„Better Call Saul” und die Faszination des unvermeidlichen Scheiterns
Leben und Lieben

„Better Call Saul” und die Faszination des unvermeidlichen Scheiterns

Die amerikanische Serie „Better Call Saul” erzählt nicht nur die Vorgeschichte des schmierigen Anwalts Saul Goodman aus „Breaking Bad”. Sondern macht auch aus dem Scheitern des amerikanischen Traums eine theaterhafte Tragödie. Zum Start der dritten Staffel.

Profilbild von Peer Schader

„Better-Call-Saul“-Hauptdarsteller Bob Odenkirk ist Anfang 2016 vom Guardian gefragt worden, wie er über Donald Trump denkt, und Odenkirk meinte: „Trump ist urkomisch!“ Also: so lange, bis er tatsächlich gewählt werde. „Das ist der Punkt, an dem’s nicht mehr lustig ist. Aber bis du gewählt bist, mach die Show weiter, mach’s für uns, bitte, wir lieben es, du bist ein verdammter Teufelskerl, mach weiter, bitte, Donald Trump, es ist eine tolle Show.“

Trumps „Show“ hat begonnen, als der Milliardär bekannt gab, für das Amt des Präsidenten kandidieren zu wollen, und die Notwendigkeit dieser Entscheidung mit dem Satz untermauerte: „Der amerikanische Traum ist tot!“ Wie er ihn wieder zum Leben erwecken will, hat Trump gerade bei einer Wahlkampfveranstaltung in Iowa erklärt: „I’m doin’ the right thing for you!“ Er macht einfach das, was richtig ist. Damit kann man unmöglich falsch liegen.

Hat der von Odenkirk gespielte James „Jimmy“ McGill auch gedacht, als er sich in der ersten Staffel von „Better Call Saul“ mit harter Arbeit, Geduld und großer Leidensfähigkeit einen Namen als Anwalt machen wollte.

„It’s never stopping me again“

Er hat sich neben seinem Job in der Poststelle zur Zulassung gequält. Er hat sich mit dem Abstellraum eines Nagelstudios als Büro begnügt, weil ja jeder erstmal klein anfängt. Er hat Klienten erklärt, dass er sich für sie ein Bein ausreißen wird. Und nicht aufgegeben, als sie dann doch die große Kanzlei aus der Werbung engagiert haben. Er hat alles getan, um so erfolgreich zu sein wie sein großer Bruder Chuck, der zum angesehenen Kanzleigründer aufgestiegen ist, bevor er psychisch krank wurde.

Es hat nur alles nichts geholfen.

„I’m doin’ the right thing for all these years now – and where has it gotten me? Nowhere!“, platzt es zu Beginn der zweiten Staffel aus Jimmy heraus, und er schwört sich: „It’s never stopping me again.“

Genau das ist das Problem an „Better Call Saul“, einer der großartigsten Serien der letzten Jahre, die gerade in die dritte Runde ging: Dass es eine fast schmerzhafte Erfahrung ist, Jimmy dabei zuzusehen, wie er sich selbst ins Unglück stürzt. Und dass man gleichzeitig keine Sekunde davon verpassen kann.

Zum Serienstart sammelte „Better Call Saul“ weltweit Kritikerlob ein. Große Teile davon bestanden aus dem Zugeständnis, dass die Reihe nicht so scheiße geworden ist, wie es zu erwarten gewesen wäre – als Prequel zu „Breaking Bad“, einer der besten Serien aller Zeiten, die sich kaum noch steigern lassen würde.

Deshalb haben es die Autoren Vince Gilligan und Peter Gould gar nicht erst versucht. Sondern entschieden, nach dem moralischen Verfall des Highschool-Lehrers Walter White, der zum Drogenproduzenten wurde und durch Größenwahn sein eigenes Ende herbeiführte, eine Art griechische Tragödie zu erzählen.

In Zukunft nur noch Zimtschnecken

Nämlich die, wie aus dem ehrgeizigen, kleinen Anwalt Jimmy McGill sein schmieriges Alter Ego Saul Goodman aus „Breaking Bad“ wird, der für das richtige Sümmchen bereit ist, alles und jeden zu verteidigen, und das Gesetz so sehr biegt, bis ihm die Honorarzahlung gesichert ist. „Better Call Saul“ spielt in derselben, öden Welt wie das Vorbild: Albuquerque, New Mexico. Aber diesmal wissen die Zuschauer schon, wie die Geschichte enden wird.

