Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich das erste Mal von dem Plan gehört, Deutschland dort auf die Klima-Krise aufmerksam zu machen, wo es garantiert auch hinschaut: auf der Autobahn. Die Aktivisten und Aktivistinnen der „Letzten Generation“ hatten damals angedroht, immer wieder Straßen zu blockieren und zwar so lange, bis sich etwas ändert.
Die ersten Aktionen im Winter 2021 sorgten für einige Diskussionen – sie waren aber nichts im Vergleich zu den Beleidigungen, Drohungen, Verurteilungen und der nackten Aggression, die über die Aktivistengruppe hereinbrach, nachdem Anfang November eine Radfahrerin nach einem Unfall in Berlin deswegen gestorben sein soll, wie es hieß, weil ein Bergungsfahrzeug nicht rechtzeitig bei ihr sein konnte. Das Fahrzeug – so der Vorwurf – soll in einem Stau gestanden haben, den die „Letzte Generation“ mit einer Blockade ausgelöst hatte. Die Aktivistengruppe soll also Mitschuld am Tod der Radfahrerin haben. Ein Vorwurf, der sich schnell als falsch herausstellte.
Tiktok, aber als Politikstil
Dass ich erst jetzt darüber schreibe, hat vor allem folgenden Grund: Ich war mir lange nicht sicher, ob es überhaupt irgendetwas Neues zu diesen Aktionen zu sagen gibt, irgendetwas, was ich nicht schon vor einem Jahr geschrieben habe, als ich mich klar hinter solche Aktionen stellte:
„Wer glaubt, dass alles nicht so schlimm kommen werde, sieht die Autobahn-Absperrung als Nötigung, als etwas Illegitimes (nicht im rechtlichen Sinne, das hat das Bundesverfassungsgericht längst geklärt, sondern im Sinne von anstandslos). Wer glaubt, dass die Welt immer noch nicht verstanden hat, wie nah die Klimakatastrophe wirklich ist, sieht in der Aktion gewaltlose Notwehr, eine legitime Verteidigungsmaßnahme. […] Der Witz so einer Autobahnblockade im Kampf gegen die Klimakrise ist natürlich, dass sie keinerlei direkte Auswirkungen auf den Kampf gegen die Klimakrise hat. Es ist ein rein symbolischer Akt. Die Aktivist:innen hacken mit ihrem friedlichen Protest die Systeme unserer Aufmerksamkeitsökonomie: Nur was Bilder produziert, findet in unserer Gesellschaft auch statt. Tiktok, aber als Politikstil.“
Radikale Bewegungen bekommen immer Gegenwind
All das gilt immer noch. Und doch hat mich die schiere Wucht der Reaktionen in Bezug auf den Tod der Radfahrerin noch mal innehalten lassen. Diese Wucht hat mich überrascht. Nicht nur mich übrigens.
Robin Celikates ist Politikwissenschaftler an der FU Berlin und Experte für Aktionen zivilen Ungehorsams; er hat also schon einiges gesehen. „Radikale Bewegungen bekommen immer viel Gegenwind. Das kann man aus der Geschichte lernen. Das gilt für Gandhi, für Martin Luther King, für die Frauenbewegung“, sagte er mir in der vergangenen Woche. Und doch: „Ich war schon überrascht von den Reaktionen. Denn die jetzige Bewegung ist noch relativ moderat und weit entfernt von vielen radikaleren Methoden.“
Aktionen zivilen Ungehorsams begleiten immer wieder die gleichen Fragen: Dürfen die das? Bringt das was? Trifft es hier wirklich die Richtigen? Ist das eine Straftat? All diese Fragen hat Deutschland in den vergangenen Wochen diskutiert, und dennoch gingen Dinge unter, die ich für wichtig halte, um solche Aktionen bewerten zu können.
Es ist ein Standard-Vorwurf. „Fürs Klima protestieren, schön und gut. Aber doch nicht so. Damit schaden sie der Sache.“ Das kann sein – muss aber nicht. Friedlicher, ziviler Ungehorsam kann deutlich effektiver sein, als es auf den ersten Blick wirkt. Es gibt in der Geschichte zahllose Beispiele zivilen Ungehorsams, die der Sache nicht geschadet haben. Die viel mehr der Sache erst überhaupt den Schub gegeben haben, den sie brauchte.
Doch, vielleicht muss man genau so protestieren
„Es kommt sehr selten vor, dass einzelne Protestaktionen direkte Folgen haben, wie etwa die Selbstverbrennung am Anfang des Arabischen Frühlings. Da ist direkt durch diesen Akt eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt worden“, sagt Robin Celikates. „Aber normalerweise funktioniert das indirekter: vermittelt über die öffentliche Diskussion, über die öffentliche Meinungsbildung. Bewegungen müssen immer versuchen, die Mehrheitsmeinung zu ändern. Und das geht nur vermittelt durch die demokratische Öffentlichkeit.“
Angesichts der extrem großen Empörung liegt der Gedanke nahe, dass hier auf keinen Fall und unter keinen Umständen die öffentliche Meinung hin zu mehr Klimaschutz bewegt wurde. Allein: Sicher sagen kann das niemand. Es gibt Studien, die zeigen, dass gerade radikalere Proteste dabei helfen, ein Thema zu setzen und zu verankern. Sie bilden eine Flanke zu den moderateren Kräften in einer Bewegung. In der Logik dieses Arguments erscheinen die Ziele der moderateren Kräfte, in diesem Fall der Fridays-for-Future-Bewegung, plötzlich viel vernünftiger und gemäßigter als vorher. Schlicht, weil sie nicht durch radikale Methoden erreicht werden sollen.
Für diesen Radikale-Flanken-Effekt gibt es Belege, eindeutig ist die Studienlage aber nicht. Dennoch bleibt die Möglichkeit. Und diese Tatsache allein diskreditiert schon all jene, die völlig selbstsicher behaupten: „So darf man auf keinen Fall protestieren. Das ist kontraproduktiv!!!“
Doch, vielleicht muss man genau so protestieren. Wir können es heute schlicht noch nicht wissen.
Völlig irre Ignoranz
Persönlich halte ich diese Proteste für effektiver, als viele denken. Warum? Weil ich Aufmerksamkeitszyklen zur Klimakrise verfolge. Es ist eben nicht so, dass diese Blockaden eine große nationale Debatte über die Klimaziele gestört hätten. Es gab nie eine große nationale Debatte über die Klimaziele.
Es gibt Bequemlichkeit, Leichtsinn und sehr viel von der völlig irren Ignoranz, für die Markus Lanz gerade wieder ein gutes Beispiel ablieferte.
Eine gewaltfreie Aktion, die die Worte „Klimakrise“, „Klimaziele“ und „Verantwortung“ in die Köpfe der Menschen bringt, ist eine gute Aktion. Das kontrafaktische Argument zeigt es vielleicht am deutlichsten: Wäre in den vergangenen Wochen die Klimakrise so präsent in den Köpfen gewesen, wenn es die Blockaden nicht gegeben hätte? Und wer jetzt auf den Weltklimagipfel (COP) in Ägypten verweist, der gerade auch stattfand: Solche Gipfel sind normalerweise mediale Routine-Ereignisse. Berichte über den COP sind eher ein Beleg für die Wirksamkeit der Blockaden als dagegen.
Genauso wie die Wut übrigens. Diese ganze geballte Wut, die der Klimagruppe entgegenschlägt, ist offensichtlich der Versuch, den Boten zu erschießen, um dessen schlimme Botschaft nicht mehr hören zu müssen. Wir kennen das Spiel doch von Greta Thunberg. Welch riesige Kübel voller Gülle wurden über dem damals 15-jährigen Mädchen ausgeschüttet, weil Thunberg die Gesellschaft daran erinnerte, dass die Welt Klimaziele hat, die sie nicht einhält!
Jetzt sehen wir die gleiche Dynamik wieder. Die, die am wütendsten sind, fühlen sich ertappt.
Natürlich kann man die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, Straßen im Berufsverkehr zu blockieren und so vor allem jene Menschen wütend zu machen, die eben nicht die Klimapolitik bestimmen oder gar den größten Einfluss auf die Erderwärmung haben. Gibt es nicht bessere Ziele? Robin Celikates jedenfalls glaubt das: „Ich denke, dass man die Blockaden im Berufsverkehr hätte früher überdenken müssen. Für zivilen Ungehorsam ist es wichtig, dass der Zusammenhang zwischen Aktion und Ziel erkennbar wird. Also wie bei Ende Gelände zum Beispiel, wo symbolisch Kohletagebaue stillgelegt werden.“ Oder auch wie bei der Blockade des Privatjet-Terminals am Amsterdamer Flughafen, wo die reichsten ein Prozent ein- und ausfliegen.
Das Ding ist: Vergangene Woche blockierte eine Protestgruppe auch das Privatjet-Terminal am Berliner Flughafen BER. Es traf genau die Richtigen. Nur mitbekommen hat es niemand.
Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: iris Hochberger