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Hi!
Vor ein paar Tagen erhielt ich eine besondere Mail. Eine Redakteurin der japanischen Tageszeitung Mainichi Shimbun bat mich, die aktuelle Lage der Grünen einzuschätzen.
Solche Anfragen aus dem Ausland erhalte ich immer mal wieder, als ich dann aber nachschaute, was für eine Zeitung das genau ist, musste ich kurz schlucken: Es ist die drittgrößte der Welt (nach Printauflage). Oha. Big in Japan!
Da ich weiß, dass viele von euch die derzeitige Lage der Grünen beschäftigt, dokumentiere ich hier die Fragen und meine Antworten. Wir sprechen auch darüber, welche Rolle Klimaschutz im Wahlkampf hätte spielen können, vielleicht sogar hätte spielen müssen.
Meine Interview-Antworten
❓Warum hat die Partei an Unterstützung verloren? Ist es, weil das Klima für die Leute kein wichtiges Thema mehr ist, oder sie Fehler wie das Gebäudeenergiegesetz (GEG) gemacht hat?
Die Partei hat, wie alle anderen noch regierenden Parteien, stark an Unterstützung verloren.
Das liegt zum einen am desolaten Eindruck, den die Ampelregierung in der breiteren Bevölkerung hinterlassen hatte. Die Bevölkerung war unzufrieden. Mit dem ständigen Streit, mit der Inflation, mit dem Eindruck der Unentschlossenheit, den die Regierung erzeugt hat.
Allerdings gibt es auch noch Grünen-spezifische Gründe, und die hast Du gut benannt. Das Gebäudeenergiegesetz, umgangssprachlich Heizungsgesetz, hat der Partei nicht bei ihrer Kernwählerschaft geschadet, aber definitiv bei Leuten, die vielleicht mit den Grünen sympathisieren und sich hätten vorstellen können, sie zu wählen. Denn es entstand der Eindruck, dass die Grünen nicht wussten, was sie tun. Diese Kritik ist teilweise gerechtfertigt, weil tatsächlich Robert Habeck und seine Leute das Gesetz nicht gut genug vorbereitet hatten.
Jetzt kommen wir aber noch zu einem anderen Punkt, warum die Grünen schlechter abgeschnitten haben. Der Wahlkampf, den die Grünen geführt haben, zielte auf die eher konservative Mitte der Wählerschaft. Auf Leute, die von der jetzigen CDU enttäuscht sind, aber zum Beispiel Angela Merkel gewählt haben. Diese Menschen haben die Grünen allerdings nicht erreichen können. Vielleicht gab es diese Wähler auch niemals, das müssen wir jetzt erstmal in den nächsten Wochen und Monaten sehen. Fakt ist allerdings, dass sie nicht in der Mitte gewinnen konnten, aber am linken Rand an die Linkspartei verloren haben. Die Linkspartei hat mit einem eindeutigen Mietenwahlkampf, also einem Wahlkampf, der auf soziale Sicherheit ausgerichtet war, vor allem auch bei jungen Leuten punkten können.
Dass das Thema Klima keine große Rolle mehr spielte in diesem Wahlkampf, ist auch die Schuld der Grünen. Die Frage muss erlaubt sein, ob diese Wahl anders ausgesehen hätte, wenn die Grünen einen Klimawahlkampf geführt hätten.
Es ist allerdings schwierig, diesen Wahlkampf mit dem Wahlkampf von 2021 zu vergleichen, der noch ganz im Zeichen der Klimaproteste stand. Ich glaube, dass die Wahl 2021 eine sehr besondere war und sie sich so nicht wiederholen wird, aus klimapolitischer Sicht.
❓Sie haben erst kurz vor der Wahl über das Klima geredet. War es zu spät? Oder war es ein Fehler, das Klima überhaupt zu ihrem Thema gemacht zu haben?
Ja, ich halte das für einen Fehler, wenn eine Partei für ein ganz bestimmtes Thema steht und bei diesem Thema sehr, sehr hohe Kompetenzwerte hat und dann nicht über dieses Thema redet. Meines Erachtens muss eine Partei, die bei einem Thema hohe Kompetenzwerte hat, immer über dieses Thema reden; sie muss versuchen, dieses Thema zum Thema aller anderen Parteien zu machen. Das ist die Voraussetzung für breitere Wahlerfolge. Es verhindert sie nicht, sondern es ist die Voraussetzung.
Dass sie die Klimakrise gegen Ende dann kurz angesprochen haben, war definitiv kein Fehler; ein Fehler war eher der 10-Punkte-Migrationsplan von Robert Habeck. Ich möchte allerdings eine Sache hinzufügen: Ich kann das jetzt leicht sagen, ich kann das jetzt leicht analysieren. Robert Habeck hat sich ja hingestellt, und das muss man ihm auch abnehmen, und hat gesagt: „Ich hätte keinen anderen Wahlkampf führen können.“
Dieser Wahlkampf war die Essenz der ganzen strategischen Ausrichtung der Grünen in den vergangenen sieben Jahren. Das ist exakt das, was Baerbock und Habeck vorhatten. Und hätten sie das jetzt nicht umsetzen können, wäre das auch nicht gut gewesen, weil es nicht lehrreich gewesen wäre.
❓Warum können die Grünen nicht mehr Volkspartei werden?
Ich möchte diese Frage auf zwei Ebenen beantworten: auf einer grundsätzlichen, allgemein über die Parteien, und auf einer spezielleren, über die Grünen.
Ich fange mit der allgemeinen Betrachtung an. Ich glaube, dass das Zeitalter der Volkspartei in Deutschland vorbei ist. Jedenfalls der Volkspartei, wie wir sie in den 50er, 60er und vielleicht auch noch 70er Jahren in Deutschland definiert haben. Parteien, die solide 40 % bekommen können, die in alle Schichten und Milieus hineinreichen, die wirklich breite Flügel haben und auch viele verschiedene Subideologien unterbringen können. Denn wenn wir ehrlich sind, sind auch die anderen beiden sogenannten Volksparteien auf einem absteigenden Ast, und das seit mehreren Jahren. Bei der SPD ist es sehr, sehr deutlich, und bei der CDU wird es gerade deutlich, da sie es wieder nicht geschafft hat, über 30 % zu kommen.
Jetzt komme ich konkret zu den Grünen. Ich glaube nicht, dass die Grünen eine realistische Chance haben, Volkspartei zu werden, weil sie erstens diesen großen Trend, den ich gerade beschrieben habe, schlagen müssten. Sie müssten ein Politikangebot machen, das plötzlich wieder für milieuübergreifende Euphorie sorgt. Ich glaube nicht, dass die Klima- und Umweltkrise ein solches Thema sein kann. Die Klimakrise etwa ist ein sehr abstraktes Thema, zum Teil ein technokratisches Thema, das über Emotionen nicht so gut vermittelt werden kann, wie etwa das Thema Arm-Reich oder Krieg-Frieden und solche Sachen. Wenn die Grünen es versuchen wollten, müssten sie wieder anders über Umwelt, Natur und Klima sprechen.
Ich würde aber eine Ausnahme formulieren. Sollten sich die Klimakrise und die Biodiversitätskrise in den nächsten 2 Jahrzehnten exorbitant zuspitzen, so dass wir wirklich mehrere Katastrophen pro Jahr haben, gebe ich den Grünen eine Chance, über 30 % zu kommen. Das glaube ich, weil die Grünen nach der Atomkatastrophe in Fukushima 2011 in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen konnten. Atompolitik und Atomkraft sind ja auch so ein grünes Herzensthema gewesen.
Weitere Texte von mir zu den Grünen
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Verabschiede mich für eine Woche in den Urlaub!