2009 berechneten der Statistiker Paul Murtaugh und der Klimawissenschaftler Michael Schlax Folgendes: Die Geburt eines einzigen Kindes in einem Land mit hohen Emissionen (wie den USA) bläst rund 10.000 Tonnen CO₂ in die Atmosphäre. Das ist das Fünffache der Emissionen, die ein durchschnittliches Elternteil in seinem gesamten Leben verursacht.
Der Grund für die hohe Zahl: Die Kinder werden später wahrscheinlich selbst Kinder haben. Was zu weiteren Emissionen für viele nachfolgende Generationen führt.
Ein gängiges Argument aus dem Jahr 2002 war, dass wir Fortpflanzung als Analogie zum Überkonsum betrachten sollten. Genau wie übermäßiger Konsum ist auch die Fortpflanzung ein Akt, bei dem wissentlich mehr Kohlenstoffemissionen verursacht werden, als sie ethisch vertretbar sind. Wenn wir übermäßigen Konsum verurteilen, sollten wir konsequent sein und auch beim Kinderkriegen die Stirn runzeln.
Angesichts der möglichen Klimaauswirkungen eines einzelnen Kindes argumentieren einige Ethiker, dass es ethische Grenzen für die Größe von Familien geben sollte. Sie schlagen maximal zwei Kinder oder ein Kind pro Paar vor. Andere gehen noch weiter und sagen, unter aktuellen Umständen wäre es am besten, überhaupt keine Kinder zu bekommen.
Solche Ideen wurden durch Aktivistengruppen wie dem „Birthstrike-Movement“ und der britischen Nichtregierungsorganisation „Population Matters“ befeuert.
Klimaethiker sind sich weitgehend einig: Die Klimakrise ist beispiellos und zwingt uns, neu zu überdenken, was ethisch vom Einzelnen verlangt werden kann. Doch ethische Grenzen für die Familiengröße? Das halten viele für nicht vertretbar. Und in solchen Forderungen liegen auch Gefahren.
Frauen könnten unberechtigterweise für den Klimawandel verantwortlich gemacht werden
Eine Gefahr, vor der Quill Kukla vom Philosophischen Institut der Georgetown University warnt, ist Stigmatisierung. Mit der Behauptung, wir sollten weniger Kinder haben, läuft man Gefahr, bestimmte Gruppen für den Klimawandel verantwortlich zu machen: Gruppen, deren Mitglieder viele Kinder haben – oder die so gesehen werden. Bei diesen Gruppen handelt es sich häufig um ethnische Minderheiten und sozioökonomisch benachteiligte Menschen.
Und noch eine Sorge äußerte Kukla: Wenn wir anfangen, über eine Begrenzung der Kinderzahl zu sprechen, könnte die Last dafür unverhältnismäßig stark auf den Schultern der Frauen liegen. Frauen erleben schon jetzt gesellschaftlichen Druck und werden beurteilt – egal wie viele Kinder sie haben oder nicht haben.
Diese Sorgen betreffen zwar nicht direkt die Frage, welche moralischen Verpflichtungen wir zur Reduzierung der Emissionen haben. Sie machen jedoch deutlich, wie heikel es ist, über ethische Grenzen der Fortpflanzung zu sprechen.
Der Klima-Fußabdruck, den die Geburt eines Kindes verursacht, fällt im Vergleich zu anderen Konsumentscheidungen weniger stark ins Gewicht
Wir haben in unserer Forschung gegen den Verantwortungsbegriff hinter den Argumenten für ethische Grenzen der Fortpflanzung argumentiert. Normalerweise denken wir, dass Menschen nur für das verantwortlich sind, was sie selbst tun und nicht für das, was andere tun, einschließlich ihrer erwachsenen Kinder. Ist das so? Das fragen sich nun einige Wissenschaftler:innen. Wo endet die Verantwortung? Auf dieser philosophischen Frage rund um das Konzept der Verantwortung bauen die Argumente auf, die Fortpflanzung begrenzen möchten.
Folgt man dieser Argumentation, könnten Eltern für die Emissionen ihrer minderjährigen Kinder verantwortlich sein. Sie könnten auch für die unvermeidbaren Emissionen ihrer erwachsenen Kinder eine gewisse Verantwortung tragen. Allerdings wären sie nicht für die „Luxusemissionen“ ihrer Kinder verantwortlich, also Emissionen, die über die grundlegenden Bedürfnisse hinausgehen sowie auch oder für die Emissionen ihrer Enkelkinder und weiterer Nachkommen.
Auf diese Weise betrachtet, wirkt der Klima-Fußabdruck, den die Geburt eines Kindes verursacht, viel weniger drastisch und stellt nicht, wie bisher argumentiert, den Fussabdruck von Konsumentscheidungen in den Schatten. Nach einer Schätzung, die dieser Logik folgt, ist jedes Elternteil für etwa 45 Tonnen zusätzliche CO₂-Emissionen verantwortlich. Das entspricht etwa einem Transatlantikflug alle vier Jahre, ein Leben lang.
Dass es dadurch weniger Emissionen gäbe, würden wir erst sehr spät sehen
Wir sehen schon heute Zeichen, dass das Klima zusammenbricht. Das Eis schmilzt, Ozeane erwärmen sich. Viele Klimarekorde wurden in diesem Sommer gebrochen.
Um eskalierende Auswirkungen zu vermeiden, sind sich Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler einig: Wir müssen dringend Netto-Null-Emissionen erreichen. Die häufigsten vorgeschlagenen Zieljahre dafür sind 2050 oder 2070. In vielen Ländern ist das bereits gesetzlich verankert.
Angesichts der drängenden Notwendigkeit, unsere Emissionen zu reduzieren, ist eine Begrenzung der Fortpflanzung eine völlig unzureichende Lösung. Dass es dadurch weniger Emissionen gäbe, würden wir erst sehr spät sehen. Darum ist das schlicht der falsche Ansatz. Wir brauchen Emissionseinsparungen, die schneller eintreten.
Der Weg zur Netto-Null erfordert kollektives Handeln
Weniger Kinder zu bekommen, würde also die Emissionen nicht schnell genug reduzieren. Deshalb müssen die Pro-Kopf-Emissionen sinken – und zwar schnell. Aber das liegt nicht allein in der Hand einzelner Verbraucher oder angehender Eltern.
Womit wir es zu tun haben, ist ein Problem des kollektiven Handelns. Die ethische Verantwortung, die Emissionen zu verringern, haben nicht nur Einzelne, sondern auch Gesellschaft, Institutionen und Unternehmen.
Es ist sogar so: Wenn es uns als Gesellschaft gelingt, Pro-Kopf-Emissionen bis 2050 auf Null zu reduzieren, verursacht die Geburt eines Kindes nur eine geringe Menge an Emissionen. Nach 2050 das Kind und seine Nachkommen sogar nicht mal mehr zu den Nettoemissionen beitragen.
Trotz aller politischen Zusagen ist noch lange nicht klar, ob dieses Ziel auch wirklich erreicht wird. Weltweit sind 2023 geschätzt über 1,5 Billionen Euro in saubere Energietechnologien investiert worden. Das ist der höchste Betrag, der jemals ausgegeben wurde. Dennoch kämpft beispielsweise Großbritannien mit der Frage, wie es seinen Netto-Null-Umstieg finanzieren soll – ein Dilemma, mit dem es wahrscheinlich nicht allein dasteht.
Die philosophische Debatte darüber, ob wir weniger Kinder haben sollten, wirft die Frage auf, was Moral in Zeiten des Klimawandels bedeutet. Sie hinterfragt auch unseren Handlungsspielraum. Sollen wir als Individuen nur unseren einfachen Konsum (zum Beispiel von Fleisch) beschränken? Und sind das die bedeutendsten Entscheidungen, vor denen wir stehen? Letztlich bleibt die philosophische Frage darüber, ob es eine Verpflichtung geben sollte, weniger Kinder zu haben, komplex und offen.
Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch bei The Conversation erschienen. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen.
Übersetzung: Vincent Baur, Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos
