Collage: Junge Menschen halten Plakate in die Höhe, auf denen Sprüche gegen die Klimaerwärmung stehen. Beispielsweise: Das Klima ist aussichtsloser als unser Mathe-Abi.

Mika Baumeister/Unsplash

Klimakrise und Lösungen

Die Klimabewegung ist nicht tot

Aber der Protest ist anders als vor ein paar Jahren. Fünf Menschen zeigen, wie das Engagement fürs Klima heute aussieht.

Profilbild von Johanna Weinz
Reporterin

Vor fünf Jahren beherrschte die Klimabewegung Fridays for Future freitags die Straßen. Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, am 20. September 2019, demonstrierten in Deutschland über eine Million Menschen. Den letzten Klimastreik vor zwei Monaten besuchten dagegen deutschlandweit nur 75.000 Menschen.

Es ist ruhiger geworden um Fridays for Future (FFF) und die anderen Protestgruppen. Aber die Aktivist:innen, die damals so viele Menschen mobilisierten, sind ja nicht verschwunden. Was machen sie heute?

Um Antworten zu bekommen, habe ich mit fünf Menschen gesprochen, die früher mit Fridays for Future und anderen Bündnissen protestiert haben. Die Geschichten von Kathrin Henneberger, Lina Johnson, Luca Baracat, Leonie Liekefett und Louis Motaal zeigen, wie sich die Bewegung weiterentwickelt hat.

1. Sie sitzen am Verhandlungstisch

Manche Aktivist:innen haben heute selbst politische Ämter inne, sitzen nun an den Orten, an die sich der Protest von früher richtete. Kathrin Henneberger, 37 Jahre alt, ist eine von ihnen. Seit 2021 ist sie als Grünen-Abgeordnete im Bundestag.

Ein Portrait einer jungen Frau vor einer Glaswand. Sie hat rote Haare und trägt einen grauen Pullover.

Kathrin Henneberger | © Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, Kaminski

Schon als Jugendliche hat Henneberger begonnen, sich für Klimaschutz zu engagieren – in klassischer Parteiarbeit. Etwas mehr als ein Jahr lang war sie auch mal Bundessprecherin der Grünen Jugend. Danach entschied sie sich, die Klimabewegung in Deutschland zu unterstützen. Sie schloss sich dem 2015 gegründeten Anti-Kohle-Bündnis Ende Gelände an und protestierte im Rheinischen Braunkohlerevier in der Nähe von Köln, wo sie aufgewachsen ist. „Indem sich Tausende Menschen in weißen Schutzanzügen, besonders viele junge Menschen, vor die Kohlebagger stellten, haben wir die Bilder der Tagebaue in die deutsche Öffentlichkeit gebracht und die Politik vor uns hergetrieben“, sagt sie. Dass Deutschland bereits 2035 aus der Kohle aussteigen soll, anstatt wie ursprünglich geplant im Jahr 2038, das sieht Henneberger als Verdienst der Klimabewegung.

Für sie ist aber klar, dass sich soziale Bewegungen immer wieder neu finden müssen. „Jede Zeit hat ihre Aktionsformen, in meiner waren das die großen Massenaktionen, Tausende Menschen, die in den Tagebau hineinstürmten.“ Heute sei die Klimabewegung regional zersplittert, es gäbe kleinere Aktionsformen. Dafür sei sie aber auch spezialisierter auf Themengebiete wie Terminals für flüssiges Erdgas (LNG) auf Borkum. Weil auch neues Personal wichtig sei, um etwas zu verändern, wechselte sie nach zwei Jahren als Pressesprecherin von Ende Gelände wieder zurück in die Parteiarbeit. Mit den Aktivist:innen vor Ort steht sie aber bis heute in einem regen Austausch, fährt am Tag unseres Interviews in den Hambacher Forst.

Dass junge Menschen angesichts der aktuellen Krisen und Konflikte frustriert sind, versteht sie: „Die Menschen fragen sich, wie die Welt in zehn oder zwanzig Jahren aussehen wird, das sind dieselben Gedanken, die ich auch hatte, als ich mich entschlossen habe, politisch aktiv zu werden.“ Den Hebel etwas zu ändern sieht sie auch in der klassischen Parteiarbeit: „Die Grüne Jugend, das weiß ich aus meiner Zeit, ist ein wichtiger Machtfaktor innerhalb der Grünen und kann das auch sehr gut einsetzen.“

2. Sie haben sich radikalisiert

Die Klimabewegung veränderte sich nach Fridays for Future und Ende Gelände. Das zeigte die Geburtsstunde der Letzten Generation. Die Gruppe begann mit einem Hungerstreik. Darauf folgten Straßenblockaden und Strafverfahren. Lina Johnson, 26 Jahre alt, ist eine der Pressesprecherinnen der Letzten Generation.

Eine junge Frau wird von zwei Polizisten weg getragen. Sie hat blonde Haare und trägt eine orangefarbene Warnweste.

Lina Johnson | © Letzte Generation

Weil sie Angst davor hat, dass die Gesellschaft die Erderwärmung nicht mehr stoppen kann, hat sich Lina Johnson der Letzten Generation angeschlossen. Sie war zunächst mit Fridays for Future auf der Straße. Aber „die Demos haben sich irgendwann nicht mehr selbstwirksam angefühlt“, sagt sie. „Alle halten ihre Schilder hoch, gehen nach ein paar Stunden wieder nach Hause und dann hat man was für den gesellschaftlichen Wandel, für den Erhalt unserer Demokratie getan? Mich machten die Demos zunehmend traurig.“

Eine Freundin nahm sie zu einem Treffen der Letzten Generation mit. „Motiviert hat mich vor allem der konkrete Plan und dass die Vergangenheit gezeigt hat, dass friedlicher ziviler Widerstand gewirkt hat.“

Zuerst unterstützte sie die Klebeaktionen im sogenannten Eskalationsteam, erklärte Autofahrer:innen, warum es nicht weiterging. Dann hielt sie Vorträge über ihre Arbeit. Später klebte sie sich auch selbst fest und wurde Pressesprecherin. Um den Protest in die Politik zu bringen, stellte sich die Letzte Generation mit Lina als Spitzenkandidatin bei der Europawahl auf. „Grundrechte einzufordern, ist hochpolitisch. Deswegen ist das, was ich mache, auch Politik. Klassisch irgendwo zu sitzen und abzustimmen, so sehe ich mich nicht“, sagt sie. Anders als Kathrin Henneberger wäre sie nur ins Parlament eingezogen, um zu protestieren.

Sie kritisiert das Bild, das Menschen durch die Berichterstattung von der Letzten Generation haben: „Dass Menschen uns Blumen geschenkt oder geklatscht haben, dass ein großer Teil der Aktionen friedlich abgelaufen ist, haben die Menschen in den Medien nicht gesehen. Ihnen wurde nur gezeigt, wie wir getreten wurden.“ Wegen der zunehmenden Kritik, der Gewalt und dem fehlenden Zulauf hatte die Letzte Generation die Klebeaktionen Anfang 2024 schließlich beendet und stattdessen ungehorsame Versammlungen organisiert. „Wir haben nicht genügend Menschen erreicht, um eine kritische Masse zu sein, deshalb müssen die Proteste zugänglicher werden“, sagt Lina. „Wenn Menschen mit ihren Kindern kommen, sollen sie trotzdem am Protest teilnehmen können.“ Die Gruppe ist nun in einer Findungsphase, bemüht sich um eine Wissensweitergabe und arbeitet an verschiedenen Visionen.

Im Gegensatz zu den Fridays, die stärker auf positive Narrative setzten, betonte die Letzte Generation die Dringlichkeit des Handelns in der Klimakrise. Das Gefühl von Dringlichkeit funktioniere aber nur für eine bestimmte Zeit. Irgendwann werde die Krise zum Normalzustand, man stumpfe emotional ab. Deshalb sei eine Vision verknüpft mit einer positiven Erzählung heute wichtig, sagt sie. „Unser Sprint wurde zum Marathon, das ist anstrengend.“

Die Strukturen, die sie geschaffen haben, geben ihr allerdings Hoffnung: „Ich habe in vielen Städten bei fremden Menschen übernachtet, nur weil man für das Gleiche, für Gerechtigkeit kämpft. Dieses Netzwerk geht nicht weg, das ist mächtig und motiviert mich weiterzumachen.“

3. Sie sind erschöpft

Klimaschutz hat heute bei jungen Menschen einen anderen Stellenwert als 2019. Die Sorge um Wirtschaft und Krieg hat das Thema verdrängt. Das zeigt die Shell Jugendstudie 2024. KR-Mitglied Luca, 19 Jahre alt, meldete sich auf meinen Aufruf zu Beginn der Recherche. Er hat nach jahrelangem Aktivismus einen Burn-out. Deshalb hat er sich heute aus der Klimabewegung zurückgezogen.

Ein junger Mann montiert Lautsprecher auf einem PKW-Anhänger. Er dreht sich um und grinst in die Kamera, dabei reckt er seinen Daumen in die Höhe.

Luca | © Luis Schmidt-Eisenlohr

Zu Fridays for Future ist er mit 13 Jahren in der Anfangszeit gekommen. Das Gefühl, sich für etwas Sinnvolles einzusetzen, hat ihn motiviert. Zuerst war er auf der Bundesebene engagiert, hat Social-Media- und Presseaufgaben übernommen, später unterstützte er zwei Ortsgruppen in Bayern.

Die Arbeitsbelastung bei Fridays for Future sei schon immer hoch gewesen, sagt er. Mit Corona kam aber weniger Nachwuchs: „Wir wurden immer weniger Aktivist:innen, aber der Organisationsaufwand für die Demos war genauso groß, also haben alle mehr gemacht“, sagt er.

Anfang dieses Jahres kamen die großen Demonstrationen gegen Rechts dazu. Weil so schnell keine andere Organisation so große Demos auf die Beine stellen konnte, übernahmen die Fridays die Hauptarbeit. Für Luca bedeutete das Spenden sammeln, Redebeiträge schreiben, Inklusion und Sicherheit bedenken, sich um die Technik kümmern, das Programm gestalten und ordentlich Werbung machen. Und wenig Schlaf.

Auf die eine Demo folgte die nächste. „Wenn du das Gefühl hast, die Arbeit ist es komplett wert, dann ist die Stufe bis zum Gehtnichtmehr viel höher“, sagt er rückblickend. „Die Arbeit kombiniert mit der Tatsache, dass die Demos gegen Rechts auf politischer Ebene fast nichts gebracht haben, hat dazu geführt, dass es mir immer schlechter ging.“ Erst konnte er kaum schlafen, nur zwei oder drei Stunden in der Nacht. Hinzu kamen Migräne und Motivationsschwierigkeiten. Er fühlte sich ausgebrannt, die Energie für den Alltag fehlte. Er ging zur Therapie. Die Diagnose: Burn-out.

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Den Klimastreik und die Demo vor der Europawahl organisierte er dennoch mit. Aber nach dem Ergebnis der Wahl war Schluss. Er musste sich aus dem Aktivismus zurückziehen. „Das hat sich mies angefühlt“, sagt er. „Der Aktivismus war immer das, womit ich mich am meisten identifiziert habe. Von heute auf morgen nicht mehr mitmachen zu können, ist eine Umstellung“, sagt er. „Wenn es mir gesundheitlich wieder gut geht, würde ich aber erneut einsteigen.“

Nicht nur die Arbeit, auch die Anfeindungen gegen Klimaaktivist:innen, der Hass in sozialen Medien und der fehlende Nachwuchs seien belastend: „Wir scheitern damit, aus der Bubble heraus Menschen für unseren Protest zu gewinnen, es sind immer die gleichen.“ Den Glauben an FFF hat er aufgegeben: „Ich sehe nicht, wie eine Klimabewegung das Thema wieder in die Mitte der Gesellschaft bringen kann, wenn sie vollkommen an Relevanz verloren hat“, sagt er. „Ich glaube an andere Protestformen, wie zivilen Ungehorsam“, verweist auf die Letzte Generation, die zwar weniger Menschen erreicht, aber eine genauso große mediale Aufmerksamkeit erlangt habe.

Einen Erfolg kann er dennoch sehen: „Ich glaube, dass die Menschen heute mehr Wissen haben und Klimaschutz für viele immer noch wichtig ist.“

4. Sie sind in anderen Bereichen aktiv

Einige Aktivist:innen haben den Protest und ihr Engagement weg von der Straße hinein in verschiedene Arbeitsfelder getragen. Leonie Liekefett, 28 Jahre alt, war bei Fridays for Future aktiv, bis sie den Verein Klimabildung gegründet hat.

Eine junge Frau steht mir verschränkten Armen vor einer weißen Wand. Sie hat blonde Haare und trägt eine blaue Bluse.

Leonie Liekefett | © Ricarda Schueller

Am Anfang ist Leonie nur zu den Freitagsdemos gegangen. Während ihres Studiums der Umweltpsychologie engagierte sie sich dann bei Students for Future und bei der Public Climate School, einer Aktionswoche von Fridays for Future, um an Hochschulen und Schulen über die Klimakrise aufzuklären.

Durch ihr Psychologiestudium weiß Leonie, dass Wut Menschen gemeinsam zum Handeln aktivieren kann. „Aber dauerhaft wütend auf die Straße zu gehen, war zu anstrengend für unsere Gruppe, wir haben gemerkt, dass das nicht funktioniert und wir Veränderung brauchen. Außerdem gab es viele Abstimmungen bei FFF, das hat unser Handeln gehemmt.“

Dass Gruppen wie die Klimabewegung verschiedene Phasen durchleben, kennt Leonie auch aus der Psychologie: Am Anfang würden alle schauen, ob man selbst dazu gehört, darauf folge eine Phase der Reibung, in der sich Gruppen abspalten und neu gründen. Es komme schließlich zu einer Spezialisierung und dann zur Abflachung.

2022 kam bei den Organisator:innen der Public Climate School die Idee auf, sich unabhängig zu machen und einen Verein zu gründen. Der Verein ist im ganzen Land aktiv und versteht sich als ein „Reallabor“ für Projekte, die das Ziel haben, Klimabildung im deutschen Bildungssystem zu verankern. Sie geben Workshops, gestalten weiterhin die Aktionswoche für Schulen und Hochschulen und haben das Rollenspiel „Pen and Paper“ mit bekannten Spieler:innen aus der Szene organisiert, um die Klimabildung lösungsorientierter zu gestalten.

„Wenn ich keine Hoffnung mehr hätte, würde ich etwas anderes machen“, sagt Leonie, „gleichzeitig ist es auch manchmal schwer, wenn man sieht, was alles Schlimmes in der Welt passiert.“

5. Sie streiken immer noch

Einige Klimaaktivist:innen sind heute immer noch auf der Straße, appellieren an die Politik, dass das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, noch weit entfernt ist. Louis Motaal, 25 Jahre alt, hat Fridays for Future mit groß gemacht und ist heute immer noch dabei.

Mehrere Menschen halten auf einer Demonstration ein Transparent in die Höhe. Im Zentrum steht ein junger Mann mit lockigen Haaren. Er trägt einen roten Pulli und eine blaue Jacke.

Louis Motaal | © Marie Jacquemin

Bevor es Fridays for Future gab, war er bereits bei Greenpeace aktiv und pflanzte Bäume bei Caring for the Planet. 2015, bevor die schwedische Aktivistin Greta Thunberg anfing zu streiken, hatte er schon einen Schulstreik hinter sich. Nur interessierte sich damals niemand dafür: „Als ich gehört habe, was Greta macht, dachte ich mir, das wird nichts, das habe ich auch schon probiert“, sagt Louis. Die Menschen interessierten sich nicht fürs Klima.

Aber Louis merkte, dass sich das auch ganz plötzlich ändern kann. 2018 ist er mit einer Jugenddelegation nach Polen zur Weltklimakonferenz gefahren. Am Ort politischer Verhandlungen interessierten sich alle für Gretas Schulstreik, den sie dort fortführte. Er und ein paar andere beschlossen, nach der Konferenz auch in Deutschland zu streiken. Mit Erfolg.

Von null auf hundert war das Klimathema raus aus der Ökoecke und mitten in der breiten Gesellschaft angekommen. „Fridays for Future haben das Land verändert, alle reden seitdem anders über Klimaschutz“, sagt Louis. Diese Erfahrung motiviert ihn, weiter aktiv zu sein, auch heute, wo das Klimathema für viele wieder in den Hintergrund rückt.

Soziale Bewegungen verlaufen in Wellen, davon ist auch er überzeugt. „Es ist wichtig zu sehen, dass es immer wieder neue Hochmomente gibt, wie der größte Streik 2019 oder letztes Jahr Lützerath.“ Ein solches Momentum bleibt gerade aus, es sei schwerer geworden, eine größere Menschenmenge zu mobilisieren. Die Berliner Ortsgruppe sei aber trotzdem stabil, zum Plenum kommen momentan zwischen 30 und 60 Menschen, das seien mehr als vor fünf Jahren.

Louis ist heute in der Kooperations AG von Fridays for Future aktiv, die die Zusammenarbeit mit anderen NGOs organisiert und unterstützt. Den Glauben an die Klimabewegung hat er nie verloren, aber er merkt, dass ihr andere Kämpfe in die Quere kommen. Gerade macht er sich vor allem Gedanken über die Bekämpfung der AfD. „Man muss sich die Vielfalt erhalten, sonst geht man unter“, sagt er. „Ich glaube, es ist wichtig, dass wir progressive Themen wie Klimagerechtigkeit wieder verankern, bewusst Themen auf die Agenda bringen.“ Die AG will verhindern, dass beim Klima das Gleiche passiert, wie bei der Debatte um Migration, wo die Konservativen den Rechten hinterherrennen.

Aufgeben wird Louis nicht. Er hat miterlebt, dass jahrelanger Klimaprotest Erfolg haben kann: „Heute kann ich erahnen, wie mächtig wir sind, das finde ich absolut faszinierend, das motiviert mich endlos“, sagt Louis.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Die Klimabewegung ist nicht tot

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