Wer sich intensiver mit Luccas Frage nach Alter und Größe des Universums beschäftigt, wozu ich dank eurer klugen und spannenden Antworten Gelegenheit hatte, trifft zunächst auf grundlegende Fragen der Astrophysik. Geht man der Frage weiter nach, stößt man aber auch an deren Grenzen und dringt zur philosophischen Dimension des Phänomens vor. Den Bogen spannt Krautreporter-Leser Jakob sehr anschaulich, wie ich finde: „Die Tatsache, dass das Universum unendlich groß ist, führt direkt die Frage nach der tatsächlichen Größe des Universums ad absurdum”, schreibt Jakob. „Das gilt allerdings nur eingeschränkt. Denn aufgrund des endlichen Alters des Universums und der endlichen Lichtgeschwindigkeit kann man nur einen kleinen Teil des Universums beobachten. Das ist derjenige Teil, dessen Licht uns bisher erreicht hat. Außerhalb dieser ‚Kugel‘ befindet sich jedoch noch sehr viel mehr Universum, was wir jedoch erst in den kommenden Milliarden Jahre betrachten können werden (sofern unsere Zivilisation noch so lang existiert).” Denkt man diese theoretischen Überlegungen zu Ende, kann es eigentlich keine exakte Antwort auf deine Frage geben, Lucca. Dennoch gibt es aber natürlich naturwissenschaftliche Berechnungen dazu.
Lucca ist 29 Jahre alt und lebt gegenwärtig in Hamburg. Er hat Ocean Engineering studiert und schreibt zurzeit an seiner Masterarbeit im Fach Offshore-Technik. Speziell geht es dabei um Bergesysteme für autonome Wasserfahrzeuge. Einen finalen Titel der Arbeit gibt es noch nicht. Bisher lautet er: „Entwicklung eines Launch and Recovery Systems (LARS) für den Einsatz multipler autonomer Wasserfahrzeuge.”
Das ist ein Beitrag der Krautreporter-Leser. Ich habe die Antworten lediglich zusammengefasst und in einen mir sinnvoll erscheinenden Zusammenhang gebracht. Sämtliche ausführlichen Beiträge findet ihr im Mitgliederbereich (bitte einloggen). Mitglied werden? So geht’s.
Streng genommen ist deine Frage nicht ganz korrekt, lieber Lucca, denn das Lichtjahr ist eine Einheit der Strecke und nicht der Zeit. Darauf haben mehrere Leser hingewiesen. Da aber der Konversionsfaktor eine Konstante ist, wie Krautreporter-Leser Hans Leo anmerkt, der dazu seinen Bruder, einen promovierten Physiker, befragt hat, vernachlässigen wir diese Ungenauigkeit. Ein Lichtjahr, das nehmen wir an, entspricht dem julianischen Jahr mit 365,25 Tagen, wie die Internationale Astronomische Union festgelegt hat. Auch die Bezeichnung „Durchmesser“ ist irreführend, worauf neben anderen auch KR-Leser Christian hinweist: „Durchmesser’ suggeriert, man könne mit einem Zollstock von einer Wand quer durchs Weltall zur anderen Wand messen. Das All ist zwar endlich, aber unbegrenzt. Es hat nie einen Zustand gegeben, bei dem man hätte eine Schublehre anlegen können, denn es gab nie ein Außen.“ Auch nicht vor dem Urknall, wie KR-Leser Jakob ergänzt: „Das Universum ist vermutlich keine sich aufblähende Kugel. Es war seit dem Urknall schon immer unendlich groß.“ Dazu später mehr.
Du nennst nun zwei Angaben: 13,8 Milliarden Jahre alt und 45 Milliarden Lichtjahre groß. „Das sichtbare Universum ist durch einen sogenannten Ereignishorizont begrenzt”, erklärt Michael. „Der Raum selbst ist es, der sich ausdehnt. Daraus resultiert, dass, je weiter ein Objekt von uns entfernt ist, es sich schneller von uns entfernt. Ab einem bestimmten Punkt erreicht diese ‚Geschwindigkeit’ Lichtgeschwindigkeit. Objekte jenseits dieser Grenze sind für uns unsichtbar, ihr Licht kann uns niemals erreichen.” Geschwindigkeit hat Michael allerdings in Anführungszeichen gesetzt, denn genau genommen handelt es sich entgegen der Definition nicht um eine Bewegung im Raum, sondern um eine „Bewegung des Raums in sich selbst“. Daher ist es auch okay, von einem „Ereignishorizont im Universum“ zu sprechen und „darüber zu spekulieren, was sich wohl dahinter verbirgt“.
