Eine Biene sitzt in einer Apfelblüte

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Klimakrise und Lösungen

Landwirt wehrt sich: Ich bin nicht schuld am Artensterben

Die konventionelle Landwirtschaft zerstört die Biodiversität, da sind sich Expert:innen einig. Jan Wreesmann ist so ein Landwirt und fühlt sich zu Unrecht verurteilt.

Profilbild von Protokoll von Leoni Bender

Vor Kurzem habe ich euch erklärt, warum wir uns besser um Ameisen kümmern sollten. Wie wichtig sie für unser Ökosystem sind. Und das letztlich sogar unser Leben an ihnen hängt. Nicht nur an den Ameisen – sondern an vielen kleinen und großen Arten, deren Vielfalt bedroht ist.

Alle Expert:innen in meinem Text waren sich einig: Schuld am Artensterben seien vor allem die konventionelle Landwirtschaft und der Flächenfraß. Was früher Wald war, ist heute ein Maisfeld. Und sowieso, Mais! Wir bauen haufenweise dieselben hochgezüchteten Lebensmittel an! Außerdem gefährdet der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Insekten und verschmutzt die Umwelt. Jan Wreesmann ist mit diesem Urteil sehr unglücklich. Er ist KR-Mitglied und selbst konventioneller Landwirt in Niedersachsen – und setzt sich hier zur Wehr.


Wenn schlecht über die Landwirtschaft gesprochen wird, fühle ich mich schnell angegriffen. Obwohl es mich mit meinen Geschäftsbereichen manchmal gar nicht betrifft. Aber ich fühle mich als Teil der Gemeinschaft und bin schon in der fünften Generation Landwirt auf unserem Gut Altenoythe. 1865 haben meine Ur-Urgroßeltern den Betrieb in der Nähe von Oldenburg gekauft. Meine Frau und ich sind 2013 eingestiegen, sie betreibt die Käserei und ich den Obstbau. Mein Vater kümmert sich um den Ackerbau.

Ein junger Mann mit Strohhut und Bart sitzt auf einer Holzbank und umarmt einen kleinen schwarz-weiß gefleckten Hund.

Auf Jan Wreesmanns Hof Gut Altenoythe leben ein paar Ziegen, Ponys und Gänse und der Jack-Russell „Scotty“ © privat

Ich mache vieles anders als meine Kolleg:innen hier im Umkreis. Auf unseren Flächen betreiben wir eine konservierende Landwirtschaft. Das bedeutet, wir verzichten komplett auf den Pflug, haben eine möglichst breite Fruchtfolge und eine ständige Bedeckung des Bodens. Mein Vater hat schon vor 25 Jahren angefangen, auf den Pflug zu verzichten. Ihm ging es erstmal darum, den Diesel zu sparen.

Mittlerweile wissen wir: Je mehr Maschinen wir im Boden einsetzen, desto mehr stören wir das Bodenleben, und der fruchtbare Humus geht kaputt. Der Boden wird weniger ertragreich und verliert an Resilienz. Eine dauerhafte Pflanzendecke sorgt dafür, dass sich das Bodenleben ernähren kann und der Boden vor Erosionen geschützt wird. Erosionsschutz ist besonders in unserer Gegend ein Thema. Wir haben sehr viel Wind und sandige Böden. Teilweise fährt man durch Dörfer und sieht fast nichts, weil so viel Sand durch die Luft weht.

Ökologische und konventionelle Landwirtschaft sind keine Gegensätze

Ich bin aber trotzdem ein konventioneller Landwirt. Sowohl für den Obst- als auf für den Ackerbau setze ich Pflanzenschutzmittel und Dünger ein, die nicht den Bio-Richtlinien entsprechen. Auf den Pflug zu verzichten, ist im ökologischen Landbau eine noch größere Herausforderung, weil der Pflug alle Unkräuter verschüttet. Im konventionellen Ackerbau kann ich das chemisch kompensieren, durch Herbizide. Wir tun viel, um unsere Pflanzen durch Anbautechnik gesund zu erhalten. Für bestimmte Probleme möchte ich Pflanzenschutzmittel aber als Option in der Hinterhand behalten.

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Dass ökologische und konventionelle Landwirtschaft oft als Gegensätze dargestellt werden, finde ich nicht in Ordnung. Klar, es gibt Regeln, die bestimmen, wo die konventionelle Landwirtschaft endet und die ökologische Landwirtschaft anfängt. Aber die konventionelle Landwirtschaft hat auch viel von den Prinzipien gelernt, die im Ökolandbau gelten, auch abgesehen vom Verzicht auf die Chemie. Etwa wie man Schadinsekten durch Pheromone, also Duftstoffe, beispielsweise um Sexualpartner:innen anzulocken, verwirrt. In den vergangenen Jahren hat sich die konventionelle Landwirtschaft in vielen Bereichen sehr weiterentwickelt. Von der Öffentlichkeit wird das aber meiner Meinung nach nicht wahrgenommen.

Wie biodivers eine Agrarlandschaft ist, hängt auch von der Flächenstruktur ab. Eine mehrere hundert Hektar große Maisfläche etwa bietet viel weniger ökologische Vielfalt, als wenn ich alle zwei bis drei Hektar etwas anderes anbaue, also eine „breite Fruchtfolge“ nutze. Vielleicht kennt ihr ja noch die Dreifelderwirtschaft aus dem Geschichtsunterricht? Das haben auch viele konventionelle Landwirt:innen für sich wiederentdeckt. Auf dem landwirtschaftlichen Hochschultag der Universität Hohenheim im vergangenen Jahr habe ich gelernt: In einer kleinen Flächenstruktur habe ich bei konventionellen Betrieben mindestens die gleiche Wildartenvielfalt wie bei Biobetrieben mit großen Strukturen.

