Die Antwort: Warum haben Windräder so extrem dünne Blätter?
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Die Antwort: Warum haben Windräder so extrem dünne Blätter?

Die Rotorenfläche spielt für die Leistung keine Rolle. Aber wie erreicht man beim Windkraftrad die optimale Energie? Das wollte KR-Leser Stefan wissen. Ich habe die KR-Experten um Rat gefragt. Das ist ihre Antwort.

Profilbild von Susan Mücke
Reporterin für Leben und Alltag / Chefin vom Dienst

Schon heute liefert der Wind deutschlandweit mehr als acht Prozent der gesamten Energie und macht mehr als ein Drittel der Erneuerbaren aus. Offshore-Energie bietet ein riesiges Potential im Strommix der Zukunft. Elf Anlagen in der Nordsee und zwei in der Ostsee versorgen uns derzeit mit Strom. Onshore, also auf dem Land, sind es deutlich mehr, wenn auch mit einer geringeren Leistung. Die Prognosen für Offshore-Anlagen mussten in der Vergangenheit jedoch immer wieder nach unten korrigiert werden, weil sich deren Netzanbindung schwierig gestaltet.

Eine andere wichtige Voraussetzung für Windkraftanlagen wurde dank der Berechnungen des Physikers Albert Betz schon vor gut 100 Jahren geschaffen. Betz war gleichzeitig auch Flugzeugbauer. Er ermittelte die optimal erreichbare Leistung, den sogenannten maximalen Leistungsbeiwert. Denn eine Windturbine kann die kinetische Energie des Windes nicht vollständig in mechanische Rotationsenergie umwandeln.

Krautreporter-Leser Stefan stellt sich deshalb die Frage nach der Bauweise der Anlagen: „Seit ich vor 15 Jahren die ersten Windräder sah, frage ich mich immer wieder, weshalb sie so extrem dünne Blätter haben. Sie scheinen nur ca. fünf Prozent der Kreisfläche auszumachen. Würden dickere Blätter nicht mehr Kraft in Strom verwandeln können, weil mehr Drehkraft und Widerstand da sind?“ Ihr, liebe Krautreporter-Experten, habt mir zahlreiche Antworten geschickt. Ich fasse sie in diesem Beitrag zusammen. (Sämtliche ausführlichen Beiträge findet ihr im Mitgliederbereich - bitte einloggen. Mitglied werden? So geht’s.)

Kurz gesagt, entspricht die Breite der Blätter dem optimalen aerodynamischen Profil. Aber was heißt das genau? Krautreporter-Mitglied Nils beschreibt die Wirkungsweise ausführlich. Der 26-Jährige studiert Maschinenbau und Energietechnik und beschäftigt sich mit erneuerbaren Energien, Stromversorgung und Themen der Nachhaltigkeit.

„Man hat sich dabei eine Technik von einer der großen Erfindungen des 20. Jahrhunderts abgeschaut – dem Flugzeug. Ein Flügel heutiger Windkrafträder funktioniert genauso wie eine Flugzeugtragfläche, es wird nicht der Widerstand gegen den Fahrtwind genutzt, sondern Auftrieb. Der Auftrieb an einem Flügel entsteht durch Druckunterschiede zwischen Ober- und Unterseite. Die gleiche Frage ist also, warum Tragflächen von Jumbojets so schmal sind, wo sie doch hunderte Tonnen in der Luft halten müssen. Wenn man die Tragfläche durchschneidet, sieht man ein gebogenes Flügelprofil. Das sorgt dafür, dass anströmende Luft auf der Oberseite einen längeren Weg zurücklegen muss als auf der Unterseite. Damit hat die Luft oben eine höhere Geschwindigkeit, der Druck verringert sich. Das Gegenteil findet sich auf der Unterseite: Die Luft wird gestaut und der Druck erhöht sich. Der Flügel wird also nach oben gesaugt und von unten hochgedrückt – und nimmt das gesamte Flugzeug mit nach oben.“

Betz bestimmte für jeden Ringschnitt (dr) die optimale Blatttiefe t(r) in Abhängigkeit von der Blattanzahl (z), der Schnelllaufzahl (λ), dem Auftriebsbeiwert (ca) des gewählten Profils sowie dem Radius (R) des Rotors. Die optimale Flügeltiefe t ergibt sich in Abhängigkeit vom Radius r.

