Ein Mensch wandert an einem sonnigen Tag durch den Wald. Einzelne Lichtstrahlen fallen durch das Blätterdach.

© Dietrich Cerff

Klimakrise und Lösungen

Wie Konservative Nationalparks verhindern

Kein Bundesland schützt Arten so schlecht wie Nordrhein-Westfalen. Ein neues Schutzgebiet sollte das ändern.

Profilbild von Leoni Bender

Zwischen Kiefern ragen Fichten in die Höhe, daneben wachsen Buchen und Eichen. Wanderwege tanzen durch das Waldgebiet, in abgelegenen Teilen ziehen sich Füchse, Dachse und seltene Baummarder zurück. Mit über 5.100 Hektar ist der Reichswald das größte zusammenhängende Waldgebiet am Niederrhein. Und seit Mitte Dezember steht fest: Aus diesem Gebiet in Nordrhein-Westfalen wird kein Nationalpark.

„Ich respektiere das Ergebnis“, sagt der grüne NRW-Umweltminister Oliver Krischer, „auch wenn es schade ist, weil eine große Chance für mehr Naturschutz, Tourismus und Wertschöpfung vertan wird.“ Eigentlich war alles ganz anders geplant: Vor etwas mehr als einem Jahr hatte der Minister verkündet, einen zweiten Nationalpark in Nordrhein-Westfalen ausweisen zu wollen und dadurch einen „Hotspot für die Biodiversität“ zu schaffen. Darauf hatte sich die Landesregierung aus CDU und Grünen in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt.

Das klingt erstmal nach einer guten Idee: Denn um der Biodiversitätskrise entgegenzuwirken, braucht Deutschland mehr Schutzgebiete. Das sind Zonen, in denen die menschlichen Einflüsse beschränkt und gefährdete Arten gezielt erhalten werden können. Insgesamt sind EU-weit nur etwa 15 Prozent der Lebensräume in einem guten Zustand, die Roten Listen mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten werden immer länger. Expert:innen gehen davon aus, dass wir uns mitten im Massenaussterben befinden, und das bedroht auch unsere eigene Lebensgrundlage. Ohne biologische Vielfalt, gäbe es kein sauberes Trinkwasser, keine fruchtbaren Böden, keine Nahrung. Hier habe ich genau erklärt, was die Biodiversitätskrise ist und warum sogar Ameisen wichtig für dein Leben sind.

NRW ist laut einer Studie des Naturschutzbundes Deutschland sogar das Schlusslicht deutschlandweit, was die Erhaltung der biologischen Vielfalt angeht, und lediglich in der Eifel gibt es einen Nationalpark. Der sei dafür „eine absolute Erfolgsgeschichte“, so Minister Krischer. Unter den 11.356 nachgewiesenen Arten im Nationalpark befinden sich 2.614, die auf der „Roten Liste der gefährdeten Arten“ stehen, dazu sorge das Gebiet für Arbeitsplätze und erfolgreichen Tourismus.

Diese Erfolgsgeschichte wollte man mit einem zweiten Nationalpark wiederholen. Der Plan: eine Art Casting, um den am besten geeigneten Kandidaten in der Region zu finden. Womit der Minister nicht gerechnet hatte: mit dem starken Widerstand aus den Regionen, die den Plan nach und nach ablehnten. Der Kreis Kleve, in dem der Reichswald liegt, war der letzte verbliebene Kandidat für einen Nationalpark. Mit dessen Ablehnung ist der zweite Nationalpark in Nordrhein-Westfalen endgültig gescheitert. Wie konnte es dazu kommen? Und wie kann es sein, dass Naturschutz so polarisiert, dass Autoreifen aufgestochen werden? Die Antwort hat auch damit zu tun, dass Konservative heute Naturschutz als linke Projekte aus der Großstadt diffamieren. Und damit ihre eigene Vergangenheit leugnen.

Wie? Hat wirklich niemand Interesse?

Im September 2023 wurde der Startschuss für das „Nationalpark-Casting“ gegeben. In einem dreistufigen Beteiligungsprozess konnten Regionen zuerst unverbindlich Interesse bekunden und beraten werden. Danach hätten sie offiziell einen Antrag stellen können. Zum Schluss hätte die ausgewählte Region als Nationalpark ausgewiesen werden sollen, wobei die Öffentlichkeit in die Ausarbeitung der Verordnung einbezogen werden sollte.

Allerdings: Über den ersten Schritt ist der Prozess nie hinausgegangen. Eigenständig beworben hatte sich niemand, als „Input“ hatte die Landesregierung aber eine Karte mit sechs Regionen veröffentlicht, die sie für besonders geeignet hielt. Die vorgeschlagenen Kreise zeigten sich skeptisch, Kritiker:innen befürchteten vor allem, dass die örtliche Wirtschaft darunter leiden würde. Denn Nationalparks sind die am strengsten geschützten Gebiete Deutschlands, dort darf beispielsweise keine Forstwirtschaft betrieben oder Windräder aufgestellt werden. Die vorgeschlagenen Regionen lehnten nach und nach ab: Manche, wie der Arnsberger Wald in Soest, scheiterten schon am Nein des Kreistags, für ein Bürgerbegehren konnten nicht genug Unterschriften gesammelt werden. Ein Nationalpark im ostwestfälischen Eggegebirge, das lange als Favorit galt, scheiterte nach langem Streit im Juni 2024 knapp im Bürgerentscheid. Dort gab es massive Widerstände unter anderem von Forstarbeiter:innen und Jäger:innen, die sich gemeinsam mit der lokalen CDU und FDP in einer Initiative gegen den Nationalpark stark machten, Banner aufhängten und Demonstrationen veranstalteten. Auf den Bannern stand etwa „Lasst uns unsere Wanderwege“ und „Steuergelder sinnvoller einsetzen“. Und, ziemlich pathetisch: „Nehmt uns nicht die letzten Freiheiten.“

Auf einem Transparent steht: "Nehmt uns nicht die letzten Freiheiten! Ja zur Natur - nein zum Nationalpark!". Dazu ist ein Radfahrer abgebildet.

A. Niemeyer-Lüllwitz mit freundlicher Genehmigung von BUND

Auch der Reichswald im Kreis Kleve gehörte zu den sechs vorgeschlagenen Kandidaten der Landesregierung. Das Waldgebiet ist etwas mehr als doppelt so groß wie der Frankfurter Flughafen, was recht klein für einen Nationalpark ist. Das Gebiet galt deshalb eher als Notlösung. Eigentlich hatte der Kreistag auch hier schon im April 2024 gegen eine Bewerbung gestimmt. Der Initiative „Internationalpark Reichswald“ war es aber gelungen, über 15.500 Stimmen für ein Bürgerbegehren zu sammeln, weshalb Mitte November Briefwahlunterlagen für einen Bürgerentscheid verschickt wurden. Das war die letzte Chance für einen zweiten Nationalpark in der Region.

„Verbotswahn“: Die Stimmung war von Anfang an vergiftet

Aber auch in Kleve gab es von Beginn an viele Stimmen gegen den Nationalpark: Landwirt:innen, Förster:innen, Jäger:innen und Reiter:innen organisierten sich gemeinsam mit der örtlichen CDU und FDP in einem neu gegründeten Anti-Nationalparks-Verein. „Die Stimmung war von Anfang an vergiftet“, sagt Ingrid van Gemmeren. Sie ist Sprecherin der Initiative für einen Nationalpark, die sich 2023 kurz nach dem Aufruf des Umweltministers gegründet hatte. „Selten gab es einen Austausch zwischen den Gruppen und es wurde wenig auf sachlicher Ebene miteinander diskutiert“, sagt sie. Die Kritiker:innen argumentierten unter anderem mit angeblich hohen Kosten eines Nationalparks, großen Einschränkungen für Besucher:innen und einer Gefährdung der Trinkwasserversorgung. Die Landesregierung veröffentlichte dazu zwar einen Faktencheck mit Richtigstellungen, trotzdem verbreiteten die Gegner:innen die teilweise unwahren Narrative weiter. Und warnten vor einem „Verbotswahn“.

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Man könne Halbwahrheiten „am Ende sieben Mal richtig stellen, trotzdem kommt das beim achten Mal wieder aus dem Lager“, ärgert sich Umweltminister Krischer. Bis zuletzt hatten beide Initiativen Flyer verteilt, Plakate aufgehängt und Vorträge gehalten, um Bürger:innen für ihre Sache zu gewinnen. Dabei hatte sich der Konflikt immer weiter zugespitzt: in Trecker-Corsos protestierten Landwirt:innen gegen den Nationalpark, Plakate wurden beschmiert und heruntergerissen, Autoreifen von einem Nationalparkgegner wurden zerstochen und beide Seiten beleidigten sich gegenseitig.

