Um unser Klima zu retten, gibt es eine Wunderwaffe, die besser als jede Technologie sein könnte: die Natur. Nein, mir geht es nicht darum, dass der Planet sich schon irgendwie selbst rettet und wir keine Verantwortung dafür tragen. Ich beschäftige mich aber seit einigen Monaten für Krautreporter mit dem Artensterben. Denn neben der Klimakrise ist der Verlust der Biodiversität das größte Problem unserer Zeit. Wie sehr wir auf intakte Ökosysteme angewiesen sind, habe ich in diesem Artikel beschrieben.
Neulich habe ich ein Buch gelesen und verstanden, wie sehr der Biodiversitätsverlust mit der Klimakrise zusammenhängt – und wie Artenvielfalt helfen kann, die Klimakrise zu lösen. Wir veröffentlichen deshalb einen Auszug aus diesem Buch. Es heißt „Wal macht Wetter: Warum biologische Vielfalt unser Klima rettet“.
Darin beschreiben die Autorinnen Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg, wie die CO2-Konzentration in der Atmosphäre durch naturbasierte Lösungen gesenkt werden kann, beispielsweise, indem wir intakte Ökosysteme schützen oder trockengelegte Moore wiederherstellen. Insgesamt könne man dadurch jedes Jahr etwa zehn Gigatonnen Treibhausgase einsparen. Neben Böden und Pflanzen wird auch in Tieren Kohlenstoff gebunden. Besonders wichtig dabei seien Wale. Wie genau Wale die Klimakrise bekämpfen können, beschreiben Fischer und Oberhansberg im folgenden Kapitel.
Jede Menge Schweine, aber kein Schweinswal mehr, das manövriert uns immer tiefer in die Bredouille. Ganz abgesehen vom Verlust von diversen Ökosystemleistungen, die mit diesen Tierbeständen einst verbunden waren, wurde durch ihre Vernichtung auch ganz schön viel CO2 freigesetzt und wir haben unzählige potenzielle Helfer bei der Kohlenstoffbindung verloren – und das bringt uns zum Titel unseres Buches.
Ein Bartenwal speichert etwa 10 Tonnen Kohlenstoff
Wale lassen sich in zwei Gruppen teilen: 14 bis 16 Bartenwalarten (die Angaben über die Artenzahl schwanken) und 71 Zahnwalarten. Zur ersten Gruppe gehört mit dem Blauwal (Balaenoptera musculus) mit einem Gewicht von bis zu 200 Tonnen das größte Tier, das je auf unserem Planeten gelebt hat. In der zweiten Gruppe finden sich neben allen Delfinen und größten Arten wie Orcas, auch der Pottwal (Physeter macrocephalus) als größter Vertreter – immerhin auch bis zu 100 Tonnen schwer. Den Pottwal und die großen Bartenwale kann man unter den Begriff „große Wale“ subsumieren. Sie alle binden große Mengen Kohlenstoff in ihren Körpern und zwar für relativ lange Zeit, weil sie nicht nur groß sind, sondern auch noch lange leben.
In einer 2010 veröffentlichten Studie haben Forscher*innen den Bestand von acht Bartenwalarten vor dem industriellen Walfang, mit deren Bestand von 2001 verglichen und dabei ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, was die Abnahme der Bestände mit dem globalen Kohlenstoffhaushalt gemacht hat.
Etwa 100 Jahre lang betrieben Menschen in großem Stil industriellen Walfang und machten besonders große Wale zunehmend selten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es dadurch etwa 1,7 Millionen Bartenwale weniger als zu Beginn der großen Waljagd.
Die großen Bartenwale haben so viel Masse, dass in ihren Körpern pro Tier im Schnitt 10 Tonnen Kohlenstoff gebunden sind. Durch ihre Jagd und Rohstoffverwertung an Land wurde all dieser Kohlenstoff in die Atmosphäre entlassen. Hätte man die Bartenwal-Population unangetastet gelassen, wären die Tiere eines natürlichen Todes gestorben, zum Meeresboden gesunken und viele von ihnen im Sediment eingebettet worden. Sie hätten so als Kohlenstoffsenken fungiert.
Wegen des Walfangs werden heute 9,1 Millionen Tonnen weniger Kohlenstoff in Walen gespeichert
Das ist ein wichtiger Unterschied zu Landtieren: Von denen verwesen die meisten nach ihrem Tod rasch oder werden von (im Verhältnis zu ihnen kleinen und kurzlebigen) Aasfressern aufgegessen. Der in Elefanten, Nilpferden, Büffeln oder Bisons gebundenen Kohlenstoff gelangt daher schnell wieder in die Atmosphäre. Nur ganz nebenbei: Dass Dinosaurier landlebend waren, ist auch einer der Gründe, warum wir so wenig Fossilien großer Dinosaurier finden. An Land wurden sie nur in Ausnahmefällen rasch von Sediment bedeckt, meist aber direkt gefressen oder zersetzt.
Aber zurück zu den Walen: Die entziehen den in ihnen gebundenen Kohlenstoff in der Regel dauerhaft der Atmosphäre, weil sie unter Wasser sterben. Jedes Jahr, so schätzen die Wissenschaftler:innen, waren das zu Zeiten vor dem industriellen Walfang bis zu 1,9 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Betrachtet man den weltweiten Bestand der in die Studie einbezogenen Walarten, sind in den wenigen übrig gebliebenen lebenden Walen heute 9,1 Millionen Tonnen weniger Kohlenstoff gespeichert, als in dem ursprünglichen Bestand.
Aber nicht nur als lebender Kohlenstoffspeicher und als totes „Kohlenstoffgrab“ helfen Wale, dem Klimawandel zu begegnen (und beeinflussen damit auch indirekt unser Wetter), sondern auch über die sogenannte „Walpumpe“– ein Begriff, den uns beim Schreiben unser Korrekturprogramm rot unterkringelt, weil er so unbekannt ist.
Dabei ist die Walpumpe für uns alle ganz schön wichtig. Sie ist ein Beispiel dafür, wie Prozesse und Organismen in natürlichen Ökosystemen auf quasi wundersame Weise zusammenwirken. In diesem speziellen Beispiel geht es um die ganz großen und die ganz kleinen Bewohner der Weltmeere: Bartenwale und Phytoplankton.
Zu Phytoplankton gehören unter anderem Kieselalgen, Dinoflagellaten und Kalkalgen. Sie alle betreiben Photosynthese, sind klein und sehen oft skurril und wunderhübsch aus. Normalerweise bekommen wir diese Kleinstlebewesen nicht zu Gesicht und denken wohl auch kaum an sie.
Dabei sind sie für mindestens 50 Prozent der Sauerstofffreisetzung durch Photosynthese auf unserem Planeten verantwortlich – mit jedem zweiten Atemzug atmen wir Sauerstoff ein, den sie freigesetzt haben. Und sie binden etwa 40 Prozent alles emittierten CO2. Das ist so viel wie 1,7 Billionen Bäume binden können, viermal so viele wie in den Wäldern des Amazonas zu binden sind.
Wal-Kacke steigert die Produktivität
Damit das gut funktioniert, brauchen die kleinen Kraftpakete neben Licht auch Dünger. Zwei Elemente limitieren in großen Bereichen der Weltmeere ihr Wachstum, weil sie in (zu) geringer Menge vorkommen: Stickstoff und Eisen. Und hier kommen die Wale ins Spiel. Die fressen mit Vorliebe in tiefen Meeresschichten, wo Nahrung für sie in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Der hohe Druck da unten erschwert allerdings den Toilettengang.
Für Tiere, die schnell schwimmen können und zum Atmen ohnehin immer wieder auftauchen müssen, ist das aber kein Problem. WC ist einfach immer oben. Was übrig bleibt von dem, was Wale in tiefen Meeresschichten als Nahrung zu sich genommen haben, wird dort oben und damit in Reichweite des Phytoplanktons ausgeschieden. Weil gerade Walkot reich an Sauerstoff und Eisen ist, ist er der beste Dünger für diese kleinen Großmeister der CO2-Sequestrierung.
Das ganze funktioniert auch über große vertikale Wanderungsbewegungen. Die meisten großen Wale bevorzugen zur Nahrungsaufnahme die kalten, nahrungsreichen Meere nahe den beiden Polen. Ihren Nachwuchs bekommen sie aber lieber in warmen – äquatornahen – Meeresbereichen. Mit dem angefutterten Speck wandern Nährstoffe aus kalten Meeresbereichen mit den Walen in Äquatornähe und werden dort zu Dünger aus Walkot.
Würde es gelingen, die Walpopulation wieder um das Drei- bis Vierfache, also auf ihre ursprünglichen Bestände anwachsen zu lassen, hätte das sehr positive Effekte auf das Klima. Das ist nur zum kleinen Teil ihrer Funktion als Kohlenstoffsenke geschuldet – allein, wenn es von den acht untersuchten Walarten wieder so viele Vertreter geben würde wie früher, würden die so viel Kohlenstoff speichern, wie 110.000 Hektar Wald bei uns.
Viel entscheidender ist aber eine „Instandsetzung“ der Walpumpe. Würde die Produktivität von Phytoplankton durch Walkot um nur ein Prozent gesteigert werden, würden Hunderte Millionen zusätzliches CO2 pro Jahr gebunden werden, ungefähr so viel wie zwei Milliarden Bäume binden können – und der Wal könnte so (indirekt) mal wieder „gut Wetter“ machen.
Und nur ganz nebenbei: Rechnet man alle Leistungen zusammen (Kohlenstoffspeicherung, touristische Nutzung, verbesserte Lebensbedingungen für Fischbestände …), die Wale für uns erbringen, so hat jeder lebende Wal einen monetären Wert von mindestens 2 Millionen US-Dollar.
Das Buch „Wal macht Wetter: Warum biologische Vielfalt unser Klima rettet“ von Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg ist am 14. März 2023 im Oekom-Verlag erschienen. Fischer und Oberhansberg erklären darin, was Biodiversität und Klimawandel miteinander zu tun haben – und wie naturbasierte Lösungen uns helfen, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu senken. 208 Seiten, ISBN: 9783962384197.
Frauke Fischer ist promovierte Biologin und Mitgründerin der Agentur „auf!“, in der sie Unternehmen zu Klima- und Biodiversitätsschutz berät. Hilke Oberhansberg promovierte in Wirtschaftswissenschaften und studierte Interdisziplinäre Umweltwissenschaften. Sie ist im Bereich der Umweltbildung und -beratung tätig. Fischer und Oberhansberg veröffentlichten 2021 gemeinsam das Buch „Was hat die Mücke je für uns getan?“ über den Wert von biologischer Vielfalt, das mit dem Umweltmedienpreis der Deutschen Umwelthilfe ausgezeichnet wurde.
Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert