Eine meiner Hauptinformationsquellen diese Tage ist die App Nuzzel. Nuzzel aggregiert Links zu Artikeln, die Leute teilen, denen ich auf Twitter folge oder mit denen ich auf Facebook befreundet bin. Das heißt, Nuzzel zeigt mir, was bei denen, deren Meinung ich schätze, gerade wichtig und populär ist.
Das funktioniert hervorragend. Nuzzel extrahiert auf diese Weise einen der Hauptgründe, warum man Twitter benutzen sollte (auf interessante Sachen zeitnah hingewiesen werden), ohne den damit verbundenen Zeitverlust des ständigen Durchstöberns der Timeline mitzubringen. Auf Nuzzel kann ich mir die populärsten Artikel der letzten 24 Stunden, 8 Stunden oder 4 Stunden anzeigen lassen, bis hinunter zur letzten Stunde. Ich kann auch Tage auswählen, um mir die zugehörigen Artikel und auf sie verweisende Tweets anzeigen zu lassen.
Nuzzel erlaubt seit einiger Zeit auch, die Nuzzel-Ergebnisse von anderen zu „abonnieren“. Das heißt, ich kann so zum Beispiel sehen, welche Artikel andere Twitter-Nutzer über Nuzzel aggregiert bekommen. Ich habe unter anderem den Nuzzel-Feed des Risikokapitalgebers Marc Andreessen abonniert (den Älteren bekannt als Gründer von Netscape in den Neunzigern). Andreessen folgt sehr vielen Journalisten, VCs, Analysten, Ökonomen auf Twitter. Seit Trump US-Präsident ist, ist Andreessens Nuzzelfeed der mit großem Abstand beste (und effizienteste) Weg für mich geworden, um über den Irrsinn in den USA auf dem Laufenden zu bleiben. Dort werden alle investigativen Artikel in der Washington Post, der New York Times, Daily Beast, Axios und anderen zuverlässig und schnell hochgespült. Da kann kein deutscher US-Korrespondent mithalten, der manisch die Politik-Ressorts der großen US-Zeitungen für seinen deutschen Arbeitgeber abschreibt.
Nuzzel erlaubt es auch, nach thematischen Nuzzel-Feeds zu suchen und diese zu abonnieren. Jetzt wird es etwas kompliziert, aber Twitter erlaubt das Erstellen von Listen von Twitternutzern. Diese Listen stellen eigene Timelines dar. Viele Leute erstellen Listen zu speziellen Themen, zum Beispiel Kaninchenzucht. Mit Nuzzel kann ich die Kaninchenzucht-Liste wiederum abonnieren und bekomme so wahlweise in der mobilen App oder per E-Mail täglich die populärsten Artikel für Kaninchenzüchter geliefert. Ich habe auf diesem Weg zum Beispiel Europäische Politik, Themen zu E-Commerce und Transportwesen und zu dem Internet der Dinge abonniert.
Das ist die Weiterentwicklung der Zeitungsressorts im Zeitalter der vernetzten Öffentlichkeit. Und Nuzzel ist seit Jahren quasi meine Zeitung und neben meinem Feedreader die mit Abstand wichtigste Informationsquelle für mich.
So wie jeder vernünftige Mensch unter 70 habe ich natürlich kein Papier-Abo. Mein letztes Abo muss sich um 2011 zugetragen haben, als wir uns in unserer Wohnung an Economist-Stapeln vorbeiquetschen mussten.
Ich habe allerdings auch kein Digital-Abo einer großen Publikation. Ich hatte vor anderthalb Jahren probehalber in meinem jugendlichen Leichtsinn ein Digital-Abo des Wall Street Journals abgeschlossen. Kann man ja mal testen, habe ich gedacht. Kann man ja auch schnell wieder kündigen, habe ich gedacht. Es sollte sich herausstellen, dass so ein Abo schnell online abgeschlossen ist, die Kündigung aber ein bisschen anders gelagert ist. Für die muss der Kunde nämlich ganz dringend im Callcenter anrufen. Ohne diesen Anruf darf man das WSJ-Abo leider, leider nicht kündigen. Es war mir eine Lehre, nie wieder ein Abo bei einem großen Medienhaus abzuschließen.
Keinerlei Abos mehr zu haben, ist heutzutage vielleicht nicht mehr besonders überraschend. Aber als ich über meinen Medienkonsum nachgedacht habe, fiel mir auch auf, dass ich keine Nachrichtenseite mehr direkt aufrufe. Abgesehen von Techmeme, einem Aggregator von Technologienachrichten, findet mein Nachrichtenkonsum vollständig über Streams statt. Ich bin also sozusagen eine der vielen Anekdoten hinter den rückläufigen Aufrufen der Startseiten von Medien.
Zurück zu den Abos: Tatsächlich bezahle ich für drei kleine, sehr unterschiedliche Publikationen, die ich dann über RSS oder E-Mail lese.
- The Information hat sich auf investigative Recherchen über die High-Tech-Branche im Silicon Valley (und darüber hinaus) spezialisiert.
- Stratechery veröffentlicht tiefgehende Analysen zur Internetwirtschaft.
- Macstories ist eine Publikation aus Italien, die immer wieder wertvolle Tipps für Apps und Produktivität auf iOS allgemein veröffentlicht. Sehr wertvoll für mich, weil ich 90 Prozent meiner Arbeit auf meinem iPad verrichte.
Keine dieser Publikationen publiziert Nachrichten im klassischen Publikumsmediensinne. Weder ich noch sonst jemand bezahlt eine Publikation für Nachrichten, über die alle anderen Publikationen auch berichten. Egal, wie schön sie aufbereitet sind. Deshalb ist es wichtig, Produkt (welche Inhalte produziere ich?) und Erlösmodell (Bezahlzugang, Patronage, Werbung etc.) aufeinander abzustimmen. Aber ich schweife ab, wir sind hier ja nicht in einem Medien-Business-Seminar.
In meinem Feedreader habe ich über 1.000 RSS-Feeds abonniert. Das ist so seit vielen Jahren. Ein großer Teil dieser Feeds sind kleine Nischenpublikationen, die mich oft besser und detaillierter informieren als die großen Publikumsmedien. In welche Kategorie die eine oder andere Publikation fällt, ist dabei relativ irrelevant. Es ist ein Kontinuum.
Neben Nuzzel setze ich auf Inoreader im täglichen Kampf für Signal und gegen Noise. RSS begleitet mich seit 2005 und hat dafür gesorgt, dass ich oft schneller und besser informiert bin als andere. Es ist recht aufwendig, das einzurichten. Und man muss erst einmal verstehen, was RSS ist und wie man RSS-Feeds in den Feedreader bekommt (und welchen Feedreader man benutzen will). Aber es lohnt sich, diese recht hohe Anfangshürde zu meistern.
Wenn der Feedreader erst einmal leise schnurrend im Hintergrund läuft, fühlt man sich gerade als jemand, der/die mit Informationen arbeitet, gegenüber anderen, als hätte man Superkräfte.
Inoreader selbst hat diverse, sehr nützliche Funktionen für Powernutzer: Neben den klassischen RSS-Feeds von Publikationen kann man dort auch leicht Google-News-Suchen abonnieren und Inhalte von Twitter und Facebook reinlaufen lassen. Alles, was das Infojunkie-Herz begehrt.
Mindestens ebenso wichtig sind die Filter bei Inoreader: Ich kann Themen, die mich nicht interessieren, einfach ausfiltern. Ich kann auch Themen, die mich besonders interessieren, zum Beispiel per Push-Nachricht ans Smartphone schicken lassen oder anderweitig automatisiert verarbeiten. Wie immer: hoher Setup-Aufwand, hoher Nutzen im Alltag.
Früher habe ich viel und gern Romane gelesen. Ich habe in den letzten Jahren allerdings festgestellt, dass Fiktion in geschriebener Form für mich leider nur noch selten funktioniert. Das hat zwei miteinander verwobene Gründe. Zum einen werden die großen Geschichten unserer Zeit in Form von TV-Serien erzählt: The Wire, The Americans, Hannibal, Breaking Bad, The Shield, Legion, The Knick, Orange is the new Black und so weiter. Das stillt meinen eigentlich unstillbar gewägten Durst nach Geschichten mittlerweile ohne Mühe. Dazu kommt Zeitmangel: Arbeit + Kind + obige TV-Serien lassen kaum freien Platz im Zeitbudget.
Ich lese deshalb, wenn ich Bücher lese, in der Regel nur noch Sachbücher.
Gerade habe ich „Connectography“ von Parag Khanna angefangen. Es liest sich recht vielversprechend an, aber wer kann schon nach 40 Seiten über ein Buch urteilen? Letztes Jahr habe ich „The Righteous Mind“ von Jonathan Haidt gelesen. Das war sehr erhellend. Abschließend fühle ich mich bei Bücherempfehlungen immer verpflichtet, darauf hinzuweisen, dass jeder Mensch alles von Yochai Benkler und Kevin Kelly lesen sollte.
Mein Lesekonsum spielt sich zu über 90 Prozent auf meinem Smartphone oder Tablet ab. Zu 9,8 Prozent auf meinem Laptop. Und zu den verbleibenden 0,2 Prozent kopfschüttelnd beim Vorbeigehen an einem der letzten verbliebenen Kioske.
