Klimaschützer tragen jetzt auch Einstecktuch. Auf der Homepage des Klimaschutzvereins „Heimatwurzeln“ lächelt Strategiedirektor Daniel Müller in die Kamera, in seiner Anzugtasche leuchtet ein rot-graues Stoffdreieck. Würde er mit diesem Porträtfoto auf der Webseite einer großen Unternehmensberatung auftauchen – es wäre nicht der Rede wert.
Heimatwurzeln ist aber eine NGO mit acht Mitarbeitern. Das Foto signalisiert, dass die Organisation keine herkömmliche Klimaschutzinitiative ist. Dieser Verein will anders auftreten als Fridays for Future, Ende Gelände oder die Letzte Generation, die lange Zeit Klimaaktivismus in Deutschland verkörperten und definierten.
Die Unterschiede gehen über Äußerlichkeiten hinaus. Die anderen Klimabewegungen besetzten Tagebaue, schwänzten die Schule und klebten sich auf die Straße. Sie wollten über die katastrophalen Folgen der Klimakrise aufklären und so die Menschen von einem Politikwechsel überzeugen. Aber Daniel Müller von Heimatwurzeln sagt: „Wir wollen, dass die Leute aus egoistischen Gründen das Klima schützen.“
Das ist ein völlig anderer strategischer Ansatz. Er zielt auf andere Menschen als die Brandreden Greta Thunbergs oder die Systemkritik linker Klimaschützer. Der Verein Heimatwurzeln will die „bürgerliche Mitte“ ansprechen, all jene Menschen, die Soziologen wahlweise als nostalgisch, pragmatisch oder konservativ beschreiben.
Daniel Müller sagt: „Wenn ich mit den Menschen aus meinem Heimatort in Rheinland-Pfalz spreche, sehe ich, dass die Menschen Klimaschutz als ein städtisches Thema wahrnehmen. Es gibt eine Übersetzungslücke.“
Heimatwurzeln hat sich selbst eine große Aufgabe gegeben: Klimaschutz soll konservativer werden, ohne Kompromisse bei den Klimazielen einzugehen.
Heimatwurzeln hat eine große Lücke in der Klimapolitik gefunden
Bevor er zu Heimatwurzeln kam, arbeitete Daniel Müller im Team des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). Er schrieb dessen Reden.
Dabei fiel Müller auf, dass Klimaschutzpolitik oft auf dem „Top Level“ stattfand, im Abstrakten, in seinen Augen weit entfernt von vielen Menschen. „Mir hat gefehlt, ganz normalen Leuten in Kleinkleckersdorf zu vermitteln, warum Klimaschutz für sie wichtig sein soll.“ Nicht nur an den Universitäten und in den Städten will Müller für mehr Klimaschutz werben, sondern auch in den Dörfern und den Landkreisen. „Bei Leuten, die sich selbst gar nicht als politisch verstehen; in einer Sprache, die diese Menschen sprechen.“
Das Team von Heimatwurzeln hat mit mehreren Studien eine Lücke im deutschen Klimaschutzdiskurs identifiziert. In der „bürgerlichen Mitte“, wo sich ihren Angaben nach 40 Prozent der Gesellschaft wiederfinden, gibt es keine überzeugenden Klimaschutzangebote. „Der herkömmliche Klimaschutz, den man mit Fridays for Future oder Extinction Rebellion assoziiert, erreicht die Menschen dort nicht“, sagt Müller.
Diese Milieus sind grundsätzlich bereit zu mehr Klimaschutz, das zeigt eine Studie des Heidelberger Sinus-Instituts im Auftrag von Heimatwurzeln. Nur wenige in diesem Milieu, etwa zehn Prozent, glauben aber, dass Klimaschutz den Wohlstand in Deutschland langfristig mehren kann. Im postmateriellen Kernmilieu der Grünen glauben das 67 Prozent.
Heimatwurzeln will nicht über Lebensentwürfe, sondern über Geschäftsmodelle diskutieren
Genau hier setzt Heimatwurzeln mit seiner Strategie an. Müller und seine Leute wollen nicht über Lebensentwürfe oder Verhaltensänderungen diskutieren. Wo die anderen NGOs über ökologische Grenzen und manchmal auch über Verzicht sprechen, setzen Müller und seine Kollegen auf Profitabilität, pragmatische Umsetzbarkeit und individuelle Vorteile. Das sind die „egoistischen Gründe“, die Müller vorher benannt hat.
„Wir schauen, wie Klimaschutz den Menschen vor Ort direkt nutzen kann, anstatt das von oben vorzugeben.“ Der Verein hat laut Müller Diskussionsforen mit Landwirten vor Ort veranstaltet, auf denen es unter anderem um die AUKMs ging. Müller rattert diese Abkürzung im Gespräch herunter, er scheint sie öfter zu gebrauchen.
AUKM steht für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen. Hinter diesem Wortungetüm verbergen sich Milliarden von Euro, die die EU einsetzt, um Bauern dabei zu helfen, Umwelt und Klima zu schützen, etwa mit artenreichen Blühstreifen am Rande der Felder oder dem Verzicht auf intensive Düngung.