Als ich mit Umweltminister Krischer spreche, wirkt er enttäuscht. „Natürlich hätte ich mir das anders gewünscht und auch anders erwartet, sonst hätten wir den Prozess nicht gemacht“, sagt er. „Aber offensichtlich ist es momentan sehr schwer, Menschen vom Naturschutz zu überzeugen, nochmal schwieriger als vor ein paar Jahren.“

Ist das tatsächlich so? Die Klimakrise ist seit Jahren eines der bestimmenden Themen der öffentlichen Debatten. Und auch wenn die Biodiversitätskrise im Vergleich dazu regelmäßig vernachlässigt wird, sollten mittlerweile alle davon mitbekommen haben. Wie kann es heute schwerer sein, sich für die Natur einzusetzen als früher? Das habe ich den Sozialwissenschaftler Jens Jetzkowitz gefragt. Er forscht seit vielen Jahren zu den Konflikten, die zwischen Natur und Gesellschaft entstehen können. Er sagt: „Alle mir bekannten Einrichtungen von Nationalparks waren mit Protesten verbunden, das war also durchaus erwartbar.“ Dass die Diskussion in NRW kein Einzelfall ist, kann man an anderen aktuellen Beispielen sehen, etwa scheiterte erst Anfang 2024 nach langem Streit ein zweiter Nationalpark in der Ostsee und über die Ende 2024 beschlossene Erweiterung des Nationalparks Schwarzwald wurde jahrelang diskutiert.

Die Konflikte hängen fast immer mit der Frage zusammen, wie man die Natur nutzt, sagt der Experte. Das liege daran, dass Einschränkungen oft als „Freiheitsverlust“ wahrgenommen werden: „Es handelt sich dabei aber weniger um einen klassischen liberalen Freiheitsbegriff, bei dem es um Selbstbestimmung geht, sondern um die Möglichkeit, Natur ohne Einschränkung zu nutzen.“ Also zum Beispiel: nicht mehr überall reiten zu können, weil bestimmte Wege gesperrt sind. Sich für grüne Themen wie Naturschutz zu engagieren, werde deshalb oft mit Verboten und Bevormundung assoziiert. „Dagegen wird das positive Potenzial, etwa durch mehr Tourismus in der Region, und natürlich der höhere gesellschaftliche Zweck des Naturschutzes oft ausgeblendet“, so Jetzkowitz.

Was hat sich verändert? Vor allem die Haltung konservativer Gruppen

Welche Vorteile ein Nationalpark mit sich bringt, werde oft erst mit der Zeit erkannt. Das zeigt auch das Beispiel des Nationalparks Eifel: Seit seiner Eröffnung im Jahr 2004 werden die Bewohner:innen der umliegenden Dörfer etwa alle sieben Jahre gefragt, wie sehr sie den Nationalpark akzeptieren. Die Befragungen zeigen, dass die Akzeptanz über die Jahre wächst: Während sich 2006 insgesamt 62,5 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen haben, dass der Nationalpark bestehen bleiben soll, waren es 2013 etwa 65 Prozent und bei der letzten Umfrage 2020 über 80 Prozent.

Also, die Menschen sind oft erstmal skeptisch, wenn es um mehr Naturschutz geht. Vor allem, wenn sie befürchten, die Natur nicht mehr so nutzen zu können, wie sie wollen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum die Nationalparkidee in NRW auf so viel Widerstand trifft, glaubt der Sozialwissenschaftler Jens Jetzkowitz: „Die Diskussionen um Nationalparks sind heute stärker von einer Vorab-Positionierung geprägt.“ Interessengruppen würden mit festen Voreinstellungen auftreten und Widerstand organisieren, anstatt erst einmal offen Chancen und Risiken für die Region abzuwägen: „Häufig dominieren verhärtete Fronten und einseitige Vorstellungen von Freiheit“, so Jetzkowitz.

Das bestätigen auch die Erfahrungen von Michael Lammertz. Er ist Leiter der Nationalparkverwaltung Eifel und schon seit der Gründung mit dabei. Damals lief die Diskussion noch anders ab: „Es ging eigentlich nie um die Frage, wie ein Nationalpark verhindert werden kann, sondern darum, ihn so zu gestalten, dass er ein großer Erfolg wird – für die Region, die Gäste und die Umwelt.“ Zwar habe es auch Skepsis gegeben, beispielsweise von Landwirt:innen, die Sorgen vor Wildschäden hatten. In gemeinsamen Gesprächen konnten aber Lösungen gefunden werden. „Organisierten Widerstand gab es nie“, so Lammertz.

Warum ist es heute scheinbar unmöglich, etwas zu tun, das vor etwa 20 Jahren noch normal war: sich an einen Tisch zu setzen und sachlich miteinander zu reden? Zumal die Menschen doch mittlerweile besser Bescheid wissen, wie ernst die Lage ist. Jens Jetzkowitz sieht die Polarisierung auch darin begründet, dass konservative Gruppen heute eine andere Haltung haben. „Früher wurden Naturschutzthemen von konservativen und progressiven Gruppen gemeinsam getragen, heute werden sie von konservativen Kräften zunehmend als nachrangig betrachtet und als grüne Projekte von Spinnern aus der Stadt abgetan“, sagt er.

Und tatsächlich: Der erste Nationalpark Deutschlands liegt in Bayern an der tschechischen Grenze. Der Nationalpark Bayerischer Wald wurde 1970 gegründet und war vor allem ein Projekt der CSU-geführten Landesregierung, die in Bayern damals schon politisch dominierte.

Wie empfänglich sind Menschen, die sich auf Naturschutz als Feindbild eingeschossen haben?

Umweltschutz als gemeinsames Anliegen von verschiedenen politischen Lagern wird aber zunehmend infrage gestellt. Das lasse sich nicht nur in Nordrhein-Westfalen beobachten, wo lokale CDU-Verbände sogar den Plan ihrer eigenen CDU-Landesregierung verhindern, sagt Jetzkowitz. Auch EU-weit gebe es diese Entwicklungen. Etwa wird der von konservativen Kräften mit ins Leben gerufene Green Deal genau von diesen immer häufiger in Frage gestellt und versucht, wieder zurückzudrehen. „Angesichts des dramatischen Zustands vieler Ökosysteme und der Notwendigkeit, dringend zu handeln, macht mir das große Sorgen“, meint Jetzkowitz.

Und er hat Recht, eigentlich bräuchten wir gerade jetzt mehr Naturschutz. Eine Gruppe von Wissenschaftler:innen, mit denen ich vor einiger Zeit gesprochen habe, hält es sogar für notwendig, insgesamt die Hälfte der Erde unter Schutz zu stellen. Ziemlich frustrierend also, wenn es nicht einmal gelingt, ein kleines Stück Wald in Nordrhein-Westfalen zum Nationalpark zu machen.

Trotz allem hält Jetzkowitz solche partizipativen Verfahren, wie bei der Suche nach einem neuen Nationalpark in NRW, für den richtigen Ansatz: „Einfach von oben durchzusetzen, dass ein neuer Nationalpark kommt, wäre unangemessen.“ Wichtig sei vor allem eine breitere und parteiübergreifende Kommunikation über den Sinn von Naturschutzprojekten. „Man muss deutlicher machen, warum Naturschutz und die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme ein sinnvolles gesamtgesellschaftliches Projekt sind.“ Dazu gehöre auch aufzuklären, warum bestimmte Maßnahmen notwendig seien, mit Faktenchecks falsche Argumente zu entlarven und auf Sorgen verschiedener Interessengruppen zu reagieren. Allerdings bleibt die Frage: Wie empfänglich sind Menschen für sachliche Argumente, wenn sie sich auf Naturschutz als Feindbild eingeschossen haben und vor allem um ihre eigene Freiheit besorgt sind? In Nordrhein-Westfalen waren sie das zumindest in Teilen nicht.

An Interesse für das Thema scheiterte es in Kleve aber nie. Über 100.000 Menschen hatten im Dezember im Bürgerentscheid abgestimmt, das ist etwas weniger als die Hälfte aller Kreisbewohner:innen. Gereicht hat es am Ende ganz knapp nicht: 52 Prozent stimmten gegen den Nationalpark.


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Wie Konservative Nationalparks verhindern

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