In vielen Städten sind Autos ungebetene Gäste. Wir tolerieren sie, aber oft sind wir froh, wenn sie wieder weg sind. Dabei waren Autos lange die Könige der Straßen. Spätestens mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg begannen sie, sich breitzumachen. Die Zukunft galt dem Auto. Ganze Innenstädte wurden nach Bedürfnissen des Autoverkehrs geplant.
Mittlerweile sind sie in ihrem Lebensraum bedroht. Der Mensch macht Jagd auf Einbahnstraßen, rechte Spuren und Parkplätze. Wo früher friedlich Autos parkten, stehen heute Blumenkübel oder fahren Radler:innen. Gleichzeitig starb laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes 2021 rund ein:e Radfaher:in pro Tag. Auf dem Land ist man ohne Auto aufgeschmissen. Das Grundrecht auf Mobilität bliebe vielen Menschen verwehrt, hätten sie kein Auto.
Mit dem Mobilitäts- und Stadtplaner Frank Höfler habe ich über Stadtplanung und Autoverkehr gesprochen. Wie finden wir einen Weg, auf dem Land mobil zu bleiben, auch mit weniger Autos? Und wie kommen wir an diejenigen ran, die immer noch das Auto nehmen, um schnell Zigaretten zu holen?
Herr Höfler, in Saudi-Arabien will die Regierung eine 170 Kilometer lange Stadt bauen. Züge bringen einen in 20 Minuten von einem Ende zum anderen. Autos gibt es gar nicht mehr, Pakete werden mit Drohnen ausgeliefert. Sieht so die Zukunft aus?
Frank Höfler: Mal abgesehen davon, dass ich in so einer Stadt nicht leben wollte: Die grundsätzliche Überlegung, Verkehr ohne Auto zu realisieren, kann ich mir gut vorstellen. In einer neuen Stadt kann man so etwas gut planen. In den Beständen, die wir haben, muss man adaptieren.
Wie realistisch ist es, dass wir das Auto irgendwann ganz loswerden?
(Lacht) Die Frage ist, ob wir es loswerden wollen oder müssen.
20 Prozent des CO2-Ausstoßes in Europa gehen auf den Verkehr zurück. Das wäre doch ein guter Schritt zur Lösung der Klimakrise?
Man muss das Auto als Verkehrsmittel nicht unbedingt verteufeln. Aber es sollte angemessen genutzt werden. Dass wir es nicht für jede Fahrt und jede Aktivität brauchen, sondern, dass wir die Wahl zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln haben. Es wäre viel gewonnen, wenn man die Entscheidung den Leuten überließe: für ein Auto, dafür, das Auto stehen zu lassen oder einfach gar keins haben. Zum Beispiel ist in Berlin die Anzahl der PKW pro 1.000 Einwohner deutlich geringer als in Hessen oder in Baden-Württemberg. Das liegt daran, dass die Menschen in Berlin Alternativen haben und kein Auto brauchen, so können sie es stehen lassen, oder ganz darauf verzichten. Aber einfach zu sagen: Okay, es gibt demnächst keine Autos mehr, ist auch keine Lösung.
Unsere Städte sind darauf ausgelegt, dass Autoverkehr flüssig funktioniert. Wie kam es dazu, dass gerade das Auto das dominante Verkehrsmittel geworden ist?
Ein Grund ist die sogenannte Zersiedelung der Landschaft, also der Wegzug der Menschen aus den Städten in die Peripherie, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht angebunden sind. Damit war das Auto das letzte, verfügbare Verkehrsmittel, um in die Stadtzentren zu kommen. Außerdem wurde sträflich vernachlässigt, in Städten andere Alternativen aufzubauen, den öffentlichen Nahverkehr und Fahrradwege. Da hätte man sehr viel Potenzial gehabt und das hat man in den letzten Jahrzehnten verschenkt.
Der Zug ist viel älter als das Auto. Wie kommt es, dass er sich nicht durchgesetzt hat, auch in den Innenstädten?
In den Innenstädten hat er sich ja in gewisser Weise durchgesetzt als S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn. Aber die Äste sind nicht verknüpft. Schauen Sie, wie vollgestopft die U-Bahnen sind. Dort, wo ein dichtes Netz ist, wo guter Takt ist, da gibt es auch Nachfrage. Aber je weiter Sie rauskommen, desto leerer wird der Raum zwischen den Ästen des Bahnnetzes. Da hört die Attraktivität ganz schnell auf.