Betz bestimmte für jeden Ringschnitt (dr) die optimale Blatttiefe t(r) in Abhängigkeit von der Blattanzahl (z), der Schnelllaufzahl (λ), dem Auftriebsbeiwert (ca) des gewählten Profils sowie dem Radius (R) des Rotors. Die optimale Flügeltiefe t ergibt sich in Abhängigkeit vom Radius r. Screenshot

„Diese Zustände aber“, so Nils weiter, „sind nicht an beliebigen Flügeln herzustellen. Wenn die Luft über den Flügel strömt, reibt sie sich an der Oberfläche und wird abgebremst. Ist der Flügel zu breit, sorgt die abgebremste Luft für einen enormen Widerstand in der Strömung. Damit wird auch das Flugzeug in Bewegungsrichtung abgebremst (und der Windkraftrotor in Drehrichtung). Noch schlimmer ist allerdings das Phänomen des Strömungsabrisses: Bei zu breit designten Flügeln kann es passieren, dass die Luft auf der Tragfläche so weit abgebremst wird, dass die Strömung nicht mehr schön an der Oberfläche anliegt, sondern sich ablöst. Und das sorgt für einen bedeutenden Auftriebsverlust.“

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Oder wie Schiffbauingenieur Lucca schreibt: „Die Qualität eines Tragflügels kann anschaulich durch das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand ausgedrückt werden, was die sogenannte Gleitzahl ergibt. Es ist bekannt, dass Tragflügel dann besonders gute Gleitzahlen haben, wenn sie extrem schlank sind (wie z. B. bei Segelflugzeugen, wobei mit schlank das Verhältnis von Spannweite zu Sehnenlänge gemeint ist).“

„Perfekt designte Blätter schaffen also einen großen Auftrieb ohne zu viel Strömungswiderstand zu erzeugen“, meint Nils.„Das Gegenteil ist mit zu breiten Blättern der Fall. Jetzt könnte man die Anschlussfrage stellen, warum man dann nicht ganz viele schmale Blätter nimmt, um mehr Fläche abzudecken und eine größere Kraft zu erzeugen. Diese vielen Blätter (oder eben auch wenige sehr breite) würden wiederum eine große Widerstandsfläche bieten und der Wind staute sich vor dem Rotor auf, die Folge sind niedrigere Strömungsgeschwindigkeiten an den Flügeln. Um mehr Auftrieb zu erzeugen, ist es aber wichtig, dass hohe Strömungsgeschwindigkeiten auftreten, daher benutzt man weniger Flügel, um den eintreffenden Wind nicht zu stark abzubremsen. Diese aerodynamischen Überlegungen, zusammen mit dem Wunsch, möglichst wenig Material zu verbrauchen und Belastungen auf die Rotornabe nicht zu groß werden zu lassen, hat dafür gesorgt, dass sich die Turbinen mit genau drei relativ schmalen Flügeln durchgesetzt haben.“

Ingenieur F. erläutert: „Für einen möglichst effizienten Betrieb von Windrädern (sog. Betz’scher Leistungsbeiwert) ist das Verhältnis von der ursprünglichen Windgeschwindigkeit vor der Anlage zu der Windgeschwindigkeit hinter der Anlage entscheidend. Dabei spielt die Anzahl der Blätter, welche die Energie der strömenden Luft in Rotationsenergie umwandeln eine untergeordnete Rolle. Es existieren Konzepte mit einer deutlich höheren Anzahl an Blättern, diese laufen dann allerdings mit anderen Drehzahlen als die dreiblättrigen Windräder. Entscheidend ist nur die durch den Rotor überstrichene Fläche, da diese die entnehmbare Leistung des Windes definiert.“

Er zitiert aus dem Standardwerk zur Windenergietechnik Windkraftanlagen - Grundlagen, Entwurf, Planung und Betrieb“, herausgegeben von Robert Gasch und Jochen Twele: „Für eine möglichst geringe Flügelzahl spricht der ‘hohe Kostenanteil des Rotors an den Gesamtkosten der Anlage (20 bis 25 Prozent der Gesamtkosten)’ [Gasch und Twele, Windkraftanlagen 2010]. Darüber hinaus sind aufgrund der ‘Verteilung der Massen- und Luftkräfte über die Rotorkreisfläche’ Dreiblattrotoren ‘dynamisch ruhiger, was eine geringere Belastung aller Komponenten bewirkt’ [Gasch und Twele, Windkraftanlagen, 2010].“

Kurz zusammengefasst mit den Worten von Reinhold: „Die Rotorenfläche spielt für die Leistung keine Rolle. Maßgebend ist die von den Rotorblättern überstrichene Fläche.“


Vielen Dank für eure Antworten an Nils, Lucca, F., Tom, D., Marcus, Jonas, Martin,M., Markus, Dagobert, Guilherme, Ernst, Harald, Peter, Ismael und Reinhold.