Wir lauschten dem Wummern der Trommeln
Leben und Lieben

Wir lauschten dem Wummern der Trommeln

Als ich nach Köln zog, habe ich über ein Jahr lang in einem Waschsalon gewaschen und fand die Atmosphäre dort spannend. Es mag kurios klingen, aber irgendwann bin ich sogar extra mittags gegangen und habe mir etwas zu essen mitgenommen. Ich mochte es, die Leute dort zu beobachten. Inzwischen habe ich eine eigene Waschmaschine. Doch ich gehe noch einmal zurück. Ein Abschiedsbrief.

Profilbild von Ein Abschiedsbrief von Marius Elfering

Lieber Waschsalon,

lange haben wir uns nicht gesehen, über ein Jahr ist vergangen, seit ich von der einen Seite Kölns zur anderen gezogen bin und eine eigene Waschmaschine bei mir eingezogen ist. Doch vergessen habe ich dich nicht.

Vor einiger Zeit las ich im Magazin der Süddeutschen Zeitung einen kurzen Artikel, der schon vor sechs Jahren erschienen ist. Er trug den Titel „Waschsalon“. Der Autor fand, dass Waschsalons nie wirklich beachtet wurden – seiner Meinung nach zu Recht. Erst jetzt, wo in einigen angesagte Kaffeegetränke ausgeschenkt werden und sich diejenigen, die etwas auf sich halten, hier zum Plausch treffen, sei es richtig, sich des Themas anzunehmen.

Ich hielt diese Aussagen für totalen Quatsch. War ich doch selbst über ein Jahr hinweg einmal in der Woche bei dir und habe meine Körbe voll schmutziger Wäsche zu dir rüber getragen. Als ich damals, 2013, gerade frisch nach Köln gezogen war, da bot mir meine erste Wohnung in der Stadt keinen Anschluss für eine eigene Waschmaschine. Sie fand einfach keinen Platz in der kleinen Wohnung. Es war ein Glück, dass du direkt gegenüber lagst. Und so betrat ich irgendwann zum ersten Mal in meinem Leben dein Inneres. 22 Waschmaschinen, zwei davon XXL-Waschmaschinen, und acht Trockner. Dazu ein paar Stühle aus Plastik, das war es. Kein Kaffee, keine Bar.

Abstand zum Alltagsstress

Unser Aufeinandertreffen wurde schnell zum wöchentlichen Ritual. Immer hast du eine ruhige, angenehme Stimmung bereitgehalten. Die meiste Zeit schwieg ich gemeinsam mit deinen Besuchern, dachte nach, schaute den Trommeln bei ihren Drehungen zu und wartete. Ich gewann Abstand zum stressigen Alltag, machte nichts, außer zu warten. Hier und dort gab es auch einige Besucher, die sich zum gemeinsamen Waschen trafen, sich unterhielten und Neuigkeiten austauschten. Die Stimmung war immer irgendwie entspannt, nie hektisch, denn es war jedes Mal wieder klar: Dieser Besuch dauert mindestens zwei Stunden.

Ein Jahr später zog ich um. Neue Wohnung, eigene Waschmaschine. Und wenn ich ehrlich bin: Ja, vieles ist einfacher, seitdem ich eine eigene Waschmaschine habe. Doch die Stimmung im Salon, bei dir, blieb mir immer in Erinnerung. Und so traf ich in der vergangenen Woche die Entscheidung, dich nochmal zu besuchen. Zu sehen, wie es dir geht.

Mittlerweile findet man Waschsalons nur noch in größeren Städten. Jeder Salon hat ein Einzugsgebiet von ungefähr 100.000 Einwohnern. Es gibt Schätzungen, dass heute noch ungefähr 300 Salons in Deutschland betrieben werden. Einer davon bist du. Hier sitze ich nun wieder.

„Wie läuft das denn hier“, ist das erste, was ich höre, als ich an diesem Morgen dein Inneres betrete. Ein älterer Herr bittet zwei jugendliche Mädchen, die gemeinsam auf einen Trockner warten, um Hilfe. Es ist auch dieser ruppig-raue Ton, der die Stimmung bei dir ausmacht. Ich setze mich. Warm ist es hier, schwül. Kondenswasser sammelt sich an den Scheiben, draußen wird es langsam kälter. Die Fensterbank lädt zum Sitzen ein. Ein paar Plastikstühle stehen herum. In der Ecke faltet ein älterer Herr im Schottenrock seine Wäsche zusammen. Langsam und bedächtig. Eine junge Frau rubbelt ein Geldstück an dem Metall des Bezahlautomaten. Wirft ihn immer wieder ein, bis das Geldstück irgendwann geschluckt wird. Maschine 22.

