„Als meine Freundin Sex wollte, habe ich Schluss gemacht“
Leben und Lieben

„Als meine Freundin Sex wollte, habe ich Schluss gemacht“

Ich habe mich immer gut mit Mädchen verstanden. Aber wenn sie mehr von mir wollten, bekam ich Panik. Meine Geschichte ist Teil des Projekts „Stumbling on Sexuality” der in Berlin lebenden US-Amerikanerin Shauna Blackmon.

Profilbild von Erinnerung von Tom aus den USA

Ich war noch sehr jung, als meine Eltern anfingen, offen über die biologischen Aspekte von Sex zu sprechen. Schon in der ersten Klasse habe ich meinem besten Freund darüber gestritten, wie eigentlich Babys gemacht wurden. Ich dachte, du musst einen Penis in eine Vagina stecken und dann passiert etwas und dann gibt es Babys. Er wiederum war sich sicher, dass man sich überall am ganzen Körper küssen muss. Wir haben ausgemacht, dass wir nach Hause gehen und unsere Eltern fragen würden, aber ich habe es vergessen. Also musste ich mich seiner Version beugen. Natürlich sagte er, dass er recht hatte und dass seine Eltern es bestätigt hatten. Das hat mich eine Weile verwirrt, bis ich später entdeckt habe, dass er ein Lügner war.

Ich war immer schon ziemlich gesellig und habe viel geredet. Natürlich nicht mit jedem, aber wenn es jemanden gab, mit dem ich mich auf Anhieb verstanden habe, konnten wir die witzigsten Gespräche führen. Das ging besonders gut mit Mädchen. Schon früh konnten wir uns zusammen kaputtlachen und diese ziemlich flirtigen, extrem angenehmen, aber gar nicht sexuellen Gespräche führen. Es war dann so, dass Mädchen, die eigentlich völlig außerhalb meiner Liga waren (ich sah als Junge ziemlich komisch aus) so begeistert von unseren Gesprächen waren, dass sie mit ihren Freunden darüber redeten. Dann kam mir das Gerücht zu Ohren, dass sie in mich verschossen waren, und das war dann das Ende unserer Freundschaft.

Weil ich nicht wusste, was sie damit meinten, ging ich voll in den Panik-und-Vermeidungs-Modus.

Niemand sagte mir, wie sexuelle Dinge funktionieren

Niemand hat mir je gesagt, also, Folgendes passiert, wenn jemand in dich verknallt ist. Ich wusste, dass es so eine Art sexueller Energie gab, aber niemand hat sich mal mit mir zusammengesetzt und mir gesagt, wie sexuelle Dinge funktionieren. Dass da schon Zustimmung nötig ist, und dass man einfach nein sagen kann, wenn man etwas nicht will, und dass das respektiert wird. Stattdessen bin ich nur panisch geworden und dachte, etwas müsste passieren, wenn ich mich tiefer auf eine Beziehung einlasse.

Ich wusste, dass ich noch nichts Sexuelles machen wollte, also geriet ich in Panik und mied Leute und habe vermutlich ihre Gefühle verletzt, weil ich ihnen erst so nah war und sie dann in jeder möglichen Weise abgelehnt habe. Ich habe bestimmte Orte gemieden und habe Umwege genommen. Sobald die Mädchen sich verletzlich machten und mir oder anderen erzählten, dass sie mich gut fanden, habe ich sie brutal zurückgewiesen.

Ich hatte das Gefühl, wenn ich „ja“ sagen würde, dann müsste es ein rückhaltloses „Ja“ sein, und ich müsste Sachen machen, zu denen ich nicht bereit war. Sogar bei meiner ersten Freundin war für mich die Sache mit den Grenzen und der Möglichkeit des Neinsagens sehr unangenehm. Nachdem wir angefangen hatten, uns sexuell einander anzunähern und sie vorschlug, dass wir Sex haben könnten, habe ich Schluss mit ihr gemacht. Wir haben uns getrennt. Ich fühlte mich so unbehaglich, weil ich wusste, dass ich nicht bereit war. Es klingt jetzt seltsam, aber weil ich nicht wusste, wie man darüber redet, bin ich einfach aus der Beziehung geflohen. Wenn ich im Nachhinein darüber nachdenke, muss das leicht verrückt gewirkt haben. Heute rede ich immer noch zu viel, habe aber vor Sex keine Angst mehr. Ich bin eine redselige Schlampe. Ich weiß nicht wirklich, wann und wie dieser Übergang passiert ist.

Auch wenn ich schon früh eine biologische Erklärung von Sex bekam, gab es nie wirklich einen Punkt, wo mir jemand Sex oder Sexualität außerhalb der grundlegenden Penis-Vagina-Sache erklärt hat. Dabei gibt es so viele andere Aspekte von Sex und Sexualität, die genauso wichtig sind wie der Penis in der Vagina.

Peinlicher Moment mit der Mutter im Auto

Zwei Mal bekam ich mehr Informationen: Einmal, als meine Mutter und ich eines Tages von der Schule nach Hause fuhren, und meine Mutter plötzlich das Auto anhielt und sagte:

„Damit du es weißt, Sex ist nur für die Fortpflanzung.“

Das hat sie wörtlich so gesagt. Ich war zwölf und dachte: „Wow, das hat rein nichts mit der Unterhaltung zu tun, die gerade noch in diesem Auto stattgefunden hatte.” Ich glaube, dass sie einfach das Gefühl hatte, dass sie das irgendwann sagen musste, und zufällig war das der Moment. Den Rest der Fahrt sagten wir nichts mehr.

In der Schule dann bekamen wir die einzigen Informationen von einer Frau, die uns angebrüllt hat und erzählte, dass Sex für die Zeugung von Nachwuchs war da. Und dann sahen wir ein Video von einem Baby, das geboren wurde. Die Lehrerin spulte das VHS-Band immer wieder zurück, so dass wir sahen, wie das Baby aus der Frau herauskam, wieder hineingesaugt wurde, herauskam, wieder hineingesaugt wurde, herauskam … Es gab keine Gespräche über Einvernehmlichkeit, miteinander reden war überhaupt nicht vorgesehen. Nur ein paar vage Worte über Geschlechtskrankheiten und Babys. Mein Gefühl war, oh Gott, ich verstehe Sex nicht – aber jetzt habe ich ein paar wirklich seltsame Gefühle dazu.

Am Ende habe ich gelernt, wie man die Dinge eben langsam herausfindet, ohne sich auf den Sex zu stürzen. Zwischen Porno und Dirty Chatten auf AIM (Online-Messaging-Service) lernst du irgendwie alles in deinem eigenen Tempo. Es gibt diese gesellschaftliche Vorstellung, dass du es schon irgendwie hinkriegen wirst, diesen Prozess durchzumachen, auch wenn niemand jemals mit dir ordentlich darüber spricht. Als ich zum ersten Mal eine echte Freundin hatte, ging ich zu ihr nach Hause und hatte keine Ahnung, was passieren würde. Sie sagte, sie wollte nur Filme gucken und irgendwann haben wir geknutscht. Dann führte sie meine Hand in ihre Hose und zu ihrer Vagina. Das war ein Schock für mich, weil sie so weich und so feucht war. Ich erinnere mich, wie ich mich fragte, was ist das für ein Teil, das ist ja großartig?! Ich wusste nicht, was ich da tat, aber man sieht ja, was funktioniert und was nicht und probiert alles aus. Auf die eine oder andere Weise findet man es heraus.


Für ihr Projekt „Stumbling on Sexuality“ fragte die in Berlin lebende US-Amerikanerin Shauna Blackmon Leute, wie sie mit Sexualität in Berührung gekommen sind und wie sie das geprägt hat. Man kann auch seine eigene Geschichte vorschlagen. Mehr zum Thema hier.

Übersetzung aus dem Englischen und Produktion: Vera Fröhlich; Redaktion: Theresa Bäuerlein, Illustrationen: Stumbling on Sexuality