Kolleg:innen staunen oft über die Insektenvielfalt in meiner Obstanlage.
Landwirt Jan Wreesmann

Auf unseren Feldern wachsen zum Beispiel Äpfel, Birnen, Weizen, Mais und Sonnenblumen. Auf manchen Äckern machen wir einen Streifenanbau, das heißt, alle 24 Meter steht eine andere Kultur. Das finden nicht nur unsere Kund:innen schön, sondern es ist auch für die Biodiversität besser, als wenn dort nur eine einzige Pflanze stehen würde. Kolleg:innen staunen oft über die Insektenvielfalt in meiner Obstanlage. Prinzipiell ist der Obstbau für viele Insekten anziehend, aber wir versuchen auch, die Vielfalt zu fördern. Zum Beispiel mit natürlichen Strukturen wie Totholzhaufen zum Brüten und Überwintern, Ecken mit Unkraut, die wir stehen lassen, und Blühstreifen mit heimischen Wildblumen. Eigentlich blüht es von Februar bis Ende Oktober immer irgendwo.

Biodiversität zu erhalten, muss uns Landwirt:innen auch bezahlt werden

Ich habe den Eindruck – und das bestätigen mir Berufskolleg:innen auch – medial wird kommuniziert: „Die Landwirtschaft macht uns alles kaputt. Die Landwirt:innen spritzen die Insekten tot und sorgen für Agrarwüsten.“ Oft sind die Berichte sehr emotionalisiert. Ich habe das Gefühl, über Landwirtschaft wird immer nur dann gesprochen, wenn man sie schlecht machen kann. Sie ist oft nur noch ein Nebenaspekt, der vorkommt, wenn es um Umweltschädigung geht. Dabei spielt Landwirtschaft in so vielen Bereichen eine Rolle. Bisher machte sich die Umweltbewegung beispielsweise gegen Kohle oder Autos stark – machtvolle Lobbys, die die Kritik an sich abtropfen lassen können. In der Landwirtschaft gibt es viele Kleinunternehmer:innen und Familien. Meist sind sie Zwängen unterworfen, die sie kaum ändern können. Und gleichzeitig leben sie mit ihren Kritiker:innen in der Nachbarschaft.

Ich würde mir wünschen, dass sich die Politik mehr mit uns Praktiker:innen austauscht und nicht nur mit der Agrarlobby.
Landwirt Jan Wreesmann

Ich finde, die Debatten werden meist an den Landwirt:innen vorbei geführt. Es wird ja nicht gefragt: Was könnt ihr machen, um mehr Biodiversität zu fördern? Bei vielen Regeln habe ich das Gefühl, dass sie am Schreibtisch entwickelt wurden und in der Praxis nicht unbedingt sinnvoll sind. Vielleicht funktionieren sie auf Versuchsfeldern, aber jeder Betrieb und jede Region ist anders. Ich würde mir wünschen, dass sich die Politik mehr mit uns Praktiker:innen austauscht und nicht nur mit der Agrarlobby, die wieder ihre eigenen Vorstellungen hat.

Blick auf den Obstgarten im Sommer. In der Ferne erkennt man einen Regenbogen.

Obst zieht viele Insekten an, aber auch Totholzhaufen, Unkraut, Wildblumen und Blühstreifen fördern die Biodiversität. © privat

Je effektiver die Landwirtschaft wird, in dem, was sie macht und in dem, was von ihr gefordert wird, desto schärfer werden auch die Forderungen. Es ist für uns Landwirt:innen aber kaum machbar, weniger intensiv auf dem Acker zu wirtschaften und gleichzeitig die Erträge zu sichern oder sogar noch zu erhöhen. Und von uns wird verlangt, natürliche Lebensräume zurückzugeben. Was dabei, glaube ich, vergessen wird: Vieles von dem, was wir heute als biologische Vielfalt wahrnehmen, sind Kulturlandschaften, die von unseren Vorfahren geprägt wurden. Oft ist die Natur gar nicht darauf eingestellt, auf sie zu verzichten. Zum Beispiel die Lüneburger Heide: Würde die Heide nicht mit Schafen beweidet, würde sie verwalden.

Der Landwirt Willi Kremer-Schillings, der als Bauer Willi als Blogger und Autor in der Öffentlichkeit steht, hat mal gesagt: „Wir müssen Biodiversität so produzieren, wie wir auch andere Früchte produzieren.“ Ich finde diese Idee eigentlich ziemlich gut. Das würde bedeuten, anstelle von Auflagen, wie ich meine Früchte produziere, gibt es einen Preis für das Ziel. Wenn das Ziel zum Beispiel ist, möglichst viele verschiedene Insektenarten in einer Region zu erhalten, muss jede unterstützende Maßnahme mit einem Wert bezahlt werden. Also, je besser ich mich darum kümmere, desto mehr Geld verdiene ich daran. So ist das mit meinen Apfelbäumen und so sollte es mit der Biodiversität auch sein.


Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Landwirt wehrt sich: Ich bin nicht schuld am Artensterben

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