Premiere am 18. April 1934

Der erste öffentliche Waschsalon eröffnete am 18. April 1934, aber das weißt du bestimmt. Wo genau, darüber streitet man bis heute. Einige sagen in Forth Worth, andere sind der Meinung, es geschah in Chicago. Kannst du es mir sagen? Doch egal, wo der erste Waschsalon eröffnet wurde: Er war eine Erfolgsgeschichte. Die Salons begannen ihren Siegeszug durch die Welt. Mit der Einführung der Trommelwaschmaschine wurde für die Menschen vieles leichter. Der Großteil der Wäsche konnte nun auf diesem Wege gereinigt werden, statt durch mühevolle Handwäsche. Natürlich war eine Waschmaschine zunächst nur für die wenigsten Haushalte erschwinglich und genau deshalb konnten sich die Salons etablieren. So hast auch du es geschafft.

In den 60er Jahren hatte gerade mal ein Viertel der Bevölkerung eine eigene Waschmaschine. Sie waren einfach zu teuer. Bis in die 1980er Jahre änderte sich das aber, so dass beinahe 90 Prozent der Haushalte eine eigene Waschmaschine hatten. So lang ist es also noch gar nicht her, dass das gemeinsame Waschen im Waschraum des Hauses oder in den Waschsalons zur Tagesordnung gehörte. Im Laufe der Zeit änderte sich eure Situation. Immer mehr Menschen kauften sich eine eigene Waschmaschine. Weniger Menschen gingen in die Salons.

Heute haben fast 100 Prozent der deutschen Haushalte eine eigene Waschmaschine. Die Industrie macht jedes Jahr Milliardenumsätze. In einigen Städten versuchen die Betreiber heute neue Kunden anzulocken, mit gutem Kaffee, mit einer eigenen kleinen Bar. Bei dir ist das anders. Du bist schlicht geblieben. Maschinen, Trockner, Plastikstühle. Mehr braucht es nicht.

Billig geht anders

Manchmal bist du mahnend. Achtest darauf, dass die Leute sich benehmen. „Die Maschinen nicht komplett befüllen“, steht da, über jeder Waschtrommel. Kaum einer hält sich daran. Ein normaler Waschgang kostet immerhin 3,50 Euro. Wer Waschpulver dazuhaben möchte, zahlt extra, und das Trocknen kostet auch nochmal einen Euro pro 15 Minuten. Billig bist du nicht. Dennoch wird dir oft nachgesagt, dass du ein Ort bist, an dem Menschen waschen, die sich keine eigene Maschine leisten können.

Durchschnittlich 267 Kilogramm Wäsche wäscht jeder Mensch pro Jahr. Entschließen sich die Menschen, diese Menge bei dir zu waschen, dann haben sie am Ende des Jahres im Durchschnitt 200 Euro weniger im Portemonnaie. Sprich: Ab einem Zwei-Personen-Haushalt lohnt sich der Kauf einer Waschmaschine schon. Und sind wir ehrlich: Nicht bei jedem Wind und Wetter die Sachen packen zu müssen, zum Salon zu laufen und dort mehrere Stunden zu verbringen: Das hat doch auch was ganz Schönes. Du bist ersetzbar. Ich weiß, das willst du nicht hören, aber die Wahrheit ist manchmal so.

Chronischer Münzgeldmangel

Ein junges Paar kommt herein. Sie gehen gemeinsam zum Bezahlautomaten. Kein Wechselgeld. Niemand kann helfen. Sie müssen nochmal los. Ob im Kiosk gegenüber immer noch jedem geduldig das Geld gewechselt wird? Wir anderen lauschen weiter dem Wummern der Trommeln. 45 Minuten pro Maschine, danach noch 15 Minuten pro Trockengang. Einer reicht dabei nie, eher zwei müssen es sein.

Eine ältere Frau trägt einen Wäschekorb aus Plastik von einer Maschine zum Trockner. Die Wäschekörbe brechen oft an den Henkeln, weil zu viel Wäsche in ihnen transportiert wird. Alle paar Monate gibt es neue.

Eigentlich ist alles wie immer. Leute kommen, Leute gehen, wir schweigen gemeinsam. Doch es hat sich auch etwas geändert. Ich muss hier nicht mehr waschen. Meine Wäsche habe ich zu Hause gelassen, ich wollte einfach nur die Stimmung einfangen, doch ich glaube, das geht nicht mehr. Ich gehe wieder nach Hause.

Rede ich mir deinen Charme nur ein? Habe ich das damals getan, als ich meine Wäsche Woche für Woche zu dir gebracht habe? Als du viele meiner Socken für immer in deinem Inneren behalten hast? Vielleicht. Dennoch habe ich dich in guter Erinnerung behalten. Würde es die Waschsalons nicht mehr geben, würde es dich nicht mehr geben. Ich bin mir sicher, dass etwas fehlen würde.

Mach es gut!

Dein Marius.


Redaktion: Sebastian Esser; Produktion: Vera Fröhlich; Aufmacherbild: Eyeem.