Beim Haustauschen lernen wir, was wirklich wichtig ist

© Christoph Koch

Leben und Lieben

Beim Haustauschen lernen wir, was wirklich wichtig ist

Wir haben eine Wohnung in Berlin und hatten eine in Frankreich, Australien und Mexiko. Wir sind nicht reich. Aber wir tauschen unsere Wohnung ein, um für eine gewisse Zeit mal ganz woanders zu leben. In vier Folgen erzählen wir von unseren Haustausch-Abenteuern. Die erste Lektion: Nichts ist unersetzbar.

Profilbild von Von Jessica Braun und Christoph Koch

Schon seit mehreren Jahren sind wir als Haustauscher Teil dieser weltoffenen Community. Fremden die eigene Wohnung zum Tausch anzubieten, ist eine großzügige Einladung, der wir schon einige Male gefolgt sind. Für uns funktioniert das Tauschen gut: Wir sind beide gesund und mit Anfang vierzig in einem Alter, in dem das Reisen noch keine Strapaze ist, sondern Spaß. Als freie Journalisten können wir von überall arbeiten, wo es Strom und WLAN gibt. Wir haben keine Kinder und können uns für so ziemlich jede Ecke der Welt begeistern.

Abreisevorbereitungen – Jessica, Berlin, Frühling 2014

Unsere Wohnung ist ein schwarzes Loch. Ein astronomisches Monster, das beständig Staub und Materie anzieht. Auf meinem Schreibtisch: babylonische Zetteltürme. Das Bücherregal: voll besetzt – und das nicht nur in der ersten Reihe, sondern auch auf den Plätzen dahinter. In der Küche drängen sich Pfeffer-, Zimt-, Kümmel- und Kurkumatütchen dicht aneinander. Wächst auf den Gewürzinseln überhaupt noch irgendwas? Auch in den Vorratsschrank passt keine Linse mehr. Ich schließe ihn behutsam, bevor er explodiert. 

Weiter ins Badezimmer. Mit den angebrochenen Shampooflaschen könnten wir sämtlichen Woodstock-Besuchern Haare und Bärte waschen. In einer Woche stehen Ella, ihr Mann und die zwei Jungs auf der Matte. Sicher möchten sie ihre Koffer auspacken und ihre Sachen irgendwo hinräumen. Wir müssen Platz schaffen! Seit unserem ersten Tausch mit den Kopenhagenern ist die Aufräumaktion vor der Abreise Tradition. Andere Familien machen Frühjahrsputz. Wir misten aus – und das mehrmals pro Jahr. 

Einfach ist das nicht. Beim ersten Mal sortierten wir kistenweise Bücher, DVDs und CDs aus, um sie bei Onlinehändlern zu verkaufen, standen mit unseren Handys vor den Regalen, scannten Barcodes und verglichen Ankaufspreise. Stück für Stück verschwand in den Versandkisten: meine Star-Trek-DVD-Boxen, der drei Kilo schwere Begleitband zu Billy Wilders „Some Like It Hot“, auch meine signierten „World-of-Warcraft“-Spielkarten landeten in der Kiste. 

Aus dem dramatischen Abschied wird ein schlichtes Ausmisten

Für die Unterschriften der Entwickler hatte ich auf der Messe BlizzCon im kalifornischen Anaheim eine Stunde in der Schlange gestanden! Meine Finger waren grau vom Staub. Meine Seele leer. „Deine Smiths-CDs kannst du auch einpacken. Wir haben alle zweimal“, vermeldete Christoph aus dem Wohnzimmer. Mit einem Aufheulen feuerte ich die Tür zu. Doch ich gewöhnte mich daran, Sachen gehen zu lassen. Unsere Wohnung wurde leerer. Oder etwas weniger voll. Ich fühlte mich leichter. 

Zur Belohnung kam durch die Verkäufe ein bisschen Geld in die Reisekasse. Mittlerweile ist das Ausmisten kein dramatisches Abschiednehmen mehr. In der Woche vor unserer Abreise reserviert jeder von uns pro Tag eine Stunde für eine Ecke, die ordentlicher werden soll. Das genügt. Auch, weil wir weniger anschaffen. Ja, die Vase vom Flohmarkt würde toll zur Wohnzimmerlampe passen – aber sie nimmt auch Platz weg. Staubt ein. „Stehimwegs“ hat eine Freundin solche Dinge mal genannt. 