Vieles, was ich digital lese, lese ich in Instapaper, weil ich dort Passagen markieren kann, die ich dann wiederum exportiere. So beginnen die meisten Blogposts, die ich verfasse. Manches lege ich als Lesezeichen auf Pinboard.in ab.
PDFs (Unternehmensunterlagen, akademische Papers) und anderes landen in Devonthink. Devonthink macht es relativ leicht, Abgelegtes wiederzufinden.
Ich höre außerdem viele, sehr viele, zu viele Podcasts. Ich habe dabei immer mal wieder versucht, klassische Radiosendungen als Podcasts zu hören. Aber das funktioniert für mich nicht mehr: keine „Ähs“ und prägnant geschnitten, aber im Vergleich dann doch zu seichte Informationsdichte. Da immer ungehörte, informationsreiche Podcasts auf mich warten, fühlen sich die „professionellen“ Podcasts von Radiomachern wie Zeitverschwendung für mich an.
Podcasts, die ich gerne höre: Lage der Nation, The Talk Show, Exponent, The Critical Path, Recode Media, Reconcilable Differences, Cortex und viele mehr. Man sieht, auch hier dominieren die englischsprachigen Inhalte bei mir. Dank der Podcast-App auf meinem Smartphone verpasse in der Regel keine dieser Sendungen.
Die einzige Nachrichtensendung im Fernsehen, die ich regelmäßig sehe, ist das arte Journal. In meinen Augen die beste deutschsprachige Nachrichtensendung. Ich habe mich vor Jahren angewidert von der Tagesschau abgewandt. Die Redaktion der Tagesschau verschwendet zu viel ihrer knappen Sendezeit mit ihrer fehlgeleiteten Chronistenpflicht. (Jede/r weiß, was Oppositionsführer zu Regierungsaktivitäten in Kameras sagen.) Die Themenauswahl und Themenaufbereitung im arte Journal finde ich sehr viel besser.
Es wäre albern, sich zu einer bestimmten Zeit vor den Fernseher zu setzen, um eine Sendung anzusehen. Deshalb schaue ich das arte Journal natürlich wahlweise über die arte-App auf unserem Fernseher mit Fire TV oder auf meinem iPad.
Wenn es darum geht, was an Medien nervt, verweise ich gerne auf diesen Tweet:
https://twitter.com/thomas_violence/status/887617277838766082
Darüber hinaus meide ich alles aus dem Hause Axel Springer.
Wenn ich meinen Medienkonsum in den letzten Jahren und seine Veränderung beobachte, merke ich: RSS ist zurückgegangen. Nuzzel hat sich in meinen täglichen Medienkonsum reingesetzt und breitgemacht. Das noch recht neue algorithmische Ranking „Falls du es verpasst hast“ bei Twitter finde ich sehr nützlich. Außerdem Podcasts. Die Geschichte der Veränderung des Medienkonsums der letzten Jahre ist eine Geschichte über Podcasts.
Natürlich macht es ein bisschen Arbeit, das alles, worüber ich hier gesprochen habe, aufzusetzen. Aber wer sich diesen Aufwand macht, wird künftig besser und trotzdem im Alltag müheloser informiert sein als jemals zuvor. Es ist in diesen Tagen oft die Rede von „fake news“ und Filterblasen im Netz. Beide Themen sind nicht neu und gibt es in sehr populärer Form auch „offline“ (hust Bild hust). Online haben wir sehr viel mehr Möglichkeiten, um uns persönlich, jede für sich, dem zu widersetzen. Wer das will, kann genau die Werkzeuge einsetzen, die einem persönlich am besten liegen. Die Auswahl ist riesig. Diese Werkzeuge (ob es jetzt Twitter, Facebook, Nuzzel, Flipboard, Podcast-App, Google News, RSS oder etwas anderes ist) muss man dann allerdings bewusst einrichten und pflegen. Alles steht und fällt mit den Signalgebern, die wir in unser Leben hineinlassen.
Das alte Medienbündel ist tot. Wir können uns jetzt unsere eigenen Bündel bauen. Das stellt enormes gesellschaftliches Potenzial dar. Aber um dieses Potenzial zu realisieren, ist etwas Arbeit notwendig.
Marcel Weiß arbeitet seit zehn Jahren als Analyst der Internetwirtschaft. Er ist Senior Strategy Analyst bei Exciting Commerce und schreibt über die Strategien der größten internationalen Onlinehändler auf Early Moves. Er bloggt außerdem auf neunetz.com über Wirtschaft im digitalen Zeitalter und veröffentlicht Podcasts zum Thema auf neunetz.fm.
In der von Christoph Koch betreuten Rubrik Medienmenü stellen regelmäßig interessante Persönlichkeiten die Medien vor, die ihr Leben prägen. Ihr könnt per Mail an christoph@krautreporter.de vorschlagen, wen er porträtieren soll.