Vor knapp einer Woche hat das Bundesverfassungsgericht ein Urteil gefällt, das einem Erdbeben gleichkommt. Denn das Gericht hat die gesamte Haushaltsplanung der Ampel-Regierung infrage gestellt. Es fehlen jetzt 60 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfonds KTF, mit dem auch die Energiewende in Deutschland finanziert werden soll. Zentrale klimapolitische Vorhaben der Regierung sind gefährdet, ganz konkret etwa ein Programm, um Moore wieder zu vernässen. Finanzminister Christian Lindner hat eine Haushaltssperre für fast die gesamte Bundesregierung verhängt; die Ministerien dürfen nun kein Geld mehr für die kommenden Jahre verplanen. Da SPD, FDP und Grüne sich widersprechende, zum Teil ideologisch eingegrabene Überzeugungen haben, wie Staaten sich abseits von höheren Schulden finanzieren sollen – Steuern erhöhen oder Ausgaben kürzen –, wackelt jetzt die ganze sowieso schon zerstrittene und ausgepowerte Ampel-Koalition. Neuwahlen sind möglich.
Aber als ich das Urteil las und mir juristische Einschätzungen anschaute, merkte ich: Ganz so katastrophal, wie es zunächst wirken mag, ist dieses Urteil für die deutsche Klimapolitik gar nicht. Denn das Verfassungsgericht hat es dieser und zukünftigen Bundesregierungen nicht pauschal untersagt, Klimaschutz und Energiewende abseits der Schuldenbremse zu finanzieren. Es hat allerdings Bedingungen aufgestellt.
Soweit die grobe Übersicht. Was genau hat das Gericht geurteilt? Wenn wir das besser verstehen, verstehen wir die Folgen für Deutschlands Klimapolitik. Drei Dinge riefen die fünf Frauen und drei Männer des Zweiten Senats unseres Verfassungsgerichts der Bundesregierung zu:
- „Wenn ihr mit Corona-Geld Moore schützen wollt, müsst ihr schon erklären, wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.“ (Zitate sind meine freie Erfindung)
Der Bundesregierung ist es erlaubt, die Schuldenbremse auszusetzen, „im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen.“ Das war der Fall während der Corona-Pandemie, urteilte das Gericht. Es war okay, dass die damalige Bundesregierung Hunderte Milliarden Schulden aufgenommen hat, um die Folgen der Pandemie abzufedern. Nicht okay war es allerdings, so das Gericht, Teile dieser Schulden nach Ende der Pandemie umzuwidmen für den Klima- und Transformationsfonds. Es müsse ein begründeter und dargelegter „Veranlassungszusammenhang“ zwischen Notlage und Schulden bestehen. Diesen Zusammenhang habe die Bundesregierung weder ausreichend begründet noch im Gesetz zufriedenstellend dargelegt.
- „Extra-Taschengeld darf nicht gespart werden.“
Mit den wirklich überaus schönen, der deutschen Sprache schmeichelnden Juristenworten Jährlichkeit, Jährigkeit und Fälligkeit begründet der Zweite Senat das nächste Gebot: Wenn sich die Bundesregierung in einer Notsituation Geld leiht, muss sie dieses Geld im folgenden Haushaltsjahr ausgeben. Sie darf die Schulden nicht ins nächste Jahr mitziehen, außer das Parlament stellt erneut eine Notlage fest.
- „Ihr könnt nicht durch die Zeit reisen.“
Das Parlament muss bis zum Ende eines Jahres den Haushalt beschließen. Es darf nicht, wie es die Ampel-Fraktion getan hat, rückwirkend Geld für das Jahr 2021 verbuchen, das erst im Jahr 2025 ausgegeben werden soll.
Das sind die Details des Urteils. Das Gericht befasst sich auf den ersten Blick nur mit vergleichsweise engen haushaltspolitischen Fragen und es sagt nichts explizit dazu, ob die Klimakrise und deren Folgen eine Notsituation darstellen, was bemerkenswert wäre. Denn die CDU-Fraktion hat ihre Klage direkt mit Eigenschaften des Klimawandels begründet: Dieser sei lange bekannt und stelle keinen „exogenen Schock“ dar. Kann das also stimmen? Wurde hier wirklich nicht die Klimakrise als solche mit verhandelt?
Ich rufe Till Meickmann an. Er habilitiert gerade an der Uni Passau, kennt sich mit Finanz- und Steuerrecht aus und schreibt für den Verfassungsblog. In dem ausformulierten Urteil hat sich das Bundesverfassungsgericht mehr als ein Dutzend Mal auf seine wissenschaftlichen Vorarbeiten gestützt. Wenn einer die Antwort auf meine Frage hat, dann er.
„Das Bundesverfassungsgericht sagt ganz deutlich, dass lange absehbare Krisen keine Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen im Sinne der Schuldenbremse sind.“ Tatsächlich schreibt das Gericht in seinem Urteil: „Die Folgen von Krisen, die lange absehbar waren oder gar von der öffentlichen Hand verursacht worden sind, dürfen nicht mit Notkrediten finanziert werden.“ Till sagt: „Wenn man dem folgt, fällt die Klimakrise raus. Das ist auch herrschende Auffassung in der Literatur.“
Was aber ist der Unterschied, etwa zum Ukraine-Krieg? Es war für einige Experten und Expertinnen ja auch lange absehbar, dass Putin ein aggressiver Imperialist ist, der zu Gewalt greift, um seine Ziele zu erreichen. „Bei den Maßnahmen infolge des Ukraine-Kriegs geht es um die Bewältigung der akut eintretenden Folgen“, sagt Till. Also etwa darum, dass Deutschland plötzlich ohne russisches Gas und Öl auskommen musste.
