Sich morgens Nachrichten reintun, das kann man wohl nur als Masochist. Oder, okay, als Profi. Früher habe ich auch morgens Zeitung gelesen, wobei die Hamburger Morgen oft Nachmittage waren. Aufstehen, zwei Franzbrötchen und die Mopo holen, das war immer eine gute Art, den Tag zu beginnen. Manchmal stand auch was Freundliches über mich und meine Band drin, einige Schreiber sah man nachts im „Sorgenbrecher“ – und überhaupt war man irgendwie stolz, die einzige einigermaßen politisch korrekte Boulevardzeitung der Welt (?) zu lesen.
Ich glaube, ich habe mit dem Zeitungslesen aufgehört, als ich in Städte gezogen bin, in denen es mich nicht besonders interessiert hat, was da lokal passierte: erst in Lörrach, dann in München. München wäre, glaube ich inzwischen, immer noch meine bevorzugte Adresse in Deutschland. Aber es ist so ähnlich wie in der Schweiz: Wenn du da nicht geboren bist, ist das kulturelle Leben nicht so interessant, weil du immer das Gefühl hast, du gehörst eh nicht dazu und wirst auch nie dazugehören. Also konzentrierst du dich mehr auf Isar, Berge, bist draußen oder in Privatwohnungen und Häusern. Und da brauchste auch keine Tageszeitung zu lesen, oder?
Eine mit Liebe zur Musik gemachte Zeitung? Allenfalls in England
Ich habe das Mojo Magazine aus England abonniert, die einzige Musikzeitung, die ich kenne, bei der man die Liebe zur Musik und Musikern spürt. Okay, es gibt die eine oder andere Titelgeschichte über die Beatles oder die Stones zu viel, aber viel öfter gibt es Features, die ihnen nicht von den Plattenfirmen diktiert werden, sondern einfach interessant sind. Zum Beispiel diesen Monat sechs- bis achtseitige Interviews mit Suggs von Madness, Scott Gorham von Thin Lizzy, Ray Davies, Neil Young, Anohni und dann noch kleinere Interviews mit Slade und Mike Watts. Wenn du dagegen deutsche Musikzeitungen liest, dann kriegst du einen Haufen Meinungen und diese blöden Listen „Die 50 besten Elvis-Songs“ oder so, die ich als reine journalistische Abzocke empfinde.
Auf Reisen lese ich das Gleiche wie zu Hause – aber vielleicht mehr als zu Hause. Früher kam das ja immer darauf an, was ich mir eingepackt hatte, meistens war es zu wenig. Heute, in den Zeiten der totalen Verfügbarkeit, beende ich schon mal das eine oder andere angelesene Buch auf meinem Smartphone, oft mit Genuss. In letzter Zeit habe ich auch angefangen, mir manchmal Filme mitzunehmen. Was mir dabei nicht so gefällt: dass man damit praktisch die Tür zumacht für einen Kontakt zu den Mitreisenden. Ist ein bisschen asozialer als Lesen, so mit Kopfhörern.
In Magazinen und Zeitungen habe ich diejenigen Autoren am liebsten, die hinter den Sachen oder Personen verschwinden, über die sie schreiben. Eben so wie im Mojo Magazine oder wie in vielen Biographien, die ja oft von Ghostwritern geschrieben werden. Bei Büchern ist das schon anders, da wähle ich auch meist über den Autoren aus. Erstaunlich finde ich, dass die erfolgreichsten Autoren dieser Welt auch oft die besten sind: Stephen King, John Grisham, Ken Follet et al.
Büchertipps von Stephen King? Ab ins Gangster- und Polizistenmilieu
Bücherlesen passiert bei mir immer in Wellen. Phasen, in denen ich so gut wie gar nicht lese, lösen sich ab mit sehr viel Lesen. Wobei ich in den letzten Jahren Bücher eigentlich meistens gehört habe. Ist halt die ideale Art, so Aktivitäten wie Wäsche aufhängen interessant zu machen. Sehr gut gefallen hat mir „11/22/63“ von Stephen King. Ein Buch mit vielen eindringlichen Bildern, zum Beispiel, wie gut viele Sachen dem Helden auf seiner Zeitreise in den 50ern schmecken. Oder die Einsamkeit der etwas anders gestrickten Leute in dieser Zeit, und dass der Held dann doch sogar freiwillig dahin zurückkehrt, weil er es als sein Zuhause empfindet, und die schrecklichen Folgen einer guten Tat, und, und, und.
https://www.youtube.com/watch?v=ddmZFOF6aPs
Manchmal, wenn ich ein gutes Buch brauchte, habe ich auch schon nach „Stephen King recommends“ gegoogelt, und so habe ich auch Dennis Lehane entdeckt, vor allem die drei großen historischen Romane aus dem Gangster- und Polizisten-Milieu haben es mir angetan: „The Given Day“, „Live By Night“ und „World Gone By“. Ich weiß gar nicht so recht warum, aber wer weiß schon, warum er sich Mafia- und Polizistengeschichten reintut.
