KR-Leser F. hat mich gefragt, wie viele Menschen in der Ehe treu sind. Ich wollte wissen, welche Geschichte sich hinter seiner scheinbar neutralen Frage verbirgt und habe ihm eine E-Mail geschickt. F. hat mir zu meiner Überraschung sehr schnell und offen geantwortet, möchte hier aber verständlicherweise lieber anonym bleiben.
Der 36-Jährige lebt „seit zwei Jahren (mit Unterbrechung) in einer Beziehung“. Seine längste Beziehung bislang hat drei Jahre gedauert. Viele seiner Freunde sind bereits verheiratet und haben ein Kind. Mit seinen Beziehungen war F. überwiegend zufrieden, verspürte aber trotzdem häufig die Sehnsucht, auch mit anderen Frauen körperlich in Kontakt zu treten, was er sich aber versagt hat. „Meist war das Interesse nur körperlich und mir auch nicht wert, meine Beziehung dafür aufs Spiel zu setzen.“ Doch F. fragt sich, ob das die richtige Strategie ist, denn richtig glücklich ist er damit nicht. Er lebt mit dem inneren Konflikt, dass einerseits für ihn eine offene Beziehung mit wechselnden Partnern, von denen der andere weiß (oder auch nicht), nicht in Frage kommt. Er kann sich andererseits aber auch nicht vorstellen, ein Leben lang monogam zu bleiben.
Genau wie F. kenne auch ich Ehen, die sich nach außen monogam geben, wo aber einer von beiden fremdgeht, bis dahin, dass einer heimlich eine zweite Familie gründet. Man denkt dabei zuerst an Männer, die Vermutung liegt aber nahe, dass „Frauen es nur besser verheimlichen“. Und es liegt nahe, dass sich diejenigen, die über einen Seitensprung nachdenken, aber darauf verzichten, weil sie wie zum Beispiel F. „ein sehr ehrlicher Typ“ sind und „das wohl nicht verheimlichen könnten“, früher oder später fragen, ob sie nicht die Dummen sind. Sie beneiden diejenigen, „die heimlich fremdgehen, da sie sowohl festen Partner (mit Kindern) als auch Affäre unter einen Hut bringen und bei Entdeckung meist mit einem blauen Auge davon kommen.“
Wie in einer Matroschka verbergen sich in F.s großer viele kleine Fragen. Ich habe überlegt, wie ich am besten darangehen könnte. Denn allein die Frage, wann Fremdgehen beginnt, bei einem Kuss (für die meisten Frauen) oder bei Sex (für die meisten Männer), wirft wiederum eine Reihe Probleme auf. Sicher würde auch eine (evolutions-)biologische oder psychologische Herangehensweise ziemlich interessante Erkenntnisse bringen, aber hier geht es um Daten. Was ich nach einigen Tagen Recherche sicher weiß: Zu kaum einem anderen Thema gibt es ähnlich viele Studien und Umfragen. Ich habe daher versucht, die wesentlichen Ergebnisse, wohlgemerkt bezogen auf heterosexuelle Beziehungen, in drei Punkten zusammenzufassen.
1. Männer und Frauen gehen fremd
Entgegen der landläufigen Meinung sind Frauen und Männer in ihren Vorstellungen von Fremdgehen und Treue gar nicht so weit voneinander entfernt. Es gibt sowohl sexuell freizügigere Frauen als auch treue Männer und umgekehrt. Das haben Forscher um den Psychologen Rafael Wlodarski an der Universität von Oxford wissenschaftlich untersucht. Dennoch ändert sich das sexuelle Begehren bei Frauen im Gegensatz zu Männern im Laufe einer Beziehung, haben Sexualforscher herausgefunden. Es flaut nach zwei bis vier Beziehungsjahren deutlich ab. Schuld daran ist das genetische Programm, das auf Fortpflanzung ausgerichtet ist. Werden Frauen nach einigen hundertmal Sex nicht schwanger, verlieren sie die Lust auf ihren Partner (Verhütung ist dabei nicht einprogrammiert).
Männer sind zwar eher polygam, Frauen mehr monogam orientiert. Aber die Unterschiede sind gar nicht so groß.