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Am Schluss von „Breaking Bad“ muss Jimmy, alias Saul, genau wie Walter vor der Polizei fliehen, um nicht erwischt zu werden. Sein Gesicht hängt auf Werbeplakaten in der ganzen Stadt. Er braucht eine neue Identität. Seine letzte Szene ist die, in der er Walter erklärt, seine beste Aussicht sei, demnächst eine Fast-Food-Filiale in Nebraska zu führen.

https://www.youtube.com/watch?v=ZRQnC7REn2Y

Exakt dorthin schickte „Better Call Saul“ seinen Hauptprotagonisten – in der ersten und auch zu Beginn der zweiten Staffel wieder: in ein trauriges Einkaufszentrum, wo Jimmy als Leiter einer „Cinnabon“-Filiale Zimtschnecken verkauft, sich abends aus Versehen im Müllraum einschließt und nicht traut, den Notausgang zu benutzen, weil das die Polizei alarmieren würde und seine neue Identität gefährden könnte.

Also bleibt er sitzen, stundenlang, wartet darauf, dass ihn der Mann vom Reinigungsdienst erlöst, und träumt davon, wie es war, Saul Goodman zu sein.

Es gibt für Jimmy McGill (Bob Odenkirk) nur einen Weg nach vorne: den falschen.

Es gibt für Jimmy McGill (Bob Odenkirk) nur einen Weg nach vorne: den falschen. © 2016 Sony Pictures Television, All rights reserved

Diese traurigen Schwarzweiß-Szenen setzen endgültig den Rahmen für Jimmys Tragödie: Es gibt keinen Ausweg – egal, was er unternimmt. Sein Schicksal ist uns bereits bekannt und unausweichlich. Nun ist das Publikum eingeladen, dabei zuzusehen, wie die Katastrophe ihren Lauf nimmt. (Der amerikanische Rolling Stone nennt „Better Call Saul“ ganz treffend eine „Comedic Noir“.)

Eigentlich schien die Entwicklung vom Anwalt, der es immer etwas zu gut mit seinen Mitmenschen meinte, zum großspurigen Wichtigtuer am Ende der ersten Staffel bereits abgeschlossen – nachdem die Autoren ihrem Protagonisten gleich in doppelter Hinsicht den Boden unter den Füßen weggezogen hatten. Jimmy musste erfahren, dass ihn ausgerechnet sein Bruder Chuck, um den er sich täglich gekümmert hatte, für einen Versager hält, und dass er deswegen keine Stelle in seiner Kanzlei bekommen durfte. Die Flucht in sein altes Leben nach Chicago, wo er wegen kleiner Betrügereien zeitweise im Knast saß, endete abrupt mit dem Tod seines alten Kumpels Marco. Und die in Aussicht stehende Anstellung in einer anderen Kanzlei schien keine Option mehr – weil es eine Rückkehr in die Welt des Bruders bedeutet hätte.

An diesem Punkt schwört sich Jimmy, „endlich ich selbst zu sein“, wie er seiner Anwaltskollegin Kim (Rhea Seehorn) erzählt. Dann legt er sich erstmal in den Pool, schlürft einen Drink - und muss erkennen, dass das gar nicht so leicht ist.

"I finally decided to be me", sagt Jimmy, als Kim ihn zur Vernunft bringen will.

“I finally decided to be me”, sagt Jimmy, als Kim ihn zur Vernunft bringen will. © 2016 Sony Pictures Television, All rights reserved

Der Kampf mit sich selbst und seiner Umwelt ist nicht mit einem Fingerschnips abgeschlossen. Vielmehr wehrt sich Jimmy zu Beginn der zweiten Staffel zunächst gegen seine Saul-Werdung – und kommt ins Grübeln: Ist es wirklich richtig, all das aufzugeben, für das ich jetzt so lange gekämpft habe?

In der dritten Staffel lernen wir endlich Saul Goodman kennen. Aber, das verriet Darsteller Odenkirk Anfang März, dieser Saul ist ein ganz anderer als der, den der Zuschauer aus „Breaking Bad“ kennt. Wir werden sehen.


Aufmacherfoto: © 2016 Sony Pictures Television.