluss darauf, wie stark du Ängste erlebst. Folglich kannst du dein Angstniveau senken, indem du deine Bewältigungsstrategien überdenkst. Nachfolgend lernst du einige Ansätze kennen, die sich bei unserer Studie an der Universität Cambridge, die beim 30. Europäischen Neuropsychopharmakologie-Kongress im September in Paris vorgestellt werden wird, und bei weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen als Erfolg versprechend herauskristallisiert haben.
Mach‘s zur Not schlecht, aber mach‘s gleich
Hast du das Gefühl, dein Leben ist außer Kontrolle geraten? Findest du es schwierig, Entscheidungen zu treffen oder Vorhaben in die Tat umzusetzen? Eine Möglichkeit, die Unentschlossenheit zu überwinden oder neue Projekte überhaupt anzugehen, besteht darin, sie einfach nur oberflächlich zu erledigen.
Das mag zunächst seltsam klingen, doch bereits der englische Schriftsteller und Dichter G. K. Chesterton meinte: „Was immer es wert ist, getan zu werden, kann gewiss auch schlecht getan werden.“ Und da ist was dran. Diese Strategie funktioniert deswegen so gut, weil sie die Entscheidungsfindung beschleunigt und dich dazu bringt, Dinge sofort in die Tat umzusetzen. Andernfalls nämlich würdest du Stunden über Stunden darüber brüten, wie du etwas tun sollst oder was du überhaupt tun sollst. Das kostet Zeit und Nerven.
Viele Menschen möchten etwas „perfekt“ machen oder warten auf den „richtigen“ Zeitpunkt, um loszulegen. Die Folge: Sie verschieben die Dinge immer weiter, alles verzögert sich, und am Ende fangen sie womöglich gar nicht erst an. Das verursacht Stress – und Angst.
Warum also nicht erst einmal einfach loslegen, ohne sich Gedanken darüber zu machen, dass das Ergebnis möglicherweise nicht perfekt sein könnte? So fällt dir der Anfang nicht nur viel leichter, sondern du wirst auch feststellen, dass du deine Aufgaben sehr viel schneller erledigst als vorher. Meistens wirst du zudem am Ende erkennen, dass du deine Aufgabe gar nicht so schlecht bewältigt hast. Und falls das Resultat doch nicht zufriedenstellend sein sollte, kannst du ihm zu einem späteren Zeitpunkt immer noch den letzten Schliff geben.
Das Motto „Mach‘s zur Not schlecht, aber mach‘s gleich“ gibt dir den Mut, neue Dinge auszuprobieren, bereichert deinen Alltag und sorgt dafür, dass du dir nicht mehr allzu viele Gedanken um das Resultat machst. Es geht darum, Dinge zu tun – optimieren kannst du sie später immer noch. Letztendlich ist das eine Befreiung.
Vergib dir selbst die Fehler, die du machst
Bist du dir selbst gegenüber besonders kritisch? Hasst du dich sogar für deine Fehler? Dann stell dir mal vor, du hättest einen Freund, der dir fortwährend aufzählt, was bei dir und in deinem Leben alles falsch läuft. Den würdest du wahrscheinlich so schnell wie möglich loswerden wollen.
Aber Menschen, die unter Ängsten leiden, tun sich genau das so oft selbst an, dass sie es überhaupt nicht mehr merken. Sie sind einfach nicht freundlich zu sich selbst.
Vielleicht wird es deswegen langsam Zeit, etwas zu ändern. Von nun an sollten wir uns die Fehler vergeben, die wir machen. Wenn du das Gefühl hast, dass du dich in einer Situation blamiert hast – kritisiere dich nicht dafür! Mach dir klar, dass du diesen Impuls hast, dir selbst die Schuld zu geben. Dann lass den negativen Gedanken fallen, und wende deine volle Aufmerksamkeit wieder dem zu, was du gerade getan hast oder tun wolltest.
Verschieb deine Sorgen auf später
Eine weitere, sehr wirksame Strategie besteht darin, die Sorgen zu verschieben. Falls irgendetwas nicht geklappt hat und du den Drang verspürst, dich beunruhigen zu müssen (weil du glaubst, es mal wieder vermasselt zu haben), dann tust du das nicht sofort. Verschieb es stattdessen auf später. Am besten planst du jeden Tag zehn Minuten ein, in denen du dir über alles Mögliche Sorgen machen kannst.
Wenn du das tust, wenn du dich erst später mit dem Problem befasst, wirst du feststellen: Die Situation, die den Angstzustand auslöste, hat viel von ihrem beunruhigenden und quälenden Charakter verloren. Außerdem verschwinden schlechte Gedanken sehr schnell, wenn wir gar nicht erst allzu viel Energie in sie investieren.
Sei dir bewusst, dass andere dich brauchen
Du solltest vielleicht auch mal überlegen, wie oft am Tag du an jemand anderen denkst. Falls das selten oder gar nicht der Fall ist, besteht bei dir ein hohes Risiko einer psychischen Erkrankung. Egal, wie viel wir arbeiten oder wie viel Geld wir verdienen: Erst, wenn uns bewusst wird, dass andere uns brauchen und auf unsere Produktivität oder Liebe angewiesen sind, können wir wirklich glücklich werden.
Das soll nicht heißen, dass wir die Anerkennung anderer zwingend brauchen. Aber wenn wir bei dem, was wir tun, an sie denken, nehmen wir uns selbst (mit unseren Ängsten und Sorgen) aus dem Blickfeld und rücken andere in den Mittelpunkt. Und wir erkennen, warum wir für sie wichtig sind.
Die Verbindung zu anderen Menschen erweist sich regelmäßig als eines der wirksamsten Mittel gegen psychische Krankheiten. Der Neurologe Viktor Frankl schrieb:
Wenn du meinst, du hättest vom Leben nichts mehr zu erwarten, dann lass dir sagen: Das Leben erwartet etwas von dir.
Viktor Frankl
Die Gewissheit, dass ein anderer Mensch uns braucht, macht es einfacher, auch die schwierigsten Zeiten durchzustehen. Dann erkennst du das Wesen deiner Existenz und wirst in der Lage sein, auch die schlimmsten Umstände zu bewältigen.
Und wie können wir im Leben eines anderen Menschen Bedeutung erlangen? Eigentlich ist es ganz einfach: Sorge für dein Kind oder deine Eltern, leiste gemeinnützige Arbeit, oder mach jetzt Dinge, von denen vielleicht erst künftige Generationen profitieren werden. Möglicherweise werden diese Menschen nie wissen, was du für sie getan hast. Aber das spielt keine Rolle – denn du weißt es. Und genau daran erkennst du die Einzigartigkeit und Bedeutung deines Lebens.
Olivia Remes ist Doktorandin an der Universität Cambridge. Ihren Artikel veröffentlichte in Englisch The Conversation. Hier könnt Ihr den Originalartikel lesen. Übersetzt hat ihn Christian Alkemper. Gegengelesen hat Thomas Kaiser. Das Aufmacherbild hat Martin Gommel ausgesucht (istock / mayo5); Audio: Iris Hochberger