Goldfische sind berühmt dafür, dass sie sich angeblich nicht lange konzentrieren können. Sind halt dumme Fische? Nun ja. Als Forscher einer kanadischen Microsoft-Studie letztes Jahr die Aufmerksamkeitsspanne von Menschen maßen, lag die nur bei acht Sekunden. Im Jahr 2000, also etwa zu Beginn des Smartphone-Zeitalters, waren es noch zwölf Sekunden. „Wir wissen, dass die menschliche Aufmerksamkeit dahinschwindet“, schrieben die Forscher in ihren Bericht.
Sicher hatte Microsoft eigene Interessen hinter dieser Studie (wie man ihr auch anmerkt), aber die Ergebnisse haben ziemliche Wellen geschlagen. Zu recht. Denn sie zeigen, dass unser digitalisierter Lebensstil unser Gehirn tatsächlich verändert. Das ist nicht nur schlecht: Wir sind, auch das fand die Studie heraus, jetzt zum Beispiel viel Multitasking-fähiger als früher. Aber dieses flächendeckende Aufmerksamkeitsdefizit hat einen sehr unangenehmen Nebeneffekt: Unser Leben wird langweiliger.
Erst einmal klingt das paradox. Dank Smartphone sind alle Informationen der Welt ja nie weiter weg als eigene Hosentasche. Es gibt keinen Grund, sich zu langweilen, wenn man jederzeit aus hunderttausend Videos wählen kann, in denen Tiere Kleider tragen oder kleine Kinder Rockballaden singen beziehungsweise umgekehrt. Tatsache ist aber: Wir langweilen uns immer noch. Wahrscheinlich sogar mehr als früher.
Langeweile gilt als peinlich
Langeweile ist schwer zu messen. Menschen sind bei Umfragen zu diesem Thema tendenziell nicht ehrlich, das ist ähnlich wie bei Sexumfragen. Denn sich langweilen gilt als peinlich. Am besten haben die Pet Shop Boys diese Haltung zusammengefasst: „We were never feeling bored ’cause we were never being boring“. Mit anderen Worten: Wenn man sich langweilt, ist man halt ein Langweiler. Aber es gibt noch einen weiteren Grund dafür, dass es wenig Daten zu Langeweile gibt: „Langeweile ist ein modernes Phänomen. Früher hatten die Leute einfach keine Zeit, sich zu langweilen. Eins ist aber sicher: Wir sind heute viel gelangweilter, als wir es sein sollten, wenn man sich ansieht, wie viele Unterhaltungsmöglichkeiten wir haben“, sagt die britische Arbeitspsychologin und Langeweile-Forscherin Sandi Mann.
Mann ist davon überzeugt, dass Langeweile zunehmend ein Problem für uns wird. Sie geht davon aus, dass die Hälfte von uns sich oft in der Schule oder zu Hause langweilt, und bis zu zwei Drittel bei der Arbeit. „Je mehr wir unsere Welt mit schnellen, hochintensiven, ständig wechselnden Reizen füllen, desto mehr gewöhnen wir uns daran und desto weniger tolerieren wir niedrigere Mengen“, meint Mann. Mit anderen Worten: Je mehr wir versuchen, Langeweile über elektronischen Input zu verhindern, desto schneller sind wir gelangweilt.
Man muss das noch einmal wiederholen, um die ganze Dimension dieser Aussage zu fassen: Genau die Strategien also, die wir heute typischerweise anwenden, um uns nicht zu langweilen, bewirken das Gegenteil. Dabei ist zweitrangig, welche Inhalte wir konsumieren. Egal also, ob wir superschnelle Rezeptvideos für Tiramisu und frittierte Käsehappen gucken oder politische Blogs lesen, entscheidend ist das Verlangen danach, dass immer neue Informationen in unser Gehirn strömen.
Gleichzeitig überbeschäftigt und latent angeödet
Langeweile-Forscher gehen davon aus, dass das mit unserem Dopaminhaushalt zusammenfängt. Dopamin ist der wichtigste Mitspieler im Belohnungssystem des Gehirns. Es spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Süchten. Jedes Mal, wenn wir etwas Neues entdecken, bekommen wir einen Dopaminschub. Das fühlt sich gut an, wir fühlen uns lebendig, angeregt und zufrieden. Das Problem ist, dass das Internet und Unterhaltungsmedien diesen Mechanismus außer Rand und Band geraten lassen. All die spannenden, wechselhaften Informationen, Töne und Bilder werden für uns immer schneller alt und öde. Zeiten ohne Input empfinden wir als Fehler. So selbstverständlich, dass wir es kaum noch merken.
Nun könnte man sagen: Macht nichts, dann sind wir halt ein bisschen hyperaktiv und unkonzentriert. Könnte man tolerieren – wenn wir dabei nur glücklich wären. Stattdessen schaffen wir es aber immer mehr, gleichzeitig überbeschäftigt und latent angeödet zu sein.
