Es gibt Dinge, vor denen sich alle ekeln: Nacktschnecken zum Beispiel, verschimmelte Nudeln oder die Bilder, die auftauchen, wenn man Hautkrankheiten googelt. Neuerdings ist es aber auch okay, sich öffentlich und unverhohlen vor erfolgreichen Politikern zu ekeln – solange es um die AfD geht. Die Abscheu vor den Menschen dieser Partei, ihren Wählern und Führungsfiguren zieht sich nicht nur durch die sozialen Netzwerke wie Twitter:
https://twitter.com/paetrig/status/655846645876158464
Er taucht auch in Kommentaren moralisch erhabener Leitartikelautoren auf:
Könnte das Grundgesetz die Farbe wechseln, es würde rot werden vor Scham und grün vor Ekel.
Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung
Und sogar in den Worten eines Ex-AfDlers:
Angewidert von Inhalt und Form dieses Bundesparteitags bin ich nicht mehr bereit, meinen Namen und meine Reputation für diese AfD in die Waagschale zu werfen.
Martin Hofmann-Apitius, ehemaliger Kreisverbandsvorsitzender in Ahrweiler bei seinem Austritt im Juli 2015
Sobald es um die AfD geht, fühlt Ekel sich für viele ganz natürlich an, sogar richtig. Wie soll man auch reagieren, wenn eine Politikerin anregt, auf Flüchtlinge schießen zu lassen? Ein normales „Seh’ ich anders“ scheint nicht auszureichen. Man will sich stärker abgrenzen, Haltung zeigen, der eigenen Empörung Luft machen. Der US-amerikanische Bioethiker Leon Kass glaubt, dass eine ethische Grundhaftung beweist, wer sich angesichts bestimmter Verhaltensweisen ekelt oder angewidert schüttelt. Genau so funktioniert der Ekel vor der AfD, den man zurzeit überall in Facebook- und Zeitungskommentaren lesen kann – und der sogar mehr oder minder verhohlen auf dem Gesicht von Moderatorin Anne Will und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zu erkennen war, als sie nach den Landtagswahlen am vergangenen Sonntagabend mit Beatrix von Storch im Fernsehen auf einem Sofa sitzen mussten. Abscheu zeigt sich im Blick der Fotografen, die AfD-Führungsfiguren ablichten, und daran, welche Bilder Redakteure auswählen. Oder hat schon mal jemand ein schmeichelhaftes Bild von Beatrix von Storch gesehen?
Die Psychologin Hanah Chapman glaubt, dass sich das Gefühl moralischer Empörung aus dem entwicklungsgeschichtlich älteren körperlichen Ekel entwickelt hat. Das Gefühl gehört wie etwa Freude, Wut, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung zu den sogenannten Basisemotionen, die angeboren sind. Sogar Kleinkinder können über ihre Mimik schon Ablehnung ausdrücken, beispielsweise, wenn ihnen ein bestimmtes Essen nicht schmeckt. Insofern ist Ekel ein Gefühl, das automatisch aktiviert wird und zunächst keiner reflektierten Handlung bedarf. Das macht evolutionsbiologisch auch Sinn: Ekel schützt uns. Führt das Gefühl doch dazu, dass wir uns von Gefahren fernhalten. Von der giftigen Spinne etwa, die uns einen tödlichen Biss verpassen könnte, vor erkrankten Menschen, die uns mittels Viren oder Bakterien vielleicht mit einer Krankheit anstecken, von fremden Geschmacks- und Geruchsstoffen, die wir nicht einzuordnen wissen und die deswegen eine Bedrohung darstellen könnten. Unser Körper benutzt das Gefühl von Ekel also als Vermeidungsstrategie, um potenziellen Gefahren aus dem Weg zu gehen.
Im biologischen Sinne erfüllt Ekel also durchaus eine wichtige Funktion und wird damit zu einem konstruktiven Gefühl. Das aber kann schnell in ein Problem umschlagen und gefährlich werden: Weil Ekel eine instinktive Emotion darstellt - und deshalb eine denkbar schlechte Grundlage bildet, um moralische Urteile zu fällen oder konkrete Handlungsmaximen zu formulieren. Pure Emotionen zur moralischen Instanz zu erheben, war noch nie eine gute Idee.
Wer sich vor Menschen mit bestimmten politischen Haltungen ekelt, ist nicht nur anderer Meinung – er oder sie entmenschlicht oft auch die Gegenseite. Das wiederum ist genau der Mechanismus, mit dem rassistische und rechtspopulistische Denker arbeiten und schon immer gearbeitet haben: Im sogenannten Dritten Reich wurden Menschen zu Abschaum, Parasiten oder Unberührbaren erklärt. Die Nationalsozialisten haben sehr viel Aufwand betrieben, um Juden als eklig darzustellen. Erst durch das kollektive Ekeln im Extrem wurde der Holocaust möglich.
Die Ethikerin Martha Nussbaum warnt deshalb vor dem Gefühl des Ekels vor Andersdenkenden. In den Einstellungen, die sich um Ekelgefühle ranken, verstecken sich ihrer Meinung nach „magische Vorstellungen über Kontaminierung und ein unerreichbares Streben nach Reinheit, das einfach nicht zum tatsächlichen menschlichen Leben passt“. Nussbaum hat den Ekel untersucht, den viele Amerikaner gegenüber Homosexuellen empfinden, und herausgefunden, dass hinter der starken Abneigung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen die Vorstellung steckt, deren Lebensweise oder Denkart könne irgendwie ansteckend sein. So verhandeln wir über das Gefühl von Ekel also nicht nur Fragen von Gruppenzugehörigkeit – sondern auch Fragen von Reinheit und Unreinheit.
https://twitter.com/aruetzel/status/685483953667608577
Gleichzeitig ist öffentliches Ekeln auch eine Kommunikationsstrategie: Das raunende Warnen vor Verunreinigung, der Aufruf zur Reinwaschung einer verschmutzen Nation – diese Appelle bedienen Gefühle, die wir alle in uns tragen. Deswegen funktioniert die perfide Strategie so gut: Weil wir bewusst oder unbewusst darauf anspringen, entweder mit Zustimmung oder mit Empörung.
Und das ist ein Problem. Wer bei Facebook seine Abscheu und seinen Ekel vor der AfD postuliert, der grenzt sich ab; wenn wir uns gegenseitig unseren Ekel vor dieser Politik bestätigen, werten wir uns in den Augen ähnlich Denkender auf. Das Fatale daran: Unsere Abgrenzung schürt wiederum auch den Ekel der AfD-Sympathisanten auf den angeblichen Meinungs-Mainstream. Schon haben die Demagogen etwas, mit dem sie arbeiten können.
Gerade, weil Ekel ein so tiefsitzender menschlicher Antrieb ist, lässt er sich schwer einfach abstellen. Trotzdem kann dieses Argument nicht als Legitimation ausreichen. Wer auf diesem Standpunkt verharrt, macht es am Ende genauso wie die AfD – und spielt ihr Spiel mit.
Sieben Jahrzehnte war die politische Debatte in der Bundesrepublik geprägt von mehr oder weniger zivilisiertem Austausch. Nun stehen die Zeichen auf Polarisierung. In Amerika, Frankreich und Polen lässt sich gerade beobachten, zu welcher Politik eine so vergiftete politische Kultur führt. Sie ist nur möglich, weil beide Seiten keifen. Die Lautesten und Radikalsten bestimmen ab diesem Moment die Debatte: Sie setzen die Themen, sie bestimmen die Lautstärke, sie entscheiden, worüber eine Gesellschaft redet. Sie haben gewonnen.
Text: Esther Göbel, Theresa Bäuerlein, Sebastian Esser. Mitarbeit: Susan Mücke; Bilder: Screenshots aus „Anne Will“ vom 13. März 2016, ARD.