Martin dreht diesen Aspekt noch ein Stück weiter: „Es sind auch größere Geschwindigkeiten als die Lichtgeschwindigkeit bekannt, etwa bei Elementarteilchen in der Festkörperphysik. Praktisch gesehen ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit also nicht auf die Lichtgeschwindigkeit begrenzt, wir hätten dann nur Schwierigkeiten, sie zu beobachten. Die Relativitätstheorie lässt auch größere Geschwindigkeiten zu, solange man keine Masse im Raum beschleunigt. Das Weltall ist aber der Raum selbst, der sich ausdehnt, daher greift die Relativitätstheorie hier nicht, und das Universum kann sich mit ca. 3-facher Lichtgeschwindigkeit ausdehnen, jedenfalls so weit, wie wir es beobachten können.“
Der Urknall als Ursprung unseres Universums liegt zeitlich laut Literatur ca. 13,8 Milliarden Jahre zurück: „Das heißt, wir werden keine durch Licht übertragenen Ereignisse vor diesem Zeitpunkt wahrnehmen können, da davor schlicht noch kein Licht existierte. Wir nehmen aber auch nicht alle Signal(Licht)quellen wahr, die existieren, sondern nur die, die innerhalb unseres Beobachtungshorizonts liegen“, meint Physik-Ingenieur Martin und erklärt den Zusammenhang genauer: „Licht breitet sich je nach Medium mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus. Die Lichtgeschwindigkeit, von der in der Astronomie die Rede ist, ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum. Soweit, so bekannt. Da das Licht nun eine Geschwindigkeit hat, braucht es für eine bestimmte Strecke auch eine bestimmte Zeit. Nehmen wir die Entfernung Erde - Sonne, so braucht das Licht von der Sonne bis zur Erde ca. 8 Minuten. D.h. wir können keine Aussage darüber treffen, was exakt zu diesem Zeitpunkt auf der Sonne passiert, sondern wir werden dies erst in 8 Minuten erfahren“, zumindest solange, wie sich beide im gleichen Abstand zueinander bewegen.
Kommen wir noch einmal auf den Urknall zurück: Im Alter von null Jahren hatte das Universum nicht null Ausdehnung, sondern hat sich im Gegenteil in den ersten Millionstelsekunden seiner Existenz offenbar bereits rasend schnell ausgedehnt. „Dieser Prozess heißt Inflation“, schreibt Hans Leo, räumt aber ein, dass seines Wissens „auch heute noch Alternativen zur Inflationstheorie diskutiert“ werden. Dennoch, aus der Vielzahl der Antworten zu schließen, scheint ein Schlüssel zur Lösung des Problems in diesem Phänomen zu liegen. Auch Adrien, wissenschaftlicher Mitarbeiter, führt die Inflation an: „Geschehen ist dies in der Phase der Inflation, in der das Universum innerhalb von 1000x10^-35 Sekunden um den Faktor 10^26 wuchs. In der selben Zeit würde sich ein Proton ausdehnen auf eine Kugel, die von der Sonne bis zur Erde reicht.“
Anders ausgedrückt: „Innerhalb des Weltraums kann sich zwar nichts schneller ausbreiten als mit Lichtgeschwindigkeit (das wissen wir seit Einstein), wenn sich allerdings der Raum selbst ausdehnt, gibt es dafür kein Tempolimit“, schreibt Mike, Wissenschaftsjournalist beim Spektrum-Verlag. „Genau das war beispielsweise auch im ersten Sekundenbruchteil nach dem Urknall der Fall: Der Raum hat sich in dieser ‚kosmischen Inflation’ überlichtschnell extrem aufgeblasen. Und auch heute und in Zukunft spricht nichts dagegen, dass sich der Raum selbst schneller ausdehnt als mit Lichtgeschwindigkeit. Im Gegenteil sprechen alle Beobachtungen dafür, dass sich alle Raumbereiche im Weltall sogar immer schneller beschleunigt voneinander entfernen.“
Jan-Torge, der gerade in Astrophysik promoviert, formuliert das so: „Wenn wir uns Galaxien um uns herum anschauen, dann sieht es so aus, als würden die sich alle von uns entfernen. Je weiter sie weg sind, desto schneller scheinen sie sich zu bewegen. Allerdings bewegen sich nicht die Galaxien (einige müssten dafür schneller sein als die Lichtgeschwindigkeit erlaubt), sondern der Raum zwischen uns und ihnen dehnt sich aus.“ Und, jetzt kommt die Antwort, lieber Lucca, woraus die von dir beschriebene Diskrepanz zwischen Alter und Größe resultiert: „Während das Licht mit Lichtgeschwindigkeit zu uns reist, dehnt sich der Raum gleichzeitig aus. Dadurch ist die Strecke, die das Licht zurücklegt nicht etwa 13,78 Mrd. Lichtjahre, sondern länger.“ Es muss auch heißen: „Radius des sichtbaren Universums”, nicht Durchmesser, worauf Michael aufmerksam gemacht hat. Nun die Frage, kann man die Distanz überhaupt nur annähernd bestimmen?
Es hilft womöglich, „sich klarzumachen, dass wir eben kein Licht von Objekten empfangen, das in 46 Milliarden Lichtjahren Entfernung ausgesandt wurde. Vor 13,8 Milliarden Jahren war der beobachtete Ort sehr viel dichter dran, lediglich heute ist er aufgrund des sich ausdehnenden Universums eben bis zum Beobachtungshorizont von uns weggerutscht“, erklärt Michael, Entwicklungsingenieur.
„Beim Urknall hat sich der Raum nicht nur wie bei einem Luftballon auf der Oberfläche ausgedehnt, sondern auch in seinem Inneren. Licht, das vor 13,8 Milliarden Jahren an der Oberfläche dieses Ballons ausgesandt worden ist und uns heute erreicht, hat dann auch diese Ausdehnung des Raumes innerhalb des Luftballons zurückgelegt. Und auch die bereits zurückgelegte Strecke ist in der Zeit nachträglich noch länger geworden. Berücksichtigt man diese Ausdehnung des Raumes in den Rechnungen, erhält man 46,6 Milliarden Lichtjahre als Grenze, zu der wir beobachten können. Das bedeutet, wir können 46,6 Milliarden Lichtjahre in alle Richtungen blicken und damit hat das beobachtbare Universum sogar einen Durchmesser von etwa 93 Milliarden Lichtjahren“, erklärt Adrien.
Ist das nun die endgültige Antwort auf deine Frage, Lucca?
Ja und nein. „Mathematisch gesehen übertreten wir bei der Lichtgeschwindigkeit die Grenze des realen Raumes zum imaginären”, meint Martin, der Physiklehrer werden wollte, aber am Fachbereich Optik gescheitert ist. „Sie ist somit keine absolute Grenze, weil größere Geschwindigkeiten unmöglich wären, sondern eine logische Grenze, auf Grund der Zeitdilatation, d.h. der Dehnung der Zeit durch relative Bewegung.” Michael ergänzt: „In den Standardmodellen rechnet man mit mindestens 78 Milliarden Lichtjahren – es könnte aber auch viel größer sein.“ Wie man das herausgefunden hat, kannst du hier im ausführlichen Beitrag von Michael nachlesen.
„Warum schnappst du dir jetzt nicht mal deinen Rechner und schaust dir diesen Link an“, empfiehlt Jan-Torge. „Das ist ein Taschenrechner für wichtige Größen in der Kosmologie. Du findest dort unter anderem die Lichtreisedauer (light travel time) und den mitbewegten Radius (comoving radial distance) über den wir oben geschrieben haben. Um die Größen zu berechnen, musst du einfach nur die Werte für die Kosmologie eingeben (z.B. H_0 = 67.74, Omega_M = 0.3089) und die Rotverschiebung z. Das erste ‚Licht’, was wir sehen können, kommt vom kosmischen Mikrowellenhintergrund und ist bei einer Rotverschiebung von z~1091 auf die Reise geschickt worden. Jetzt klickst du einfach nur noch auf ‚Flat’ und schaust dir die Werte an.“
Einfach? Lieber Lucca, ich weiß nicht, wie es dir geht, aber an dieser Stelle muss ich leider aussteigen. Das übersteigt dann doch meine Vorstellungskraft. Ich danke dir jedoch für deine Frage. Denn ich habe heute wieder ein bisschen mehr über Physik, unser Universum und dessen Dimensionen verstanden.
Vielen Dank an die Krautreporter-Leser, die mit ihren Antworten das Phänomen erhellt haben: Hans Leo, Michael, Jakob, Martin, Peter, Michael, Christian, Sebastian, Leo, Jan-Torge, Adrien, Hartmut, Reginald, Mike, Thomas, Ive, Hadron und Markus.
Hier geht es zu den ausführlichen Beiträgen der Autoren.
Aufmacherfoto: NASA, ESA, R. Ellis (Caltech), and the UDF 2012 Team.