Endlich Mathe verstehen!
Leben und Lieben

Endlich Mathe verstehen!

Wer bitte braucht eigentlich Mathematik? Sie muss ja zu etwas gut sein, sonst würden sich nicht so viele kluge Menschen damit beschäftigen. Investiere sechs Minuten und du verstehst, warum du Mathe lernst.

Profilbild von Wissenschaftskolumne von Susan Mücke mit Achim Königs

Neulich fuhr ich aus den Ferien zurück und tuckerte mit meinem alten kleinen Auto die Autobahn mit etwa 100 Stundenkilometer entlang. Weil meine Freunde gleichzeitig mit ihrem schnelleren Auto losgefahren waren, dachte ich darüber nach, wie viel früher sie wohl zu Hause sein würden. Ich hatte ehrlich gesagt Probleme, das genaue Ergebnis auszurechnen, entschied aber aus dem Bauch heraus, dass die Zeitersparnis wohl nicht riesengroß sein kann. Wenige Minuten vielleicht. Damit lag ich ziemlich daneben. Denn in Wahrheit sind es 24 Minuten! Hättest Du gewusst, wie man das berechnet?

Falls nicht, mach Dir erst einmal keine Sorgen. Eine Umfrage ergab vor einiger Zeit, dass drei Viertel der Deutschen an einer Aufgabe wie dieser scheitern. Beruhigend für mich, aber gleichzeitig beunruhigend, dass die Allgemeinheit diese Aufgabe nicht lösen konnte. Bei den Abiturienten sieht es übrigens nicht besser aus: Mehr als jeder Vierte ist auf dem Kenntnisstand von Klasse 7 und 8 hängen geblieben. Das fand das Leibniz-Institut in einer Untersuchung heraus.

Mathematik ist die Sprache der Naturwissenschaft

Mathe ist schwierig. Und vielen Menschen ist nicht wirklich klar, wozu sie all die Rechnungen im Leben überhaupt brauchen. Das motiviert nicht, sich durch den Lernstoff zu ackern. Während Sport uns fit macht, Deutsch uns befähigt zu lesen und zu schreiben und Biologie uns Wissen über unsere Umwelt vermittelt, verstehen viele Menschen nicht, warum sie höhere Mathematik lernen sollen.

Dabei steckt Mathe hinter mehr alltäglichen Problemen, als wir denken. Ich möchte behaupten, kein Beruf kommt ohne Mathematik aus. Selbst Bäcker, Erzieher oder Bahnwärter brauchen sie im beruflichen Alltag. Gleichzeitig ist sie ein mächtiges Instrument, um Phänomene der Natur zu beschreiben. Keine Naturwissenschaft, ob Physik, Biologie oder Chemie, kommt ohne Mathe aus. Auch in Soziologie, Psychologie oder Pädagogik, ja sogar im Journalismus kommt man um Zahlen, Rechnen und Statistiken nicht herum.

KR-Leserin Ina wollte deshalb wissen, wozu Mathe und insbesondere die Kurvendiskussion überhaupt nützlich ist. Zur Erinnerung: In Kurvendiskussionen, haben wir in der Oberstufe mal gelernt, untersuchen wir den Graphen einer Funktion. Aha. Graph? Funktion? Da fangen die Verständnisprobleme schon an. Jeder Begriff setzt mathematisches Wissen voraus, um überhaupt eine Idee davon zu gewinnen. Ja, es geht um die Punkte einer gezeichneten Kurve, wie Hoch- und Tiefpunkte, Wende- und Sattelpunkte.

Die Kurven sind die Graphen der Funktionen f (rot), f ' (blau) und f '' (grün).

Die Kurven sind die Graphen der Funktionen f (rot), f ’ (blau) und f ‘’ (grün). Wikipedia

Aber auch, wenn das schon die einfachstmögliche Erklärung ist, viel deutlicher wird es dadurch nicht. Tatsächlich brauchen wir im täglichen Leben aktiv nicht mehr als Grundrechnen, Zinsen, Prozente und ein paar Elemente der Geometrie. Auch Experten haben das Problem bereits erkannt. “Die Schule übt oft nur Rechenprozesse, eine lebensnahe Mathematik findet in der Schule nicht statt“, kritisiert etwa Anselm Lambert von der Universität Saarbrücken. Wozu also das Ganze?

Ich habe mich darangesetzt, diese Frage gemeinsam mit KR-Leser Achim Königs zu beantworten. (Danke auch für die Lektüretipps an KR-Mitglied und Mathelehrer Robert. Ihr findet sie in den Anmerkungen rechts)

Wer mir geholfen hat, die Frage zu beantworten

Achim Königs ist Informatiker. Er wurde in Bonn geboren und hat auch dort Informatik studiert. Anschließend arbeitete er einige Jahre bei einem Fraunhofer Institut in der Forschung im Bereich Robotik und selbstfahrende Fahrzeuge. Er ist 35 Jahre alt, Vater einer kleinen Tochter und arbeitet mittlerweile in der Finanzbranche.

Mathematik verschafft Klarheit, weil sie auf Regeln basiert

Mathematik ist von einer faszinierenden Klarheit. In Mathe sucht man Regeln, die man beweisen kann. Eine solche einfache Regel lautet zum Beispiel: Wenn man natürliche Zahlen addiert (1+1), erhält man immer eine natürliche Zahl (2). Natürliche Zahlen sind einfach gesagt, die Zahlen, die jedes Kind lernt, mit denen man zählt. In der Schule haben wir gelernt, dass das alle positiven, ganzzahligen Zahlen sind. Heute zählt man auch die 0 dazu. Regeln wie diese muss man lernen, um sie anwenden zu können.

Die Mathematik hat im Gegensatz zur Chemie und Physik ein echtes Problem: Es stinkt und knallt nichts. Es gibt keine faszinierenden Experimente. Nur wenige mathematischen Erkenntnisse beruhen auf direkter Beobachtung oder sinnlicher Erfahrung. Zum Beispiel: die Zahl 1 hat einen Nachfolger: 2. Das lässt sich nicht mathematisch beweisen. Das ist einfach so.

Mathe hilft bei der Partnersuche

Mathematik ist eine Wissenschaft, die vor allem anderen Wissenschaften dient. Gleichzeitig aber hilft sie uns, unseren Alltag exakter zu gestalten. Stellen wir uns vor, wir sitzen abends in einer Bar und bestellen ein halbes Glas Martini. Erinnert euch: Martini-Gläser haben diese ganz bestimmte Form, einen hohen Stiel und einen niedrigen, breiten Kelch. Barleute nennen es deshalb auch Cocktailspitz.

Woher wissen wir nun, ob das Martini-Glas vor uns auch tatsächlich halb gefüllt ist. Das erfordert schon etwas mehr Rechenkunst, denn wir müssen die dritte Wurzel aus ein halb ermitteln und dann mit der Höhe des Glases (ohne Stiel) multiplizieren. Ich will nicht ins Detail gehen, warum genau wir das machen müssen, aber glaubt mir: Mit dieser Gleichung wissen wir, ob das Glas wirklich halbvoll ist, egal, ob man Pessimist oder Optimist ist.

Die Partnerin auf dem Barhocker neben uns haben wir womöglich über ein Datingportal im Internet kennengelernt. Wir verdanken ihre Bekanntschaft damit ebenfalls der Mathematik. Denn es sind Algorithmen, also komplexe mathematische Berechnungsverfahren, die für uns im Netz auf Partnersuche gegangen sind. Überhaupt prägen Algorithmen unsere Welt, mehr als uns vielleicht lieb ist. Sie stellen eine Vorgehensweise dar, um ein Problem zu lösen. Anhand dieses Lösungsplans werden in Einzelschritten Eingabedaten in Ausgabedaten umgewandelt. Am Anfang steht der Test, in dem der Partnersuchende zahlreiche Fragen über sich beantwortet. Aus diesen Antworten ermittelt die Maschine die grundlegenden Eigenschaften der Singles und ordnet sie einander zu. Der Algorithmus ist hier die Formel, die die Menschen verkuppelt. Und sie scheint zu funktionieren. Ich kenne inzwischen zahlreiche Paare, die sich im Internet gefunden haben, dank Mathe. Was sie daraus gemacht haben, lag dann natürlich in ihrer Hand.

Die Kurvendiskussion ist ein Rechenverfahren, das im Alltag aber hilft

Mathematik ist in den meisten Fällen nicht unbedingt anschaulich oder intuitiv. Die Kurvendiskussion etwa brauchen wir im Alltag nicht. Auch Funktion ist so ein Begriff, den die meisten von uns in der Schule zum letzten Mal gehört haben. Vielleicht hilft es, sie sich als Input-Output-Maschine vorzustellen. Ob das jedoch mathematisch ganz korrekt ist, weiß ich nicht. Man wirft eine 2 ein und erhält eine 4. Die Maschine hat die eingegebene Zahl quadriert. Geht man zu einer anderen Maschine und wirft eine 2 ein, erhält man eine 3. Die Maschine hat die Zahl verdoppelt und 1 subtrahiert. Das kann man so weiterführen. Die Maschine ist die Funktion. Sie gibt für jede eingeworfene Zahl eine dazugehörige aus.

Die Kurvendiskussion ist eine rein rechnerische Routine. Die aber lehrt, wie man Zusammenhänge analysieren kann und ein Verständnis von notwendigen und hinreichenden Bedingungen gibt. Zum Beispiel bei der Navigation: Will ich von Berlin nach Stralsund fahren und einen optimalen Weg finden, etwa den schnellsten, aber nicht hügeligen oder den kürzesten, aber nicht Autobahn, laufen im Navi Prozesse ab, die auf der Kurvendiskussion basieren. Sie dient als theoretischer Unterbau überhaupt für alle Optimierungsprobleme. Und die hat man in der Informatik ständig, da die Benutzer optimale Antworten erwarten, wenn sie einen Computer irgendetwas fragen. Optimieren heißt aber nichts anderes, als die Extremwerte einer Funktion zu finden.

Nehmen wir noch ein anderes Beispiel. Will man mit möglichst wenig Brettern einen möglichst großen Kaninchenstall bauen, kommt man nicht umhin, den Extremwert einer Funktion zu ermitteln (den Rechenweg lest ihr hier bei Wikipedia). Im Ergebnis hat das Langohr dann am meisten Auslauf, wenn man ein Quadrat umzäunt. Zum Glück muss man das nicht so häufig im Leben. Häufiger schon muss man sich mit Bahnfahrplänen und Wetterberichten auseinandersetzen. Auch sie sind letztlich nichts anderes als die Ergebnisse von Mathematik.

Taschenrechner und Computer nehmen uns heute sehr viel Rechenleistung ab. Dennoch kann ich nur jedem ans Herz legen, sich ein bisschen im Werkzeugkasten Mathe umzuschauen. Er liefert die Grundlagen für fast alle Lebensbereiche und kann manchmal sogar Spaß machen.


Rico Grimm hat bei der Erarbeitung des Textes geholfen; Vera Fröhlich hat ihn gegengelesen; das Aufmacherbild hat Martin Gommel ausgesucht: iStock /Imgorthand