„Wir schauen gemeinsam mit den Landwirten: Welche davon sind effektiv, einfach umzusetzen und profitabel?“ Vielleicht, so die Hoffnung von Müller, ließen sich so im Gespräch mit einzelnen Bauern Klimaschutz-Maßnahmen finden, die deutschlandweit funktionieren können. „Wenn wir mit Bauern sprechen, begegnet ihnen Klimaschutz häufig als bürokratische Hürde. Frustration entsteht auch dadurch, dass die Entlohnung in einem schlechten Verhältnis zum Arbeitsaufwand steht.“ Heimatwurzeln will helfen, diese Hürde abzubauen und der Verein glaubt laut Müller, dass „gerade die Landwirte ein Gespür dafür haben, wo sich Umwelt- und Klimaschutz besonders gut in ihre Arbeit integrieren lassen“.
Diese Strategie verfolgen mehrere NGOs in der ganzen Welt
Mit dieser Strategie der lokalen Überzeugungsarbeit ist Heimatwurzeln Teil eines globalen Netzwerks aus weiteren Initiativen in zum Beispiel Polen, Brasilien oder auch Großbritannien eingebettet. Alle diese NGOs sind über die Initiative „Our Common Home“, die der Brite Scott Langdon vor wenigen Jahren gründete, verknüpft. Die Aktivisten in den verschiedenen Ländern teilen den gleichen strategischen Ansatz, alle arbeiten an der „Übersetzungslücke“ von Klimaschutz und tauschen ihre Erfahrungen aus. Zum Teil überlappen sich auch die Geldgeber. „Wir bewerben uns bei großen Stiftungen wie der Ballmer-Stiftung aus den USA, der Ikea Stiftung, der European Climate Foundation, dem Wellcome Trust oder Sequoia Climate Foundation“, sagt Müller.
Fridays for Future organisierte riesige Massendemonstrationen und die Letzte Generation schlagzeilenträchtige Straßenblockaden. Der Einfluss dieser Aktivisten war relativ leicht zu beobachten. Für landesweite Diskussionen hat Heimatwurzeln nicht gesorgt. Das will der Verein auch explizit nicht. „Wir wollen, dass Klimaschutz am besten gar kein politisches Thema mehr ist. Die Leute sollen irgendwann sagen: Klimaschutz ist immer wichtig“, sagt Müller.
Diese Strategie der Entpolitisierung ist bemerkenswert, denn bisher versuchten Klimaschützer im konservativen Lager das Gegenteil. Es gibt verschiedene Akteure, die die CDU zu einer klimapolitischen Kehrtwende bewegen wollen. Die „Klimaunion“ etwa versucht seit Jahren, der CDU eine zeitgemäßere Klimaschutzpolitik zu verpassen und hat auch punktuelle Erfolge erzielt.
Kritik: Heimatwurzeln unterschätze das konservative Bürgertum
Der Radaktivist Heinrich Strößenreuther kennt die klimapolitischen Debatten der Konservativen. Denn er war selbst mal Mitglied der Klimaunion. Inzwischen ist er wieder aus der CDU ausgetreten. Über Heimatwurzeln sagt er: „Ich bin sehr glücklich, dass es diesen Verein gibt.“ Strößenreuther wünscht sich aber Verbesserungen bei der kommunikativen Arbeit des Vereins: „Zu sehr werden CDU-Platitüden übermommen: Lieber wäre mir eine verführerische Story, die Konservative für guten Klimaschutz begeistert, ohne die CDU-Werkseinstellungen zu zementieren und für eine wirkliche Transformation zu werben.“ Es gebe im bürgerlichen Lager mehr Rückhalt für Klimaschutz-Maßnahmen, als das Team von Heimatwurzeln vermute. „Ich kenne genügend Konservative, die autark werden wollen, die Solaranlagen und Wärmepumpen nur installiert haben, um Wladimir Putin den Finger zu zeigen.“
Worauf Strößenreuther hinaus will: Konservative Werte erschöpfen sich nicht in Egoismus und Profitabilität, auch das bürgerliche Milieu hat einen Sinn für Gemeinwohl – der allerdings anders daherkommt als bei Linken. Sie definieren Gemeinwohl zum Beispiel eher über soziale Gerechtigkeit. Bei Konservativen kann auch nationale Unabhängigkeit unter dieses Schlagwort fallen.
Der Berliner Politikwissenschaftler Markus Kollberg geht in einer Studie im Auftrag von Heimatwurzeln noch etwas tiefer. Er beschreibt „Stabilität, Pragmatismus und soziale Ordnung“ als konservative Werte. Die „Verbindung der Energiewende und Transformation der Wirtschaft“ mit diesen Werten könne eine „erfolgsversprechende Kommunikationsstrategie“ sein.
Aber, mahnt Kollberg in dem Report, um Konservative vom Klimaschutz zu überzeugen, reiche es nicht, die richtigen Dinge auf die richtige Art zu sagen. Konservative werden nur dann zu Klimaschützern, wenn bürgerliche Werte und Argumente von einem „konservativen politischen Botschafter” vorgebracht werden.
Salopp formuliert: Progressive Klimaaktivisten könnten sich eine Checkliste für bürgerlichen Klimaschutz erstellen, jeden einzelnen Punkt erfolgreich abhaken und trotzdem auf taube Ohren stoßen – weil sie aus dem falschen Milieu kommen.
Das Einstecktuch – es ist eben wichtig.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger