„Meine Mutter hasst den Islam – was kann ich tun?“
Leben und Lieben

„Meine Mutter hasst den Islam – was kann ich tun?“

Ein Krautreporter-Leser hat uns geschrieben, dass seine Mutter mit ihrem Islamhass inzwischen sogar die Familie zerstört. Er fragt, was er dagegen machen kann. Die Antworten, die ich gefunden habe, waren mitunter ganz schön deprimierend.

Profilbild von Alexander Krützfeldt
Reporter

Sein Name soll anonym bleiben, also nennen wir ihn Jan. Ich rief Jan an und wir sprachen eine dreiviertel Stunde. Er klang recht verzweifelt: „Es begann vor ein paar Jahren. Meine Mutter war eigentlich eine lebensfrohe Frau – künstlerisch veranlagt, weltgewandt, viel auf Reisen. Unser Verhältnis von damals würde ich als herzlich beschreiben.“

Dann hatte Jans Mutter einen neuen Partner, plötzlich begann sie, sich für Politik zu interessieren, sagte Jan – sie las vor allem PI News und einschlägige, eher rechte Blogs. „Es hat lange vor der sogenannten Flüchtlingskrise angefangen“, berichtete Jan. „Da erzählte sie: Europa ist am Ende. Der Euro muss weg. Flüchtlinge wollen sich hier nur durchschnorren.“

Jan und sein Bruder waren schockiert. Sie sind jung, und für sie hatte Europa immer viel zu bieten. Also hielten sie dagegen, aber erfolglos.

Die Argumente dringen nicht bis zur Mutter durch

„Anfangs habe ich bei jedem Text, den ich las, im Geiste an die Diskussionen mit meiner Mutter am Esstisch gedacht“, sagte Jan. „Vielleicht war ich sogar schon komisch: Ich legte Linklisten an, mit Texten, die ich ihr empfehlen wollte, und sammelte systematisch Argumente, um mich zu rüsten. Aber nichts kam mehr bei ihr an. Wir drangen gar nicht durch.“

  • Sie sagte: Negerkinder darf man nicht durchfüttern.
  • Jan sagte: Das kannst du nicht sagen, Mutter!
  • Sie: Doch, das muss jemand mal sagen.
  • Sie sagte: Frauen, die Burkas tragen, sind doch keine Menschen!
  • Jan sagte: Mutter!
  • Sie: Der Islam hat in diesem Land nichts zu suchen!

„Es gab irgendwann immer nur Streit“, sagte Jan. „Meist war es nur eine Frage des Zeitpunkts. Essen konnten dann nicht beendet werden, ich schob Telefonate mit meiner Mutter auf, in denen es eigentlich um andere, wichtige Dinge gehen sollte. Manchmal drückte ich mich Tage davor. Ich hatte Angst, dass es irgendwann immer wieder nur um Politik ging.“

Was also tun?

Man kann versuchen, Mitgefühl zu wecken

Der Rechtsextremismusforscher Alexander Yendell vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig hat dazu zwar eine Idee, doch leider klingt die nicht sehr ermutigend: „Zunächst ist es möglich, Menschen auf der Sachebene – also mit Argumenten – zu überzeugen“, sagt Yendell. „Klappt das nicht, können wir es auf der emotionalen Ebene über das Mitgefühl versuchen. Beides ist bei Rechtsextremen und Islamophoben schwierig. Auf der Sachebene sind sie gefestigt und auf der emotionalen Ebene offenbaren sie oft wenig Mitgefühl.“

Also habe ich einen Debattierclub angerufen. Gut, die waren erst sehr irritiert und hielten sich nicht für geeignet. Aber sie sagten dann: Sprich immer weiter. Manchmal hilft das Reden auch, etwas auszulösen. Etwas, das nicht ohne Reden passiert wäre. Argumente können etwas bewirken: manchmal auch erst später.

Yendell ist davon überzeugt, dass gerade Menschen aus den extremen Spektren rechts und links Empathie fehlt. Deshalb ist es oft kaum möglich, so mit ihnen zu diskutieren, dass man sie umstimmen kann.

Der deutsch-schweizerische Schriftsteller, Psychologe und Psychoanalytiker Arno Gruen, selbst vor den Nazis geflohen, hat sich Zeit seines Lebens mit Empathie beschäftigt – und kommt zu folgendem Schluss: Menschen verlieren dann ihr Mitgefühl, wenn ihre grundsätzlichen Bedürfnisse missachtet werden, die sie als Menschen brauchen, um glücklich zu sein. Kurzum: Wenn man einen Job macht, den man nicht mag, oder ein Leben führt, das man eigentlich nicht führen möchte, hasst man die anderen dafür, dass sie das tun, was man eigentlich selber tun möchte.

„Ich kann also nur raten“, sagt Yendell, „innerhalb der Familie nicht mehr über Zuwanderer, Religion oder andere Kulturen zu reden. Eine andere Möglichkeit sehe ich fast nicht.“ Wenn man miteinander spreche, sagt der Rechtsextremismusforscher, dann besser über Unverfängliches: über Grundbedürfnisse. Wie geht es dir, bist du zufrieden mit deinem Leben, hast du es dir anders vorgestellt, was möchtest du erreichen?

Jeder Zehnte ist für fremdenfeindliche Ansichten empfänglich

Vielleicht war das bei deiner Mutter auch mal anders. Du sagst: „Sie hat sich früher sehr für Esoterik und Gesundheit interessiert. Das war okay. Manchmal hat sie uns Allergien attestiert, die wir nicht hatten, aber schlimm war das nie.“

Vielleicht möchte deine Mutter einfach an etwas glauben, Halt haben und Orientierung finden? Oder sie wollte insgeheim ein anderes Leben führen? Hast du sie das mal gefragt?

