„Die Rotorenfläche spielt für die Leistung keine Rolle“ - Die Antworten der KR-Experten (ungekürzt)
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„Die Rotorenfläche spielt für die Leistung keine Rolle“ - Die Antworten der KR-Experten (ungekürzt)

Stefan ist Krautreporter-Leser und hat gefragt: „Weshalb haben Windräder so extrem dünne Blätter?“ Das sind die Antworten der Krautreporter-Experten (ungekürzt).

Profilbild von Susan Mücke
Reporterin für Leben und Alltag / Chefin vom Dienst

Antwort 1 von Nils:

Es gibt Menschen, die haben über das Thema ganze Bücher und Dissertationen geschrieben. Ich habe mal versucht, die Faktoren zu beschreiben, von denen ich glaube, dass sie relevant sind. Das ist erinnertes Vorlesungswissen, ein Berufs-Windkraft-Aerodynamiker kann mich sicherlich etwas berichtigen und vor allem eher beantworten, wie relevant die Punkte für das Problem sind.

Also, die kurze Zusammenfassung lautet: Das ist das optimale aerodynamische Profil.

Die lange Version geht so: Den Wind zu nutzen, ist keine Idee der Neuzeit, das wird bereits seit Jahrhunderten versucht. Die Technik hat sich dabei aber fundamental verändert. Wenn man sich Windmühlen aus vorigen Jahrhunderten anschaut, haben diese meist viele Flügel mit großer Fläche. Im Prinzip hat man dabei einfach große Planken leicht schräg in die Brise gestellt, die Bretter werden vom Wind weggedrückt und eine Bewegung entsteht. Wie Stefan dabei richtig anmerkt, bedeuten dann dickere Bretter mehr Widerstand und damit mehr Drehkraft.

Moderne Windkrafträder funktionieren aber anders. Man hat sich dabei eine Technik von einer der großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts abgeschaut – dem Flugzeug. Ein Flügel heutiger Windkrafträder funktioniert genauso wie eine Flugzeugtragfläche, es wird nicht der Widerstand gegen den Fahrtwind genutzt, sondern Auftrieb. Die gleiche Frage ist also, warum Tragflächen von Jumbojets so schmal sind, wo sie doch hunderte Tonnen in der Luft halten müssen.

Der Auftrieb an einem Flügel entsteht durch Druckunterschiede zwischen Ober- und Unterseite. Wenn man die Tragfläche durchschneidet, sieht man ein gebogenes Flügelprofil. Das sorgt dafür, dass anströmende Luft auf der Oberseite einen längeren Weg zurücklegen muss als auf der Unterseite. Damit hat die Luft oben eine höhere Geschwindigkeit, der Druck verringert sich. Das Gegenteil findet sich auf der Unterseite: Die Luft wird gestaut und der Druck erhöht sich. Der Flügel wird also nach oben gesaugt und von unten hochgedrückt – und nimmt das gesamte Flugzeug mit nach oben.

Diese Zustände sind aber nicht an beliebigen Flügeln herzustellen. Wenn die Luft über den Flügel strömt, reibt sie sich an der Oberfläche und wird abgebremst. Ist der Flügel zu breit, sorgt die abgebremste Luft für einen enormen Widerstand in der Strömung. Damit wird auch das Flugzeug in Bewegungsrichtung abgebremst (und der Windkraftrotor in Drehrichtung). Noch schlimmer ist allerdings das Phänomen des Strömungsabrisses: Bei zu breit designten Flügeln kann es passieren, dass die Luft auf der Tragfläche so weit abgebremst wird, dass die Strömung nicht mehr schön an der Oberfläche anliegt, sondern sich ablöst. Und das sorgt für einen bedeutenden Auftriebsverlust.

Perfekt designte Blätter schaffen also einen großen Auftrieb ohne zu viel Strömungswiderstand zu erzeugen. Das Gegenteil ist mit zu breiten Blättern der Fall.
Jetzt könnte man die Anschlussfrage stellen, warum man dann nicht ganz viele schmale Blätter nimmt, um mehr Fläche abzudecken und eine größere Kraft zu erzeugen. Diese vielen Blätter (oder eben auch wenige sehr breite) würden wiederum eine große Widerstandsfläche bieten und der Wind staute sich vor dem Rotor auf, die Folge sind niedrigere Strömungsgeschwindigkeiten an den Flügeln. Um mehr Auftrieb zu erzeugen, ist es aber wichtig, dass hohe Strömungsgeschwindigkeiten auftreten, daher benutzt man weniger Flügel, um den eintreffenden Wind nicht zu stark abzubremsen.
Diese aerodynamischen Überlegungen, zusammen mit dem Wunsch, möglichst wenig Material zu verbrauchen und Belastungen auf die Rotornabe nicht zu groß werden zu lassen, haben dafür gesorgt, dass sich die Turbinen mit genau drei relativ schmalen Flügeln durchgesetzt haben.

