„Meine Mediennutzung ist funktionalistischer geworden”
Leben und Lieben

„Meine Mediennutzung ist funktionalistischer geworden”

Christian Schmidt macht Ausstellungen und liebt selbstgemachte Hefte, sogenannte Zines. Fürs Medienmenü hat er mir seine Lieblingsquellen für die richtige Dosis Information verraten.

Profilbild von Aufgezeichnet von Christoph Koch

Mit dem Bus brauche ich von meiner Wohnung im Leipziger Westen zum Büro meiner Ausstellungsagentur in der Südvorstadt ungefähr 15 Minuten. Die Zeit nutze ich meistens, um die Nachrichten auf Spiegel Online auf meinem uralten Smartphone zu lesen. Ist neben der DB-App auch die einzige Anwendung, die auf diesem Galaxy S2 mit so gut wie gar keinem internen Speicher überhaupt noch einwandfrei funktioniert…

Abonniert habe ich aktuell gar keine Zeitungen oder Magazine mehr. Zuletzt hatte ich die „Leipziger Zeitung“ im Abo. Das ist eine lokale Wochenzeitung, die sich mit großem Tamtam als DIE Alternative zur leider in Leipzig eher monokulturell ausgerichteten Tagespresse verstand. Leider ging sie a) bereits nach ein paar Monaten in die Insolvenz, wies b) unglaublich viele Druckfehler auf und bot c) einfach total oberflächliche Berichterstattung. Teilweise las sich das wie die Abschrift von Pressemitteilungen von jemandem mit ausgewachsener Rechtschreibschwäche. Unterhaltsam oder gar spannend war das leider gar nicht.

Das letzte Zeitschriften-Abo, mit dem ich richtig zufrieden war, war das Geschenk-Abo über vier Ausgaben der „Lettre International“. Das Magazin fand ich auch wirklich ganz hervorragend. Auch wenn für meinen Geschmack einige Artikel doch arg verschwurbelt waren und die Autoren diesen bemühten KuWi-Seminar-Duktus nur selten abstreifen konnten, fand ich dort doch immer wieder Artikel über interessante Themen in epischer Länge, über die man andernorts kaum etwas las. Nach dem Geschenk-Abo war dann allerdings auch Schluss. Bei aller Liebe für das Blatt fehlten mir dann doch schlicht und ergreifend die finanziellen Mittel, um das Abo der Lettre zu verlängern. Und außerdem hat es mich geärgert, dass ich einfach nicht dazu kam, diese wirklich tollen und äußerst ausgewalkten Artikel in Gänze auch mal zu lesen.

Die obligatorischen Probeabos der „Süddeutschen“, des „Freitags“ und anderer Zeitungen und Magazine habe ich alle immer wieder auslaufen lassen. Lieber kaufe ich mir hin und wieder im Bahnhofskiosk gezielt ungeplant eine Ausgabe der „Spex“, der „Missy“ oder der „Brand Eins“ und manchmal sogar vom „Trust“. Die einzige Publikation, die ich derzeit tatsächlich abonniert habe, ist ein sogenanntes Review Zine, also so eine Art Fanzine voller Fanzine-Kritiken aus den USA, das „Xerography Debt“ heißt. Davon erscheinen drei bis vier Ausgaben im Jahr. So halte ich mich in puncto Zine-Kultur einigermaßen auf dem Laufenden.

Auf Reisen habe ich meist einen bunten Strauß an Druckerzeugnissen fürs Vergnügen (Roman oder Comic) oder fürs Arbeiten (wissenschaftliche Fachbücher und Zeitschriften) dabei. Fürs Eintauchen in andere Erfahrungswelten und Realitäten lese ich gerne Zines jeglicher Couleur – vom queer-feministischen Zine mit DIY-Bastelanleitungen für Sex Toys über das Comic-Zine mit absurden Erlebnissen eines Spielcasino-Croupiers bis zum rotzigen Egozine eines Kleinstadt-Punks mit der richtigen Haltung, den entsprechenden Teenage-Angst-Storys und den Erzählungen über die gescheiterten Versuche der Selbstverschwendung in der Provinz.

Folgende Blogs lese ich gerne:

Mich nervt an Medien, dass sie bisweilen zu viel Aufmerksamkeit einfordern, die ich oftmals nicht bereit bin, extra für sie aufzubringen. Das führt regelmäßig dazu, dass ich mit ihnen Schluss mache. Aber ebenso häufig bandle ich dann auch wieder mit ihnen an. Küchenpsychologisch ließe sich meine Beziehung zu Medien auch als eine ausgeprägte Hassliebe beschreiben. Es geht nicht mit, aber auch nicht ohne sie – Zines sind davon allerdings grundsätzlich ausgenommen. Meine Zuneigung für diese „Medien“ ist unumstößlich, schon seit Jahrzehnten. Diesbezüglich bin ich stockkonservativ.