Zehn Prozent plus X, so hoch schätzen Soziologen wie Dierk Spreen den Kern der Leute ein, die für fremdenfeindliche Ansichten weit rechts der CDU noch empfänglich sind. Es sind nicht nur Arme oder Abgehängte. Sondern auch Leute, deren Bedürfnisse nicht erfüllt wurden. Die neidisch sind. Oder wütend. Dieser Kern, sagen die Soziologen, ist immer da. Gleichzeitig engagiert sich aber die Gegenseite, die Mehrheit, immer stärker für Demokratie. Das ist das Ergebnis der Studie „Die enthemmte Mitte“, an der auch Yendell mitgewirkt hat. Waren es in der Vergangenheit rund 47 Prozent, stieg dieser Wert auf aktuell 60 Prozent.

Vielleicht merkst du gerade, wie politisch du eigentlich bist? Weil du nicht ertragen kannst, was deine Mutter sagt. Vielleicht kannst du einer Initiative beitreten, oder eine gründen, anderen mit deinen Erfahrungen beistehen. Es gibt sicher mehr Menschen, denen es so geht. Vielleicht hilft dein Wissen so?

Oft reagieren Leute aus dem rechten Spektrum sehr scharf auf Tabus, vermeintliche Meinungsverbote – gemäß dem Motto: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ Die ganze AfD-Strategie ist eine einzige Provokation. Und sie funktioniert auch: Medien geben der Partei bei jeder Entgleisung neue, kostenlose PR. Aber das machen Journalisten nicht, weil sie Idioten sind, sondern weil es so verdammt schwer ist, wenn man Haltung hat, nicht darauf zu reagieren.

Aber alles, was nicht gleich strafrechtlich relevant ist, könnte man ignorieren und abprallen lassen. Nein, würden die Engagierten jetzt sagen, es geht um die Demokratie! Meinungsfreiheit gilt aber auch hier, und Meinungsfreiheit gilt auch für das Unbequeme, außer es wird strafrechtlich relevant. Und ich finde, das lassen wir auch zu. Wird uns nicht oft die Meinung untersagt, wenn wir dagegen argumentieren? Heißt es nicht: „Journalisten machen zu oft Meinung.“ Ich glaube, es ist andersherum.

Die Mutter schimpft mit der Enkelin, weil sie „Alla“ sagte

Du hast geschrieben: „Ich kann es nicht mehr ignorieren. Zunehmend versuchen meine Mutter und ihr Lebensgefährte auch, eine Botschaft unters Volk zu bringen. Werbestände. Flyer. Das ganze Zeugs“, sagte Jan. „Neulich hat meine Mutter eine Grenze überschritten. Ich saß mit meiner kleinen Tochter bei ihr, sie ist ja Oma. Und weil meine Kleine noch nicht sprechen kann, sagte sie zur Oma: ‚Alla.‘ Da hat meine Mutter sie angeraunzt, Allah sei nur was für Dumme, das solle sie nicht sagen. Ein kleines Mädchen! Da bin ich explodiert, dass sie meine Tochter da mit reinzieht. Und jetzt überlege ich selbst, den Kontakt abzubrechen. Mein Bruder kommt schon nicht mehr.“

Familienexperten raten in einem solchen Fall: Nimm das Kind aus der Schusslinie, wenn du es schützen willst. Omas und Opas haben zwar Umgangsrecht, aber wenn sie ein rechtes Manifest verfolgen, können die Eltern entscheiden, dass das Kind seine Großeltern nicht mehr sieht. Das Credo lautet: „Schütz die Kleine. Halte das Schweigen und die Funkstille mit deiner Mutter aus.“ Vielleicht bringt sie das zu euch zurück, wenn sie merkt, dass sie ihr Enkelkind zu verlieren droht. Das ist zwar Druck, und Druck ist nie gut; aber Jan: Druck macht sie dir auch.

„Grundsätzlich gilt“, sagt Karima Benbrahim, Leiterin des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA-NRW), „dass jeder Einzelfall genau zu prüfen ist“. Es gehe immerhin um Biografien und persönliche Beziehungen. Diese müsse man genau kennen. „Dass die Mutter aber über mehrere Jahre hinweg bei ihren rassistischen Einstellungen und Verhaltensweisen geblieben ist, zeigt meiner Meinung nach, dass sie darin bereits sehr gefestigt ist“, sagt Benbrahim. Auch das Verteilen der Flyer und die Übergriffe auf die Enkelin zeigten eine gewisse Bereitschaft, für ihre Ansichten auch Grenzen zu überschreiten.

Benbrahim rät dir: „Ich empfehle wirklich dringend eine professionelle Beratung in einer spezialisierten Einrichtung zu Rechtsextremismus. Ich denke nicht, dass der Angehörige in diesem Fall selbst etwas tun kann.“

Fazit: Vermeide Streit und hole Hilfe

Die meisten raten dir, den Kontakt auszudünnen. Ein offener Streit und Schlagabtausch, sagen die Experten, macht alles meist noch viel schlimmer.

Und hole dir und euch Hilfe: Hier ist eine gute Seite mit Hilfsangeboten. Wenn du doch weiterreden willst: Gute Seiten mit Argumenten und Überzeugungshilfen findest du bei der Bundeszentrale für politische Bildung und bei diesem Portal gegen Diskriminierung.

Viel Glück, Jan. Ich wünsch dir wirklich alles Gute.


Beim Erarbeiten des Textes hat Esther Göbel geholfen; Vera Fröhlich hat ihn gegengelesen; Rico Grimm hat das Aufmacherbild ausgesucht.