Phantasie und Wirklichkeit driften bei diesem brisanten Thema übrigens deutlich auseinander. Während nach einer repräsentativen Umfrage der GfK Untreue für die meisten ein absolutes No-Go ist - 86,7 Prozent erklärten, dem Partner gegenüber müsse man „in jeder Hinsicht“ offen und ehrlich sein (Frauen: 89 Prozent, Männer: 84) - gab jeder Fünfte zu, ihm „über wesentliche Dinge“ schon einmal die Unwahrheit gesagt zu haben.
Fast die Hälfte der Partner ist nur in Gedanken treu.
Treue ist für Männer (64 Prozent) und Frauen (65,3 Prozent) gleichermaßen eine Grundvoraussetzung für eine gute Beziehung. Aber mehr als jede dritte Frau und knapp jeder zweite Mann ist schon einmal fremdgegangen. Dabei hat der Seitensprung nur bei jedem Zehnten die Beziehung zerstört. Interessanterweise sind die Deutschen in ihrer Untreue ziemlich treu, die meisten Affären (60 Prozent) dauerten länger als einen Monat, mehr als die Hälfte davon ging sogar über ein halbes Jahr, hat eine Studie des Projekts Theratalk an der Universität Göttingen ergeben.
2. Fremdgehen macht nicht glücklicher
Die häufigste Ursache für einen Seitensprung ist laut Theratalk sexuelle Unzufriedenheit (Frauen: 85 Prozent, Männer: 79). Mehr als die Hälfte der Partner hat jedoch vor dem Fremdgehen gar nicht erst mit dem/r Partner/in über das Problem gesprochen, obwohl es mitunter bereits seit mehr als zwei Jahren bestand und die sexuellen Wünsche überwiegend erfüllbar gewesen wären, wenn die Partner davon nur gewusst hätten.
Es sind nicht alle sexuellen Wünsche erfüllbar, aber es schlummert ein erhebliches Potenzial, das es nur zu heben (= kommunizieren) gilt.
Übrigens sind offene Beziehungen nicht glücklicher als sexuell treue, wie die Wissenschaftler von Theratalk bei ihrer deutschlandweiten Befragung ermittelt haben. Das betrifft die Fälle, wo sich zwei Partner zusammen gefunden haben, denen sexuelle Treue nicht wichtig ist, was auf etwa 1 Prozent der Partnerschaften zutraf. Deutlich häufiger sind pseudo-offene Beziehungen (3 Prozent), in denen einer einer von beiden sexuell untreu ist und die Partnerschaft einseitig öffnet, während der andere damit nicht einverstanden ist.
3. Gelegenheit macht Liebe
Schaut man sich die deutschlandweite Verteilung der Fremdgeher an, so sieht man, dass die meisten in den Großstädten leben, während auf dem flachen Land, etwa in Sachsen-Anhalt oder Baden-Württemberg deutlich weniger den Sprung wagen.Die Gründe dafür sind vielfältig und lassen sich hier nachlesen.
Landluft macht treu. Laut Umfrage haben in Berlin 28 Prozent der Befragten ihren Partner schon einmal betrogen, während es in Sachsen-Anhalt nur 15 Prozent waren.
Nur jede fünfte Gesellschaft weltweit lebt monogam. Schaut man sich die weltweite Verteilung an, so sind in Afrika gerade einmal drei Prozent der Gesellschaften monogam. In Europa sieht es natürlich anders aus.
Im weltweiten Vergleich siegt Polygamie.
Womöglich ist auch alles ganz einfach und letztlich ist bereits im Bauch der Mutter entschieden, ob jemand später potentiell fremdgeht. Die Studie von Wlodarski legt nahe, dass „je mehr Testosteron ein Embryo im Mutterleib ausgesetzt ist, desto kürzer wird sein Zeigefinger und desto länger sein Ringfinger“. Aus dem Verhältnis der Finger lässt sich auf die Paarungsstrategie schließen: Je größer der Längenunterschied, desto größer die Neigung zur Polygamie. Das Verhältnis liegt übrigens bei 62 (Männer) zu 50 Prozent (Frauen).
Lieber F., du bist sowohl mit deinen Wünschen als auch mit den Zweifeln hinsichtlich Treue und Beziehung ziemlich normal.
_Bild: Chris Noth (Mr. Big) und Sarah Jessica Parker (Carrie Bradshaw) in „Sex and the City“ (©_HBO)