Warum klammern sich viele Leute in den Innenstädten so ans Auto?
Das ist eine subjektive Entscheidung: Weil ich mich im Auto wohl oder sicher fühle oder eine gewisse Privatsphäre habe, die ich in der U-Bahn oder S-Bahn nicht habe. Ich bekomme also Komfort. Dafür nehme ich es sogar in Kauf, langsamer unterwegs zu sein, oder mehr zu bezahlen, damit ich dann nicht mit Menschen zusammen bin, die mir nicht zusagen.
Immerhin wird Carsharing mittlerweile viel genutzt. Ist das ein Anzeichen dafür, dass der private Autobesitz irgendwann der Vergangenheit angehört?
Car-Sharing könnte man als Teil des sogenannten individuellen öffentlichen Verkehrs ansehen. Es erlaubt das Nutzen statt Besitzen. Wenn Sie relativ frei über Mobilität verfügen können, auch zeitlich frei, dann ist das eine gute Sache. Auf dem Land ist das Carsharing schon wieder sehr viel schwieriger als in der Stadt.
Wenn Sie als Mobilitätsplaner träumen dürften: Was wäre die Lösung?
Autonome Fahrzeuge, die die Möglichkeit bieten, mich auch auf dem Land zu Hause abzuholen und irgendwo hinzufahren. Wenn ich also nicht davon abhängig wäre, dass irgendwo in 500 Meter Entfernung vielleicht mein Bus kommt.
Also der Bus per Knopfdruck.
Frank Höfler
Er leitet den Fachbereich Mobilitätsplanung an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU). Höfler hat Bauingenieurswesen am KIT in Karlsruhe studiert. Seit 1985 forscht er in den Bereichen Verkehrswesen, Stadt- und Infrastrukturplanung. Er konzentriert sich besonders auf nachhaltige Siedlungsentwicklung, plant Verkehrsanlagen und erarbeitet städtische Verkehrskonzepte.
Es gibt ja schon On-Demand-Fahrten, die sie aber vorplanen müssen. Und darin liegt das Problem. Wenn ich mich entscheide: Ich will jetzt in einer halben Stunde Einkaufen fahren, möchte ich ein Angebot haben. Das habe ich mit meinem Auto in der Garage oder vor dem Haus. Da könnte ich mir Systeme gut vorstellen, die auf Zuruf unterwegs sind. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Wenn diese autonomen Systeme mich wieder zurückbringen und ich mich nicht kümmern muss, wo ich die Fahrzeuge abstelle. Dann könnte ich mir vorstellen, dass sehr viele Menschen bereit wären, auf den eigenen PKW zu verzichten. Die Busse müssen ja nicht direkt bis zur Haustür fahren. Da gibt es sogenannte virtuelle Haltestellen. Für das System werden bestimmte Punkte im Netz als Haltestelle definiert. Ohne Schild mit Fahrplan, aber sie kriegen dann über die App den Standort, zum Einsteigen oder Aussteigen.
Was ist mit älteren Menschen, die kein Smartphone haben?
Es müsste auch einen telefonischen Weg geben, für die Leute, die analog denken. Da ruft man in einer Servicezentrale an, die die Fahrt vermittelt. Das braucht aber einen Zeitvorlauf. In dem Schweizer Ort Sion beispielsweise ist so ein System mit autonomen Bussen im Linienverkehr unterwegs. Ein weiteres Problem: die Angst vor solchen Systemen.
Die Menschen haben Angst vor dem autonomen Verkehr?
Ja. Das führt dazu, dass immer noch ein Operator mitfahren muss oder die Busse fast mit Schrittgeschwindigkeit unterwegs sind, also 20 km/h. Wir werden wohl noch ein paar Jahre warten müssen, bis die Fahrzeuge autonom durch eine Zentrale beaufsichtigt werden und nicht mehr mit einem Fahrer versehen. Das ist auch ein großer Vorteil für die Wirtschaftlichkeit. Dann werden sie sich im Stadtverkehr einfügen, mit 30 bis 50 km/h.
Ein zentrales Problem der Mobilitätswende ist, dass viele Leute nicht die Dinge vor Ort haben, die sie brauchen. Es müsste sich also auch infrastrukturell etwas tun, damit wir die Autos abschaffen könnten.
Arztpraxen brauchen eine gewisse Kundschaft und können natürlich nicht mit 200 Dorfbewohnern leben. Aber man könnte eine Arztpraxis tageweise öffnen, sodass ein Arzt an bestimmten Tagen an bestimmten Orten seine Praxis hat. Bei Supermärkten und Waren des täglichen Bedarfs gibt es eine Tendenz der Bringdienste. Das spart viele individuelle Fahrten und bündelt diese individuellen Fahrten auf eine kommerzielle Fahrt. Das ist durchaus positiv.
In Hamburg steht die City Nord, die perfekt auf den Autoverkehr ausgelegt war. Sie beruht auf der Stadtplanungs-Utopie der 1970er Jahre: Auf der Straße, quasi im Erdgeschoss, fahren die Autos und eine Etage darüber führen Fußgängerbrücken von Büro zu Büro. Wird heute noch immer so autozentriert geplant?
In Hamburg-Grasbrook gibt es ein Entwicklungsgebiet über die nächsten Jahre. Dort wird diskutiert, den Grasbrook zu bebauen und autofrei zu halten. Das kann man, wenn ÖPNV-Anschlüsse die letzte Meile bewerkstelligen. Dann können sie auch große Gebiete autofrei halten.
Gibt es solche umfassenden Entwürfe auch für den ländlichen Raum?
Der ländliche Raum ist sehr abgeschrieben, da tut sich relativ wenig. Siedlungsplanung erfolgt dort weniger in Richtung Verdichtung als zu noch mehr Zersiedelung. Da werden hier noch Neubaugebiete drangeklatscht und dort noch drei Straßen mit Einfamilienhäusern. Das ist für die Zukunft wirklich keine Lösung. In Großstädten sieht es wirklich ein bisschen anders aus.
Und auf dem Land?
Auf dem Land müsste man ein ganzes Dorf neu planen und das wäre in Deutschland schwierig. In anderen Ländern, wo von null auf hundert gebaut werden muss, wo neue Städte entstehen, neue Dörfer entstehen, neue Siedlungen entstehen – da könnte man durchaus von vornherein Siedlungen konsequent autofrei gestalten. Nicht, dass sie nicht mit dem Auto erreichbar sind, aber dass die Siedlung an sich autofrei ist. Im Schweizer Zermatt haben die Bewohner dafür gestimmt, den Ort autofrei zu halten.
Bei uns ist der Platz also knapp. Wohin könnten wir ausweichen?
Ein anderer Aspekt, den wir verfolgen, sind Siedlungen auf dem Wasser. Lebt unsere Gesellschaft so weiter und der Meeresspiegel steigt weiter an, dann kriegen wir alle nasse Füße. Gerade im asiatischen Raum ist das ein Problem und da kann man große Siedlungsflächen auf dem Wasser mit schwimmenden Bauten realisieren. Also es ist durchaus möglich, Siedlungen zu gestalten, auch im ländlichen, peripheren Raum, wo das Auto nicht mehr dominant ist. Forschungsarbeiten und Gedanken gibt es. Die reale Umsetzung ist noch etwas stiefmütterlich.
Ein Problem ist gerade der Platz, den Autos in Städten wegnehmen. Wäre es nicht eine Option, einfach Tiefgaragen zu bauen?
Im Bestand eine Tiefgarage zu bauen ist immer schwierig. Das können Sie machen, wenn sich Baulücken, Freiflächen oder Abrisssanierungen ergeben. Mit sogenannten Quartiers Garagen, also Parkhäusern auf Freiflächen, spart man Platz. Ein Parkhaus hat mehrere Geschosse, Sie brauchen also eine geringere Fläche als bei einer Tiefgarage. Wenn Sie diese Quartiersgaragen am Rande des Quartiers anlegen, müssen Sie mit dem Auto nicht reinfahren.
Sie müssen sich nur überlegen: Wie komme ich dann die letzte Meile an die Haustür? Ich denke, alles, was im Bereich 150 bis 200 Meter liegt, kann man gut zu Fuß gehen.
Dann setzen wir doch aufs Fahrrad, um Klimaneutralität zu erreichen?
Da kann ich Ihnen keine Zahlen nennen. Meine Frage ist eher: Wie viel kann man überhaupt verlagern? Denn da spielen die Randbedingungen der Topografie und des Wetters rein. Hamburg oder Berlin beispielsweise sind beide flach. Dort funktioniert Radverkehr. Wenn Sie aber in Stuttgart sind, sieht es anders aus. Da ist das Fahrrad schwer zu vermitteln. Und in Hamburg soll ja auch das Wetter nicht immer so berauschend sein. Manche Leute wollen auch mit 60 oder 70 nicht unbedingt aufs Fahrrad steigen, andere Leute können es gesundheitlich nicht.
Niemand möchte Menschen aufs Rad zwingen, die es gesundheitlich nicht können. Aber es gibt viele Leute, die ohne Probleme Fahrradfahren könnten und dennoch kurze Wege mit dem Auto erledigen. Wie kommt man an die ran?
Ja, das ist das Problem. Die 300 Meter zum Zigarettenautomaten im Auto zu fahren: Da ist Überzeugungsarbeit entscheidend. Letztendlich hängt die Verkehrswende auch davon ab, dass Überzeugung in den Köpfen der Menschen stattfindet. Die Bestrafungsorgie, die man mittlerweile einführt, halte ich nicht für förderlich, weil sie keine Freude schafft, sondern eher Missmut und Gängelei. Ich würde mir positive Anreize wünschen.
Zum Beispiel?
Durchgängige Fahrradwege. Was bringt mir ein Fahrradweg, der 200 Meter schön ausgebaut ist? Und hinterher, an der nächsten Kreuzung, hänge ich fest. Im Radverkehr brauchen wir ein gutes Netz. Normalerweise läuft Verkehrsplanung umgekehrt. Normalerweise arbeiten sie nach Nachfrage. Im Fahrradverkehr müssen Sie erst mal ein Angebot schaffen, um Nachfrage zu generieren. Und dann holen die Leute vielleicht auch ihr Fahrrad aus dem Keller.
Man muss also aufhören, Fahrradwege anzumalen und stattdessen zusätzlich Bordsteine oder Poller aufstellen?
Genau, man könnte Radwege optisch und physisch abgrenzen, um Missnutzung zu vermeiden. Schöner wäre es, wenn die Missnutzung aus dem Kopf heraus vermieden würde. Also die Autofahrer sagen: Nee, da ist ein Radweg, da parke ich nicht. Ein Problem bleibt aber: Paketdienste und der Lieferverkehr. Beide nutzen gerne den Radfahrstreifen, um dort zu halten. Wo sollen sie sonst stehen?
In der Stadt ergibt sich dann ein Konflikt. Einerseits wollen wir individuelle Fahrten reduzieren und durch kommerzielle Fahrten ersetzen. Das heißt, wir lassen Pakete, Essen und Medikamente nach Hause liefern. Gleichzeitig blockieren dadurch immer mehr Paketautos die Radwege.
Ja, ist ein Interessenkonflikt. Aber da gibt es auch Ansätze, kleine Roboterfahrzeuge den Paketdienst übernehmen zu lassen. Dann bräuchte man irgendwo in der Stadt einen Hub, wo die Pakete ankommen. Und von dort aus werden sie dann feinverteilt.
Gibt es das schon?
Im Prinzip gibt es das mit Schließfächern bei der Post oder von Amazon. Jetzt müssten sie nur noch jemanden haben, der die Pakete von dort aus weiter liefert. Das könnte man mit dem Lastenrad machen. Moderner wäre es, ein kleines Robotervehikel über die Gehwege fahren zu lassen und so an die Haustüren zu kommen. Damit würde man blockierte Radwege vermeiden. Das ist natürlich ein bisschen Science-Fiction und ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Aber gerade im städtischen Raum, mit hoher Dichte, könnte das funktionieren. Im ländlichen Raum ist es kein Problem, wenn da einmal oder zweimal am Tag ein Lieferfahrzeug kommt.
Redaktion: Thembi Wolf, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Bent Freiwald; Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert