KR-Mitglied Katharina möchte umweltbewusst leben. Beim Einkaufen fällt ihr das aber schwer. Es gibt fast keine Unternehmen, die nicht mit Klimafreundlichkeit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit werben, sagt sie. Lufthansa bietet C02-neutrale Flüge an, H&M veröffentlicht eine Kollektion aus recyceltem Plastik und Lidl hat die regionale Eigenmarke „Ein gutes Stück Heimat“ im Sortiment. Katharina hat Recht: Glaubt man der Werbung, retten die meisten Unternehmen derzeit die Welt.
Katharina kann schwer einschätzen, welche Firmen es mit ihren grünen Versprechen ernst meinen. „Dafür fehlen mir sowohl die Kenntnisse als auch der Zugang zu Informationen“, sagt sie. So geht es nicht nur ihr. Nach einem Aufruf in der KR-Community haben mir einige von euch geschrieben.
KR-Leserin Anke sagt zum Beispiel: „Ich steige nicht durch und hab dazu noch das Gefühl, die Firmen wollen mich doch alle nur übers Ohr hauen. Das macht die Lust nicht größer, mich damit auseinanderzusetzen.“ KR-Leserin Melisa ärgert sich über die vielen verschiedenen Label und Siegel auf den Produkten und möchte wissen, welche davon zuverlässig sind. Und die KR-Leser Oliver und Jakob wollen nicht für jedes Produkt eine lange Recherche machen müssen. Sie fragen: Wie kann ich herausfinden, was bei einem Unternehmen Greenwashing ist? Und mein Geld für wirklich nachhaltige Produkte ausgegeben?
So funktioniert Greenwashing
Bei vielen Konsument:innen sind umweltfreundliche Produkte in Zeiten der Klimakrise gefragt. Unternehmen haben diesen Trend erkannt. Das kann sich positiv auswirken, wenn Firmen tatsächlich umsetzen, was sie versprechen. Nutzen Unternehmen Nachhaltigkeit nur zu Marketingzwecken, während sie weiter „business as usual“ machen, spricht man von Greenwashing. Sie übertreiben oder lügen, was ihr umweltfreundliches und ethisch korrektes Handeln angeht. Den Verbraucher:innen wird das Gefühl gegeben, dass der Kauf des Produkts sogar eine gute Sache sei.
Manchmal ist der grüne Anstrich leicht erkennbar. Im September wurde Influencerin Kourtney Kardashian zum „Sustainability Ambassador“ der Ultra-Fast-Fashion-Kette Boohoo ernannt. Man muss kein Experte sein, um da skeptisch zu werden.
In anderen Fällen erfordert es monatelange Investigativrecherche und Zugang zu internen Dokumenten, um Greenwashing zu enttarnen. Das Online-Magazin Flip hat gemeinsam mit der Zeit offengelegt, dass das Nationaltrikot vom Sportartikelhersteller nicht wie angegeben zur Hälfte aus Ozean-Plastikmüll von den Malediven besteht.
Damit du Werbelügen auch ohne Investigativrecherche erkennst, erkläre ich verbreitete Greenwashing-Strategien.
Greenwashing-Trick 1: Nicht klar definierte Begriffe benutzen
Du hast bestimmt auch schonmal Lebensmittel „aus nachhaltigem Anbau“ gekauft. Aber was heißt das eigentlich? Wenn du das nicht weißt, ist das kein Wunder. Was „Nachhaltigkeit“ bedeutet, ist nicht klar definiert. Nachhaltigkeit wird häufig so beschrieben: die Erschöpfung natürlicher Ressourcen zu vermeiden, um das ökologische Gleichgewicht zu erhalten. Es gibt aber auch noch viele andere Definitionen.
Ähnlich unklar sind auch andere Begriffe, beispielsweise „umweltbewusst“, „natürlich“ oder „klimaschonend“. Wenn ihr beim Einkauf oder bei Werbung darauf achtet, fallen euch bestimmt noch einige mehr auf. Das Problem mit diesen schwammigen Begriffen ist, dass sie nicht mit bestimmten Verpflichtungen einhergehen.
Greenwashing-Trick 2: Nur die halbe Wahrheit sagen
Eine weitere Möglichkeit ist es, nachhaltige Eigenschaften in der Werbung zu betonen und schlechte auszusparen. Ein Beispiel: Ein „ökologischer“ Baumwollpullover, dessen Baumwollgarn zwar ökologisch angebaut wurde, der aber gebleicht und gefärbt wurde, wobei oft Gifte ins Abwasser gelangen.
Natürliche Eier? Auch Eigenschaften zu nennen, die gar nicht relevant oder sowieso selbstverständlich sind, ist eine Greenwashing-Strategie. Obwohl, mit Selbstverständlichkeiten zu werben, sogar gesetzlich verboten ist.
Greenwashing-Trick 3: Vermeintlich „klimaneutral“ sein
Noch so ein Begriff, mit dem viel geworben wird: klimaneutral. Klingt erstmal gut, denn Klimaneutralität bedeutet, dass durch das Produkt oder die Dienstleistung die Menge an schädlichen Emissionen in der Atmosphäre nicht erhöht wird. Aber auch hier gilt Vorsicht: Der Begriff ist nicht rechtlich geschützt und kann verschieden ausgelegt werden. Oft werden die Emissionen gar nicht eingespart, sondern die verursachten Gase durch den Kauf von CO2-Zertifikaten – meist in Entwicklungs- oder Schwellenländern – kompensiert. So gibt beispielsweise auch die FIFA an, dass die WM in Katar klimaneutral sei. Obwohl nach eigenen Angaben viele Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden.
Greenwashing-Trick 4: Eigene Siegel ausdenken
Im September hat eine Investigativrecherche der Zeit offengelegt, wie einfach es ist, eine Klimaneutralitäts-Zertifizierung zu bekommen. Die Journalist:innen hatten dafür einen Schein-Blumenladen gegründet. Die Beratungsfirma Myclimate, die mit Emissionsgutschriften handelt und unter anderem auch mit Lufthansa zusammenarbeitet, zertifizierte den Fake-Laden als klimaneutralen Betrieb.
Es gibt mittlerweile auch viele Unternehmen, die sich eigene Siegel für ihre Produkte ausdenken. Verboten ist das nicht. Für Kund:innen ist es aber oft schwierig einzuschätzen, wofür die Siegel stehen und wie vertrauenswürdig sie sind. Bei Siegelklarheit, Label-Online und der App Siegel Check bekommt ihr einen Überblick. Dort seht ihr, ob ihr es mit einem offiziellen Siegel, wie dem staatlichen Bio-Siegel, zu tun habt und was verschiedene Siegel bedeuten.
Greenwashing-Trick 5: Vorgetäuschte Regionalität
Im Supermarkt ist Regionalität ein beliebtes Kaufargument. Wenn der Apfel keine weiten Transportwege hatte, ist die Klimabelastung niedrig. Aber eine gesetzliche Regulierung, ab wann der Supermarkt sein Produkt als regional bezeichnen darf, gibt es noch nicht. Deshalb achtet am besten darauf, dass es konkrete Regionsangaben gibt oder fragt nach, woher genau die Lebensmittel kommen. Oder: Direkt beim Bauern in der Nähe kaufen.
Und was ist mit einem regionalen Apfel, der, weil er außerhalb seiner Saison angeboten wird, monatelang in Deutschland gekühlt wird? Ist er aus Klimaaspekten besser als ein Apfel, der frisch geerntet aus Neuseeland kommt? Schwierig zu sagen. Sinnvoll ist deshalb, Obst und Gemüse regional, aber wenn möglich auch saisonal zu kaufen.
Das sagt die Verbraucherschützerin
Die grünen Werbetricks zu erkennen, ist leider nicht so einfach. Agnes Sauter, Leiterin der ökologischen Marktüberwachung bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), kennt sich damit aus. Mit ihrem Team kontrolliert sie nachhaltige Werbeversprechen von Produkten auf dem deutschen Markt. „Wir erleben gerade eine Explosion dieser Umweltbegriffe“, sagt Sauter.
Derzeit liegt der Fokus ihrer Organisation auf der Kontrolle von Produkten, die mit Klima- oder CO2-Neutralität werben. Dieses Versprechen bezeichnet die Expertin als grob irreführend. Denn: Jedes Produkt, das hergestellt wird, verursache CO2. „Besonders perfide ist, wenn ein Unternehmen ein Produkt als klimapositiv bewirbt. Dann entsteht der Eindruck, je mehr ich von dem Produkt konsumiere, desto mehr schütze ich das Klima. Völliger Quatsch.“
Als Verbraucherschutzorganisation kontrolliert die DUH nicht nur die Werbeversprechen, sondern geht auch vor Gericht. Im Mai hat die DUH Rechtsverfahren gegen acht Unternehmen eingeleitet, denen vorgeworfen wird, Greenwashing mit dem Begriff „klimaneutral“ zu betreiben. Die damit verbundenen angeblichen Kompensationen seien nicht nachvollziehbar. Die rechtliche Grundlage dafür ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Unternehmen dürfen demnach ein Produkt nur mit Umweltmerkmalen bewerben, wenn sie Verbraucher:innen verständliche Informationen bereitstellen, mit denen sie die Versprechen nachvollziehen können.
Die Europäische Grundlage des Gesetzes, die sogenannte UGP-Richtlinie, wird aktuell überarbeitet. Sauter hofft dann auch auf eine klarere rechtliche Definition von Umweltbegriffen wie beispielsweise „regional“. Die DUH fordert außerdem eine Aufnahme absoluter Begriffe wie „klimaneutral“, „CO2-neutral“ oder „klimapositiv“ auf den Index des Gesetzes – also eine schwarze Liste mit nicht erlaubten Werbeversprechen.
Konsument:innen rät die Expertin, beim Einkauf darauf zu achten, dass die Produkte in ihrer Herstellung, Transport und Konsum möglichst wenig Schadstoffe verursachen: „Ein Produkt ist umso besser, je geringer der ökologische Fußabdruck ist.“ Ist wenig Plastik darin, hält das Produkt lange und kann ich es reparieren? Woher kommen die Zutaten? Wie intensiv wurden sie verarbeitet? Viele Unternehmen bieten mittlerweile auch QR-Codes auf den Produkten an, über die du mehr Informationen bekommst.
Von freiwilligen anstelle offiziellen Siegeln hält die Verbraucherschützerin nichts: „Das Problem ist, dass die erstmal keinerlei staatlicher Kontrolle unterliegen, es gibt keine einheitlichen Vorgaben. Die ganzen Siegel stellen auch ganz unterschiedliche Qualitätsstandards auf.“ Entscheidend bei der Beurteilung eines Siegels sei, welcher Zyklus bzw. welcher Bestandteil des Produkts betrachtet wird, der die Siegel-Kriterien erfüllen soll. Problematisch sei beispielsweise, wenn ein Unternehmen mit Klimaneutralität wirbt und den Eindruck erweckt, dass das ganze Unternehmen klimaneutral sei, obwohl nur der Versand des Produkts als klimaneutral zertifiziert ist.
Das sagt der Nachhaltigkeitswissenschaftler
Norian Schneider hat Nachhaltigkeitswissenschaften studiert und zusammen mit der Influencerin Marie Nasemann die Plattform Fairknallt aufgebaut. Dort berät er als „Greenwashing-Detektor“, welche Marken auf die Seite kommen. „Ich beschäftige mich beruflich damit und selbst für mich ist es ein Dschungel, in dem ich mich immer neu orientieren muss“, sagt Schneider. „Greenwashing funktioniert eben so gut, weil die Firmen auf Menschen treffen, die wenig Zeit haben und viele Informationen bekommen.“ Oft seien es dann die leichten optischen Signale, die zum Kauf überzeugen.
In der Textilbranche sei Überproduktion das größte Problem. „Angefangen hat es mit Fast-Fashion, und Ultra-Fast-Fashion zieht es jetzt auf ein absurdes Niveau. Das in Kombination mit schlechter Qualität, die nicht lange hält und sehr viel Müll produziert.“ Ganz generell sei deshalb nötig: weniger produzieren und weniger kaufen.
Wenn du Kleidung neu kaufst, rät Schneider dazu, genau auf das Hängeetikett zu schauen. Die Materialien seien immer ein guter Indikator dafür, wie nachhaltig das Produkt ist. Als Grundregel gelte: „Je mehr Materialien gemischt sind, desto schlechter.“ Monomaterialen seien leichter recycelbar als beispielsweise ein Strickpullover mit vermischten textilen Flächen, die schlecht auseinandergehen.
Schneider sagt, er selbst greife prinzipiell eher zu Naturfasern, da durch das Auswaschen von Kunstfasern Mikroplastik entsteht. Er warnt davor, auf undefinierte Begriffe hereinzufallen: „Nachhaltige Baumwolle sagt erstmal nichts aus.“ Die Kennzeichnung als Bio-Baumwolle (kbA) sei dagegen ein gesetzlich geregelter Begriff, der sich an Kriterien orientieren müsse.
Auch beim Einkaufen in Supermarkt und Drogerie helfe ein Blick auf die Inhaltsstoffe. Eine der größten Problematiken im Kosmetikbereich sind die eingesetzten Chemikalien, über die wir meist nicht Bescheid wissen. Mit der App Codecheck könnt ihr aber beispielsweise den Barcode der Produkte scannen und recherchieren, was darin steckt.
Je größer das Unternehmen ist, desto wichtiger seien unabhängige Zertifikate, sagt Schneider: „Möglichst nicht aus dem Branchenverband.“
Und nun?
Nachhaltig einkaufen ist anstrengend. Und Unternehmen, die Greenwashing betreiben, machen es noch viel anstrengender. Ein kritischer Umgang mit den Werbeaussagen der Unternehmen ist deshalb wichtig. Als Verbraucherin bin ich nicht allein für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz verantwortlich. Meine Recherche zeigt: Politik und Industrie müssten dieselbe Verantwortung übernehmen.
Vielen Dank an die KR-Mitglieder Katharina, Till Helge, Konrad, Anne, Ingo, Jens, Melisa, Jakob, Daniel, Wolfgang, Anke und Oliver, die sich an diesem Artikel beteiligt haben.
Redaktion: Thembi Wolf; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Christian Melchert