Eine Sache haben wir aber doch angeschafft: die Schlafcouch. Auf Wunsch der Kalifornier. Bis dahin hatten wir immer eine Matratze aus dem Keller geholt, wenn Freunde oder mehr als zwei Haustauscher bei uns übernachteten. Karen und Richard wollten jedoch ihre erwachsenen Töchter mitbringen: „Könntet ihr bitte ein richtiges Bett aufstellen? Wir überlassen euch dafür auch gerne drei Monate lang unser Auto.“ Ein verlockendes Angebot. Und für Langzeitgäste war die Matratze wohl wirklich keine gute Lösung. Also suchten wir, bis wir eine schicke bequeme Klappcouch gefunden hatten. Dafür flog das alte Ledersofa in meinem Arbeitszimmer raus.

Auch wenn das Aufräumen nicht mehr so viel Zeit einnimmt, die To-do-Liste vor der Abreise wird nicht kürzer. Für jede Sache, die erledigt ist (Fahrräder aufpumpen, falls unsere Tauschpartner eine Radtour machen wollen), kommt eine neue (Garderobe frei räumen, Duschvorhang waschen) hinzu. Als Teenager fand ich es absurd, wenn meine Mutter vor dem Urlaub anfing, die Fenster zu wienern oder den Kühlschrank zu säubern. Seit wir Gäste haben, während wir weg sind, feudele ich vor deren Ankunft mit dem Schrubber über den Balkon, während Christoph den Kleiderschrank entstaubt. 

Die Tauschpartner vor Wollmausangriffen schützen

Klingt bekloppt? Ist es vielleicht auch. Aber manche Putzarbeiten würden irgendwann sowieso anfallen – so konzentrieren sie sich eben auf die Woche vor unserer Abreise. Und wir möchten nicht in einer Wohnung sitzen, die so aufgeräumt ist wie eine Raumstation, während unsere Tauschpartner in Berlin Wollmausangriffe abwehren müssen und sich von unseren Sachen erdrückt fühlen. Außerdem haben wir am Ende ja auch was davon: Ist doch schön, wenn man in eine ordentliche Wohnung zurückkommt. Dieser Satz hätte jetzt eins zu eins auch von meiner Mutter stammen können. 

Wie viele Schubladen oder Schrankfächer wir für die Gäste freimachen, hängt davon ab, wie lange wir tauschen. Im Schlafzimmer steht ein Kleiderständer mit genügend Kleiderbügeln, um Garderobe für mindestens zwei Wochen aufzuhängen. Zusätzlich räumen wir noch ein paar Kommodenschubladen leer. Den Kaliforniern Karen und Richard, die drei Monate zu Besuch waren, überließen wir die Hälfte unseres Kleiderschranks. Unsere Sachen verstauten wir so lange im Keller. 

Den Kühlschrank essen wir leer. Abgesehen von unkaputtbaren Lebensmitteln wie Senf oder Marmelade wird alles verkocht, was wir angebrochen haben. Christophs liebevoll gehegter Sauerteigansatz, der im Glas vor sich hin blubbert, bekommt einen Aufkleber: „Sourdough.“ Mit zunehmendem Alter entwickeln Wohnungen Macken. „Achtung, Tür hängt sich aus“, stand in Barcelona auf einem Post-it am Küchenschrank. In Mexiko lag eine mehrseitige Anleitung neben dem Wasserboiler. Zum Glück wohnte Oma Paula mit im Haus. Sie bändigte den muckenden Boiler schneller, als wir das je gekonnt hätten. 

Auch wir kleben Zettel an alles, was sich vor der Abreise nicht reparieren lässt oder einer besonderen Erklärung bedarf. Ausnahme: mein dänisches Sideboard aus den 50er Jahren. Die Schiebetüren gehen nur auf, wenn man die linke Tür etwas anhebt. Da es unser einziger Schrank mit Schlüssel ist, räume ich mein Tablet hinein und schließe ab. „Was macht ihr eigentlich mit euren Wertsachen?“, ist eine Frage, die fast jeder stellt, dem wir vom Home Swapping erzählen. Vor unserem ersten Tausch haben wir uns das auch gefragt. Und festgestellt: Wir haben keine. Weder Picasso-Lithografien noch Tiffany-Colliers. Das Teuerste in unserer Wohnung sind unsere Computer.

Natürlich wäre es ärgerlich, wenn die kaputtgingen. Aber sie sind nicht unersetzbar. 


256 Seiten / 16.00 Euro

256 Seiten / 16.00 Euro Piper Verlag

Dies ist der erste von vier Ausschnitten aus dem gerade erschienenen Buch “Your Home Is My Castle - Als Wohnungstauscher um die Welt” (Malik/Piper). In dem Buch berichten Jessica Braun und Christoph Koch von ihren Erlebnissen in fremden Wohnungen und geben Tipps, wie man selbst als Haustauscher ohne Hotelkosten durch die Welt reisen kann. Mehr Infos zum Buch gibt es unter haustauschbuch.de

Das Titelbild hat Christoph Koch aufgenommen.