„Deswegen“, und da geht die Tür für eine bessere Klimapolitik doch wieder auf, „wären etwa Notlagenkredite zulässig, um die Folgen einer Naturkatastrophe zu bewältigen“, so Till Meickmann. Der Staat dürfe aber nicht „allgemeine Maßnahmen der langfristigen Prävention finanzieren“, wenn nicht gerade eine Naturkatastrophe bevorstünde oder eine „außergewöhnliche Notsituation“ im Sinne der Schuldenbremse eintrete.
Das mag saubere juristische Binnenlogik sein, es ist aber klimapolitische Eselei. Denn wir wissen sicher, dass die Erderwärmung Naturkatastrophen intensiviert und häufiger auftreten lässt. Wir wissen also auch sicher, dass der Schuldenbremsen-Notfall öfter eintreten wird; aber wenn sich die Regierung auf diese Notfälle vorbereiten oder sie gar abschwächen will, dann muss sie das aus dem normalen Haushalt bezahlen.
Das ist so, als würden Stadtplaner erstmal auf alle Fußgängerüberwege verzichten und dann anhand der Verkehrstoten entscheiden, wo Zebrastreifen und Ampeln nötig sind.
Aber akzeptieren wir diese Binnenlogik kurz so. Denn sowenig es den alten Griechen genützt hat, in einem heftigen lebensgefährlichen Gewitter mit dem Donnergott Zeus zu hadern, so wenig nützt es dem Klimaschutz im Moment, die Verfassungsrichter zu verfluchen. Immerhin: Es gibt Möglichkeiten, wenigstens die Naturkatastrophen und Notsituationen für vorausschauende Politik zu nutzen.
Nach einer großen Flut die Flüsse renaturieren
Konkret: Könnte die Bundesregierung nach einer Naturkatastrophe nicht nur in der betroffenen Region, sondern in ganz Deutschland auf Kredit Flüsse renaturieren, Moore wieder vernässen und Flächen entsiegeln? Eine anhaltende Dürre, die Bauern in den Ruin treibt, nutzen, um sich das Wassermanagement vorzunehmen?
„Das entspricht so nicht der Logik der Schuldenbremse“, sagt Till Meickmann. Aber „es dürfen Nebenziele verfolgt werden. Beispiel: Wenn nach einer Flutkatastrophe eine Brücke wiederaufgebaut wird, dann kann die neue Brücke auch komplett auf dem aktuellen Stand errichtet werden und andere Ziele erfüllen, etwa widerstandsfähiger bei der nächsten Flut zu sein.“
Es wird also möglich sein, die Schuldenbremse auszusetzen, damit sich Deutschland an die konkreten Folgen der Erderwärmung anpasst, vorausgesetzt es gibt eine passende Naturkatastrophe. Das hat das Gericht geurteilt.
Vor zwei Jahren allerdings hat es auch noch etwas anderes zum Klimaschutz geurteilt. Damals entschied der Erste Senat, dass die Bundesregierung auch mit dem CO₂-Budget umsichtig umgehen müsse. Die Klimaziele der Bundesregierung sind rechtsverbindlich. Klimaschutz ist einklagbar.
Mal darauf ankommen lassen und den Klimanotstand ausrufen
Gleichzeitig verschärft sich die Klimakrise und das CO₂-Budget wird stetig kleiner. Ich halte es deswegen für möglich, dass es eine zukünftige Bundesregierung mal darauf ankommen lassen wird und die Klimakrise als solche de facto zur Notsituation erklärt; notfalls jedes Jahr aufs Neue jeweils gekoppelt an eine Dürre, Flut, Migrationskrise oder ähnliches.
Werden sich die Karlsruher Richter dann in die Kontroversen der Klima-, Gesundheits-, Sozialwissenschaften und Energiesysteme hineinknien, um nachzuweisen, dass das wirklich keine außergewöhnliche Notsituation oder Naturkatastrophe sei? Das werden sie wahrscheinlich nicht tun. Sie werden sagen, dass das Sache der Politik sei und so wäre es recht.
Zum Schluss verlassen wir den engen Kreis juristisch-formaler Fragen. Denn es bleibt die Frage, wie die Lücke im Klimafonds nun gestopft werden kann. Wahrscheinlich scheint aktuell, dass das Parlament nachträglich eine Notsituation feststellen und sehr genau begründen wird, wie diese Notsituation mit den Ausgaben zusammenhängt. SPD und Grüne schielen bereits in diese Richtung.
Den Emissionshandel reformieren
Aber dieser Fonds hat bereits eigenständige Einnahmen aus Emissionshandel und CO₂-Preis. Es liegt deswegen nahe, dass die Regierung sich auch anschauen wird, ob sie diese Einnahmen steigern kann. Weil in beiden Systemen jeweils die CO₂-Preise viel zu niedrig sind, um den wahren Schaden der Emissionen abzubilden, wäre das auch gut für den Klimaschutz.
„Der Emissionshandel liefert seit bald 20 Jahren in den betroffenen Industriesektoren echte Emissionsreduktionen“, schreibt mir KR-Leser Arthur Pelchen, der seit über 20 Jahren im Emissionshandel beruflich tätig und Leiter der AG Emissionshandel bei der NGO GermanZero ist. „Aber nirgendwo sehe ich den politischen Willen, ihn konsequent für alle Treibhausgasemissionen aus allen Bereichen umzusetzen.“
Vielleicht findet die Bundesregierung diesen Willen jetzt. Denn der größte Klimabremser der Ampel-Koalition ist zeitgleich auch der größte Fan des Emissionshandels: die FDP.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos