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Es gibt eine Erfahrung, die viele Deutsche unter 40 teilen. Die deutsche Rentenversicherung schreibt ihnen, wie hoch ihre voraussichtliche Rente sein könnte – und die Laune sinkt. Der Rentenbescheid erinnert viele Jüngere daran, dass darauf eine für sie bedeutungslose Fantasiezahl steht.
Denn das deutsche Rentensystem wankt schon jetzt. Jeder vierte Euro aus dem Bundeshaushalt fließt bereits in die Rentenkasse; mehr als 100 Milliarden jährlich. Ohne Reformen würde das Rentensystem in sich zusammenfallen. Nämlich dann, wenn die geburtenstarken Jahrgänge aus den 1960er- und 1970er-Jahren in den wohlverdienten Ruhestand gehen.
Deswegen kann auch das von Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene „Generationenkapital“ helfen. Denn es nimmt sich des Kernproblems an: Die Reform soll mehr Geld auftreiben.
Smart: Tausend kleine Wetten auf die Zukunft
Andere Länder haben mit solchen Fonds bereits hervorragende Erfahrungen gemacht: Schweden etwa. Der dortige Fond erwirtschaftet gut neun Prozent jährlich, ganz ohne riskante Spekulation. In Deutschland sollen ab 2035 jedes Jahr zehn Milliarden aus den Gewinnen des Fonds in die Rentenkassen fließen.
Das ist smart: Denn Deutschland überaltert, es besitzt aber auch hohe finanzielle Glaubwürdigkeit. Indem es so einen Fonds auflegt, tauscht es seine heutige Stärke gegen Tausende kleine Wetten auf die Zukunft der Menschheit ein.
Aber trotzdem müssen wir genau hinschauen. Denn zurzeit deutet einiges darauf hin, dass die deutschen Renten dann auch mit Erträgen der Fossil-Industrie querfinanziert werden sollen: Dem neuen Fond soll es offen stehen, Aktien von Shell, Exxon & Co. zu kaufen. Keine Branche soll bei den Investments ausgeschlossen werden, so Lindner.
Es gibt noch andere prinzipielle Argumente gegen die Aktienrente. Viele davon fallen allerdings schnell in sich zusammen. So schreibt etwa Ulrike Hermann in der Taz, dass die Rentner in Wahrheit ja gar nicht viel von den 200 Milliarden hätten. 5 Prozent Erträge nennt sie eine „mickrige Gesamtsumme“ und übersieht: Wenn man 20 Jahre lang 5 Prozent bekommt, hat man das eingesetzte Kapital wieder drin. Alles, was danach kommt, ist risikofrei. Würde man die 200 Milliarden direkt an die Rentner ausschütten, wie sie es sich wünscht, wäre das Geld einfach weg.
Und ein wichtiges Problem der Reform kennen viele: Sie reicht nicht. Zehn Milliarden pro Jahr sind nicht genug. Das heißt, dass die Aktienrente nur ein Anfang sein kann für eine Diskussion, die unweigerlich darin enden wird, dass meine Generation länger arbeiten muss. Machen wir uns nichts vor!
Aber in einer anderen Frage steckt viel mehr Sprengkraft, als auf den ersten Blick scheint. Nämlich darin, wer darüber entscheidet, wie das Geld angelegt wird.
Vielleicht nicht so smart in einer heißer werdenden Welt: In Ölunternehmen investieren
Zu den ertragsstärksten Unternehmen der Welt gehören (noch) Unternehmen aus der Öl- und Gasbranche. Sie handeln mit dem, was unsere Welt antreibt und das zeigt sich in ihren Gewinnmargen.
Nur wenn meine Rente auch dadurch finanziert wird, dass sich das Klima noch schneller erhitzt, was habe ich dann in 30 Jahren eigentlich genau gewonnen?
Und: Die Bundesregierung kann nicht auf Klimakonferenzen für härtere CO₂-Einsparziele kämpfen und gleichzeitig ihre Investmentbanker Aktien US-amerikanischer Fracker kaufen lassen, ohne sich lächerlich zu machen. Inwiefern sollte also die Anlagestrategie des Fonds zu den politischen Zielen der Bundesregierung passen?
Was der Fonds kaufen darf – diese Frage ist noch offen. Im Finanzministerium heißt es, dass diese Frage, wie es üblich sei, von den zuständigen Abteilungen im Finanz- und Arbeitsministerium selbst beantwortet werden soll. Dazu werde eine sogenannte Anlagerichtlinie geschrieben, die den neuen Fonds auf bestimmte Anlageziele bindet.
Da die Richtlinie nur eine Verwaltungsvorschrift ist und kein Gesetz, heißt das praktisch: Es wird unter Ausschluss der breiteren Öffentlichkeit entschieden werden, ob Deutschlands Renten mit Öl und Gas finanziert werden.
Noch ist offen, wie der Fonds anlegen wird
Was in dieser Richtlinie stehen wird, ist dementsprechend unklar. Aber es gibt Indizien:
- Deutschland besitzt bereits einen Fonds: Die „Kenfo-Stiftung“ verwaltet die Gelder, die für die Endlagerung des Atommülls verwendet werden sollen. Die 24 Milliarden Euro im Fonds liegen in mehr als 5.000 Einzelpositionen, darunter auch in Shell, Marathon Petroleum und Equinor. (Hier das Portfolio des Fonds als Excel-Tabelle; die größte Position war Ende 2022 Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, der wichtigste Chiphersteller der Welt).
- Deutschland hat einen hochrangig besetzten Beirat für nachhaltige Finanzwirtschaft, der wie gemacht wäre, bei solchen Fragen beratend zur Seite zu stehen. Aber bis heute, ein Jahr nach Vorstellung des Konzepts, hat sich die Bundesregierung nicht an die eigenen Berater gewandt. Das bestätigte mir Beiratsmitglied Kristina Jeromim am Telefon.
- Bei der Präsentation der Aktienrente positionierte sich Finanzminister Lindner eindeutig: „Es kann nicht sein, dass darüber politisch entschieden wird.“ Einzelne Unternehmen oder einzelne Branchen sollten nicht bevorzugt oder benachteiligt werden. „Das müsse in die Hände absoluter Profis gehen.“ Die Profis allerdings studieren nur Aktiencharts und nicht die Charts, die uns zeigen, dass wir in der Freakzone klimatischer Ereignisse angekommen sind.
Bemerkenswert an Lindners Statement: Mitglieder des Beirats für nachhaltige Finanzwirtschaft sehen es genau andersherum. Silke Stremlau, die Vorsitzende, sagte gegenüber Table Media: Die Bundesregierung solle nur in zukunftsfähige Branchen investieren. Am Telefon fügte ihre Kollegin Kristina Jeromim mir gegenüber hinzu: „Der Staat sollte mit seine Investitionen die Unternehmen auf ihrem Transformationspfad in die 1,5-Grad-Welt gezielt unterstützen.“
Damit wären Öl- und Gasunternehmen ausgeschlossen. Denn die haben zwar alle Klimapläne, haben diese aber auch gerade zusammengestrichen.
Wir zukünftigen Rentner müssen also erst mal festhalten: Die Rente ist sicher(er), aber das Klima nicht.
Redaktion: Rebecca Kelber; Schlussredaktion: Lars Lindauer; Fotoredaktion: Philipp Sipos