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Antwort 2 von F., Diplomingenieur:

Für einen möglichst effizienten Betrieb von Windrädern (sog. Betz’scher Leistungsbeiwert) ist das Verhältnis von der ursprünglichen Windgeschwindigkeit vor der Anlage zur der Windgeschwindigkeit hinter der Anlage entscheidend. Dabei spielt die Anzahl der Blätter, welche die Energie der strömenden Luft in Rotationsenergie wandeln, eine untergeordnete Rolle. Es existieren Konzepte mit einer deutlich höheren Anzahl an Blättern, diese laufen dann allerdings mit anderen Drehzahlen als die dreiblättrigen Windräder. Entscheidend ist nur die durch den Rotor überstrichene Fläche, da diese die entnehmbare Leistung des Windes definiert. „Für eine möglichst geringe Flügelzahl spricht“ weiterhin „der hohe Kostenanteil des Rotors an den Gesamtkosten der Anlage (20-25% der Gesamtkosten)“[Gasch und Twele, Windkraftanlagen 2010]. Darüber hinaus sind aufgrund der „Verteilung der Massen- und Luftkräfte über die Rotorkreisfläche“ Dreiblattrotoren „dynamisch ruhiger, was eine geringere Belastung aller Komponenten bewirkt“ [Gasch und Twele, Windkraftanlagen, 2010].

Antwort 3 von Tom, Medieninformatiker:

Ich glaube gelesen zu haben, dass die Größe der Windradschaufeln das Optimum zwischen Gewicht und Kraftumwandlung darstellt. Die Schaufeln müssen ja (materialbedingt) eine gewisse Stabilität haben, welche immer anspruchsvoller zu erhalten wäre, je größer und damit schwerer das Windrad werden würde. Daher ist die derzeitige Größe wohl der optimale Kompromiss aus Stabilität und Effizienz. Zudem wäre wohl bei größeren, schwereren Schaufeln der Anfangswiderstand zum Drehen größer.

Antwort 4 von D., Veranstaltungstechniker:

Ich spekuliere mal: Das Blatt eines Windrades muss leicht sein, der Anstellwinkel muss variabel sein und sie sollten möglichst von geringem Wind bis zum Sturm möglichst optimal arbeiten. Wäre das Blatt meinetwegen so groß wie eine Schiffsschraube, wäre es so schwer, dass die Fliehkraft irgendwann stärker wäre als die Aufhängung. Zudem müssen die Bauteile transportiert und vor Ort installiert werden. Eine Art Schiffsschraube passt halt nicht so gut auf einen Lkw wie ein Windradblatt.

Antwort 5 von Marcus, Junior Referent für technische Kundenbetreuung:

Ich denke, dass auch die Trägheit eine Rolle spielt. Z.B. beim Schwung aufnehmen, wenn die Windkraft das Rad in Rotation versetzt, aber auch wenn kein Wind mehr geht und das Windrad trotzdem weiterdreht. Dünne Blätter sind könnte ich mir als effizienteste Lösung vorstellen.

Antwort 6 von Jonas, User Interface Designer:

Ohne Physikstudium, sogar ohne einen Physik-Leistungskurs besucht zu haben, erkläre ich mir das so: Mehr Fläche resultiert darin, dass mehr Widerstand entsteht, daraus resultiert wiederum, dass der Wind stärker gebremst wird und dass mehr Kraft wirkt. Zum einen auf den Mast, zum anderen liegt auch mehr Kraft an der Generatorwelle an. An der Generatorwelle benötigt man keine Kraft, sondern Geschwindigkeit. Je schneller die Welle dreht, umso mehr Strom wird erzeugt. Anders verhält es sich bei Windmühlen, hier benötigt man Kraft, um die Mühlsteine zu bewegen, daher sind hier die Blätter wesentlich größer.

Antwort 6 von Lucca, Schiffbauingenieur:

Die Antwort ist in der Propeller-, oder Tragflächentheorie zu finden. Das Flächenverhältnis beschreibt die tatsächliche Fläche, die die Flügel beschreiben, bezogen auf die Propellerkreisfläche A0 = π D2. Meist wird die abgewickelte Propellerfläche AE (E steht für expanded, 4 also abgewickelt) angegeben (also AE/A0), manchmal auch das projizierte Flächenverhältnis AP/A0. Aus Wirkungsgradgründen (sowie aus Kostengründen, denn der Propellerpreis ist praktisch proportional zum Gewicht des Propellers) versucht man, das Flächenverhältnis so gering wie möglich zu halten. Dass der Wirkungsgrad bei geringer werdendem Flächenverhältnis steigt, kann man sich anschaulich so überlegen: Die Qualität eines Tragflügels kann anschaulich durch das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand ausgedrückt werden, was die sogenannte Gleitzahl ergibt. Es ist bekannt, dass Tragflügel dann besonders gute Gleitzahlen haben, wenn sie extrem schlank sind (wie z.B. bei Segelflugzeugen, wobei mit schlank das Verhältnis von Spannweite zu Sehnenlänge gemeint ist).

