Warum junge Erwachsene bei den Eltern leben
Leben und Lieben

Warum junge Erwachsene bei den Eltern leben

Diese Kolumne beantwortet in Zukunft eure Fragen nach Durchschnitt und Ausnahme. Weil das die erste Folge ist, fangen wir mit einem fiktiven KR-Mitglied an. Nennen wir ihn Peter.

Profilbild von Kolumne von Susan Mücke

Peter ist gerade 30 Jahre alt geworden, er wohnt noch im Kinderzimmer seiner elterlichen Wohnung und denkt darüber nach, ob das eigentlich normal ist, sich als 30-Jähriger Doktorand noch von Mama und Papa versorgen zu lassen.

Einige werden ihn sicher beneiden, doch häufig hat er schon den Vorwurf gehört, er würde im „Hotel Mama“ faulenzen. Junge Männer, die wie er noch bei den Eltern leben, werden häufig als Nesthocker belächelt und liefern die meist schrullige Vorlage für Romane und Filme, überwiegend Komödien. Doch tut man den jungen Erwachsenen damit nicht unrecht?

Nach einer repräsentativen Eurofound-Studie von 2014, die die soziale Situation von jungen Menschen in 28 europäischen Ländern beleuchtet hat, lebt in Deutschland nur etwa jeder vierte 18- bis 29-Jährige noch bei seinen Eltern, davon sind zwei Drittel Männer.

Würden wir in Italien leben, würde ich aber antworten: „Mach dir keinen Kopf, du bist völlig normal.“ Denn fast 70 Prozent der Italiener im Alter von 18 bis 35 Jahren, wohl gemerkt der männlichen, wohnen noch oder wieder bei ihren Eltern. Das hat der “Bericht über den sozialen Zusammenhalt“ des nationalen Statistikinstituts Istat im Jahr 2014 ermittelt hat. Aber die Italiener ticken ein bisschen anders als die Deutschen. Familie bildet den Nukleus der italienischen Gesellschaft, sie ist es auch überwiegend, die in sozialen Notlagen Gestrauchelte auffängt. Sozialwissenschaftler nennen dieses Sozialstaatsmodell auch rudimentäres Wohlfahrtsregime, denn der Schutz gegen Marktkräfte ist hier ebenso gering wie die Sozialleistungen des Staates. Im Vergleich zu Italien sind die Versicherungsleistungen in Deutschland hoch, aber auch nicht universal, denn sie sind an Lohnarbeit gekoppelt. Dennoch federt in Deutschland die Familie Ausbildungs- und Studienzeiten oder Phasen der Arbeitslosigkeit weniger ab als in Italien. Bisher ist das zumindest so. Und das spiegelt sich auch darin wider, wieviele junge Erwachsene einen eigenen Haushalt führen (können).

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Nimmt man nun Europa insgesamt in den Blick, ist die Lage 50/50. Laut der Eurofound-Studie lebte mehr als jeder zweite junge Mann in deiner Altersgruppe bei seinen Eltern.

Was das „Hotel Mama“ betrifft – im 5-Sterne-Luxus leben die meisten dort nicht. Sie haben vielmehr mit Geldsorgen und Arbeitslosigkeit zu kämpfen, können sich weder Reisen noch eigene Möbel leisten. Jeder Fünfte ist regelrecht arm.

Peter, du musst dir also was die Statistik betrifft keine Sorgen machen. Mit knapp 30 bei Mama und Papa zu wohnen ist durchaus normal.


Bist du normal?

So verschieden wie die Menschen so verschieden sind auch ihre Leben. Wie viele haben Tattoos? Wer ist bisexuell? Und sammeln wirklich wieder alle Schallplatten? In dieser Kolumne werde ich regelmäßig - auf Daten gestützt - eure Fragen beantworten, euch zeigen, ob ihr statistisch gesehen, herausstecht oder normal seid.