Bist auch du frickel-süchtig? Die Wissenschaft der Fidget-Spinner-Epidemie
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Bist auch du frickel-süchtig? Die Wissenschaft der Fidget-Spinner-Epidemie

Fidget Spinner verkaufen sich gerade wie von selbst. Die neurowissenschaftlichen Gründe für zwanghaftes Frickeln erklärt uns die australische Hirnforscherin Harriet Dempsey-Jones von der Universität Oxford.

Profilbild von von Harriet Dempsey-Jones, Universität Oxford

Was ein Fidget-Spinner ist, wissen alle Schulkinder. Weil sie gerne damit frickeln. Das rotierende Handspielzeug mit dem Kugellager in der Mitte soll Stress abbauen. Bei den Lehrern ist es allerdings weniger beliebt. Der „Spinner“ stört so sehr den Unterricht, dass viele Schulen ihn verbieten.

Aber dieser Verkaufsschlager unter den Spielzeugen liefert einen guten Grund, sich zu fragen, warum wir eigentlich frickeln, zappeln, kippeln, schlackern, rumhampeln. Und es sind beileibe nicht nur Kinder, die das machen. Ein Blick durchs Büro zeigt uns wahrscheinlich, wie die Kollegen mit den Beinen wippen, Stifte um den Daumen wirbeln, am Bleistift kauen, an ihrer Unterlippe saugen oder Haare aus ihrem Bart rupfen – offensichtlich völlig unbewusst.

Warum zappeln wir, und warum manche Leute mehr als andere? Und wenn es wirklich hilft, Stress abzubauen, sollten wir es dann nicht alle tun?

Diese Fragen sind nicht so einfach zu beantworten. Allein schon deshalb, weil es verschiedene Definitionen vom „Rumhampeln“ und dessen Ursachen gibt. Manche Theorien sind hochinteressant, andere zumindest erstaunlich.

Zappeln reguliert die Aufmerksamkeit

Hirnforscher haben entdeckt, dass Frickeln davon abhängt, wie sehr wir stimuliert sind. Das heißt, diese Bewegung kann ein Mechanismus der Selbstregulierung sein, der uns hilft, unsere Aufmerksamkeit zu erhöhen oder zu senken, je nachdem, was nötig ist – also entweder uns zu beruhigen oder uns zu erregen.

Menschen, die häufig zappeln, sind in der Regel eher anfällig dafür, abzuschweifen oder sich in Tagträumen zu verlieren. Wir machen das oft dann, wenn unsere Gedanken nicht bei der Sache sind. Wenn Dein Verstand umherwandert, wirst du wahrscheinlich schlechter arbeiten, egal, was du tust. Bist du gerade am Rumfrickeln, ist es ähnlich, weil erfahrungsgemäß Gedächtnis und Verständnis beeinflusst werden.

Dies bedeutet, dass das Fummeln darauf hinweist, dass es ein Problem mit der Aufmerksamkeit gibt. Es könnte aber auch die Abhilfe sein. Frickeln könnte die physiologische Stimulation bieten, um unsere Aufmerksamkeit und Energie auf ein Niveau zu bringen, das es unserem Verstand ermöglicht, sich besser auf die jeweilige Aufgabe zu konzentrieren.

Dies belegt auch eine Studie, die zeigt, dass Menschen, die während eines Telefongesprächs kritzeln dürfen, sich später an mehr Details des Gesprächs erinnern als andere. Wir wissen auch, dass Menschen mit ADHS-Syndrom, die hyperaktiv, unaufmerksam und impulsiv sind, einige Denkaufgaben besser bewältigen, wenn sie sich spontan, aber ausreichend lang körperlich bewegen. (Bei Kindern ohne ADHS konnte ein solcher Einfluss nicht nachgewiesen werden).

Zappeln kontrolliert das Gewicht

Die Naturwissenschaften liefern jedoch ein etwas anderes Bild. Vieles deutet darauf hin, dass das Rumfriemeln eine sorgfältig programmierte Methode sein könnte, die uns unbewusst unser Gewicht beibehalten lässt.

Eine im Jahr 2000 im Magazin Science veröffentlichte Studie belegt dies. Die Forscher gaben einer Gruppe von gesunden, nicht-fettleibigen Freiwilligen etwa 1.000 Kalorien zusätzlich über einen Zeitraum von acht Wochen. Die Körper der Teilnehmer schienen sich gegen die Überfütterung mit einer starken Zunahme von Frickeln, Haltungsveränderungen und zufälligem Anspannen ihrer Muskeln zu wehren. In der Folge nahmen die Menschen sehr unterschiedlich zu. Das hing stark davon ab, wie sehr sie zappelten – Leute, die sich mehr bewegten, setzten weniger an.

Aber wie können sich so kleine Bewegungen so unterschiedlich auswirken? Nun, es zeigt sich, dass diese Art des Zappelns beim Sitzen oder Stehen tatsächlich den Kalorienverbrauch erhöht, und zwar um 29 beziehungsweise 38 Prozent (im Vergleich zum Liegen). Folglich können so Mengen zwischen 100 und 800 Kalorien pro Tag als Wärmeenergie verbrannt werden.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass wir nur 100 bis 200 Kalorien mehr essen müssen, als wir verbrennen, um schrittweise zuzunehmen. Angesichts dessen könnte die kleine Menge, die durch Zappeln abgebaut wird, ausreichen, um dieses Ungleichgewicht zu beseitigen. Diese Bewegung könnte der eingebaute Fitness-Tracker-Alarm der Natur sein. Das unterstreicht auch eine Studie mit 12.000 Frauen (im Alter von über 12 Jahren): Wer eine sitzende Tätigkeit ausübt und viel zappelt, stirbt später.

Leider kann niemand lernen, ein Frickler zu sein. Manche Menschen sind einfach die geborenen Frickler. Es kann sogar an den Genen liegen – Studien zeigen, dass sich Familien und Zwillinge ähneln, was ihre spontane körperliche Aktivität betrifft.

Zappeln baut (möglicherweise) Stress ab

Eine letzte Erklärung für das Frickeln ist, dass es sich um ein Verhaltensmuster handelt, um Stress zu bewältigen. Die entsprechenden Theorien konzentrieren sich oft auf bestimmte zerstörerische Verhaltensformen, wie das Ausrupfen von Haaren, das Kratzen oder das Beißen der Haut (sogenannte Übersprunghandlungen). Ob sie Sonderformen des Frickelns sind, bleibt jedoch unklar.

In einer Studie haben Wissenschaftler sozialen Stress in einer Gruppe von Männern ausgelöst, die laut kopfrechnen mussten, während sie vor Fremden standen. Sie fanden heraus, dass Leute, die vor dem Mathe-Test ängstlicher waren, mehr Übersprunghandlungen während der Prüfung zeigten. Allerdings berichteten die Männer, die sich während des Tests kratzten oder an den Haaren zogen, dass sie die Erfahrung weniger stressig fanden. Das bedeutet, dass sie mit dem Kratzen ihren Stress vermindert haben. Die Übersprunghandlungen hatten nichts damit zu tun, dass die Person im Allgemeinen ängstlicher war.

Faszinierend ist, dass dieser Effekt nur bei Männern aufzutreten scheint. Sie zeigten doppelt so häufig Übersprunghandlungen wie Frauen.

Womöglich treffen alle Erklärungen zu

Aber welche Theorie ist richtig? Eigentlich könnten sie alle miteinander zusammenhängen. Zappeln könnte eine Form eines allgemeinen, unbewussten Selbstregulierungsmechanismus sein, der je nach Bedarf variiert: Regulierung von Aufmerksamkeit, Gewicht oder Stress. In der Tat scheint es so zu sein, dass Langeweile uns unbewusst unter Stress setzt. Physiologische Anzeichen von Stress treten vor allem in Zeiten auf, die fortgesetzte Aufmerksamkeit erfordern (beispielsweise ein Vortrag). Mit dem Frickeln werden wir unseren Stress los – anstatt unsere Aufmerksamkeit herunterzuschrauben.

Frickeln kann (zumindest teilweise) durch den Hypothalamus im Gehirn kontrolliert werden, der zahlreiche körperliche Prozesse reguliert. In der Tat, wenn Sie Orexine (ein kleines Protein) bei Nagetieren in einen Teil des Hypothalamus injizieren, sehen Sie eine Zunahme der spontanen körperlichen Aktivität. Orexine und der Hypothalamus sind mit Erregung, Appetit, Wachsamkeit und anderen Regulierungsprozessen verbunden.

Aber bevor du rausgehst und jede Menge modisches Zappel-Spielzeug kaufst oder diesen Artikel auf der Facebook-Seite Deiner Mama postest, um ihr zu beweisen, dass Zappeln gesund ist, lohnt es sich, die sozialen Kosten zu betrachten.

Wie der Zappelphilipp erweckt der Frickler den Eindruck, gelangweilt, frustriert oder unaufmerksam zu sein – so findet er keine Freunde. Das Frickeln lenkt außerdem die anderen ab: Bewegung ist ein sehr markanter visueller Reiz, der automatisch Aufmerksamkeit auf sich zieht. Also, wenn du frickeln, wippen, zappeln willst, mach es besser unter dem Tisch.


Diesen Artikel veröffentlichte auf Englisch The Conversation. Hier könnt Ihr den Originalartikel lesen. Übersetzt hat den Text Vera Fröhlich. Korrigiert hat ihn Susan Mücke. Das Bild vom Fidget Spinner hat Martin Gommel gemacht.

The Conversation