Don Winslow habe ich auch so kennengelernt. „The Power of the Dog“ ist das Beste von vielen sehr guten Büchern und sollte eigentlich jeden Drogenkonsumenten dazu bewegen, damit aufzuhören, wenn er sieht, was für faschistoide Gruppen er damit finanziert. Das Buch zeigt auch die Absurdität des ganzen Drogenkriegs, der ja überhaupt kein Thema wäre, wenn nicht das Land, das ihn so vehement führt (oder so tut als ob), so einen großen Appetit auf den Stoff hätte.
News aus dem Profifußball? Eine schlechte Angewohnheit
Als meine Sucht – oder sagen wir eher schlechte Angewohnheit – empfinde ich es, sehr oft im Internet auf eine Sport-Seite zu gucken. Früher war das sport1.de, doch seitdem sie die Homepage für Adblocker dichtgemacht haben, ist es kicker.de. 11freunde.de wäre da eigentlich auch ein guter Kandidat, weil die ja in ihrem Magazin auch schon mal tiefergehende Interviews haben. Aber leider ist die Webseite so dominiert von Klamauk, dass sie eigentlich vollkommen uninteressant ist.
In meiner Jugend war Fußball mein Leben, obwohl ich kaum einen Ball annehmen kann, aber zu Rot-Weiss-Essen zu gehen und zu singen und mit den ganzen anderen Bekloppten nur das Eine zu wollen, war großartig. Und jetzt bin ich ein bisschen so wie die Zombies in dem Romero-Film, die sich irgendwie daran erinnern, dass sie sich mal in Einkaufszentren wohlgefühlt haben und jetzt da so rumstolpern. So stolper´ ich über die News aus dem Profifußball, frage mich immer wieder warum und stolper doch immer weiter.
Blogs? Nur über das Thema Software. Apps? Nein, danke
Wenn ich Blogs lese, dann vor allem Software-Entwicklungs-Blogs, weil das oft der einzige Ort ist, an dem irgendeine Library oder ein Konzept anschaulich erklärt wird. Software-Entwicklung, mein geliebter Brot-und-Butter-Job. Ansonsten halte ich Meinungen für hoffnungslos überschätzt, und darum geht’s doch in Blogs, oder? Irgendeiner hat eine Meinung und veröffentlicht sie in einem Blog. Und in China fällt ein Sack Reis um.
Apps versuche ich immer zu vermeiden. Ich kann auch nicht so richtig verstehen, warum die Leute immer noch so auf Apps stehen, jetzt, wo fast alle Webseiten responsive sind. Kostet die Firmen ein Heidengeld alles dreifach herzustellen (für IOS, Android und Web) und versorgt die Gewinner der modernen Welt, die Software-Entwickler. Deshalb versuche ich immer eine App zu vermeiden. Wetter check ich auf meteoblue.com, hat mir mal ein Bergführer empfohlen, Fußball auf kicker.de.
Wie fast alle heutzutage, starre ich meistens auch auf mein Smartphone, wenn ich an einer Haltestelle stehe. Obwohl es mir immer unangenehmer wird, wenn ich sehe, wie scheiße wir alle aussehen mit dieser Besessenheit. Ganz zu schweigen davon, wie verrückt die Kinder werden, wenn sie so ein Ding zu lange in der Hand haben.
Ein wichtiges Fernsehritual ist für mich die Sportschau am Samstag. Talkshows und Nachrichten versuche ich zu vermeiden. Insgesamt merke ich, dass mein Medienkonsum fast komplett in Richtung Internet gewandert ist. Jetzt tritt langsam so etwas wie eine Übersättigung ein, aber zurück gehe ich nicht.
Tilman Rossmy ist ein deutscher Singer-Songwriter. Zwischen 1984 und heute veröffentlichte er rund ein Dutzend Alben – mal mit seiner 1982 in Essen gegründeten Band „Die Regierung“, mal mit dem „Tilman Rossmy Quartett“, mal solo. Wenn er nicht Musik macht, arbeitet er als Software-Entwickler für das Schweizer Radio und Fernsehen. Das neue Album von Rossmys Band „Die Regierung“ heißt „Raus“ und ist Ende März bei Staatsakt erschienen.
In der von Christoph Koch betreuten Rubrik Medienmenü stellen regelmäßig interessante Persönlichkeiten die Medien vor, die ihr Leben prägen. Ihr könnt per Mail an christoph@krautreporter.de vorschlagen, wen er porträtieren soll.
Die Illustration hat Veronika Neubauer gemacht; das Foto darin stammt von Christoph Voy; gegengelesen hat Vera Fröhlich.