Mein Tag beginnt mit Twitter im Boxspringbett. Einmal den Feed durch. Die tausend Menschen, denen ich folge, sind kuratiert, insofern ist von Windelwechseln bis VR alles dabei. Der Algorithmus bestimmt die Relevanz. Snapchat nutze ich natürlich auch, aber das eher so auf der Gossip-Schiene.
Im Print-Abo habe ich tatsächlich nichts. Auch wenn man hier sicher durch einen wohlkuratierten Printfeed sein Profil schärfen könnte. Regelmäßig lese ich das Manager Magazin und die Süddeutsche am Samstag. Auch das Handelsblatt lese ich regelmäßig. Nicht mehr ganz so regelmäßig, seit es die Lufthansa nicht mehr am Gate hat. Aber mir gefällt daran seine Snackigkeit – niemand braucht mehr als eine Strecke Berlin -Frankfurt, um den gesamten Content zu verarbeiten.
Wenn ich auf Reisen bin, lese ich ansonsten vor allem Belletristik. Zuletzt alles von Sebastian Fitzek, Programmdirektor von 104.6 RTL in Berlin. Medienkonvergentes Lesen: Bücher eines Radiomanns. Ansonsten bin ich, was Bücher betrifft, ein schneller und breit interessierter Leser. Mit zwölf hatte ich meine Stadtteilbibliothek durch und war bei den etwas erwachseneren Sachen angelangt, so dass mir meine Mutter früh Anaïs Nin aus der Hand nehmen musste. Ich habe da wenig Berührungsängste oder geschliffene Vorlieben.
https://www.youtube.com/watch?v=w5T0w-1OdMo
Was Sachbücher zu meinen Arbeitsthemen angeht: Ich habe natürlich mein „The 2nd Machine Age“ gelesen. Aber ansonsten ist dieses Thema ja so fluide, dass das in digitalen Erklärbüchern Beschriebene meist schon überwunden ist. Oder aber das in ihnen verhandelte Wissen ist in vielen Häppchen schon in der Welt. Ein solches Standarderklärwerk für das, was in meiner Welt passiert, wie „The 2nd Machine Age“ war und ist, gibt es eher selten.
Regelmäßige Leserituale habe ich kaum. Wenn’s richtig gut läuft, finde ich es großartig, die Süddeutsche am Samstag von der ersten bis zur letzten Seite durchzulesen. Schaffe ich ungefähr dreimal im Jahr. Ich lese dafür einmal im Jahr wirklich geplant Bücher. Immer am 24.12. setze ich mich abends noch auf die Couch und kaufe mir fürs Kindle die drei Jahresbestseller, das Standardwerk des aktuellen Literaturnobelpreisträgers und vielleicht noch einen Salman Rushdie, um ein bisschen anzugeben. Und die lese ich dann am Strand.
Ich lese viel auf dem Kindle. Ansonsten habe ich zwar ein Tablet, aber seitdem die Telefone so groß sind, ist der Unterschied zum Tablet ja minimal. Ich lade mein iPad eigentlich gar nicht mehr auf.
Im Netz lese ich vor allem linkbasiert: zum Beispiel The Verge oder Quartz. Aber ich rufe die praktisch nie direkt auf. Insofern ist Slack neben Twitter meine zweite kuratierte Version, die Welt zu mir zu nehmen.
Ähnlich ist es mit Blogs. Blogs? Gibt’s den Blödsinn immer noch? Was ich tatsächlich gern höre, und was mir den Zugang zum Medium Blog aufrechterhält, ist „Trackback“ auf Radio Fritz. Die stellen mir Blogger vor, deren Blogs ich zwar nie lese, aber um deren Existenz zu wissen ich dann doch ganz interessant finde. Radiosendungen über Blogs hören – Medienkonvergenz!
Ich lese wahnsinnig gerne Texte von Dirk von Gehlen, weil der einfach gut und schlau ist. Jochen Wegners Texte lese ich auch gern. Beides Leute, die ich auch persönlich sehr gern mag, deren Texte aber auch gut sind und tief gehen. Generell merke ich durch so etwas aber auch, dass Medien nicht Teil meiner Nutzungswelt sind. Ich finde Inhalte gut, Medien sind mir egal. Ob Dirk von Gehlens oder Stefan Plöchingers Texte nun auf sueddeutsche.de stehen oder der Link zu meinkleinestheaterschauspiel.de oder zu ihrem Medium-Channel geht, macht den Text ja nicht schlechter.
Wo ich mich sehr gerne aufhalte: Wikipedia. Ist am Ende ist ja auch zu einem Medium geworden. Hier kann man durchschlendern und lange Texte lesen und Wissen mitnehmen, das man sonst nie gehabt hätte. Enzyklopädielesen als bequeme, randomisierte Auseinandersetzung. Oder eben als stundenlanges Rumnerden. Wissen über die Stadtgeschichte von Tokio oder die Benennung der Stadtbezirke von New Orleans – dass die „Wards“ genannt werden, hat etwas schön Raumschiff-Enterprise-mäßiges.
Um Texte zu archivieren, mache ich übrigens inzwischen etwas, das mir am Anfang total ulkig vorkam und worüber ich mich gern lustig gemacht habe: Ich schicke mir via Slack selbst Nachrichten. Ich dachte, das sei die bekloppteste Funktion der Erde, aber meine Leseliste und die Gedanken dazu landen in [Slack](https://de.wikipedia.org/wiki/Slack_(Software/), kombiniert mit Evernote.
Was mich an Medien lange genervt hat, war die Omnipräsenz viraler Contenthypes in allen Medienkanälen. Das war mitunter recht anstrengend, aber inzwischen ist der Algorithmus so perfide, die Filterbubble so sicher wie Fort Knox, dass mich der populärste Content nicht mehr erreicht, nur weil er populär ist. Ich habe beispielsweise in den letzten Wochen nicht einen Post zur Fußball-EM gesehen. Das Ausbrechen aus der Blase kann dann wieder sehr bewusst geschehen. Beziehungsweise kommt man ja in der echten, schlecht gefilterten Welt dann doch nicht an einer Bahnhofs-BILD-Schlagzeile vorbei.
Zuguterletzt: Ich höre wahnsinnig viel Petula auf Spotify – die Band eines Mitarbeiters – damit er mir sagen kann, wie sich das in seinen Auszahlungen niederschlägt. Natürlich schalte ich auf stumm. Kann man ja nicht wirklich hören, den Kram.
Christoph Bornschein ist einer der Gründer und Geschäftsführer der Agentur für digitale Transformation Torben, Lucie und die gelbe Gefahr, zweifacher Träger des Titels „Agentur des Jahres“ des Deutschen Preises für Onlinekommunikation.Der gebürtige Berliner berät internationale Konzerne und Unternehmen dabei, soziale und digitale Technologien strategisch für Markenführung und Kommunikation zu nutzen.
In der von Christoph Koch betreuten Rubrik Medienmenü stellen regelmäßig interessante Persönlichkeiten die Medien vor, die ihr Leben prägen. Ihr könnt per Mail an christoph@krautreporter.de vorschlagen, wen er porträtieren soll.
Foto: Max Threlfall, Grafik: Veronika Neubauer.