Antwort 7 von Martin, Feinmechaniker:

Die Windräder arbeiten nicht mit dem Winddruck, der die Flügel zur Seite drückt. Die Bewegung entsteht, weil die Flügel ein Profil haben, das einen Sog zur Seite entstehen lässt, ähnlich wie Tragflächen eines Flugzeugs, die Auftrieb erzeugen, weil der Weg obenherum länger ist als der Weg untenherum. Mehr Fläche bringt da keine zusätzliche Kraft, sondern nur mehr Luftverwirbelungen, die die Bewegung wieder bremsen.

Antwort 8 von M., pensionierter Mathe- und Biolehrer:

Ich glaube, dass die Rotorblätter elastisch auf die Windkräfte reagieren. Man kann im Herbst an Bäumen beobachten, dass an den (dünnen) Zweigspitzen die Blätter noch nicht abgefallen sind, weil sie den Windkräften ausweichen können. Ein Rotorblatt weicht ebenfalls mit der Drehbewegung aus. Der Turm ist ebenfalls relativ dünnwandig, vergleichbar mit einem Gras- oder Getreidehalm.

Antwort 9 von Markus, Projektleiter:

Bin nicht 100% sicher, aber der Schlüssel dazu liegt eher nicht im Betriebsmodus der Windräder, sondern im Szenario „Stillstand“. Es muss ja eine gefahrlose Möglichkeit geben, ein Rad trotz Windes still stehen zu lassen (Wartung, Defekt, o.ä.).

Antwort 10 von Dagobert, war mal Kunstlehrer:

Als Laie würde ich Stefan so antworten: Das Gesamtgebilde „Windkraftrad“ muss eine technisch und ästhetisch ausgewogene Konstruktion sein. Mehr (als drei) und breitere Rotorblätter könnten zwar eine größere Turbine antreiben (und folglich mehr Strom erzeugen), würden aber auch einen entsprechend mächtigen Masten (und mehr Wind) benötigen. Zum Glück stehen solche Monster (noch) nicht in unseren Landschaften, sondern „nur“ die schlanken und eleganten Dreiflügler - eher Kunstwerke als Energiefabriken.

Antwort 11 von Guilherme, Student:

Betrachten wir mal die extreme Situation: Was wäre mit ganz dicken Blättern? So dick, dass sie die ganze Fläche ausmachen. Dann würde kein Wind mehr hindurchblasen und das Rad stünde still. Also muss man dem Wind „Luft geben“, damit er überhaupt noch wehen kann. Außerdem hinterlässt jedes vorausgehende Rotorblatt Turbulenzen. Je geringer diese Turbulenzen, desto kleiner die Reibung. Hier muss man dann das Optimum finden, welches von der Rotorblattform als auch von den erwarteten Windgeschwindigkeiten abhängt.

Antwort 12 von Ernst, Arzt:

Das Rotorblatt „schwimmt“ auf der Luft auf seiner Leeseite und wird von dieser getragen. Da es schräg zur Windrichtung steht, wird es zur Seite weggedrückt und erzeugt so ein Drehmoment an seiner Achse.

Antwort 13 von Harald:

Der Wirkungsgrad eines Flügels, und darum handelt es sich bei Windradrotoren, wird umso besser, je größer die Flügelstreckung ist, also das Verhältnis von Spannweite zu Flügeltiefe.

Antwort 14 von Peter, Softwareentwickler:

Ich kann es nicht belegen, aber größere Blätter bedeuten auch mehr Widerstand. Daher gilt es wohl den besten Kompromiss zu finden.

Antwort 15 von Ismael:

Die kleine Fläche der Windräder reicht vollkommen aus, um die maximale Kraft, die auf den Generator wirken darf, zu erzeugen. Schnellere Rotation würde auch größere Fliehkräfte und Hebelwirkung am Turm bedeuten. Somit müsste dieser auch wieder massiver ausgelegt werden.

Antwort 16 von Reinhold, Diplomingenieur:

  1. Mit „dick“ wird offensichtlich „breit“ gemeint. 2. Da muss man sich mit der Physik der Windräder beschäftigen. Dies ergibt das „Betz’sche Gesetz“, bei dem die Rotorenfläche für Leistung keine Rolle spielt. Maßgebend ist die von den Rotorblättern überstrichene Fläche.