Island verändert sich. Statt Walfang gibt es nun Whale Watching; ehemalige Fabriken dienen nun Künstlern als Ateliers; die Bankenkrise hat das Land an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs gebracht.
Die alte Heringsfabrik in Djupavik am Reykjarfjord ist ein frühes Beispiel für den Wandel des Landes. Anfang des vergangenen Jahrhunderts erbaut, war sie mit 90 Meter Länge einst die größte Europas und das erste komplett aus Beton erbaute Gebäude Islands. Modernste Maschinen verarbeiteten den Fisch. Doch schon in den 1950er Jahren musste die Fabrik liquidiert werden, schuld war ein Rückgang des Heringsfangs. Die Bewohner verließen den Ort, der 1982 menschenleer war. Heute finden sich in dem alten Industriedenkmal ein Hotel sowie eine Ausstellungshalle, in der Künstler ihre Fotografien zeigen.
Der höher gelegene Warmwasserspeicher Perlan (isländisch für Perle) versorgt die Hauptstadt. Die sechs Aluminiumtanks, von denen fünf noch genutzt werden, sind mit einer Glaskuppel überdacht. Der Strom stammt zum großen Teil aus Geothermalquellen.
Nun entstehen neue Industrien: Island ist inzwischen einer der größten Aluminium-Produzenten der Welt. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn der für die Herstellung von Aluminium notwenige Rohstoff – Bauxit – kommt hier überhaupt nicht vor. Stattdessen bringen Hochseefrachter das Aluminiumerz aus allen Ecken der Welt, meist aus Australien, wo riesige Tagebau-Maschinen das Gestein aus dem Boden fräsen, an die Küste transportieren und tausende Kilometer über die Weltmeere auf die verwunschene Insel am Rande Europas verfrachten.
Zwei der drei Weltmarktführer in der Aluminiumproduktion haben sich bereits auf Island angesiedelt: der US-Konzern Alcoa und sein kanadischer Konkurrent Alcan. Alcoa hat im Jahr 2007 sein Werk Bakki bei Húsavík eröffnet. Es benötigt Elektrizität unter anderem aus dem Krafla-Kraftwerk, das seine Leistung erheblich steigerte. Krafla ist eines der aktivsten Vulkangebiete des Landes.
Warum lohnt sich diese unglaubliche Reise? Weil Island über einen anderen Rohstoff verfügt, der für die Aluminium-Herstellung notwendig ist: geothermale Energie. Vereinfacht gesprochen: Die Isländer zapfen die Erdwärme an, die die vielen Vulkansysteme unter der Insel bieten. Das ist so phänomenal billig, dass im Winter manche Bürgersteige der Hauptstadt Reykjavik beheizt sind. Sogar Gemüse wird in dem im Winter dauerdunklen Island in Gewächshäusern angebaut.
Zusammen mit Wasserkraft kann Island seinen gesamten Strombedarf auf diese Weise aus erneuerbaren Energien decken – und hat noch jede Menge übrig. Sogar ein Unterseekabel nach Europa ist geplant, um überschüssige, erneuerbare Energie zu exportieren. Weil in Island die Energie also billig und im Überfluss vorhanden ist, siedeln sich energieintensive Industrien an.
Die Aluminiumproduktion ist eine der energieintensivsten überhaupt. Sie ist hat im Jahr 2011 etwa 70 Prozent des Stroms auf der Insel verbraucht. Dennoch gilt Aluminium, das nur unter aufwändigen und extrem umweltschädlichen Bedingungen hergestellt werden kann, als Werkstoff der Zukunft. Der weltweite Bedarf steigt jährlich um vier Prozent. Dabei hat Deutschland mit seiner Automobilindustrie den höchsten Pro-Kopf-Bedarf, importiert jedoch den größten Teil.
Viele Isländer machen sich Sorgen über die Auswirkungen der Aluminium-Produktion auf die Umwelt. Die riesigen Staudämme, die für die Hydro-Energie notwendig sind, greifen in die Natur ein. In Island sind die Auswirkungen der globalen Erwärmung bereits deutlich zu spüren, die Gletscher schmelzen. Vom Aluminium-Boom profitieren aber vor allem die großen Konzerne, die für diese Erwärmung verantwortlich sind. Das hat bereits berühmte Persönlichkeiten des Landes auf den Plan gerufen, wie die Sängerin Björk, die sich starkmacht gegen den Ausverkauf der Naturressourcen.
Nach wie vor ist die Fischerei, traditionell der wichtigste Wirtschaftszweig des Landes, bedeutend für das Bruttoinlandsprodukt. Die Großindustrien, allen voran die Aluminiumherstellung, könnten ihr aber schon bald den Rang ablaufen.