Unwissenheit führt oft zu mehr Selbstvertrauen als Wissen – könnte man häufig vermuten, wenn man sich im Büro oder Bekanntenkreis so umsieht. Und es stimmt tatsächlich. Das Phänomen ist wissenschaftlich beschrieben und trägt den Namen Dunning-Kruger-Effekt. Er besagt: „Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist.“ Denn letztlich fehlt ihm nicht nur die Fähigkeit, eine richtige Lösung zu finden, sondern gleichzeitig auch die, eine richtige Lösung als solche zu erkennen. Die US-amerikanischen Psychologen David Dunning und Justin Kruger haben dieses Phänomen beschrieben und im Jahr 2000 dafür den IG Nobelpreis für Psychologie erhalten, der wissenschaftliche Leistungen ehrt, welche die Menschen zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregen.
Inkompetente Menschen, so die Erkenntnis, neigen dazu, das eigene Können zu überschätzen und das anderer zu unterschätzen. Der Umkehrschluss trifft jedoch nicht zu.
Ich verweise dabei gerne auf zwei US-amerikanische Erhebungen. Nach der ersten sind 94 Prozent der amerikanischen College-Professoren überzeugt, mehr zu leisten als ihre Kollegen. Eine zweite kommt zu dem Ergebnis, dass von einer Million befragten Oberschülern 70 Prozent glauben, überdurchschnittlich gut zu sein. Beides ist statistisch gesehen unmöglich, zeigt aber, dass viele gern glauben möchten, besser zu sein als andere.
Nun zur Frage. Sie hat eine ganze Reihe von Dimensionen und Implikationen, die nur zum Teil statistisch abbildbar sind. Nehmen wir zunächst die Umfrage einer Apotheken-Zeitschrift: Nach deren repräsentativer Befragung fühlt sich jeder Sechste anderen unterlegen. Ebenso viele beschimpfen sich innerlich selbst, wenn sie mit sich unzufrieden sind. Fast sieben Prozent haben deshalb sogar gesundheitliche Probleme.
Während verzerrte Selbstwahrnehmung potenziell alle Menschen betreffen kann, zeigt sich nach Ansicht von Psychologen bei näherem Hinsehen, dass Männer eher dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, ebenso wie Jüngere im Vergleich zu Älteren, während Frauen eher zur Selbstunterschätzung tendieren. Eine Studie der Columbia Business School und der Kellogg School of Management bestätigt dies: „Während die männlichen Bewerber in ihrer Selbsteinschätzung eher übertrieben und prahlten, neigten die Frauen dazu, ihre Fähigkeiten zu unterschätzen. Wurden die Kandidaten jedoch nach ihren tatsächlichen Fähigkeiten ausgewählt, schnitten die Frauen besser ab als zuvor.“ Fast drei Viertel der Frauen sind überzeugt, dass sie im Job besser sein müssen, um das Gleiche zu erreichen wie ein Mann, das hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergeben.
Viele Frauen bewerben sich erst gar nicht um eine Stelle, weil Stellenanzeigen häufig bereits so formuliert sind, dass sie sich nicht angesprochen fühlen. Obwohl sie qualifiziert wären, wie die Technische Universität München untersucht hat. Schuld daran sind männlich konnotierte Signalwörter.
Ähnliches trifft auch für andere Stufen der Karriereleiter zu: Frauen bewerben sich erst gar nicht um eine Beförderung, wie ein interner Report von Hewlett-Packard zeigt, wenn ihre Qualifikationen nicht hundertprozentig mit den Anforderungen übereinstimmen. Männer hingegen bereits bei 60 Prozent.
Dabei ist in diesem Zusammenhang eine US-amerikanische Umfrage interessant, die zeigt, dass Selbstunterschätzung in vielen Fällen keineswegs hausgemacht ist. Im Gegenteil, das Selbstvertrauen von Frauen wird durch ihre Chefs untergraben, wie die Berater der Managementberatung Bain & Company herausfanden. Demnach plant nach fünf Jahren im Job nur noch jede Sechste den Aufstieg ins Topmanagement, während es beim Berufseinstieg noch fast die Hälfte war. Bei den Männern hingegen sind es mehr als ein Drittel.
_Bild: Elisabeth Moss als Peggy Olson in „Mad Men“ (©_AMC)