Die Art und Weise, wie unsere Informationen und unsere Unterhaltung kommen, verschlimmert die Sache noch. Das ist sofort klar, wenn man sich einen Menschen von außen ansieht, der mit Computer, Tablets und Handy hantiert. Er hat dabei immer die gleiche Körperhaltung und macht ähnliche Bewegungen. Er schaut auf Bildschirme, seine Finger vollführen kleine Bewegungen auf Tastaturen, er klickt und wischt. Vielleicht den ganzen Tag lang. Sechs der zehn häufigsten Freizeitaktivitäten der Deutschen sind laut Freizeitmonitor durch Medien geprägt (noch mehr, wenn man „Musik hören“ oder „Zeitungen/Zeitschriften lesen“ dazu zählt). Dazu kommt die Zeit, die man im Job vor Bildschirmen oder mit automatisierter Technik verbringt. Wenn die Körperteile wachsen würden, die wir am häufigsten nutzen, hätten die meisten von uns überdimensionierte Fingerspitzen und Augenbälle.
Für das Gehirn ist diese Art, den Körper zu nutzen, ziemlich langweilig. Statt dass verschiedene neuronale System angeregt werden, weil wir etwa Dinge zusammenstecken, zeichnen, schnippeln oder reden, sind wir immer nur mit minimalen Handbewegungen zugange. Es kommt uns vor, als würden wir ganz verschiedene Dinge tun, aber letztlich gucken wir auf einen Bildschirm. Die ganze Zeit.
Das ist besonders dann interessant, wenn man sich ansieht, welche Jobs früher als langweilig galten. Aus Sicht von Arbeitspsychologen waren das genau die Tätigkeiten, bei denen Angestellte immer wieder die gleichen Handlungen wiederholen mussten: am Fließband oder an der Supermarktkasse. Es ist eine Ironie der neuen Arbeitswelt, die der unserer Großeltern doch angeblich so überlegen sein soll: Das Repetitive ist schichtübergreifend zur Norm geworden. Wir stehen jetzt quasi alle am Fließband.
Menschliche Aufmerksamkeit wird ein knappes Gut
Satya Nadella, CEO bei Microsoft, hat ziemlich gut zusammengefasst, warum es wichtig ist, das zu verstehen. „Das knappe Gut der nahen Zukunft wird menschliche Aufmerksamkeit sein.“ Er stellt unsere dahinschwindende Konzentrationsfähigkeit also in eine Reihe mit anderen schrumpfenden Ressourcen. Und er hat recht damit. Viele von uns schaffen es nicht mehr, an einer Ampel, Supermarktschlange oder neben einer gurgelnden Kaffeemaschine zu warten, ohne sofort das Smartphone aus der Tasche zu graben. Das macht uns nicht nur ungeduldig und gelangweilt, sondern führt dazu, dass die Medien, die wir konsumieren, verblöden (weil wir uns nur noch auf Listen und Too Long;Didn’t Read-Happen konzentrieren können).
Und dass Politiker, die schnelle, überzogene Slogans von sich geben, mehr Erfolg haben als diejenigen, die versuchen, schwierige Zusammenhänge in ihrer ganzen Komplexität zu erklären.
Was tun, also? Digitale Diäten funktionieren genau so gut wie normale Diäten, also kaum. Früher oder später stopft man sich wahrscheinlich wieder mit Facebook respektive Pommes voll. Der Vergleich mit Essen ist sehr passend, denn jedem ist irgendwie klar, dass es wichtig ist, auf die eigene Ernährung zu achten. Was unsere digitale Ernährung betrifft, folgen wir dagegen noch ziemlich ungehemmt der All-You-Can-Eat-Devise.
Es wäre gut und wichtig, viel stärker auszuwählen und mehr konzentrierte Zeit mit einer einzigen Sache zu verbringen. Ohne Klicks in den Posteingang zwischendurch. Und in den Pausen keine weiteren Informationen zu konsumieren, sondern etwas ganz anderes zu tun, und wenn es Stricken ist – oder dem Goldfisch bei seinem Spazierschwimmgang im Glas zuzusehen.
Der israelische Neurowissenschaftler Moshe Bar hat vor kurzem in einer Studie zeigen können, dass unser Denken, wenn man es in Ruhe lässt, nicht nur automatische Gedanken und Assoziationen abspielt (wie viele Psychologen glauben). Bar behauptet, dass unser Denken im Standardmodus kreativ statt repetitiv sein kann. Aber nur, wenn man auch mal in den Leerlaufschaltet. Indem man die Finger vom Smartphone lässt, zum Beispiel (tut nur am Anfang weh), oder Techniken wie Meditation lernt, um geistig den Müll rauszubringen.
Redaktion: Esther Göbel; Produktion: Susan Mücke; Aufmacherbild: Nicolas Balcazar.