Was Bücher betrifft, lese ich querbeet durch alle Genres. Lyrikbände jetzt mal ausgenommen. Mit denen kann ich meistens nichts anfangen. Ein Buch, das mich in der letzten Zeit besonders beeindruckt hat, ist der Roman „Als wir träumten“ von Clemens Meyer. Eine im Leipziger Osten spielende Coming of Age-Geschichte der (Nach-)Wendezeit. Ich las das Buch während meiner Arbeit an der Wanderausstellung „Helden im Wilden Osten“, in der die Erfahrungen und Erlebnisse von Ostdeutschen mit den rasanten und tiefgreifenden Umwälzungen der Neunzigerjahre thematisiert wurden. Meyers Roman fand ich deshalb so beeindruckend, weil er mir über die bloßen historischen Fakten des gesellschaftlichen Umbruchs in der ehemaligen DDR hinaus auch ein Gefühl für diese stürmischen Zeiten zwischen Hoffnung und Enttäuschung, Freiheit und Überforderung vermitteln konnte.

Meine Lieblingsautoren sind Dietmar Dath, Thomas Meinecke und Sarah Schmidt, wenn es um Belletristik geht. Stuart Hall und Paul Gilroy, wenn es um wissenschaftliche Fachliteratur (Cultural Studies) geht. Und Aaron Elliott (Cometbus), Cindy Crabb (Doris), Al Burian (Burn Collector), Nate Powell (Walkie Talkie) und Chriz de Borg (Gerontenpunk), wenn es um Zines geht.

Nach Möglichkeit versuche ich, keine Ausgabe der Sendung „Mrs. Peppsteins Welt“ auf Radio Blau zu verpassen. Die höre ich aber immer nur bei Mixcloud, weil ich gar kein Radio habe.

https://www.youtube.com/watch?v=mBt4HlcDUDw

Im Fernsehen schaue ich die üblichen HBO- und AMC-Produktionen wie „The Walking Dead“, „Fear the Walking Dead“ oder „Game of Thrones“. Und ich sehe wahnsinnig gerne „Portlandia“, die Comedy-Serie über Portland mit Carrie Brownstein von der Band „Sleater-Kinney“ in einer der Hauptrolle. Einmal tauchte dort sogar J. Mascis von „Dinosaur jr.“ auf. Das hat mich beeindruckt.

Hörspiele und Hörbücher spielen in meinen Medienkonsum so gut wie keine Rolle. Ich kann mich einfach nicht lange genug auf reine Audio-Geschichten konzentrieren.

Insgesamt ist meine Mediennutzung in den letzten Jahren instrumenteller und funktionalistischer geworden. Online-Formate wie Twitter, Facebook und WeMakeZines nutze ich ausschließlich zum Networking, zur Ankündigung von Veranstaltungen und zur Verbreitung von Nachrichten. Solche (per Mail, via WhatsApp oder in seltenen Fällen sogar per Brief), für die ich länger als 15 Minuten brauche, schreibe ich kaum noch. Das Schreiben längerer und komplexerer Texte findet eigentlich nur noch im beruflichen Kontext statt.

Dafür habe ich durch meine Arbeit als Kurator auch ein neues Medium kennengelernt – die Ausstellung. Es ist das einzige Medium, das Geschichten durch das Arrangement von Exponaten erzählt und Botschaften durch die körperliche und atmosphärische Erfahrung von inszenierten Räumen vermittelt. Insofern haben sich mein Medienbegriff und damit auch meine Mediengewohnheiten erweitert.

Über die Konstellation von Exponaten in einem inszenierten Raum, die das Medium Ausstellung bilden, bin ich seit kurzem auch zu Fragen der Materialität von Medien gekommen. Gerade auch in Bezug auf Zines wird derzeit intensiv unter Zine-Herausgebern und Zine-Librarians sowie Zine-Forschern über die Bedeutung der Materialität dieses Mediums diskutiert. Zines sind eben nicht einfach bloß Vermittler von Nachrichten, sondern ihre DIY-Produktion und oftmals individuelle Gestaltung verweisen auf die Bedeutung der Materialität von Zines. Manche Zines wirken bisweilen sogar wie Kunstobjekte und weniger wie kopierte oder gedruckte Amateurmagazine.

Neben meiner Tätigkeit als Gesellschafter der Leipziger Ausstellungsagentur zeitläufer arbeite ich im Berliner Archiv der Jugendkulturen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt über Fanzines. Dort beschäftigen wir uns explizit mit der Materialität von Zines und versuchen, die Besonderheiten der Medienart „Zine“ zu analysieren. Dort tauchte auch irgendwann mal der Spruch „Wie Zeitschriften – nur anders“ als Beschreibung für Zines auf. Das fasst es ganz gut zusammen.

Ein für mich wichtiges ebenfalls wichtiges Medium ist Urban Art. Vor allem solche, die den Stadtraum zu einem Bestandteil des Kunstwerks machen, indem beispielsweise Risse in Mauern zu Mündern von Characters umfunktioniert werden oder mit der Stimmung und den Eigentümlichkeiten eines städtischen Ortes gespielt wird. Diesem „Text“ von Street Art und Graffiti Writing zu folgen, ist ein ganz anderes, stark körperliches und raumbezogenes Lesen von künstlerischen Botschaften. Das fasziniert mich immer wieder.


Christian Schmidt ist Historiker und Europäischer Ethnologe mit einer Vorliebe für Zines, Street Art und Beton. Er ist Inhaber der Leipziger Ausstellungsagentur zeitläufer und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Archiv der Jugendkulturen.

In der von Christoph Koch betreuten Rubrik Medienmenü stellen regelmäßig interessante Persönlichkeiten die Medien vor, die ihr Leben prägen. Ihr könnt per Mail an christoph@krautreporter.de vorschlagen, wen er porträtieren soll.

Illustration: Veronika Neubauer.